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Das Versuchsatomkraftwerk Lucens abgekurzt VAKL auch als Reaktor Lucens bezeichnet war ein unterirdischer Versuchs Leistungsreaktor der in den 1960er Jahren im schweizerischen Ort Lucens im Kanton Waadt errichtet wurde Der gebaute Schwerwasserreaktor war eine schweizerische Eigenentwicklung und basierte auf Forschungsarbeiten an der Reaktor AG dem heutigen Paul Scherrer Institut in Wurenlingen Baubeginn war 1961 Nach langjahrigen Verzogerungen wurde der Reaktor am 10 Mai 1968 der Energie Ouest Suisse EOS zum Betrieb ubergeben Nach einer zwischenzeitlichen Revision kam es bei der Wiederaufnahme des Betriebes am 21 Januar 1969 zu teilweisem Schmelzen eines Brennelementes was das Bersten des Druckrohres und schwere Schaden im Reaktorkern zur Folge hatte womit ein Weiterbetrieb des Reaktors unmoglich wurde Reaktor LucensFlugaufnahme der Anlage vom 3 Juli 1969LageReaktor Lucens Kanton Waadt Koordinaten 553207 171473 46 692824 6 826892 Koordinaten 46 41 34 N 6 49 37 O CH1903 553207 171473Land SchweizDatenEigentumer Nationale Gesellschaft zur Forderung der industriellen AtomtechnikBetreiber Energie Ouest SuisseBaubeginn 1 April 1962Inbetriebnahme 10 Mai 1968Abschaltung 21 Januar 1969Stilllegung 3 Marz 1969Reaktortyp SchwerwasserreaktorThermische Leistung 30 MWWebsite https www ensi ch de themen versuchsatomkraftwerk lucens Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte der schweizerischen Reaktorlinie 1 1 Forschungsarbeiten an der Reaktor AG in Wurenlingen 1 2 Subventionsgesuche fur Versuchs Leistungsreaktoren 2 Der Bau des Reaktors in Lucens 2 1 Bauweise und Reaktordesign 2 2 Verzogerungen Hindernisse und Betrieb 3 Der Unfall vom 21 Januar 1969 4 Untersuchung des Unfalles und Dekontamination des Reaktors 5 Mogliche militarische Nutzung des Reaktors 6 Aktuelle Situation 7 Siehe auch 8 Literatur 9 Quellen 10 Dokumentationen 11 Weblinks 12 EinzelnachweiseVorgeschichte der schweizerischen Reaktorlinie Bearbeiten1945 wurde auf Initiative des schweizerischen Militardepartements EMD die sogenannte Studienkommission fur Atomenergie SKA gegrundet In der SKA waren in der Folge alle namhaften schweizerischen Forschungsinstitute die sich mit Kernenergie befassten vertreten 1 1952 beauftragte die SKA eine Arbeitsgemeinschaft in der auch Unternehmen wie Brown Boveri amp Cie Sulzer und Escher Wyss vertreten waren mit der Planung eines Versuchsreaktors Gebaut werden sollte dieser Reaktor durch die Industrie aber mit finanzieller Unterstutzung durch die SKA 1953 wurden die fertigen Plane fur den Versuchsreaktor vorgestellt Sie wurden jedoch vorerst nicht umgesetzt 2 Forschungsarbeiten an der Reaktor AG in Wurenlingen Bearbeiten 1955 grundete Walter Boveri jun Prasident von Brown Boveri amp Cie in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und der ETH Zurich in Wurenlingen die Reaktor AG Im gleichen Jahr fand in Genf die erste Genfer Atomkonferenz statt An der Konferenz prasentierte die amerikanische Atombehorde AEC die Moglichkeiten der Kernenergie an einem eigens dafur gebauten Leichtwasserreaktor Da der Rucktransport des Versuchsreaktors fur die Amerikaner mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen ware konnte die Eidgenossenschaft den Reaktor sehr gunstig erwerben und dann an die Reaktor AG weiterverkaufen Noch wahrend dieser Reaktor der auf Grund seines blauen Leuchtens den Namen Saphir erhalten hatte an seinem neuen Standort in Wurenlingen eingerichtet wurde begannen zeitgleich die Arbeiten an einem weiteren Forschungsreaktor namens Diorit Beim Diorit handelte es sich um einen Schwerwasserreaktor der auf den Planen des Versuchsreaktors der SKA basierte Obwohl man bereits bei der Genfer Atomkonferenz festgestellt hatte dass das schweizerische Reaktorkonzept langst uberholt war begann man mit den Bauarbeiten und 1960 wurde der Diorit zum ersten Mal kritisch 3 Subventionsgesuche fur Versuchs Leistungsreaktoren Bearbeiten Parallel zu den Forschungsarbeiten der Reaktor AG erarbeiteten in der Zeit von 1956 bis 1959 drei Industriegruppen Projekte fur Versuchs Leistungsreaktoren Die Versuchs Leistungsreaktoren waren als nachste Stufe auf dem Weg zu kommerziellen Reaktoren gedacht Bis 1959 reichten die drei Gruppen ihre Projekte beim Bund zur Subvention ein 4 Die drei Projekte waren Konsortium Beim Konsortium handelte es sich um einen Zusammenschluss deutsch schweizerischer Industriebetriebe u a Sulzer Escher Wyss und Brown Boveri amp Cie die sich zum Ziel gesetzt hatten in der Stadt Zurich unterirdisch unter den Gebauden der ETH ein Kernheizkraftwerk zu errichten Dabei sollte der Reaktortyp dem des Diorit entsprechen Enusa In der Enusa hatten sich zahlreiche westschweizerische Industriebetriebe Planungsburos und auch die Elektrizitatsgesellschaft EOS zusammengeschlossen Geplant war der Nach Bau eines amerikanischen leichtwassermoderierten Reaktors im waadtlandischen Lucens Die Suisatom wurde von den vier grossten schweizerischen Elektrizitatsgesellschaften NOK Atel BKW und EOS gegrundet Das Projekt sah den Kauf eines amerikanischen Leichtwasserreaktors vor Die Bauleitung und die Lieferung der Sekundarteile sollten bei der Brown Boveri amp Cie liegen 5 Durch eine externe Expertengruppe liess der Bundesrat alle drei Gesuche prufen und empfahl der Bundesversammlung schliesslich den Bau eines Versuchs Leistungsreaktors mit bis zu 50 Millionen Franken zu unterstutzen Er machte klar dass er bereit ware sowohl das Konsortiums als auch das Enusa Projekt mitzufinanzieren aber nicht den Suisatom Reaktor Die Entscheidung welcher Reaktor am Ende gebaut werden sollte wollte der Bundesrat jedoch der Privatwirtschaft uberlassen 6 Im Marz 1960 folgten sowohl Stande als auch Nationalrat dem Vorschlag des Bundesrates und hiessen die Finanzmittel im Umfang von 50 Millionen Franken gut Bedingung war dass die Beitrage des Bundes 50 Prozent des Gesamtaufwandes nicht ubersteigen sollten Ebenso sollten sich die drei Gesuchssteller fur den Bau in einer einzigen Dachgesellschaft zusammenschliessen 7 Der Bau des Reaktors in Lucens BearbeitenBereits zwei Wochen nach der Annahme der Vorlage durch die eidgenossischen Parlamente einigten sich die Enusa und die Thermatom die Nachfolgeorganisation des Konsortiums darauf ein gemeinsames Versuchs Leistungskraftwerk zu bauen Es handelte sich dabei um einen Kompromiss Am Standort des Enusa Projektes Lucens sollten die Reaktorplane des Konsortiums bzw der Therm Atom der aus 22 Industrieunternehmen aus der ganzen Schweiz bestehenden Nachfolgeorganisation des Konsortiums umgesetzt werden 8 Im Sommer 1961 kam es dann auch zur Grundung der vom Bund geforderten Dachgesellschaft Thermatom Enusa und Suisatom grundeten gemeinsam die Nationale Gesellschaft zur Forderung der industriellen Atomtechnik NGA Die Leitung der NGA ubernahm Alt Bundesrat Hans Streuli der in der Folge zur grossten Triebfeder des Baus von Lucens wurde 9 Ein Jahr nach der Grundung der NGA erfolgte am 1 Juli 1962 der Spatenstich zum Bau des Reaktors 10 Bauweise und Reaktordesign Bearbeiten nbsp Modellaufnahme von 1964 nbsp In Bau 1964 nbsp In Bau 1964 Die Anlage Lucens wurde zwei Kilometer sudwestlich vom Dorf Lucens am Ufer der Broye die anfanglich auch fur das Kuhlwasser vorgesehen war errichtet Ausser einigen Betriebs und Lagergebauden wurde die gesamte Anlage unterirdisch in drei Felskavernen angelegt Das Anlagekonzept des Versuchsatomkraftwerkes beruhte auf den folgenden Festlegungen Natururan als Spaltstoff Uranvorkommen gibt es an vielen Orten Natururan kann frei gehandelt und leicht gespeichert werden Der Verzicht auf Anreicherung des Urans vermeidet die damit verbundenen hohen Kosten und umgeht das Monopol der wenigen Produzenten sowie die politischen Barrieren gegen diesen Prozess In der Versuchsanlage Lucens wurde wegen der Kleinheit des Reaktorkerns schliesslich trotzdem leicht angereichertes Uran verwendet 11 Schwerwasser als Moderator Die Nutzung von Natururan als Spaltstoff war praktisch nur moglich zusammen mit Graphit oder Schwerwasser als Moderator Vorteile von Schwerwasser gegenuber Graphit sind bessere Neutronenokonomie mit besserer Ausnutzung des Urans die Moglichkeiten kompakterer Bauweise des Reaktors und leichterer Herstellung in der Schweiz Das Ziel der Entwicklung eines Schwerwasser moderierten Reaktors mit Natururan als Spaltstoff in der Schweiz wurde schon 1952 von der Studienkommission fur Atomenergie SKA formuliert und diente in den folgenden Jahren als Grundlage fur Entscheide der Industrie und Antrage an den Bundesrat Gleichartige Entwicklungen mit Realisierung von Prototypen gab es auch in Schweden Kanada Frankreich Deutschland und Grossbritannien Kohlendioxid Gas als Kuhlmittel Als Kuhlmittel fur den Abtransport der Warmeenergie aus dem Reaktorkern wurden Schwerwasser Leichtwasser Leichtwasserdampf Diphenyl und Kohlendioxid in Betracht gezogen Beim Entscheid fur das Gas im Fall des Prototyps Lucens spielten die Erfahrung mit den britischen und franzosischen gasgekuhlten und graphitmoderierten Reaktoren die erreichbaren hoheren Temperaturen und die Erfahrung mit gasbeheizten Dampferzeugern eine Rolle das zunachst favorisierte Schwerwasser schied wegen der hoheren Kosten sowie der zu erwartenden Tritiumstrahlung aus Bei den spater durchgefuhrten Studien fur grossere Anlagen wurden auch Varianten mit Leichtwasser untersucht Bundel von Uranmetallstaben mit Magnesiumhulle als Brennelement Uranmetall ergibt im Vergleich zu dem spater fur grossere Anlagen vorgesehenen weniger korrosiven Uranoxid eine bessere Neutronenokonomie bei der Verwendung von Natururan Bei der gewahlten Losung konnte zudem auf den Erfahrungen aus den britischen und franzosischen Reaktoren aufgebaut werden Druckrohre als druckhaltende Komponente im Reaktorkern Weil nur das Kuhlmittel nicht aber der Moderator auf hohen Druck angewiesen war konnte eine Druckrohrkonstruktion verwendet werden Man versprach sich davon eine fast beliebige Skalierbarkeit auf grossere Anlagen und konnte auf die damals schwierigeren Entwicklungsschritte fur grosse Druckbehalter sowie den Nachweis von deren Sicherheit verzichten Felskaverne als Containment Die unterirdische Anordnung von Kraftwerkzentralen hatte sich bei den Wasserkraftwerken bewahrt und so lag es nahe die wichtigsten Teile des Kernkraftwerkes ebenfalls in Felskavernen unterzubringen Diese Bauweise wurde damals auch in Norwegen und Schweden praktiziert Neben dem Schutz gegen aussere Einwirkungen bot der in Lucens vorliegende porose Sandstein noch eine besondere Moglichkeit fur die Ruckhaltung radioaktiver Stoffe Durch Leckage oder gesteuerte Druckentlastung dorthin gelangende Aktivstoffe wurden in den Poren langfristig gespeichert und im Laufe ihrer Diffusion Richtung Umwelt zerfallen Im konkreten Fall musste dieses Konzept wegen Problemen mit der Abdichtung gegen den Zugangsstollen durch einen mit Filtern ausgerusteten Ventilationsabzug erganzt werden Verzogerungen Hindernisse und Betrieb Bearbeiten Der Bau des Reaktors in Lucens war durch mehrere Pannen und finanzielle Probleme gekennzeichnet Der erste grosse Ruckschritt fur die schweizerische Eigenentwicklung ereignete sich am 7 Februar 1963 als bekannt wurde dass die NOK plante in Beznau einen schlusselfertigen amerikanischen Leichtwasserreaktor zu bauen 12 Wenig spater folgten weitere Elektrizitatsgesellschaften mit eigenen Kaufabsichten Damit hatte sich die eigentliche Zielgruppe der schweizerischen Reaktortechnik bei der auslandischen Konkurrenz eingedeckt noch bevor das Werk in Lucens uberhaupt fertiggestellt war Unterdessen liefen in Lucens die Kosten aus dem Ruder und der Zeitplan musste revidiert werden Ende 1963 kam es bei Sprengungen zu Rissbildungen im Fels worauf die Bauarbeiten fur mehrere Wochen eingestellt werden mussten 13 Immer wieder hatte man beim Bau mit Wassereintritten zu kampfen Die Kaverne erwies sich 1965 als undicht und das Drainage System musste uberarbeitet werden 14 So wurde die Kaverne die eigentlich ursprunglich Sicherheit hatte stiften sollen immer mehr zum Sicherheitsproblem Auch innerhalb der NGA gab es Schwierigkeiten Andauernd brachen zwischen Brown Boveri amp Cie und Sulzer offene Konflikte aus 15 Die anfanglich geplanten Kosten von 64 5 Mio Franken stiegen bis zur Endabrechnung auf 112 3 Mio Franken 16 Immer wieder bewilligte der Bund diskussionslos millionenschwere Nachtragskredite 17 Weitaus folgenschwerer als die steigenden Kosten waren Probleme mit den Brennelementen Im Mai 1966 sollten die vorgesehenen Brennelemente im Diorit in Wurenlingen getestet werden Doch ein Brennelement schmolz teilweise und der betroffene Versuchskreislauf des Forschungsreaktors musste vollstandig zerlegt und dekontaminiert werden Weil ein ahnlicher Vorgang im Lucens Reaktor ausgeschlossen werden konnte wurde im Einverstandnis mit den Sicherheitsbehorden am bestehenden Design festgehalten nbsp Innenaufnahme 1968Am 8 Mai 1967 gab Sulzer den Austritt aus der schweizerischen Atomtechnologieentwicklung bekannt Die Reaktorentwicklung werde nur noch im Rahmen des Vertrages mit dem CEA und Siemens weitergefuhrt Mit dem Ruckzug der wichtigsten Firma stand Lucens vor seinem Ende doch Alt Bundesrat Hans Streuli wollte weiterhin nicht aufgeben Die Elektrizitatsgesellschaft EOS sollte das Werk nach Fertigstellung noch fur zwei Jahre betreiben nbsp Der VAKL Kontrollraum im Jahr 1968Am 29 Dezember 1966 wurde der Reaktor erstmals kritisch das heisst es konnte eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion der Uranspaltung aufrechterhalten werden Nach ersten Versuchen bei Leistung Null Abschluss der Montagearbeiten und Abnahmeversuchen der fur den Leistungsbetrieb wichtigen Anlageteile erzeugte die Anlage am 29 Januar 1968 den ersten Nuklearstrom der Schweiz Die Ubergabe der Anlage an die fur den Betrieb zustandige Elektrizitatsgesellschaft EOS erfolgte am 10 Mai 1968 nach einem zehntagigen Abnahmeversuch bei mindestens 21 MW Leistung Anschliessend wurde die Anlage mit Leistungen bis zum Nennwert von 30 MW betrieben In einer Abstellphase vom November 1968 bis Mitte Januar 1969 wurden eine Reihe von Revisionsarbeiten durchgefuhrt unter anderem Untersuchung eines ausgebauten Brennelementes und Sanierung der Wellendichtungen der Umwalzgeblase Vorgesehen war ein Betrieb bis Ende 1969 zwecks Gewinnung von Erfahrung mit der Anlage ihren z T neu entwickelten Komponenten und deren Betrieb Weil ein selbsttragender Betrieb nicht moglich war sollte anschliessend die Anlage stillgelegt werden Der schliessliche Verzicht auf die Entwicklung von Schwerwasserreaktoren in der Schweiz und auch in anderen europaischen Landern hatte seinen Grund in den im Laufe der sechziger Jahre eingetretenen starken Veranderungen der politischen wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen Es waren dies insbesondere die leicht gewordene Erhaltlichkeit von angereichertem Uran der rasche Trend zu sehr grossen Einheitsleistungen die marktbeherrschende Stellung der amerikanischen Leichtwasserreaktoren und das mangelnde Interesse der einheimischen Elektrizitatswerke Der Unfall vom 21 Januar 1969 Bearbeiten nbsp Flugaufnahme vom 4 Juli 1969Am 21 Januar 1969 wurde der Betrieb nach einer Revision wieder aufgenommen Wahrend der Steigerung der Reaktorleistung kam es zur Uberhitzung mehrerer Brennelemente Brennelement Nr 59 erhitzte sich so stark dass es schmolz und schliesslich auch das Druckrohr zum Bersten brachte Dabei wurden 1100 kg schweres Wasser geschmolzenes radioaktives Material und radioaktive Gase in die Reaktorkaverne geschleudert 18 Die aus dem geschmolzenen Uran freigesetzten Aktivstoffe losten wenige Sekunden vor dem Bersten des Druckrohres eine Schnellabschaltung des Reaktors aus Das anwesende Betriebspersonal konnte aus den im Kommandoraum verfugbaren Informationen innerhalb der ersten Minuten feststellen dass der Primarkreislauf aufgebrochen war der Reaktor jedoch sicher abgestellt und die Kuhlung des Reaktorkerns gewahrleistet war Sie leiteten die gemass dem entsprechenden Notfallplan notigen Massnahmen ein und konnten dabei einen vorlaufig sicheren Zustand der Anlage und deren Umgebung feststellen Nach einer Stunde wurde auch in den ubrigen Kavernenanlagen eine erhohte Radioaktivitat festgestellt was bedeutete dass die Reaktorkaverne nicht dicht war Bei Messungen in den umliegenden Dorfern konnte ein Anstieg der Radioaktivitat festgestellt werden Personen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Anlage erlitten durch den Unfall keine unzulassigen Strahlendosen Der Unfall verursachte Schatzungen zufolge 26 Millionen Dollar Schaden 19 Untersuchung des Unfalles und Dekontamination des Reaktors Bearbeiten nbsp Das fruher fur die Frischluft Aufbereitung genutzte Betriebsgebaude 2021 In der Folge des Unfalles wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt die die Ursache fur den Unfall ermitteln sollte Erst nach zehn Jahren publizierte diese 1979 einen Schlussbericht Man kam zu dem Schluss dass sich wahrend der Revisionsarbeiten vom Herbst 1968 bis zum Januar 1969 in einigen Brennelementen Wasser angesammelt haben musste was die Elemente teilweise von innen korrodieren liess Durch Korrosionsablagerungen hatte sich der Platz fur das Kuhlgas an einigen Stellen stark verengt Die verminderte Kuhlleistung hatte eine Uberhitzung mehrerer Elemente zur Folge was schliesslich zur partiellen Kernschmelze fuhrte 20 21 Das Eindringen von Wasser in den Reaktorkuhlkreislauf und den Reaktorkern war eine Folge von Problemen mit der Sperrwasserdichtung der Kuhlgas Umwalzgeblase Die Erprobung von neuen Dichtungsringen erfolgte in der Anlage Lucens nachdem der Versuchsstand beim Geblasehersteller nicht mehr zur Verfugung stand dabei gelangte unbemerkt eine unerwartet grosse Menge Wasser in den Kreislauf Die Moglichkeit eines Unfallablaufes der eingetretenen Art war in den Sicherheitsdokumenten beschrieben worden und sowohl den Projektanten als auch den Sicherheitsbehorden bekannt Massnahmen zur Begrenzung des Unfallausmasses insbesondere verstarkte Rohre und Berstscheiben des Kalandriatank genannten Warmetauschers zwischen Kuhlgas und flussigkeit wurden realisiert und haben sich im eingetretenen Fall bewahrt Die Dekontamination und Zerlegung des Reaktors zog sich bis Ende 1971 hin Insgesamt fielen 250 Fasser radioaktiver Abfalle an 22 Der Abbruch der Entwicklung eines schweizerischen Schwerwasserreaktors war wie erwahnt schon 1967 beschlossen worden Entgegen haufig geausserten Meinungen war somit der Unfall vom Januar 1969 nicht die Ursache dieses Abbruches Mogliche militarische Nutzung des Reaktors BearbeitenIn der Fachliteratur ist umstritten inwiefern mit dem Bau des Reaktors in Lucens militarische Absichten verfolgt wurden Eindeutig fur eine militarische Orientierung pladierte 1987 Peter Hug in seiner Lizentiatsarbeit 23 Roland Kollert sah 1994 den Lucens Reaktor als Dual Use Reaktor der sowohl zur Energieerzeugung als auch zur Produktion von Waffen Plutonium genutzt werden sollte 24 25 26 Der militarischen These widersprochen wurde zuerst 1995 von Dominik Metzler und dann spater 2003 von Tobias Wildi 27 Beide machten dabei darauf aufmerksam dass ihnen im Gegensatz zu Hug neue Quellen zuganglich gewesen seien Jan Hodel bemangelte jedoch in einer Rezension dass eine klare Gegenuberstellung dieser neuen Erkenntnisse zu Hugs Argumenten in Wildis Arbeit fehle 28 Im Auftrag an die mit der Entwicklung des Reaktors Lucens befassten Projektanten und Konstrukteure wurde die Moglichkeit einer militarischen Nutzung nie verlangt und auch nie erwahnt Ware eine solche Zielsetzung vorgelegen hatte beispielsweise im Zusammenhang mit dem dann notigen geringen Spaltstoffabbrand die Anlage mit einer Vorrichtung zum Brennelementwechsel bei laufendem Reaktor versehen werden mussen Tatsachlich wurde aber ein moglichst hoher Abbrand angestrebt Gemass Urs Hochstrasser damals Delegierter des Bundesrates fur Fragen der Atomenergie wurden das angereicherte Uran und das schwere Wasser fur Lucens von den USA mit der Auflage geliefert dass diese Materialien ausschliesslich fur friedliche Zwecke verwendet werden Fur die Einhaltung dieser Verpflichtung hat der Bundesrat eine Kontrolle zunachst des Lieferstaates und spater der Internationalen Atomenergieorganisation der UNO akzeptiert Sie wurde auch tatsachlich durch entsprechende Inspektionen uberpruft Siehe auch Schweizer KernwaffenprogrammAktuelle Situation Bearbeiten nbsp Ubersicht der Anlage mit Umgebung 2021 nbsp Der Eingang 2021 Die Demontage der radioaktiv verseuchten Anlagen dauerte bis zum Mai 1973 Zwei der drei Kavernen der Reaktorkern und das Abklingbecken wurden mit Beton gefullt 29 1981 verlegte die in Lausanne ansassige Cinematheque suisse ihre bis dahin in ehemaligen Pferdestallen gelagerten Nitratfilmrollen in das stillgelegte Atomkraftwerk Sie blieben dort bis das Schweizer Filmarchiv 1992 ein neues Depot in Penthaz eroffnete 30 Zur gleichen Zeit erwarb der Kanton Waadt das Gelande mit den Gebauden und Anlagen um dieses zum kantonalen Kulturguterdepot umzuwandeln Im April 1995 erklarte der Bundesrat die Entnuklearisierung fur abgeschlossen 29 Seither fuhrt das Bundesamt fur Gesundheit gemass seinem Auftrag in den Entwasserungsanlagen der ehemaligen Versuchsreaktoranlage Lucens regelmassig Messungen durch und informiert die kantonalen und lokalen Behorden Gemessen werden Casium 137 und Casium 134 sowie Cobalt 60 Tritium und Strontium 90 Zwischen 2001 und 2010 wurde in den Wasserproben durchschnittlich eine Tritiumaktivitat von 15 Bq L gemessen Seit 2010 gab es vereinzelt leicht erhohte Werte Signifikant zugenommen haben die Werte aber erst seit Ende 2011 bis zu 230 Bq L 31 Nach Umbauarbeiten die uber 7 Millionen Franken kosteten wurde das Depot et abri de biens culturels de Lucens DABC am 9 Oktober 1997 offiziell eingeweiht 29 Allerdings wurden die letzten radioaktiven Abfalle erst 2003 ins Zwischenlager Zwilag nach Wurenlingen gebracht Damit wurde die Anlage Lucens endgultig aus der atomrechtlichen Aufsicht entlassen 32 Seither lagern zehn Waadtlander Museen 29 das Staatsarchiv Archives cantonales vaudoises und die Kantons und Universitatsbibliothek Lausanne Bibliotheque cantonale et universitaire de Lausanne BCU Kulturgut aus drei Jahrtausenden in der ehemaligen Atomanlage Der in den Berg fuhrende Stollen ist mit ausgestopften Tieren aus dem Zoologiemuseum im Palais de Rumine gefullt Uber das Untergeschoss hiess es in einer Reportage der Neuen Zurcher Zeitung Man sieht Hunderte von Steinbrocken alle mit Herkunftsangaben aber auch Dutzende von menschlichen Knochen Bein an Bein in prazis angeschriebenen Fachern Man kommt an Uberresten einer romischen Kanalisation aus dem 1 Jahrhundert nach Christus vorbei danach an einer Barke aus der Alemannen Zeit Die fruhere Turmspitze der Kathedrale von Lausanne ist ebenfalls zu sehen 32 Siehe auch BearbeitenListe nuklearer Unfalle Liste der Kernreaktoren in der SchweizLiteratur BearbeitenC Perotto Probleme des Strahlenschutzes beim Zwischenfall im Versuchsreaktor Lucens am 21 Januar 1969 PDF 15 MB Kernforschungszentrum Karlsruhe KFK 1638 Tagung vom 17 19 Mai 1972 in Karlsruhe Strahlenschutz am Arbeitsplatz S 51 56 Susan Boos Strahlende Schweiz Handbuch zur Atomwirtschaft Rotpunktverlag Zurich 1999 ISBN 978 3 85869 167 5 Peter Hug Geschichte der Atomtechnologieentwicklung Lizentiatsarbeit Bern 1987 Peter Hug Elektrizitatswirtschaft und Atomkraft Das vergebliche Werben der Schweizer Reaktorbauer um die Gunst der Elektrizitatswirtschaft 1945 1964 In David Gugerli Hrsg Allmachtige Zauberin unserer Zeit Zur Geschichte der elektrischen Energie in der Schweiz Chronos Zurich 1994 ISBN 978 3 905311 58 7 S 167 183 Peter Hug Atomtechnologieentwicklung in der Schweiz zwischen militarischen Interessen und privatwirtschaftlicher Skepsis In Bettina Heintz Bernhard Nievergelt Wissenschafts und Technikforschung in der Schweiz Seismo Verlag Zurich 1998 ISBN 978 3 908239 61 1 S 225 242 Roland Kollert Die Politik der latenten Proliferation Militarische Nutzung friedlicher Kerntechnik in Westeuropa Deutscher Universitats Verlag Wiesbaden 1994 ISBN 978 3 8244 4156 3 Patrick Kupper Atomenergie und gespaltene Gesellschaft Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst Chronos Zurich 2003 ISBN 978 3 0340 0595 1 Dominik Metzler Die Option einer Nuklearbewaffnung fur die Schweizer Armee 1945 1969 Lizentiatsarbeit Basel 1995 Tobias Wildi Die Trummer von Lucens Eine gescheiterte Innovation im nationalen Kontext Memento vom 9 April 2011 imInternet Archive In Hans Jorg Gilomen et al Hrsg Innovationen Voraussetzungen und Folgen Antriebskrafte und Widerstande Chronos Zurich 2001 ISBN 978 3 0340 0518 0 S 421 436 Tobias Wildi Der Traum vom eigenen Reaktor Die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945 1969 Chronos Zurich 2003 ISBN 978 3 0340 0594 4 Tobias Wildi Die Reaktor AG Atomtechnologie zwischen Industrie Hochschule und Staat In Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte Band 55 1 2005 S 70 83 doi 10 5169 seals 81386 Quellen BearbeitenArbeitsgemeinschaft Lucens Versuchsatomkraftwerk Lucens Schlussbericht 1969 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung uber die Forderung des Baus und Experimentalbetriebes von Versuchs Leistungsreaktoren 26 Januar 1960 In Bundesblatt vom 11 Februar 1960 Heft 6 Band 1 S 473 495 Bundesbeschluss betreffend die Forderung des Baues und Experimentalbetriebes von Versuchs Leistungsreaktoren 15 Marz 1960 In Bundesblatt vom 31 Marz 1960 Heft 13 Band 1 S 1222 1223 Paul Ribaux Das Versuchsatomkraftwerk Lucens In Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute Hrsg Geschichte der Kerntechnik in der Schweiz Die ersten 30 Jahre 1939 1969 Oberbozberg 1992 S 133 149 Schlussbericht uber den Zwischenfall im Versuchs Atomkraftwerk Lucens 1979 Bruno Pellaud Die Anfange in der Schweiz In Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute Hrsg Geschichte der Kerntechnik in der Schweiz Die ersten 30 Jahre 1939 1969 Oberbozberg 1992 S 29 45 Otto Luscher Die Schweizer Reaktorlinie In Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute Hrsg Geschichte der 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Der vergessene Schweizer Atom GAU Artikel in der Pendlerzeitung 20 Minuten Der atomare Versuchsreaktor in Lucens Kurzfilm uber die Baustelle in Lucens aus dem Jahre 1965 franzosisch Transport von Abfallen aus Lucens ins ZWILAG Medienmitteilung des Bundesamtes fur Energie BFE Versuchsatomkraftwerk Lucens Weitere Medienmitteilung des BFEs Findmittel zum Bestand Archiv zur Geschichte der Kernenergie in der Schweiz im Hochschularchiv der ETH Zurich doi 10 3929 ethz a 005148646 Artikelserie des Eidgenossischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI zum Versuchsatomkraftwerk Lucens Website des ENSIEinzelnachweise Bearbeiten Wildi 2003 S 27 28 Wildi 2003 S 46 47 Wildi 2005 Wildi 2003 S 81 War der Bau des schweizerischen Versuchs Leistungsreaktors militarisch orientiert S 7 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung uber die Forderung des Baus und Experimentalbetriebes von Versuchs Leistungsreaktoren 1960 S 485 Bundesbeschluss betreffend die Forderung des Baues und Experimentalbetriebes 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Atomenergie in der Schweiz a b c d Depot et abri des biens culturels Lucens VD CH PDF In Site officiel ETAT DE VAUD 4 Juni 2018 S 20 abgerufen am 6 September 2021 franzosisch Cinematheque suisse Eckdaten zur Geschichte Abgerufen am 6 September 2021 Bundesamt fur Gesundheit Medienmitteilung 4 April 2012 a b Christophe Buchi Eine Arche der Verganglichkeit In Neue Zurcher Zeitung 16 Marz 2010 abgerufen am 6 September 2021 Normdaten Korperschaft GND 4740641 0 lobid OGND AKS VIAF 247402488 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reaktor Lucens amp oldid 238239028