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Das Gesetz gegen heimtuckische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20 Dezember 1934 1 bekannt unter der Bezeichnung Heimtuckegesetz stellte die missbrauchliche Benutzung von Abzeichen und Parteiuniformen unter Strafe Es schrankte daruber hinaus das Recht auf freie Meinungsausserung ein und kriminalisierte alle kritischen Ausserungen die angeblich das Wohl des Reiches das Ansehen der Reichsregierung oder der NSDAP schwer schadigten BasisdatenTitel Gesetz gegen heimtuckische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der ParteiuniformenKurztitel Heimtuckegesetz nicht amtlich Art ReichsgesetzGeltungsbereich Deutsches ReichRechtsmaterie StrafrechtErlassen am 20 Dezember 1934 RGBl I S 1269 Inkrafttreten am 29 Dezember 1934Ausserkrafttreten 20 September 1945 Kontrollratsgesetz Nr 1 Art I Nr 1 lit h Weblink Text des GesetzesBitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten Das Gesetz griff auf fast gleichlautende Bestimmungen aus der Verordnung des Reichsprasidenten zur Abwehr heimtuckischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21 Marz 1933 2 zuruck erweiterte jedoch den Strafrahmen Allerdings richtete sich die VO von 1933 lediglich gegen unwahre oder groblich entstellte Behauptungen tatsachlicher Art und enthielt noch keine Strafbarkeit von Werturteilen 2 des Heimtuckegesetzes Inhaltsverzeichnis 1 Verordnung von 1933 2 Gesetz von 1934 2 1 Inhalt 2 2 Hintergrund und rechtliche Beurteilung 3 Auswirkung 4 Bewertungen 5 Nach dem Krieg 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseVerordnung von 1933 BearbeitenNach heftigen Vorwurfen versprach Staatssekretar Franz Schlegelberger im Marz 1933 die Justiz werde die jetzige Regierung der nationalen Erhebung auf das energischste unterstutzen Er legte den Entwurf einer Verordnung zur Abwehr heimtuckischer Diskreditierung der nationalen Regierung vor die mit geanderter Uberschrift am 21 Marz 1933 dem Tag von Potsdam vom Kabinett beschlossen und auch vom Reichsprasidenten Paul von Hindenburg unterzeichnet wurde 3 Am selben Tag wurden mit einer weiteren Verordnung Sondergerichte gebildet die zur Aburteilung zustandig sein sollten Auf Grund des Artikels 48 Abs 2 der Reichsverfassung wird folgendes verordnet 1 1 Wer eine Uniform eines Verbandes der hinter der Regierung der nationalen Erhebung steht in Besitz hat ohne dazu als Mitglied des Verbandes oder sonstwie befugt zu sein wird mit Gefangnis bis zu zwei Jahren bestraft 2 Wer die Uniform oder ein die Mitgliedschaft kennzeichnendes Abzeichen eines Verbandes der im Abs 1 bezeichneten Art ohne Mitglied des Verbandes zu sein tragt wird mit Gefangnis nicht unter einem Monat bestraft 2 1 Wer eine strafbare Handlung gegen Personen oder Sachen begeht oder androht und dabei ohne Mitglied des Verbandes zu sein die Uniform oder ein die Mitgliedschaft kennzeichnendes Abzeichen eines Verbandes der im 1 Abs 1 bezeichneten Art tragt oder mit sich fuhrt wird mit Zuchthaus bei mildernden Umstanden mit Gefangnis nicht unter sechs Monaten bestraft 2 Ist die Tat in der Absicht begangen einen Aufruhr oder in der Bevolkerung Angst oder Schrecken zu erregen oder dem Deutschen Reich aussenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder lebenslanges Zuchthaus In besonders schweren Fallen kann auf Todesstrafe erkannt werden 3 Nach diesen Vorschriften kann ein Deutscher auch dann verfolgt werden wenn er die Tat im Ausland begangen hat 3 1 Wer vorsatzlich eine unwahre oder groblich entstellte Behauptung tatsachlicher Art aufstellt oder verbreitet die geeignet ist das Wohl des Reichs oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbanden schwer zu schadigen wird soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwere Strafe angedroht ist mit Gefangnis bis zu zwei Jahren und wenn er die Behauptung offentlich aufstellt oder verbreitet mit Gefangnis nicht unter drei Monaten bestraft 2 Ist durch die Tat ein schwerer Schaden fur das Reich oder ein Land entstanden so kann auf Zuchthausstrafe erkannt werden 3 Wer die Tat grob fahrlassig begeht wird mit Gefangnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft 4Wer die Mitgliedschaft eines Verbandes erschlichen hat gilt fur die Anwendung dieser Verordnung als Nichtmitglied 5Diese Verordnung tritt mit dem auf die Verkundigung folgenden Tage in Kraft Berlin den 21 Marz 1933 4 Gesetz von 1934 BearbeitenAm 20 Dezember 1934 wurde die Verordnung umgeformt zum Gesetz gegen heimtuckische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen Inhalt Bearbeiten Zunachst anderte man die Reihenfolge der Bestimmungen wobei die gegen den Missbrauch von Parteiuniform und abzeichen gerichteten Paragrafen nach hinten ruckten Die Anzahl der deswegen eingeleiteten Verfahren war mit knapp funf Prozent bedeutungslos geblieben 5 Erhalten blieb allerdings im erneuerten 3 die scharfere Strafandrohung mit Zuchthaus oder sogar mit der Todesstrafe wenn der sich als Nationalsozialist tarnende Tater die Absicht verfolgte einen Aufruhr oder in der Bevolkerung Angst oder Schrecken zu erregen oder dem Deutschen Reich aussenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten Die Bestimmung des 3 der Verordnung wurde fast wortgleich als 1 des Gesetzes ubernommen Danach wurde bestraft wer vorsatzlich eine unwahre oder groblich entstellte Behauptung tatsachlicher Art aufstellt oder verbreitet Auch grob fahrlassige Taten waren strafbar Als Strafmass wurde Gefangnis bis zu zwei Jahren festgelegt Bei offentlicher Begehung dauerte das Gefangnis von drei Monaten bis zu funf Jahren Neu hinzu kam ein 2 mit dem uber Tatsachenbehauptungen hinaus nun auch geausserte Werturteile bestraft werden konnten Wer offentlich gehassige hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Ausserungen uber leitende Personlichkeiten des Staates oder der NSDAP uber ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht wird mit Gefangnis von einem Tag bis zu funf Jahren gem 16 StGB a F bestraft Als offentlich galten Ausserungen auch dann wenn der Tater damit rechnen muss dass die Ausserung in die Offentlichkeit dringen werde Fur eine Strafverfolgung bedurfte es der Zustimmung des Stellvertreters des Fuhrers faktisch seiner Dienststelle Stab des Stellvertreters des Fuhrers oder des Reichsjustizministeriums Damit war eine politische Steuerung moglich Hintergrund und rechtliche Beurteilung Bearbeiten Amtlich begrundet wurde die Einfugung des 2 damit dass bei einer Beschrankung auf Tatsachenbehauptungen hetzerische Ausserungen uber leitende Personlichkeiten uber ihre Anordnungen und die von ihnen geschaffenen Einrichtungen straflos blieben oder nur wegen Beleidigung bestraft werden konnten 6 Daruber hinaus aber konnte nun auch eine unerwunschte Erorterung uber den Wahrheitsgehalt einer Behauptung umgangen werden Die unbestimmten Rechtsbegriffe ermoglichten es nahezu jede kritische Ausserung zu ahnden Die Zustandigkeit von Sondergerichten reduzierte die Schutzrechte des Beschuldigten Eine gerichtliche Voruntersuchung und Haftprufung unterblieb die Ladungsfrist betrug nur drei Tage und ein Urteil wurde sofort rechtskraftig Durch die Konstruktion einer Ersatzoffentlichkeit konnte Kritik nur noch innerhalb intakter Familien geaussert werden denn bei zerrutteter Ehe muss der Tater damit rechnen dass seine Ehefrau die Ausserung nicht fur sich bewahrt 7 Auswirkung BearbeitenAuch wenn die Bevolkerung nur teilweise an Denunziationen mitwirkte 8 wurde die erwunschte abschreckende Wirkung und Sicherung des Herrschaftssystems erreicht Nach einer erhaltenen Gesamtstatistik fur das Jahr 1937 wurden binnen zwolf Monaten 17 168 Personen aufgrund ihrer Ausserungen angezeigt uber 7000 angeklagt und etwa 3500 verurteilt 9 Ubergrosse Harte war nicht erforderlich um die Kritiker zum Schweigen zu bringen Der Mehrzahl der Angezeigten blieb daher ein formliches Strafverfahren erspart Sie kamen mit Warnungen oder Rede und Aufenthaltsverbot davon die in einigen Fallen aber erst nach bis zu 21 Tagen Schutzhaft bei der Gestapo ausgesprochen wurden 10 Auch Beschuldigte die wegen eines deftigen politischen Witzes denunziert worden waren blieben als Ersttater meist von formlichen Haftstrafen verschont 11 In der Vorkriegszeit griff man haufig auf den 360 StGB zuruck und sanktionierte Ausserungen nur als groben Unfug mit Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu sechs Wochen 12 Spater wurden manche Verfahren auf Anweisung aus dem Justizministerium oder der Parteikanzlei niedergeschlagen weil Ausserungen uber Euthanasie Judenverfolgung oder Stalingrad nicht erortert werden sollten 13 Bei Kriegsbeginn bezeichneten einzelne Richter die Verhangung von Haftstrafen nach dem Heimtuckegesetz als ungeeignetes Mittel Eine Haftstrafe konne moglicherweise ein Ansporn sein sich durch Meckereien dem Heeresdienst zu entziehen 14 Eintrage in Haftlings Personal Karten aus verschiedenen Konzentrationslagern nennen Vergehen gegen das Heimtuckegesetz als Haftgrund 15 Urteilsspruche mit Todesstrafe die gemass 3 Absatz 2 des Heimtuckegesetzes moglich waren sind in den luckenhaft uberlieferten Akten der Sondergerichte nicht enthalten Sondergerichte im besetzten Polen verhangten einige Todesurteile indem sie eine Verbindung mit der Volksschadlingsverordnung herstellten Ab 1943 wurden viele kritische Meinungsausserungen nicht mehr nach dem Heimtuckegesetz verfolgt sondern ofter vom Volksgerichtshof als Wehrkraftzersetzung ausgelegt und mit der Todesstrafe geahndet 16 Bewertungen BearbeitenNicht nur Gegner des NS Regimes auch Nationalsozialisten und Mitlaufer wurden zur Vorsicht bei kritischen Ausserungen veranlasst Furcht vor der Gestapo vor Untersuchungs und Strafhaft und Existenzverlust waren allgegenwartig Nach Einschatzung des Zeithistorikers Bernward Dorner war das Heimtuckegesetz ein notwendiger nicht wegzudenkender Bestandteil der nationalsozialistischen Diktatur 17 Der Rechtsjournalist Hans Wullenweber bezeichnet das beliebig dehn und beugbare Gesetz als Gesinnungsterror 18 Nach dem Krieg BearbeitenDas Heimtuckegesetz wurde durch das Gesetz Nr 1 des Alliierten Kontrollrates vom 20 September 1945 aufgehoben Denunzianten und Gestapobeamte die Vernehmungen vorgenommen und die Strafverfolgung eingeleitet hatten wurden in den ersten Nachkriegsjahren oftmals zur Rechenschaft gezogen Die Mehrzahl der Richter und Staatsanwalte blieben straffrei 19 Den Opfern des Heimtuckegesetzes blieb eine Haftentschadigung meist verwehrt weil sie nicht nachweisen konnten dass ihre Ausserung eine wirklich fundierte eindeutige politische Haltung und Uberzeugung offenbare 20 Literatur BearbeitenBernward Dorner Heimtucke Das Gesetz als Waffe Paderborn 1998 ISBN 3 506 77509 X Gunther Schmitz Wider die Miesmacher Norgler und Kritikaster In Justizbehorde Hamburg Hrsg Fur Fuhrer Volk und Vaterland Hamburg 1992 ISBN 3 87916 016 3 Gerhard Werle Justiz Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekampfung im Dritten Reich 1989 Habilitation u a S 137 141 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Heimtuckegesetz Quellen und Volltexte Verordnung des Reichsprasidenten vom 21 Marz 1933 Text des Heimtuckegesetzes vom 20 Dezember 1934 Maria Lahusen Verurteilt wegen Heimtucke Ein Erlebnisbericht Beitrage zum deutschen Widerstand 1933 1945 Berlin 2001Einzelnachweise Bearbeiten RGBl 1934 I S 1269 f Verordnung des Reichsprasidenten zur Abwehr heimtuckischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21 Marz 1933 RGBl I S 135 auf Wikisource Bernward Dorner Heimtucke Das Gesetz als Waffe Paderborn 1998 ISBN 3 506 77509 X S 18 Verordnung des Reichsprasidenten zur Abwehr heimtuckischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21 Marz 1933 Bernward Dorner Heimtucke S 67 Bernward Dorner Heimtucke S 21 Bernward Dorner Heimtucke S 31 Thomas Mang gestapo leitstelle Wien mein Name ist Huber Lit Verlag Berlin Hamburg Munster 2004 ISBN 3 825 87258 0 S 49 Bernward Dorner Heimtucke S 9 10 weitere Angaben S 324 Bernward Dorner Heimtucke S 275 Meike Wohlert Der politische Witz in der NS Zeit am Beispiel ausgesuchter SD Berichte und Gestapo Akten Frankfurt a M 1997 ISBN 3 631 30779 9 S 96 Gunther Schmitz Wider die Miesmacher Norgler und Kritikaster In Justizbehorde Hamburg Hrsg Fur Fuhrer Volk und Vaterland Hamburg 1992 S 294 Bernward Dorner Heimtucke S 151 u a Meldungen aus dem Reich hrsg von Heinz Boberach Bd 2 Herrsching 1984 ISBN 3 88199 158 1 S 912 913 15 Marz 1940 Arolsen Archives International Center on Nazi Persecution 2021 abgerufen am 5 April 2021 Ein Beispiel bei Dietrich Gustrow Todlicher Alltag dtv 10308 Munchen 1984 ISBN 3 423 10303 5 S 116 Bernward Dorner Heimtucke S 313 Hans Wullenweber Sondergerichte im Dritten Reich Frankfurt a M 1990 ISBN 3 630 61909 6 S 34 Bernward Dorner Heimtucke S 327 Zitat aus einem Urteil von 1950 Bernward Dorner Heimtucke 343 Normdaten Werk GND 4529054 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Heimtuckegesetz amp oldid 227768762