Christian Kinder (* 29. Mai 1897 in Plön; † 30. Mai 1975 in Hamburg) war ein deutscher Jurist und Konsistorialrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins. Er war NSDAP-Mitglied, Mitbegründer des antisemitischen Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben und zeitweilig Reichsleiter der Deutschen Christen.
Leben und Wirken Bearbeiten
Kinder war ein Sohn des Bürgermeisters Johannes Kinder und dessen Ehefrau Anna Gude Charlotte Clausen (* 25. Dezember 1861 in Glückstadt; † 9. August 1940 in Plön). Er hatte fünf Schwestern und drei Brüder, darunter den Bildhauer Johann Christian (* 8. August 1890; † 24. Dezember 1969).
Kinder studierte Rechtswissenschaften und promovierte zum Doktor der Jurisprudenz. Im Jahr 1925 wurde er Kirchenjurist in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins; im Jahr 1932 trat er der NSDAP bei.
Schon frühzeitig ergriff Kinder Partei für die Kirchenbewegung der Deutschen Christen (DC) und war zwischen September 1933 und Juni 1935 ihr Reichsleiter. In diese Zeit fiel auch die zweite Reichstagung der DC in Berlin vom 21. bis 23. September 1934, bei der die Oberkirchenräte Birnbaum und Langmann die Grundsatzreferate hielten und die mit der Einführung des Reichsbischofs Ludwig Müller in sein Amt schloss.
Über seine Rolle bei den DC schrieb Kinder 1964:
Nach dem Rücktritt August Jägers im Oktober 1934 vom Amt des Rechtswalters der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) wurde Kinder von Ludwig Müller kommissarisch zum Leiter der Kirchenkanzlei in Berlin ernannt, gab aber seinen Auftrag schon nach wenigen Wochen aufgrund von Differenzen mit dem Reichsbischof zurück.
Zu seinem für September 1935 angekündigten Rücktritt vom Amt des Reichsleiters der Deutschen Christen schrieb die Basler Zeitung am 6. September 1935:
Seit 1936 war Kinder (in den ersten beiden Jahren zunächst kommissarisch) der Präsident des Landeskirchenamts in Kiel.
Nach Auflösung des Landeskirchenausschusses wurde Kinder im März 1937 vom Reichskirchenministerium mit der vorläufigen Führung der kirchlichen Leitungsgeschäfte in Schleswig-Holstein beauftragt. Gegen Jahresende wurden die Kirchenwahlen auf unbestimmte Zeit verschoben, gleichzeitig wurde Kinder ordentlicher Gesamtleiter der schleswig-holsteinischen Landeskirche. Der Kirchenhistoriker Klauspeter Reumann schreibt dazu:
Am 4. April 1939 unterzeichnete Kinder namens der Landeskirche die „Godesberger Erklärung“ vom 26. März, in der es hieß:
„Indem der Nationalsozialismus jeden politischen Machtanspruch der Kirchen bekämpft und die dem deutschen Volke artgemäße nationalsozialistische Weltanschauung verbindlich macht, führt er das Werk Martin Luthers nach der weltanschaulich-politischen Seite fort und verhilft uns dadurch in religiöser Hinsicht wieder zu einem wahren Verständnis des christlichen Glaubens... (Der NS) ist die Vollendung des Werkes, das der deutsche Reformator … begonnen hat... Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare Gegensatz zum Judentum.“
Im gleichen Jahr wurde er Mitbegründer des Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben.
Am 17. Dezember 1941 unterschrieb er als einer von sieben nationalkirchlichen Kirchenführern eine Erklärung, die die Aufhebung jeglicher Gemeinschaft mit Judenchristen in ihren evangelischen Landeskirchen forderte:
Mit Rundschreiben vom 22. Dezember 1941 milderte die Kirchenkanzlei der DEK diese radikale Haltung ein wenig:
Der Geistliche Vertrauensrat der DEK präzisierte diese Haltung nach einer kritischen Intervention von Landesbischof Theophil Wurm am 20. Mai 1942 dahingehend:
Kinder fand daraufhin für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holstein eine „Sonderregelung“, wie ihm Pastor Walter Auerbach später bestätigte:
Auch der spätere Bischof Wilhelm Halfmann sprach nach dem Krieg anerkennend über die besonderen Regelungen, die Kinder gefunden hatte:
Dieser „Persilschein“ wird heute eher kritisch gesehen.
Im Jahre 1943 wurde Kinder nach der Entlassung aus der Wehrmacht, in der er von 1939 bis 1943 gedient hatte, Kurator der Kieler Universität. Als Präsident des Landeskirchenamtes war er bereits ständiger Vertreter des vorherigen Amtsinhabers gewesen. Sein Nachfolger als Präsident des Landeskirchenamtes wurde Herbert Bührke.
Seit 1945 war Kinder als Kaufmann tätig. In seinen Erinnerungen, die er im Jahre 1964 herausgab, bestritt er, als Leiter der Deutschen Christen jemals das Christentum und die Ideologie des „Nationalsozialismus“ miteinander in Verbindung gebracht zu haben.
Werke Bearbeiten
- Die Gründe für die Entstehung und Aufhebung der Leibeigenschaft in dem ehemaligen Amte Plön. Plön 1923; zugl. Kiel, Rechts- und staatswissenschaftliche Dissertation 1923
- Volk vor Gott: Mein Dienst an der deutschen evangelischen Kirche. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1935
- Männer der Nordmark an der Bzura. Berlin: E.S. Mittler & Sohn 1941
- Neue Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein und im Reich 1924–1945. Flensburg: Karfeld 1964 (19662; 19683)
Literatur Bearbeiten
- Otto Dibelius: Offene Antwort. Herrn Vizepräsident Dr. Kinder, Reichsleiter der Deutschen Christen. Berlin, am 24. September 1934, in: Junge Kirche 2 (1934) 802–806.
- Walter Birnbaum: Zeuge meiner Zeit. Aussagen zu 1912 bis 1972, Göttingen: Musterschmidt 1973.
- Kurt Meier: Kirche und Judentum. Die Haltung der evangelischen Kirche zur Judenpolitik des Dritten Reiches, Halle (Saale) 1968.
- Klaus Scholder: Vorgeschichte und Zeit der Illusion, 1918–1934 (Die Kirchen und das Dritte Reich; Bd. 1). Ullstein, München 2000, ISBN 3-612-26730-2 (Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/M. 1977).
- Gertraud Grünzinger, Carsten Nicolaisen: 1937–1939; Vom Wahlerlaß Hitlers bis zur Bildung des geistlichen Vertrauensrates (Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches; Bd. 4). Verlag Kaiser, Gütersloh 2000, ISBN 3-579-01866-3.
- Klauspeter Reumann: Kirchenkampf als Ringen um die „Mitte“. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins, in: Manfred Gailus/ Wolfgang Krogel: Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen. Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte 1930 bis 2000, Berlin: Wichern 2006, S. 29–58.
- Stephan Linck: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien, Kiel 2013, ISBN 978-3-87503-167-6.
Weblinks Bearbeiten
- Literatur von und über Christian Kinder im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise Bearbeiten
- Friedrich Stender: Kinder, Johannes. in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck. Band 10. Wachholtz Verlag, Neumünster 1994, S. 203.
- Walter Birnbaum: Zeuge meiner Zeit. Aussagen zu 1912 bis 1972, Göttingen: Mustermann 1973, S. 183 ff.
- Die Veranstaltung im Sportpalast mit Reinhold Krause fand am 13. November 1933 statt.
- Kinder: Neue Beiträge …, S. 41 f.; 49 f.
- Walter Birnbaum: Zeuge meiner Zeit. Aussagen zu 1912 bis 1972, Göttingen: Mustermann 1973, S. 192 f.
- Zitiert bei Kurt Dietrich Schmidt (Hrsg.): Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage. Band 3: Das Jahr 1935, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1936, S. 210 f.
- Klauspeter Reumann: Kirchenkampf als Ringen um die „Mitte“ …, S. 45.
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt 2003, S. 309; das vollständige Dokument bei Renate Meurer, Reinhard Meurer: Texte des Nationalsozialismus. Beispiele, Analysen, Arbeitsanregungen. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1982, ISBN 3-486-84061-4, S. 41–45
- Zitiert bei Meier: Kirche und Judentum …, S. 115 f.; vgl. auch: Ausstellung Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933–1945
- Zitiert bei Meier: Kirche und Judentum …, S. 116 f.; zu diesem Vorgang findet sich über zwei Jahrzehnte später bei Kinder folgende kritische Bemerkung: „… einige (sc. Landeskirchen), wie z. B. Lübeck und Mecklenburg, vermeinten, ihre Solidarität mit Staat und Partei dadurch bekunden zu müssen, daß sie die, mit dem Stern gezeichneten, jüdischen Gemeindeglieder einfach aus der Landeskirche ausschlossen. Sie beriefen sich dabei auf ein ‚Anschreiben der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei vom 22. Dezember 1941‘, das den Landeskirchen die Ausgliederung der nicht arischen Christen aus den Gemeinden empfahl. Das war nicht nur unchristlich –, es war vom Standpunkt einer lutherischen Kirche auch völlig unkirchlich. Eben, weil die Kirche Luthers überhaupt keine Exkommunikation von Gemeindegliedern kennt!“ (Kinder: Neue Beiträge …, S. 124 f.)
- Zitiert bei Meier: Kirche und Judentum …, S. 119.
- Deren Ertrag fasst Kinder in seinem Erlass vom 10. Februar 1942 wie folgt zusammen: „Hieraus ergibt sich, dass Nichtarier, und zwar insbesondere diejenigen Personen, auf die die Bestimmungen der §§ 1 und 2 der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941 […] Anwendung finden, keinerlei Recht in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausüben können.“ (LKAK 22.02, Nr. 7211, zitiert bei Linck: Neue Anfänge? …, S. 203, Anm. 640.)
- Zitiert bei Kinder: Neue Beiträge …, S. 191.
- http://www.geschichte-bk-sh.de/fileadmin/user_upload/Quellen/KInder__Judenfrage.pdf
- Kinder schreibt dazu: „Die Zustimmung des Bruderrates der BK bekam ich nach einer Rücksprache mit Pastor Tramsen, bzw. dessen Nachfolger, allerdings mit der Beschränkung, daß der Bruderrat Wert darauf lege, vor offizieller Zustimmung den Namen des in Aussicht genommenen Seelsorgers dieses neuen Gemeindekreises genannt zu bekommen. Ich konnte diesen Pastor zwar benennen, aber ich hatte ihn noch nicht befragen können. Und das mußte nun geschehen. Die Persönlichkeit, die nach meiner Meinung den neuen Dienst antreten sollte, war Pastor Auerbach. …“ (Kinder: Neue Beiträge … , S. 120 ff.)
- http://www.geschichte-bk-sh.de/fileadmin/user_upload/Quellen/Kinder__Vereidigung.pdf
- Kinder: Neue Beiträge …, S. 76 ff.
- Kinder: Neue Beiträge …, S. 192.
- Vgl. dazu Stephan Linck: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien, Kiel 2013.
- Kinder: Neue Beiträge …, S. 128 ff.
- Scholder (1977), S. 728.
- Interessant ist, dass Heinz Eduard Tödt von derselben Schlacht unter anderer Überschrift und anderem Verständnis berichtet: Die Tragödie an der Bzura, in: ders.: Wagnis und Fügung. Anfänge einer theologischen Biographie, Münster: LIT 2012, S. 108 ff.