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Beim Propheten 1904 ist eine kurze Erzahlung von Thomas Mann Das dort geschilderte Erlebnis geht auf eine Lesung des Lyrikers Ludwig Derleth zuruck zu der Thomas Mann in der Karfreitagswoche 1904 eingeladen war Derleth der dem George Kreis angehorte lebte im Bewusstsein einer prophetischen Sendung Sein leidenschaftliches Bemuhen zielte auf eine neue hierarchische Ordnung eines gereinigten katholischen Christentums die er in seinen Proklamationen mit revolutionarem Pathos verkundete Stefan George Portrat von Reinhold Lepsius dessen asthetizistisches Kunstverstandnis Thomas Mann in seiner Erzahlung kritisiert hat Der dort von ihm beschriebene Prophet mit gewaltig hoher bleich zuruckspringender Stirn und einem bartlosen knochigen raubvogelahnlichen Gesicht von konzentrierter Geistigkeit erinnert wie auch dieses Gemalde zeigt eindeutig an die Physiognomie Georges Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Zur Deutung 3 Anmerkungen 4 Ausgaben 5 LiteraturInhalt BearbeitenDer selbst ernannte Prophet Daniel taucht bezeichnenderweise in der Geschichte gar nicht selbst auf sondern lasst seine Proklamationen um die es an diesem Karfreitagabend gehen soll in seiner kahlen Wohnung im obersten Stockwerk eines gewohnlichen Mietshauses der Vorstadt von einem seiner Junger vor ausgesuchten Gasten vorlesen Zu den gut ein Dutzend Geladenen gehoren ein polnischer Maler mit seiner Freundin ein judischer Lyriker mit seiner bleichen und korpulenten Gattin ein martialisch und kranklich zugleich aussehender Spiritist ein junger Philosoph mit dem Aussern eines Kanguruhs ein Grafiker mit greisenhaftem Kindergesicht eine hinkende Erotikerin eine unverheiratet junge Mutter von adliger Herkunft eine altere Schriftstellerin ein verwachsener Musiker eine reiche Dame die zu spat kommt und der Novellist der sich diesem illustren Kreis nicht ganz zugehorig fuhlt und dies durch bescheidene Reserviertheit zu uberspielen versucht Auch wenn Daniel selbst nicht anwesend sein kann so ist er doch durch ein Portratfoto das wie eine Ikone auf einem altarartigen Schrein steht bildlich im Raum prasent Es zeigt einen etwa dreissigjahrigen jungen Mann mit gewaltig hoher bleich zuruckspringender Stirn und einem bartlosen knochigen raubvogelahnlichen Gesicht von konzentrierter Geistigkeit Seine Schwester Maria Josefa die ihren Bruder wie einen Heiligen anzubeten scheint empfangt die Ankommlinge in der von flimmernden Kerzen feierlich beleuchteten Dachgeschosswohnung Der Junger der die Proklamationen des Propheten vorgetragen soll und zu diesem Zweck an diesem Abend eigens aus der Schweiz angereist ist trifft als letzter ein ein untersetzter und stammiger junger Mann kurzhalsig und hasslich mit murrischem plumpem Gesicht und wulstigen Lippen Was er mit wilder und uberlauter Stimme zweieinhalb Stunden lang vortragt sind Predigten Gleichnisse Thesen Gesetze Visionen Prophezeiungen und tagesbefehlartige Aufrufe die in einem Stilgemisch aus Psalter und Offenbarungston mit militarisch strategischen sowie philosophisch kritischen Fachausdrucken in bunter und unabsehbarer Reihe einander folgen Die Reaktionen der heuchlerisch ergriffenen Zuhorer reichen von erloschen zur Decke empor gerichteten Augen uber in den Handen vergrabene Gesichter bis zu krummen Fingern die etwas Ungewisses in die Luft schreiben Der Novellist allerdings dessen Perspektive den Tenor der Erzahlung entscheidend pragt wird lediglich von zunehmenden Ruckenschmerzen und Hungergefuhlen geplagt und denkt hauptsachlich daruber nach wie er demnachst der heimlich verehrten Sonja der Tochter der reichen Dame naherkommen konnte Wie befreit tritt man nach Schluss der Veranstaltung stumm und unverzuglich wieder auf die ode Vorstadtstrasse hinaus Zur Deutung BearbeitenDomizil und Werk des Propheten werden fast durchweg mit latenter nichtsdestoweniger beissender Ironie beschrieben und gnadenlos lacherlich gemacht Die auf solche Weise von Thomas Mann angestrebte vernichtende Kritik am asthetizistischen Kreis um den neuromantischen Lyriker Stefan George kommt am deutlichsten gleich zu Anfang dieser Erzahlung zum Ausdruck Da bereits der erste Absatz samtliche Formen der Ironie und samtliche Aspekte der Kritik mal ganz offen mal symbolisch verbramt zusammenfasst sei er hier stellvertretend fur die eigentlich notwendige Analyse zahlreicher Einzelheiten in voller Lange zitiert Seltsame Orte gibt es seltsame Gehirne seltsame Regionen des Geistes hoch und armlich An den Peripherien der Grossstadte dort wo die Laternen sparlicher werden und die Gendarmen zu zweien gehen muss man in den Hausern emporsteigen bis es nicht weiter geht bis in schrage Dachkammern wo junge bleiche Genies Verbrecher des Traumes mit verschrankten Armen vor sich hinbruten bis in billig und bedeutungsvoll geschmuckte Ateliers wo einsame emporte und von innen verzehrte Kunstler hungrig und stolz im Zigarettenqualm mit letzten und wusten Idealen ringen Hier ist das Ende das Eis die Reinheit und das Nichts Hier gilt kein Vertrag kein Zugestandnis keine Nachsicht kein Mass und kein Wert Hier ist die Luft so dunn und keusch dass die Miasmen des Lebens nicht mehr gedeihen Hier herrscht der Trotz die ausserste Konsequenz das verzweifelt thronende Ich die Freiheit der Wahnsinn und der Tod Schonungslos bezichtigt Thomas Mann hier in uberwaltigender Syntax und Bildersprache den elitaren Literatenkreis der Inhumanitat und Anmassung Dessen Lebensfeindlichkeit die seinem eigenen Kunstverstandnis in jeder Hinsicht widerspricht lasst der Autor spater in den abschliessenden Worten der Lesung gipfeln ich uberliefere euch zur Plunderung die Welt Zum eigentlich ironischen Tiefschlag jedoch holt der Autor erst aus als es um die Publikumswirkung auf all den himmelsturmenden pseudo poetischen Bombast geht Die namlich fallt uberraschend ernuchternd und durchaus irdisch ja banal aus Der Novellist suchte seit langerer Zeit vergebens nach einer passenden Haltung fur seinen schmerzenden Rucken Um zehn Uhr kam ihm die Vision einer Schinkensemmel aber er verscheuchte sie mannhaft Als er endlich wieder von dem unheimlichen Gemisch von Brutalitat und Schwache von den irren Bildern und dem Wirbel von Unlogik erlost wird will er nur noch auf dem kurzesten Weg nach Hause und zu Abend essen wie ein Wolf nbsp Titelblatt von Ludwig Derleths Die Proklamationen Anmerkungen BearbeitenAuch in Doktor Faustus ist Ludwig Derleth von Thomas Mann portratiert worden und zwar als Daniel zur Hohe Kapitel XXXIV Fortsetzung Zu den Proklamationen teilt dort der fiktive Biograph Serenus Zeitblom mit seine Dichtertraume galten einer in blutigen Feldzugen dem reinen Geiste unterworfenen von ihm in Schrecken und hohen Zuchten gehaltenen Welt wie er es in seinem ich glaube einzigem Werk den schon vor dem Kriege auf Buttenpapier erschienen Proklamationen beschrieben hatte einem lyrisch rhetorischen Ausbruch schwelgerischen Terrorismus dem man erhebliche Wortgewalt zugestehen musste Nach Thomas Mann hat diese Art von Asthetizismus mitgeholfen dem Faschismus den Weg zu ebnen Der steilste asthetische Unfug der mir vorgekommen so das Urteil Serenus Zeitbloms Der distanzierte wohlerzogene Novellist ist ein Selbstportrat des jungen Thomas Mann die reiche Dame seine spatere Schwiegermutter Hedwig Pringsheim Deren Tochter Sonja die nur mit Namen erwahnt aber wegen einer Entzundung am Fuss nicht beim Propheten erschienen ist spielt auf Katia Pringsheim an Thomas Manns spatere Ehefrau Der Junger aus der Schweiz soll nach Hans Rudolf Vaget Rudolf Blumel nachempfunden sein Ausgaben BearbeitenThomas Mann Das Wunderkind Novellen Schwere Stunde Beim Propheten Ein Gluck Wie Jappe und Do Escobar sich prugelten S Fischer Berlin um 1917 31 39 Tausend Titelblatt mit gedrucktem Zensurzeichen Fischers Bibliothek zeitgenossischer Romane Sechste Reihe Bd 6 Thomas Mann Ausgewahlte Erzahlungen Bermann Fischer Stockholm 1948 6 12 Auflage 860 Seiten Dunndruck Leinen Stockholmer Gesamtausgabe Inhalt Der kleine Herr Friedemann Enttauschung Tristan Tobias Mindernickel Tonio Kroger Der Weg zum Friedhof Herr und Hund Der Kleiderschrank Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull Der Tod in Venedig Beim Propheten Unordnung und fruhes Leid Schwere Stunde Mario und der Zauberer Das Wunderkind Die vertauschten Kopfe Das Gesetz Thomas Mann Samtliche Erzahlungen S Fischer Frankfurt 1963 Leinen 763 Seiten rotes Ruckenschild mit Goldschrift Vision Gefallen Der Wille zum Gluck Enttauschung Der Tod Der kleine Herr Friedemann Der Bajazzo Tobias Mindernickel Der Kleiderschrank Geracht Luischen Der Weg zum Friedhof Gladius Dei Tristan Die Hungernden Tonio Kroger Das Wunderkind Ein Gluck Beim Propheten Schwere Stunde Walsungenblut Anekdote Das Eisenbahnungluck Wie Jappe und Do Escobar sich prugelten Der Tod in Venedig Herr und Hund Unordnung und fruhes Leid Mario und der Zauberer Die vertauschten Kopfe Das Gesetz Die Betrogene Der Knabe Henoch Fragment Thomas Mann Samtliche Erzahlungen Band 1 Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt 1987 ISBN 3 10 348115 2 S 355 363Literatur BearbeitenLudwig Derleth Die Proklamationen Insel Leipzig 1904 Hans R Vaget in Helmut Koopmann Hrsg Thomas Mann Handbuch 1036 Seiten Kroner Stuttgart 2001 ISBN 3 520 82803 0 S 572 Hermann Kurzke Thomas Mann Das Leben als Kunstwerk 672 Seiten Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt 2001 ISBN 3 596 14872 3 S 170 Barbara Neymeyr Militanter Messianismus Thomas Manns Erzahlung Beim Propheten im kulturhistorischen Kontext In Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 45 2004 S 179 198 Peter Sprengel Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900 1918 Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 924 Seiten Beck Munchen 2004 ISBN 3 406 52178 9 S 347Werke von Thomas Mann RomaneBuddenbrooks Konigliche Hoheit Der Zauberberg Joseph und seine Bruder Tetralogie Lotte in Weimar Doktor Faustus Der Erwahlte Bekenntnisse des Hochstaplers Felix KrullErzahlungen NovellenVision Gefallen Der Wille zum Gluck Enttauschung Der Tod Der kleine Herr Friedemann Der Bajazzo Tobias Mindernickel Der Kleiderschrank Geracht Luischen Der Weg zum Friedhof Gladius Dei Tonio Kroger Tristan Die Hungernden Das Wunderkind Ein Gluck Beim Propheten Schwere Stunde Anekdote Das Eisenbahnungluck Wie Jappe und Do Escobar sich prugelten Der Tod in Venedig Herr und Hund Gesang vom Kindchen Walsungenblut Unordnung und fruhes Leid Mario und der Zauberer Die vertauschten Kopfe Das Gesetz Die BetrogeneTheaterstuckeFiorenza Luthers Hochzeit Fragment Einzelne Essays und AutobiographischesVersuch uber das Theater Die Losung der Judenfrage Gedanken im Kriege Betrachtungen eines Unpolitischen Zur judischen Frage Von deutscher Republik Uber die Lehre Spenglers Deutsche Ansprache Leiden und Grosse Richard Wagners Freud und die Zukunft Bruder Hitler Das Problem der Freiheit Deutsche Horer Deutschland und die Deutschen Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung Die Entstehung des Doktor Faustus Lob der Verganglichkeit Versuch uber Schiller Normdaten Werk GND 4428795 1 lobid OGND AKS 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