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Das Speziallager Nr 9 Funfeichen war eines von zehn sowjetischen Speziallagern des NKWD MWD in der Sowjetischen Besatzungszone Es lag im Stadtgebietsteil Funfeichen von Neubrandenburg am sudlichen Rand der Stadtfeldmark 1 Ungefahr jeder dritte Haftling uberlebte die Strapazen nicht Davor wahrend des Zweiten Weltkrieges war genau dort das deutsche Kriegsgefangenenlager Stalag II A mit standig mehreren tausend alliierten Kriegsgefangenen Ungefahr jeder zehnte Haftling verstarb dort Heute befindet sich auf dem Gelande eine Gedenkstatte fur die Opfer der beiden Lager Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Inhaftierte des Speziallagers 3 Haftbedingungen und Opfer 4 Deportation 5 Auflosung 6 Aufarbeitung 7 Literarische Rezeption 8 Prominente Internierte 9 Literatur und Quellen 10 Weblinks 11 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenWahrend des Zweiten Weltkrieges befand sich am Ort das Kriegsgefangenenlager Stalag II A der deutschen Wehrmacht das bei seinem hochsten Belegungsstand etwa 15 000 Gefangene gleichzeitig aufnahm Insgesamt wurde es von etwa 70 000 Kriegsgefangenen durchlaufen Mindestens 6 000 sowjetische Kriegsgefangene und 500 Kriegsgefangene der westlichen Alliierten kamen im Stalag II A ums Leben 2 Von Mai bis Herbst 1945 befand sich auf dem Gelande ein Auffanglager fur Displaced Persons die Namen von etwa 750 Tschechen und Slowaken sind nachgewiesen Inhaftierte des Speziallagers BearbeitenBereits ab Juni 1945 belegten die Dienste des Innenministeriums der Sowjetunion NKWD das Lager mit deutschen Haftlingen Dazu zahlten ehemalige Mitglieder von NSDAP HJ BDM und anderen nationalsozialistischen Organisationen ebenso wie Verwaltungsmitarbeiter Burgermeister Polizisten Juristen Zeitungsredakteure aber auch Fabrik und Gutsbesitzer sowie viele willkurlich Verhaftete die aufgrund von Denunziationen oder allein durch Zufalle als Sicherheitsrisiko fur die Besatzungsmacht oder als Gegner der neu eingesetzten deutschen kommunistischen Machthaber eingeschatzt wurden Viele der Verhafteten stammten aus Mecklenburg und Pommern aber auch aus Berlin und Brandenburg Mitte August 1945 erreichte ein Transport mit uber 1700 Haftlingen aus dem Speziallager Sachsenhausen das Lager Funfeichen Im Januar 1946 kamen etwa 1500 Gefangene aus dem NKWD Lager Graudenz nach dessen Schliessung nach Funfeichen Weitere 1500 Gefangene kamen im Marz 1947 aus dem Speziallager Ketschendorf Ein besonders tragischer Fall war der des stellvertretenden Burgermeisters von Greifswald Siegfried Remertz Nach der Flucht des Oberburgermeisters Friedrich Rickels war er massgeblich an der kampflosen Ubergabe der Stadt an die Sowjetarmee beteiligt und damit deren Bewahrung vor der sicheren Zerstorung von Greifswald Trotz seiner mutigen Tat wurde er gemeinsam mit Burgermeister Richard Schmidt nur wenige Tage spater am 6 Mai 1945 von den sowjetischen Besatzungstruppen verhaftet und im Neubrandenburger Speziallager Nr 9 Funfeichen interniert wo er kurze Zeit spater umkam Die durchschnittliche Belegungsstarke betrug 1945 0 4 400 Haftlinge 1946 10 400 Haftlinge 1947 0 9 400 Haftlinge 1948 0 8 400 Haftlinge bis 13 Juli Die Gesamtzahl aller durchlaufenden Haftlinge belief sich auf etwa 15 400 Menschen Neben den mannlichen Gefangenen befanden sich im Speziallager Funfeichen uber 400 Frauen Haftbedingungen und Opfer BearbeitenDie Haftbedingungen waren durch vollig unzureichende Ernahrung sowie mangelhafte Hygiene Kleidung und Heizung gekennzeichnet Mindestens 4900 Personen verstarben aufgrund dieser Umstande an Krankheiten Mangelerscheinungen und Seuchen Die Opfer wurden nur anfangs in Einzelgrabern auf dem Nordfriedhof beerdigt spater dann in anonymen Massengrabern auf dem Sudfriedhof Ihre Namen soweit bekannt wurden 1996 in einem Totenbuch veroffentlicht 3 sie sind seit 1999 auf 59 Bronzetafeln im Bereich der Gedenkstatte am sudlichen Massengrab zu finden Deportation BearbeitenIm Februar 1947 wurden etwa 700 Gefangene zur Zwangsarbeit in Arbeitslager des Gulag Systems in die Sowjetunion deportiert Auflosung BearbeitenIn der Zeit von Juli bis September 1948 wurden etwa 5200 Haftlinge in die Freiheit entlassen Nicht entlassen wurden 2800 wovon 2600 in das Speziallager Nr 2 Buchenwald transportiert wurden und ein Restkommando von 200 Haftlingen in das Speziallager Nr 7 Sachsenhausen kam Viele dieser Haftlinge wurden am 9 und 13 Februar 1950 nach Waldheim gebracht wo sie in den Waldheimer Prozessen Schnellverfahren zu langjahrigen Haftstrafen sowie in einigen Fallen zum Tode verurteilt wurden Die Prozesse fanden ohne Rechtsgrundlage statt und die Urteile standen in stalinistischer Verfahrensweise bereits vorher fest Der Rest der Gefangenen wurde 1950 entlassen Die endgultige Auflosung des Speziallagers Funfeichen erfolgte im Januar 1949 Aufarbeitung BearbeitenWahrend der DDR Zeit wurde die Existenz sowjetischer Speziallager stets geleugnet Ehemalige Gefangene durften bei Strafandrohung nicht davon berichten 1958 bis 1960 schuf die Stadt Neubrandenburg eine Gedenkstatte fur die 1939 bis 1945 verstorbenen Kriegsgefangenen die wegen der geplanten militarischen Nutzung aber nie der Offentlichkeit ubergeben wurde Das Gelande des Speziallagers Funfeichen wurde gesperrt und verfiel Im Marz 1990 wurden nach Hinweisen aus der Bevolkerung die Massengraber wiedergefunden Am 28 April 1991 wurde von ehemaligen Haftlingen und betroffenen Angehorigen die Arbeitsgemeinschaft Funfeichen gegrundet Sie initiierte zusammen mit der Stadt Neubrandenburg eine Neugestaltung der Gedenkanlage die am 25 April 1993 eingeweiht wurde Neben einem gestutzten Kreuz dem Symbol der Arbeitsgemeinschaft und elf Eichenstelen geschaffen von dem Kunstler Uwe Grimm gehoren eine Bronzeplatte des Bildhauers Walter Preik im Eingangsbereich und elf Granitkreuze mit den Jahreszahlen 1939 1948 zur Gedenkanlage die an die Verstorbenen der beiden Gefangenenlager in Funfeichen erinnern Seit 1999 sind am sudlichen Massengrab die Namen der Verstorbenen auf Bronzetafeln zu lesen 2 Die Arbeitsgemeinschaft Funfeichen gibt regelmassig Einzelpublikationen uber die Geschichte des Speziallagers heraus 4 Literarische Rezeption BearbeitenDie Vorgange im Speziallager Funfeichen wurden mehrfach literarisch gestaltet Prominentes Beispiel ist der dritte Band des Romans Jahrestage von Uwe Johnson 1973 erschienen 5 Uwe Johnsons Vater Erich Johnson war 1946 wahrscheinlich nach einem Aufenthalt im Speziallager Funfeichen in die Ukraine deportiert worden und dort ums Leben gekommen 6 Peter Rutters nennt Johnsons Darstellung bemerkenswert aus verschiedenen Grunden bescheinigt ihm aber durch Fokussierung auf die gewalttatige Haftlingsgesellschaft die Belebung eines erinnerungspolitischen Diskurses blockiert zu haben 7 Eine wichtige autobiographische Darstellung der Ereignisse im Speziallager Funfeichen wurde von Friedrich Griese mit seinem Buch Der Wind weht nicht wohin er will im Jahre 1960 vorgelegt 8 Bettina Greiner charakterisiert dieses Buch als einen Bericht der nicht auf die eine oder andere Art und Weise die Eindeutigkeit zwischen bosem Tater und gutem Opfer herzustellen versucht 9 Grieses Buch von 1960 wurde 2012 erganzt durch die Veroffentlichung Friedrich Griese und seine Zeit im Lager Funfeichen die auch aus der Lagerhaft an seine Frau und Kinder geschriebene Briefe enthalt 10 Aus Grieses mehr als sieben Monate dauernder Haftzeit 1945 46 sind insgesamt 32 Kassiber und Briefe uberliefert davon 21 aus dem sowjetischen GPU Keller in Parchim vier aus dem Zuchthaus Alt Strelitz und sieben aus dem Lager Funfeichen 11 Ein weiterer besonderer Bericht liegt mit den im Speziallager Funfeichen verfassten Tagebuchnotizen des Pastors Bartelt vor die editorisch durch aus dem Lager geschmuggelte Gedichte und Zeichnungen mehrerer Haftlinge erganzt wurden 12 13 Prominente Internierte BearbeitenIm Speziallager Funfeichen verstorben sind Name Tatigkeiten Details zum Haftgrund Verdacht oder behaupteten VorwurfWilli Bloedorn NSDAP Funktionar und ReichstagsabgeordneterRichard Dietrich Flugzeug Konstrukteur und UnternehmerCarl Engel Gaudozentenfuhrer Pommern Rektor der Universitat GreifswaldRudolf Fehrmann Rechtsanwalt Kletterfuhrerautor NSDAP Mitglied Wehrmachtrichter Willy Klitzing Regierungsdirektor beim Reichsstatthalter von Mecklenburg Lubeck ehrenamtliches Mitglied des VolksgerichtshofsFritz Kohls Reichstagsabgeordneter der NSDAPRichard Moeller Gegner des Nationalsozialismus 1945 MinisterialdirektorSiegfried Remertz stellvertretender Burgermeister von GreifswaldRichard Schmidt Burgermeister von GreifswaldHans Wilhelm Viereck deutscher Pflanzensammler in MexikoMax Wiessner ZeitungsverlegerDie Lagerzeit uberlebt haben Name Tatigkeiten Details zum Haftgrund Verdacht oder behaupteten VorwurfFriedrich Griese vom Naziregime hochgeehrter Schriftsteller NSDAP MitgliedAlfred Jank Angehoriger von Hitlerjugend beziehungsweise Volkssturm Werwolf VorwurfHorst Kobbert spater Entertainer und SangerHans Lachmund Jurist Politiker und Widerstandskampfer gegen den Nationalsozialismus FreimaurerPaul Simon stellvertretender Gauleiter Gau PommernHeinrich Alexander Stoll Schriftsteller LDPD Mitglied kritische Ausserungen uber die sowjetische BesatzungsmachtGeorg Tessin Archivar Haus und Hofhistoriker des Gauleiters Friedrich HildebrandtLiteratur und Quellen BearbeitenTobias Baumann Das Speziallager Nr 9 Funfeichen In Sergej Mironenko u a Hrsg Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950 Band 1 Alexander von Plato Hrsg Studien und Berichte Akademie Verlag Berlin 1998 ISBN 3 05 002531 X S 426 444 Dieter Kruger Gerhard Finn Mecklenburg Vorpommern 1945 bis 1948 und das Lager Funfeichen Holzapfel Berlin 1991 ISBN 3 921226 40 6 Ingrid Friedlein Red Die Opfer von Funfeichen 2 Bande Band 1 Erlebnisberichte Betroffener und Angehoriger Band 2 Namensliste der Verstorbenen Herausgegeben vom Sprecherrat der Arbeitsgemeinschaft Funfeichen Stock und Stein Schwerin 1996 ISBN 3 910179 99 1 Weblinks BearbeitenLiteratur uber Neubrandenburg Funfeichen in der Landesbibliographie MV AG Funfeichen bei der Union der Opferverbande Kommunistischer Gewaltherrschaft abgerufen am 28 Januar 2019 Speziallager Funfeichen bei Orte der Repression einem Internetportal des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland abgerufen am 1 Februar 2013 nbsp Panorama der Gedenkstatte nbsp Hinweiskreuz an der Zufahrtsstrasse nbsp Gestutztes Kreuz im Eingangsbereich nbsp Gedenkglocke nbsp Gedenktafel nbsp MahnmalEinzelnachweise Bearbeiten Die in der Literatur weit verbreitete Floskel Funfeichen bei Neubrandenburg ist definitiv falsch und irrefuhrend Das Stadtgut Funfeichen gehorte immer zu Neubrandenburg und war niemals exterritoriales Gebiet a b Flyer der Gedenkstatte Funfeichen Memento des Originals vom 29 April 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www neubrandenburg de PDF 1 1 MB abgerufen am 28 Januar 2013 Ingrid Friedlein Red Die Opfer von Funfeichen Bd 2 Namensliste der Verstorbenen Herausgegeben vom Sprecherrat der Arbeitsgemeinschaft Funfeichen Stock und Stein Schwerin 1996 ISBN 3 910179 99 1 AG Funfeichen Memento des Originals vom 13 Januar 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www uokg de abgerufen am 1 Februar 2013 Uwe Johnson Jahrestage Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Band 3 Suhrkamp Frankfurt 1973 ISBN 3 518 03335 2 S 1287 1298 Bernd Neumann Uwe Johnson Europ Verl Anst Hamburg 1994 ISBN 3 434 50051 0 S 53 Peter Rutters Sowjetische Speziallager im erinnerungspolitischen Diskurs Funfeichen als Gegenstand des Erzahlens in Uwe Johnsons Jahrestage Deutschland Archiv 39 2006 2 ISSN 0012 1428 S 255 265 Friedrich Griese Der Wind weht nicht wohin er will Verlag Eugen Diederichs Dusseldorf Koln 1960 Bettina Greiner Verdrangter Terror Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland Hamburger Edition Hamburg 2010 ISBN 978 3 86854 217 2 S 440 441 Arbeitsgemeinschaft Funfeichen Friedrich Griese und seine Zeit im Lager Funfeichen Neubrandenburg 2012 im Griese Nachlass im Fritz Reuter Literaturarchiv Berlin AG Funfeichen Streng verboten Das Tagebuch des Pastors Bartelt Neubrandenburg 2008 FAZ vom 21 Oktober 2008 Matthias Wyssuwa Stimme aus dem Schweigelager abgerufen am 2 Februar 201353 525222222222 13 292444444444 Koordinaten 53 31 30 8 N 13 17 32 8 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Speziallager Nr 9 Funfeichen amp oldid 234899817