Zufallsvariablen mit einer Bernoulli-Verteilung (auch als Bernoullische Verteilung, Null-Eins-Verteilung, Alternativ-Verteilung oder Boole-Verteilung bezeichnet) benutzt man zur Beschreibung von zufälligen Ereignissen, bei denen es nur zwei mögliche Versuchsausgänge gibt. Einer der Versuchsausgänge wird meistens mit Erfolg bezeichnet und der komplementäre Versuchsausgang mit Misserfolg. Die zugehörige Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg nennt man Erfolgswahrscheinlichkeit und die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs. Beispiele:
- Werfen einer Münze: Kopf (Erfolg), , und Zahl (Misserfolg), .
- Werfen eines Würfels, wobei nur eine „6“ als Erfolg gewertet wird: , .
- Betrachte sehr kleines Raum/Zeit-Intervall: Ereignis tritt ein , tritt nicht ein .
Die Bezeichnung Bernoulli-Versuch (Bernoullian trials nach Jakob I Bernoulli) wurde erstmals 1937 in dem Buch Introduction to Mathematical Probability von James Victor Uspensky verwendet.
Definition Bearbeiten
Eine diskrete Zufallsgröße mit Werten in der Menge unterliegt der Bernoulli-Verteilung oder Null-Eins-Verteilung mit dem Parameter , wenn sie der folgenden Wahrscheinlichkeitsfunktion folgt
Die Verteilungsfunktion ist dann
Man schreibt dann , oder . Der Parameter heißt in diesem Zusammenhang auch Bernoulli-Parameter.
Eine Zufallsvariable, deren Verteilung eine Bernoulli-Verteilung ist, heißt Bernoulli-verteilt. Eine Bernoulli-verteilte Zufallsvariable wird auch als Bernoulli-Variable bezeichnet.
Ein Zufallsexperiment, dessen Ausgang durch eine Bernoulli-Variable beschrieben ist, heißt Bernoulli-Experiment oder Bernoulli-Versuch. Eine Folge von Bernoulli-Versuchen, deren Zufallsvariablen stochastisch unabhängig und identisch – d. h. mit demselben Bernoulli-Parameter – verteilt sind, heißt Bernoulli-Prozess oder bernoullisches Versuchsschema.
Für bestimmte statistische Anwendungen ist es sinnvoll, den erweiterten Parameterraum ergänzt durch die beiden Grenzfälle und zugrunde zu legen, bei denen die Bernoulli-Verteilung zu einer Einpunktverteilung auf 0 oder 1 degeneriert. In diesen Fällen gilt bzw. .
Eigenschaften Bearbeiten
Im Folgenden ist mit vorausgesetzt.
Erwartungswert Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung mit Parameter hat den Erwartungswert:
Dies hat den Grund, dass für eine Bernoulli-verteilte Zufallsvariable mit und gilt:
Varianz und weitere Streumaße Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung besitzt die Varianz
denn es ist und damit
Damit ist die Standardabweichung
und der Variationskoeffizient
Symmetrie Bearbeiten
Für den Parameter ist die Bernoulli-Verteilung symmetrisch um den Punkt .
Schiefe Bearbeiten
Die Schiefe der Bernoulli-Verteilung ist
Dies kann folgendermaßen gezeigt werden. Eine standardisierte Zufallsvariable mit Bernoulli-verteilt nimmt den Wert mit Wahrscheinlichkeit an und den Wert mit Wahrscheinlichkeit . Damit erhalten wir für die Schiefe
Wölbung und Exzess Bearbeiten
Der Exzess der Bernoulli-Verteilung ist
und damit ist die Wölbung
Momente Bearbeiten
Alle k-ten Momente sind gleich und es gilt
Es ist nämlich
Entropie Bearbeiten
Die Entropie der Bernoulli-Verteilung ist
gemessen in Bit.
Modus Bearbeiten
Der Modus der Bernoulli-Verteilung ist
Median Bearbeiten
Der Median der Bernoulli-Verteilung ist
falls gilt, ist jedes ein Median.
Kumulanten Bearbeiten
Die kumulantenerzeugende Funktion ist
Damit sind die ersten Kumulanten und es gilt die Rekursionsgleichung
Wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion Bearbeiten
Die wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion ist
Charakteristische Funktion Bearbeiten
Die charakteristische Funktion ist
Momenterzeugende Funktion Bearbeiten
Die momenterzeugende Funktion ist
Beziehung zu anderen Verteilungen Bearbeiten
Beziehung zur Binomialverteilung Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung ist ein Spezialfall der Binomialverteilung für . Mit anderen Worten, die Summe von unabhängigen Bernoulli-verteilten Zufallsgrößen mit identischem Parameter genügt der Binomialverteilung, demnach ist die Bernoulli-Verteilung nicht reproduktiv. Die Binomialverteilung ist die -fache Faltung der Bernoulli-Verteilung bei gleichem Parameter bzw. mit gleicher Wahrscheinlichkeit .
Beziehung zur verallgemeinerten Binomialverteilung Bearbeiten
Die Summe von voneinander unabhängigen Bernoulli-verteilten Zufallsvariablen, die alle einen unterschiedlichen Parameter besitzen, ist verallgemeinert binomialverteilt.
Beziehung zur Poisson-Verteilung Bearbeiten
Die Summe von Bernoulli-verteilten Zufallsgrößen genügt für , und einer Poisson-Verteilung mit dem Parameter . Dies folgt direkt daraus, dass die Summe binomialverteilt ist und für die Binomialverteilung die Poisson-Approximation gilt.
Beziehung zur Zweipunktverteilung Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung ist ein Spezialfall der Zweipunktverteilung mit . Umgekehrt ist die Zweipunktverteilung eine Verallgemeinerung der Bernoulli-Verteilung auf beliebige zweielementige Punktmengen.
Beziehung zur Rademacher-Verteilung Bearbeiten
Sowohl die Bernoulli-Verteilung mit als auch die Rademacher-Verteilung modellieren einen fairen Münzwurf (oder eine faire, zufällige Ja/Nein-Entscheidung). Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Kopf (Erfolg) und Zahl (Misserfolg) unterschiedlich codiert werden.
Beziehung zur geometrischen Verteilung Bearbeiten
Bei Hintereinanderausführung von Bernoulli-verteilten Experimenten ist die Wartezeit auf den ersten Erfolg (oder letzten Misserfolg, je nach Definition) geometrisch verteilt.
Beziehung zur diskreten Gleichverteilung Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung mit ist eine diskrete Gleichverteilung auf .
Urnenmodell Bearbeiten
Die Bernoulli-Verteilung lässt sich auch aus dem Urnenmodell erzeugen, wenn mit ist. Dann entspricht dies dem einmaligen Ziehen aus einer Urne mit Kugeln, von denen genau rot sind und alle anderen eine andere Farbe besitzen. Die Wahrscheinlichkeit, eine rote Kugel zu ziehen, ist dann .
Simulation Bearbeiten
Bei der Simulation macht man sich zunutze, dass, wenn eine stetig gleichverteilte Zufallsvariable auf ist, die Zufallsvariable Bernoulli-verteilt ist mit Parameter . Da fast jeder Computer Standardzufallszahlen erzeugen kann, ist die Simulation wie folgend:
- Erzeuge eine Standardzufallszahl
- Ist , gib 0 aus, ansonsten gib 1 aus.
Dies entspricht genau der Inversionsmethode. Die einfache Simulierbarkeit von Bernoulli-verteilten Zufallsvariablen kann auch zur Simulation von binomialverteilten oder verallgemeinert Binomialverteilten Zufallsvariablen genutzt werden.
Literatur Bearbeiten
- Hans-Otto Georgii: Stochastik: Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage, de Gruyter, 2009, ISBN 978-3-11-021526-7.
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ P. H. Müller (Hrsg.): Lexikon der Stochastik – Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. 5. Auflage. Akademie-Verlag, Berlin 1991, ISBN 978-3-05-500608-1, S. 527.
- Norbert Kusolitsch: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-45386-1, S. 63, doi:10.1007/978-3-642-45387-8.
- Klaus D. Schmidt: Maß und Wahrscheinlichkeit. 2., durchgesehene Auflage. Springer-Verlag, Heidelberg Dordrecht London New York 2011, ISBN 978-3-642-21025-9, S. 254, doi:10.1007/978-3-642-21026-6.
- James Victor Uspensky: Introduction to Mathematical Probability, McGraw-Hill, New York 1937, Seite 45