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Die Geistigbehindertenpadagogik ist eine Fachrichtung innerhalb der Sonderpadagogik die wiederum ein Teilbereich der Allgemeinen Padagogik darstellt Ihr Gegenstand ist die Theorie und Praxis der Erziehung Bildung und Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen die sonderpadagogischen Forderbedarf aufgrund einer geistigen Behinderung aufweisen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Siehe auch 3 Literatur 3 1 Padagogik 3 2 Methodik und Didaktik 3 3 Psychologische diagnostische und medizinische Aspekte 3 4 Nachschlagewerke 4 Einzelnachweise 5 WeblinksGeschichte BearbeitenIn der Zeit von der Antike bis zum Mittelalter wurde das Leben von Menschen mit einer geistigen Behinderung nicht immer geschutzt und erhalten Oft widerfuhr diesen Menschen das Schicksal der Ausstossung oder Totung Wurde ihr Lebensrecht aber anerkannt wurden sie in hauptsachlich im familiaren Rahmen betreut Reichte dieser nicht aus oder stand er nicht mehr zur Verfugung wurden sie in Bettlergruppen Klostern Hospitalern Gefangnissen und Irrenanstalten untergebracht 1 Die historische Wurzeln der institutionalisierten Geistigbehindertenpadagogik lassen sich um das Jahr 1800 verorten als der Taubstummenarzt Jean Itard sich um die Erziehung des Wolfskindes Victor von Aveyron kummerte und systematische Erkenntnisse zur Sinnesschulung formulierte die spater von seinem Schuler Edouard Seguin als erstes Lehrbuch fur Idiotenerziehung ausgearbeitet und zur Grundung der ersten sog Idiotenschule genutzt wurden Dies hatte sowohl Einfluss auf die Arbeit von Maria Montessori als auch auf Jan Daniel Georgens und Heinrich Marianus Deinhardt die im Jahr 1856 die Heil und Erziehungsanstalt Levana in Baden bei Wien eroffneten und dadurch als Begrunder der Heilpadagogik gelten Georgens und Deinhard gaben ebenfalls ein zweibandiges Werk heraus in dem sie sich wissenschaftlich mit der Geistigbehindertenpadagogik auseinandersetzten Besonders fruh entwickelte sich die padagogische Beschaftigung mit dem Forderbedarf der geistigen Entwicklung auch in der Schweiz Hier war die Jodmangelerkrankung Kretinismus weit verbreitet So grundete Johann Jakob Guggenbuhl 1841 die Heilanstalt fur Kretinen und blodsinnige Kinder auf dem Abendberg bei Interlaken Europas erste Kolonie fur die Heilung des Kretinismus von der wichtige Impulse fur die Grundung ahnlicher Einrichtungen fur Menschen mit geistiger Behinderung in ganz Europa ausgingen Ab 1881 wurden auch in Deutschland Hilfsschulen gegrundet die erste davon von Heinrich Kielhorn in Braunschweig Bereits 1858 errichtete das Konigreich Sachsen in Hubertusburg eine spezielle Erziehungsanstalt 1931 wurde Heinrich Hanselmann an der Universitat Zurich erster Professor fur Heilpadagogik Die damalige Beschaftigung mit der Erziehung von Menschen mit geistiger Behinderung war hauptsachlich medizinisch und religios motivierte Sie wurde jedoch auch zu ihrer Separation genutzt Im Vergleich mit einem auf Tuchtigkeit bezogenen Wertmassstab wurden diese Menschen als nutzlos empfunden wegen ihrer psychischen und korperlichen Besonderheiten als anormal und minderwertig bezeichnet Nach dem Ersten Weltkrieg entbrannte eine rassistische und sozial darwinistische Diskussion um die Zwangssterilisation aus der 1933 das Gesetz zur Verhutung erbkranken Nachwuchses hervorging In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Menschen mit geistiger Behinderung unter unhygienischen und entwurdigenden Bedingungen in Anstalten untergebracht und ab 1938 systematisch ermordet viele im Schloss Grafeneck bei Gomadingen Bis zum Kriegsende 1945 fielen dem Wahn der Rassenhygiene verwaltet und durchgefuhrt als Aktion T4 etwa 300 000 Menschen zum Opfer darunter etwa 5 000 Kinder 2 Direkt nach dem Krieg lebten infolge der systematischen Totung nur noch wenige Kinder mit geistiger Behinderung in Deutschland Uber ihre Beschulung und Unterbringung bestand Unsicherheit und eine neue Rechtsgrundlage fur ihre Beschulung wurde erst 1951 in der DDR schon 1949 durch die Sonderschulverordnung Verordnung des Ministeriums fur Volksbildung uber die Beschulung der Kinder mit wesentlichen physischen und psychischen Mangeln in Krankenhausern und Heilstatten geschaffen Davor war noch das Reichsschulpflichtgesetz von 1938 gultig das Menschen mit geistiger Behinderung die Bildungsunfahigkeit unterstellte 1958 wurde in Marburg die Lebenshilfe fur das geistig Behinderte Kind heute Lebenshilfe e V gegrundet eine Elterninitiative die fur die weitere Schulentwicklung ein wichtiger Motor wurde 1965 wurde die erste Schule fur Geistigbehinderte gegrundet die Albert Griesinger Schule in Frankfurt am Main unter Mitarbeit von Georg Feuser Weitere Schulen folgten Unter dem Gedanken der praktischen Bildbarkeit und der Brauchbarkeit als Arbeitskraft und Steuerzahler wurden an diese Kinder Mindestvoraussetzungen gestellt sodass vor allem schwerer behinderte Kinder diese Schulen nicht besuchen konnten Eine Schulpflicht bestand zu diesem Zeitpunkt laut dem Schulgesetz von 1968 noch nicht fur alle Kinder Kinder mit schwerer Behinderung waren ausgenommen In den 70er Jahren wurden unter dem Einfluss der Normalisierungsbewegung grosse Institutionen teilweise aufgelost und durch dezentralere kleinere wohnortnahe Institutionen ersetzt Von Menschen mit Behinderung und ihren Interessensvertretern wurde das Recht auf einen normalen Lebenswandel und Tagesablauf formuliert Dies beinhaltete das Recht auf Beschulung fur alle Kinder Nach und nach wurde dieses Recht auch fur Kinder mit schwererer Behinderung umgesetzt erstmals 1975 im Schulversuch von Andreas D Frohlich in Landstuhl Ab 1978 bestand eine gesetzliche Schulpflicht und damit das Recht auf Beschulung fur alle Kinder unabhangig ihrer Fahigkeiten und Einschrankungen Gleichzeitig nahm Otto Speck in Munchen den ersten deutschen Lehrstuhl fur Geistigbehindertenpadagogik ein In den 80er Jahren wurde das Recht auf Selbstbestimmung gefordert massgeblich im Duisburger Kongress der Bundesvereinigung Lebenshilfe unter dem Motto Ich weiss doch selbst was ich will Zentrales Anliegen der Bewegung war die Selbstbestimmung in sozialer Integration Der Sonderpadagoge und Direktor des Instituts fur Heilpadagogik der Padagogischen Hochschule Kiel Konrad Josef 1925 gab die Schriftenreihe Geistigbehindertenpadagogik heraus 3 1994 wurden die Empfehlungen zur sonderpadagogischen Forderung der Kultusministerkonferenz 4 formuliert die den Beschulungsort fur Menschen mit geistiger Behinderung nicht auf die Geistigbehindertenschule festlegte Gleichzeitig wurde in der Salamanca Erklarung der UNESCO die Inklusion zum Ziel aller Bildungsmassnahmen von Kindern mit geistiger Behinderung erklart 5 1997 wurde die Selbstvertretungs Vereinigung Mensch zuerst Netzwerk People First Deutschland gegrundet 2001 definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfahigkeit Behinderung und Gesundheit ICF den Begriff der Behinderung als komplexes bio psycho soziales Bedingungsgefuge das nicht nur durch die Korperfunktionen und strukturen sondern auch durch die Aktivitaten eines Menschen und seiner gesellschaftliche Teilhabe bestimmt wird 6 Die Forderung nach Teilhabe schliesst auch die Teilhabe am Unterricht an allgemeinen Schulen mit ein 2009 ratifizierte Deutschland die UN Behindertenrechtskonvention in denen der Rechtsanspruch aller Menschen auf eine gemeinsame Beschulung festgelegt ist Artikel 24 Bildung 7 Heute werden Kinder mit geistiger Behinderung jedoch noch immer flachendeckend in Schulen fur Geistigbehinderte beschult Die Umsetzung des Rechts auf gemeinsamen Unterricht stellt sich unter den Bundeslandern sowohl quantitativ als auch bezuglich der konkreten Umsetzungsformen sehr unterschiedlich dar Praktizierte Formen reichen von der gesonderten Beschulung in Geistigbehindertenschulen uber Kooperations und Aussenklassenmodelle bis hin zur sporadischen Integration in Klassen an Regelschulen Die moderne Geistigbehindertenpadagogik lasst sich also durch die Abfolge der Leitideen Normalisierung 70er Jahre Integration Inklusion 80er Jahre Selbstbestimmung Empowerment 90er Jahre und Teilhabe Partizipation 00er Jahre darstellen Bezuglich des Beschulungsortes zeigt sich ein Trend von der separaten Beschulung in Sonderschulen zum heutigen Ideal der gemeinsamen Beschulung aller Kinder 8 9 Siehe auch BearbeitenAbleism Alternativschule Gemeinschaftsschule Gesamtschule Forderschule Spezialschule Behinderung bidok Disability Mainstreaming Independent living Inklusion Padagogik Soziale Inklusion Sonderpadagogik im Nationalsozialismus UN Konvention uber die Rechte von Menschen mit BehinderungenLiteratur BearbeitenPadagogik Bearbeiten Karl Ernst Ackermann Oliver Musenberg Judith Riegert Hgg Geistigbehindertenpadagogik Disziplin Profession Inklusion 1 Aufl 2012 ATHENA Verlag ISBN 978 3 89896 477 7 Erhard Fischer Hg 2008 Padagogik fur Menschen mit geistiger Behinderung Sichtweisen Theorien aktuelle Herausforderungen 2 uberarb Aufl 2008 Oberhausen Athena ISBN 978 3 89896 328 2 Barbara Fornefeld 2009 Grundwissen Geistigbehindertenpadagogik 4 Aufl Munchen Basel Reinhardt Thomas Hoffmann Wille und Entwicklung Problemfelder Konzepte Padagogisch psychologische Perspektiven Springer VS Verlag Wiesbaden 2013 422 S ISBN 978 3 658 03040 7 Klappentext und Inhaltsubersicht online Theo Klauss 2005 Ein besonderes Leben Grundlagen der Padagogik fur Menschen mit geistiger Behinderung ein Buch fur Padagogen und Eltern 2 Aufl Heidelberg Winter Susanne Nussbeck Hg 2008 Sonderpadagogik der geistigen Entwicklung Gottingen Hogrefe Etta Wilken 2020 Kinder und Jugendliche mit Down Syndrom Forderung und Teilhabe 2 Aufl Stuttgart Kohlhammer Ernst Wullenwebert u a Hrsg 2006 Padagogik bei geistigen Behinderungen Ein Handbuch fur Studium und Praxis Stuttgart Kohlhammer Methodik und Didaktik Bearbeiten Fischer Erhard 2008 Bildung im Forderschwerpunkt geistige Entwicklung Entwurf einer subjekt und bedarfsorientierten Didaktik Bad Heilbrunn Klinkhardt Pitsch Hans Jurgen 2002 Zur Didaktik und Methodik des Unterrichts mit Geistigbehinderten 3 Aufl Oberhausen Athena Pitsch Hans Jurgen Thummel Ingeborg 2005 Handeln im Unterricht zur Theorie und Praxis des handlungsorientierten Unterrichts mit Geistigbehinderten Oberhausen Athena Pitsch Hans Jurgen Thummel Ingeborg 2015 Methodenkompendium fur den Forderschwerpunkt geistige Entwicklung Band 1 Basale perzeptive manipulative gegenstandliche und spielerische Tatigkeit Oberhausen Athena Verlag Pitsch Hans Jurgen Thummel Ingeborg 2015 Methodenkompendium fur den Forderschwerpunkt geistige Entwicklung Band 2 Lernen in der Schule Oberhausen Athena Verlag Schafer Holger 2020 Mathematik und geistige Behinderung Grundlagen fur Schule und Unterricht Stuttgart Kohlhammer Strassmeier Walter Hg 2000 Didaktik fur den Unterricht mit geistigbehinderten Schulern 2 Aufl Munchen Basel Reinhardt Wilken Etta 2019 Sprachforderung bei Kindern mit Down Syndrom 13 Aufl Stuttgart Kohlhammer Zimpel Andre Frank 2014 Einander helfen Der Weg zur inklusiven Lernkultur Gottingen ISBN 3 525 70170 5 Psychologische diagnostische und medizinische Aspekte Bearbeiten Irblich Dieter Hg 2003 Menschen mit geistiger Behinderung Psychologische Grundlagen Konzepte und Tatigkeitsfelder Gottingen Hogrefe Neuhauser Georg Hg 2003 Geistige Behinderung Grundlagen klinische Syndrome Behandlung und Rehabilitation 3 Aufl Stuttgart Kohlhammer Sarimski Klaus Steinhausen Hans Christoph 2007 Geistige Behinderung und schwere Entwicklungsstorung KIDS 2 Kinder Diagnostik System Gottingen Hogrefe Stahl Burkhard Hg 2005 Diagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung ein interdisziplinares Handbuch Gottingen Hogrefe Zimpel Andre Frank 2016 Trisomie 21 Was wir von Menschen mit Down Syndrom lernen konnen 2000 Personen und ihre neuropsychologischen Befunde Gottingen ISBN 978 3 525 70175 1 Nachschlagewerke Bearbeiten Schafer Holger Hrsg 2019 Handbuch Forderschwerpunkt geistige Entwicklung Grundlagen Spezifika Fachorientierung Lernfelder Weinheim Beltz Theunissen Georg Kulig Wolfgang Schirbort Kerstin Hg 2007 Handlexikon geistige Behinderung Schlusselbegriffe aus der Heil und Sonderpadagogik sozialen Arbeit Medizin Psychologie Soziologie und Sozialpolitik Stuttgart Kohlhammer Einzelnachweise Bearbeiten Stormer N 2007 Geschichte der Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung In Theunissen G u a Hg Handlexikon geistige Behinderung Fornefeld B 2009 Grundwissen Geistigbehindertenpadagogik Daraus Kapitel 2 Historische Wurzeln der Geistigbehindertenpadagogik Walter Habel Hrsg Wer ist wer Das deutsche Who s who 24 Ausgabe Schmidt Romhild Lubeck 1985 ISBN 3 7950 2005 0 S 588 589 Empfehlungen der KMK zur sonderpadagogischen Forderung 1994 PDF 1 9 MB Die Salamanca Erklarung und der Aktionsrahmen zur Padagogik fur besondere Bedurfnisse In unesco at Bildung Basisdokumente Salamancaerklarung Memento des Originals vom 28 Februar 2013 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und 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Kastl Hrsg Leben und Arbeiten unter erschwerten Bedingungen Menschen mit Behinderungen im Netz der Institutionen Verlag Winter Heidelberg 2007 S 101 124 gpaed de Ideensammlung mit Entwurfen Materialien Literatur und Webtipps fur Sonderpadagogen Saskia Eggers Die Entwicklung der Beschulung von geistig behinderten Kindern dargestellt am Beispiel des Kreises Stormarn Diplomarbeit Hamburg 2004 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geistigbehindertenpadagogik amp oldid 237853121