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Der Kyschtym Unfall ereignete sich am 29 September 1957 in der Kerntechnischen Anlage Majak russisch proizvodstvennoe obedinenie Mayak einer Anlage zur industriellen Herstellung spaltbaren Materials in der Sowjetunion Als einziger Atomunfall der Stufe 6 auf der Internationalen Bewertungsskala fur nukleare Ereignisse INES 6 gilt er als drittschwerster Unfall der Geschichte 1 nach den Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 die beide mit INES 7 kategorisiert sind 2 1 Bei dem Ereignis das nach der nahegelegenen russischen Stadt Kyschtym benannt ist wurden sehr grosse Mengen radioaktiver Substanzen freigesetzt Inhaltsverzeichnis 1 Unfallgeschehen 2 Offentliche Wahrnehmung 3 Kontamination heute 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseUnfallgeschehen BearbeitenFur den Bau russischer Atombomben wurde spaltbares 239Pu Plutonium aus der Aufbereitung abgebrannter Uranbrennstabe gewonnen Dabei fielen hochradioaktive flussige Ruckstande an Diese wurden in grossen Tanks gelagert welche auf Grund der Nachzerfallswarme die durch den radioaktiven Zerfall der Stoffe entsteht gekuhlt werden mussen Die zylindrischen Behalter aus Stahl mit einem Volumen von jeweils zirka 250 Kubikmetern lagerten unter der Erde in einer Fassung aus Stahlbeton und bedeckt von mehrere Tonnen schweren Deckeln Daruber lag eine etwa eineinhalb Meter dicke Erdschicht Die Behalter enthielten jeweils etwa 80 Tonnen hochradioaktiver Flussigkeit in Form von Salzlosungen vorwiegend Nitraten Als im Laufe des Jahres 1956 die Kuhlleitungen eines dieser Tanks undicht geworden waren und die Kuhlung ausgefallen war begann der Inhalt des Tanks zu trocknen Durch die Selbsterwarmung kam es am 29 September 1957 zu einer riesigen Explosion des ausgetrockneten Salzrestes Dabei wurden grosse Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt Darunter befanden sich vorwiegend langlebige Isotope wie z B 90Sr Strontium Halbwertszeit 29 Jahre 137Cs Casium 30 Jahre und 239Pu Plutonium 24 110 Jahre Es handelte sich um eine chemische Explosion da sie nicht durch eine nukleare Kettenreaktion ausgelost wurde nbsp Ostural Spur in Russland nbsp Durch den Kyschtym Unfall kontaminiertes Gebiet Ostural Spur nbsp Warnung vor radioaktiver Belastung in dem 1966 eingerichteten SchutzgebietDie radioaktiven Partikel wurden bis zu 1000 Meter hoch in die Luft geschleudert Insgesamt wurde durch den Unfall nach Angaben der Produktionsfirma Majak und der Behorden Materie mit einer Radioaktivitat von 400 PBq 4 1017 Bq uber eine Flache von etwa 20 000 km verteilt Der Unfall ist damit hinsichtlich der Radioaktivitat des freigesetzten Materials vergleichbar mit der Katastrophe von Tschernobyl Andere Quellen sprechen von deutlich hoheren Dosen Radioaktivitat Etwa 90 des radioaktiven Materials verblieben auf dem Betriebsgelande 10 wurden durch den Wind bis zu 400 km in nordostlicher Richtung verteilt Fallout und bildete die sogenannte Ostural Spur siehe Abbildungen 3 4 Im betroffenen Gebiet von 20 000 km lebten damals etwa 270 000 Einwohner Ein etwa 1000 km grosses Gebiet das mit mehr als 74 kBq pro Quadratmeter mit 90Sr kontaminiert war wurde sieben bis zehn Tage spater evakuiert Verschiedene Quellen sprechen von 600 bis 1200 Betroffenen Die durchschnittliche Aquivalentdosis auf das Knochenmark der 1054 Bewohner der drei am nachsten gelegenen Dorfer betrug etwa 570 mSv 5 Acht Monate spater wurden weitere 6500 Personen aufgrund der Kontamination ihrer Nahrung in Sicherheit gebracht Insgesamt wurden etwa 10 700 Personen umgesiedelt Ein Grossteil dieser Menschen wurde nicht gezielt medizinisch uberwacht so dass keine belastbaren Aussagen uber gesundheitliche Folgen fur die Personen aus den evakuierten Gebieten gemacht werden konnen 6 7 8 Auf der INES Skala stellt der Unfall ein Ereignis der Kategorie 6 dar das ist die zweithochste Kategorie 9 Nach Angaben des Helmholtz Zentrums Munchen wurden die Auswirkungen des Unfalls lange Zeit unterschatzt 10 Neueren Schatzungen zufolge musste der Unfall mit INES 7 bewertet werden dementsprechend wurde er auf derselben Stufe wie die Katastrophe von Tschernobyl 1986 und die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 stehen Im Gegensatz zur Katastrophe von Tschernobyl wurde das Material lokal bis regional verteilt Der heftige Grafitbrand in Tschernobyl beforderte einen Grossteil der Radionuklide hoch hinauf in die Atmosphare wahrend bei Majak aufgrund geringerer Thermik eine bodennahe Wolke entstand Die hohe Konzentration der Radioaktivitat mangelnde Aufklarung der Bevolkerung die nicht flachendeckende Evakuierung der Gegend und unzureichende Dekontamination fuhrten zu hohen Schaden in der betroffenen Region Eine genaue Opferzahl kann nicht angegeben werden da keine belastbaren Studien und Untersuchungen vorliegen Eine Vergleichsrechnung auf Basis der von den Behorden angegebenen radioaktiven Belastung kommt auf etwa 1000 zusatzliche Krebsfalle durch den Unfall 8 Das sind etwa 10 Prozent der damals in der dunn besiedelten naheren Region lebenden Bevolkerung 11 Offentliche Wahrnehmung Bearbeiten nbsp Denkmal fur die Rettungskrafte des Kyschtym UnfallsDie Explosion soll laut Zeugenberichten als leuchtender Schein noch hunderte Kilometer entfernt sichtbar gewesen und in damaligen sowjetischen Zeitungen als Wetterleuchten sowie Polarlicht erklart worden sein In spateren Veroffentlichungen beschrieb Schores Medwedew den Vorgang als vulkanartige Explosion 12 Aufgrund der Auswirkungen auf Westeuropa und der damit verbundenen umfangreichen Medienberichterstattung uber den Reaktorbrand in Tschernobyl wird die Tschernobyl Katastrophe von 1986 von Vielen als gravierendster Nuklearunfall angesehen da der Majak Unfall nicht an die Offentlichkeit gelangte Der Unfall konnte bis in die 1970er Jahre vertuscht werden da die Kontamination sich regional auf den Ural beschrankte und keine messbaren Effekte durch radioaktiven Niederschlag in Westeuropa feststellbar waren Die ersten Informationen gelangten durch einen Artikel des sowjetischen Wissenschaftler und Dissidenten Schores Medwedew in der Zeitschrift New Scientist 1976 an die westliche Offentlichkeit 13 14 1979 publizierte Medwedew seine Berichte und Analysen in dem Buch Bericht und Analyse der bisher geheimgehaltenen Atomkatastrophe in der UdSSR ging jedoch irrtumlich von einer atomaren Explosion aus 15 Die Enthullungen von Medwedew wurden damals von westlichen Wissenschaftlern bezweifelt Medwedew selbst vermutete dahinter das Interesse Atomkraft als ungefahrlich erscheinen zu lassen da zu dieser Zeit in vielen westlichen Landern Kernkraftwerke gebaut wurden 16 Die sowjetische Fuhrung gestand erst 1989 die Geschehnisse offiziell ein 13 Kontamination heute Bearbeiten Hauptartikel Kerntechnische Anlage Majak Der Unfall setzte grosse Mengen an radioaktivem Material frei Auch bei einem weiteren Zwischenfall bei dem 1967 radioaktiv kontaminierte Sedimentstaube aus dem Karatschai See durch Winde ins Umland getragen wurden ging ein Teil des Materials erneut in den bereits durch den Kyschtym Unfall betroffenen Gebieten nieder Eine wissenschaftliche Untersuchung der russischen und der norwegischen Regierung von 1997 kommt zu dem Ergebnis dass seit 1948 von Majak 90Sr und 137Cs mit einer Aktivitat von insgesamt 8 9 Exa Becquerel EBq 8 9 1018 Bq in die Umwelt abgegeben wurden 17 Hinzu kommen Emissionen weiterer radioaktiver Elemente wie 239Pu Umweltorganisationen schatzen dass dadurch etwa 500 000 Personen erhohten Strahlendosen ausgesetzt waren 18 Aufgrund der radioaktiven Belastung der Arbeiter und der Bevolkerung durch den Betrieb der Anlage werden dort in den letzten Jahren verstarkt Untersuchungen zu den Auswirkungen solcher radioaktiver Belastungen auf Menschen durchgefuhrt auch weil in Majak im Vergleich zu ahnlichen Anlagen uberdurchschnittlich viele Frauen arbeiten beziehungsweise arbeiteten 19 Die radioaktive Belastung der Region ist seit dem 1 August 2005 Untersuchungsgegenstand des internationalen Forschungsprojekts Southern Urals Radiation Risk Research SOUL 20 Die Koordination obliegt dem Helmholtz Zentrum Munchen 21 Siehe auch BearbeitenListe von Unfallen in kerntechnischen Anlagen Liste von KernkraftanlagenLiteratur BearbeitenIgor Kudrik Aleksandr Nikitin Charles Digges Nils Bohmer Vladislav Larin Vladimir Kuznetsov The Russian Nuclear Industry The Need for Reform Bellona Report Volume 4 2004 PDF 3 0 MB Bellona Foundation 1 November 2004 S 47 69 abgerufen am 24 April 2010 englisch Zhores Medwedjew Bericht und Analyse der bisher geheimgehaltenen Atomkatastrophe in der UdSSR deutsch von Anne Herbst Oltmanns Mit einem Vorwort von Robert Jungk Hoffmann und Campe Hamburg 1979 ISBN 3 455 08888 0 Carola Paulsen Morbiditat bei 80 akzidentell seit 1949 chronisch strahlenexponierten Anwohnern des Techa River Sudural Universitat Ulm 2001 Dissertation Universitat Ulm 6 Dezember 2001 vts uni ulm de PDF 1 9 MB 253 Seiten Thomas B Cochran Robert S Norris Oleg A Bukharin Making the Russian Bomb From Stalin to Yeltsin PDF 2 2 MB Natural Resources Defence Council 1995 abgerufen am 8 August 2018 englisch Nils Boehmer Thomas Nilsen Reprocessing plants in Siberia Nicht mehr online verfugbar In Bellona Working Paper 4 1995 1995 archiviert vom Original am 22 Dezember 2001 abgerufen am 14 November 2010 englisch Serhii Plokhy Atoms and Ashes From Bikini Atoll to Fukushima Allen Lane London 2022 ISBN 978 0 241 51677 5 Kap 2 Northern Lights Kyshtym englisch eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Kerntechnische Anlage Majak Album mit Bildern Videos und Audiodateien Homepage der PO Majak Proizvodstvennoe obedinenie Mayak segodnya russisch SOUL Southern Urals Radiation Risk Research Multilaterales Forschungsprojekt unter Koordination des Helmholtz Zentrum Munchen Dokumentation von Greenpeace englisch 2002 Memento vom 26 Oktober 2012 im Internet Archive Greenworld Russia Verseuchtes Land Die Atomfabrik Majak Dokumentarfilm Russland 2009 31 Min russisch mit deutschen UntertitelnEinzelnachweise Bearbeiten a b Stephan Dorner dpa Was hinter der Katastrophen Skala steckt Handelsblatt 12 April 2011 abgerufen am 12 April 2011 Christian Kocourek Unter Ausschluss der Offentlichkeit Nicht mehr online verfugbar zehn de archiviert vom Original am 10 April 2011 abgerufen am 12 April 2011 Richard Stone Retracing Mayak s Radioactive Cloud In Science Band 283 Nr 5399 1999 S 164 doi 10 1126 science 283 5399 164 Hintergrundinformation 50 Jahre Strahlenunfall von Kysthym Helmholtz Zentrum Munchen Presseinformation vom 20 September 2007 William J Standring Mark Dowdall Per Strand Overview of Dose Assessment Developments and the Health of Riverside Residents Close to the Mayak PA Facilities Russia In International Journal of Environmental Research and Public Health Band 6 Nr 1 2009 S 174 199 doi 10 3390 ijerph6010174 Thomas B Cochran Robert Standish Norris Kristen L Suokko Radioactive Contamination at Chelyabinsk 65 Russia In Annual Review of Energy and the Environment Nr 18 1993 S 507 528 doi 10 1146 annurev eg 18 110193 002451 Tatiana Sazykina Ivan I Kryshev Radiation effects in wild terrestrial vertebrates e the EPIC collection In Journal of Environmental Radioactivity Nr 88 2006 S 11 48 doi 10 1016 j jenvrad 2005 12 009 a b Thomas B Cochran Robert S Norris Oleg A Bukharin Making the Russian Bomb From Stalin to Yeltsin PDF 2 2 MB Nicht mehr online verfugbar Natural Resources Defence Council 1995 S 65 109 archiviert vom Original am 14 Dezember 2010 abgerufen am 14 November 2010 englisch Internationale Atomenergie Organisation INES The international nuclear and radiological event scale PDF 193 kB Information Series Division of Public Information 08 26941 E Abgerufen am 13 Marz 2011 englisch Helmholtz Zentrum Munchen Interview mit Peter Jacob 25 September 2007 mit MP3 podcast und PDF Stephanie Cooke Atom die Geschichte des nuklearen Zeitalters 2010 S 177 Zhores Medwedew Bericht und Analyse der bisher geheimgehaltenen Atomkatastrophe in der UdSSR Hoffmann und Campe Hamburg 1979 zitiert nach Zehntausende wurden verseucht Reaktor Sicherheit und Reaktor Unfalle im Ostblock In Der Spiegel Nr 15 1979 online a b Henning Sietz Das Menetekel von Majak In Die Zeit Nr 34 2007 Nr 34 S 70 Heinz Jorg Haury Erster schwerer Atomunfall Die Spur von Majak In FAZ 29 September 2007 Manfred Quiring Der bestverschwiegene GAU der Geschichte In Welt Online 26 September 2007 abgerufen am 21 Februar 2011 Schores Medwedew im Interview in dem Film Albtraum Atommull von Eric Gueret gesendet am 13 Oktober 2009 auf arte Rob Edwards Russia s Toxic Shocker In New Scientist 6 Dezember 1997 S 15 kostenpflichtig Igor Kudrik Aleksandr Nikitin Charles Digges Nils Bohmer Vladislav Larin Vladimir Kuznetsov The Russian Nuclear Industry The Need for Reform Bellona Report Volume 4 2004 PDF 3 0 MB Nicht mehr online verfugbar Bellona Foundation 1 November 2004 S 47 69 archiviert vom Original am 15 Februar 2010 abgerufen am 24 April 2010 englisch L Anspaugh M Degteva E Vasilenko Mayak Production Association Introduction In Radiation and Environmental Biophysics Ausgabe 41 Nummer 1 1 Marz 2002 S 19 22 abgerufen am 10 November 2010 englisch Southern Urals Radiation Risk Research Nicht mehr online verfugbar In helmholtz muenchen de Archiviert vom Original am 11 September 2010 abgerufen am 10 August 2010 englisch Southern Urals Radiation Risk Research Contractors t Memento vom 17 Oktober 2013 im Internet Archive 55 693638888889 60 804333333333 Koordinaten 55 41 37 1 N 60 48 15 6 O Nuklearunfalle ab INES Stufe 5 Ernster Unfall INES 7 Tschernobyl 1986 Fukushima Daiichi 2011 nbsp INES 6 Kyschtym 1957 INES 5 Chalk River 1952 Sellafield 1957 Santa Susana 1959 Belojarsk 1977 Harrisburg 1979 Tschernobyl 1982 Wladiwostok 1985 Goiania 1987 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kyschtym Unfall amp oldid 236204358