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Das Kantonsystem auch Kantonssystem oder Kantonreglement wurde durch Konig Friedrich Wilhelm I im Jahr 1733 in Preussen zur Unterhaltung eines stehenden Heeres eingefuhrt Die weitreichenden und sichtbaren Auswirkungen des Kantonsystems auf Preussen trugen unter anderem dazu bei dass Friedrich Wilhelm I unter dem Beinamen Soldatenkonig bekannt wurde Im Jahr 1813 ersetzte die Preussische Heeresreform das Kantonsystem durch die Allgemeine Wehrpflicht Der Name Kantonsystem geht auf die Einteilung des Staates in sogenannte Enrolierungskantone zuruck aus denen die Rekruten regimentsweise ausgehoben wurden Ein preussischer Kanton umfasste fur ein Infanterieregiment etwa 5 000 Feuerstellen d h Haushalte beziehungsweise 1 800 Feuerstellen fur ein Kavallerieregiment die Kantone wurden fur die Kompaniewirtschaft weiter in Distrikte aus sieben bis zehn Dorfern unterteilt in diesen Distrikten zog dann der jeweilige Kompaniechef pro Jahr drei bis vier Kantonisten ein Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 2 Vorteile 3 Nachteile 3 1 Beschaffung von Ersatz 3 2 Sippenhaft 3 3 Dienstpflicht 3 4 Soldatenhandel 3 5 Missbrauch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGrundlagen BearbeitenDas Kantonsystem kann als eine weniger ausgereifte Vorstufe der heutigen Wehrpflicht angesehen werden Grundlage des Kantonsystems war eine fur alle Untertanen bestehende Dienstpflicht Die Dienstpflichtigen wurden anlasslich ihrer Konfirmation meist direkt durch den Pfarrer enroliert registriert und die Register alljahrlich in den jeweiligen Kantonen aktualisiert Enrolierte zwischen 16 und 24 Jahren konnten im Rahmen der jahrlichen Fruhjahrsmusterung eingezogen werden sobald sie eine Korpergrosse von mindestens 1 73 Metern erreicht hatten wer die Altersgrenze bereits uberschritten hatte oder die geforderte Grosse nicht erreichte konnte stattdessen entweder einem Garnisonregiment uberwiesen oder ganz aus der Enrolierung entlassen werden Die Dauer der Dienstverpflichtung bestand zwar de jure lebenslang im Regelfall dauerte sie allerdings nur bis zu 20 Jahre in Friedenszeiten hatten Kantonisten nach der zweijahrigen Ausbildung eine jahrliche Dienstpflicht von zwei Monaten zu erfullen und waren fur die restliche Zeit des Jahres ohne Sold von der Armee beurlaubt Unter der Regierung Friedrichs II machten die Kantonisten in Friedenszeiten etwa 40 des Personals der preussischen Armee aus 1 Das Prinzip einer allgemeinen Dienstpflicht kollidierte allerdings mit der Tatsache dass zahlreiche Bevolkerungsgruppen durch das Kantonsystem nicht erfasst wurden dazu gehorten etwa Geistliche oder Adelige die aber vielfach freiwillig in die Armee eintraten um als Offiziere zu dienen weiter Angehorige der Glaubensgemeinschaft der Mennoniten bestimmte Handwerksberufe Bewohner der traditionell privilegierteren Stadte sowie die Bewohner von Regionen die fur die Wirtschaft wichtig waren Vorteile BearbeitenEin Vorteil des Kantonsystems gegenuber der vorher ublichen Zwangsrekrutierung war die genaue staatliche Regelung der Rekrutierung sowie eine zumindest teilweise Gleichbehandlung der niederen Stande Zusatzlich wurde auch versucht die Rekrutierung in den Kantonen so zu gestalten dass die wirtschaftliche Lebensfahigkeit des jeweiligen Kantons erhalten blieb Ein Indiz fur den Vorteil des Kantonsystems war die wesentlich geringere Rate an Fahnenfluchten unter den Kantonisten daruber hinaus trug das Kantonsystem zusammen mit anderen weitreichenden Reformen zum wirtschaftlichen Aufschwung Preussens unter Friedrich Wilhelm I bei Eine weitere Neuerung dieses System war auch dass sich im Gegensatz zu den bis dahin ublichen Soldnerheeren die Burger ihrem Heimat bzw Vaterland in gewisser Weise zu einer Dienstleistung verpflichtet sahen andererseits bildete das Kantonsystem auch eine der Grundlagen des preussischen Militarismus Aufgrund der sichtbaren Erfolge Preussens wurde das Kantonsystem bereits nach relativ kurzer Zeit auch von anderen Staaten des Deutschen Reiches ubernommen so z B von Osterreich und Hessen Kassel Nachteile BearbeitenBeschaffung von Ersatz Bearbeiten Wurde in einer Schlacht ein Regiment aufgerieben musste der jeweils zustandige Kanton fur Personalersatz sorgen Dabei wurde zunachst versucht Freiwillige anzuwerben reichten diese nicht aus wurde im Kanton rekrutiert Damit waren die Kantone jedoch oft uberfordert und es kam zwangslaufig zu einer Entvolkerung des Kantons durch Rekrutierungsmethoden die der Zwangsrekrutierung durch die fruher ublichen Presskommandos sehr ahnlich waren Die Werber gingen also in Bauernhauser und holten den nachsten Sohn der Familie mit Hinweis auf dessen Dienstpflicht ab Das war gemass dem Gesetz uber das Kantonssystem legal ja sogar notwendig um das jeweilige Regiment in kurzester Zeit wieder kampfbereit zu machen allerdings wurde dies aber von den Betroffenen als ahnlich ungerecht empfunden wie die vorher ubliche Methode der Zwangsrekrutierung Zusatzlich fuhrten diese Zwangsrekrutierungen zu einem Mangel an Arbeitskraften im Land und zur Landflucht da Bewohner der Stadte nicht von den Einberufungen betroffen waren und es damit moglich war der Einberufung zu entkommen Sippenhaft Bearbeiten Desertierte ein Soldat aus seinem Regiment wurde dessen Ersatzmann aus derselben Gemeinde rekrutiert aus der der Deserteur stammte Dies war vorzugsweise ein Blutsverwandter des Deserteurs und sonst ein anderer Bewohner des Dorfes was auch in weiterer Folge zu Konflikten in der Dorfgemeinschaft fuhrte Weitere mogliche Sanktionen waren zum Beispiel die Konfiszierung des gesamten Eigentums des Deserteurs das Niederbrennen seines Hauses oder auch Repressalien gegen dessen Angehorige in Form einer Sippenhaftung dabei wurde das Eigentum der Angehorigen ebenfalls eingezogen oder man delogierte diese wenn sie im selben Haus wie der Fahnenfluchtige wohnten All das trug ebenfalls erheblich zu der niedrigen Desertationsrate der Kantonisten bei Dienstpflicht Bearbeiten Ein Zuwiderhandeln gegen die Dienstpflicht stand als Landesverrat unter hoher Strafe Ausserdem gab es fur die niedrigen Stande keinerlei Moglichkeit sich von der Dienstpflicht zu befreien da diese oft Unfreie waren denen es das damalige Rechtssystem unmoglich machte irgendwelche Rechte einzuklagen Damit kam die Aushebung von Truppen faktisch einer Zwangsmassnahme gleich Soldatenhandel Bearbeiten Die deutschen Staaten die sich am Soldatenhandel also an der Vermietung von Soldaten an andere Staaten beteiligten rekrutierten die dafur erforderlichen Truppen ebenfalls nach den Regelungen des Kantonsystems Wahrend die einen in diesem Soldatenhandel und insbesondere auch in der Vermietung von Soldnern aufgrund von Subsidienvertragen im 18 Jahrhundert eine legale Angelegenheit ohne Zwangsmassnahmen sehen in der eben Soldaten freiwillig und gegen Entgelt in fremden Heeren dienten weisen andere darauf hin dass aufgrund der Kombination aus Kantonsregelung und der im Absolutismus vorhandenen Standesunterschiede diese Freiwilligkeit relativiert betrachtet werden muss Missbrauch Bearbeiten Grundgedanke fur das Kantonsystem war der Wunsch Friedrich Wilhelms I sein Land zu reformieren und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu bewirken Weiterhin sollte durch das Kantonsystem standig ein gut ausgebildetes stehendes Heer verfugbar sein damit sich Preussen jederzeit gegen Angriffe von aussen verteidigen konnte Das Kantonsystem wurde aber auch angewandt um Soldnerheere aufzustellen die eben nicht zur Verteidigung des eigenen Landes dienten sondern die Preussen an andere Staaten vermieten konnte Auch in diesem Fall erfolgte die Rekrutierung der dafur zusatzlich erforderlichen Truppen gemass dem Kantonsystem Literatur BearbeitenHans Bleckwenn Unter dem Preussen Adler Munchen 1978 Otto Busch Militarsystem und Sozialleben im alten Preussen 1713 1807 Die Anfange der sozialen Militarisierung der preussisch deutschen Gesellschaft Frankfurt am Main Berlin 1981 Christopher Clark Preussen Aufstieg und Niedergang 1600 1947 Bonn 2007 Gordon Craig Die preussisch deutsche Armee 1640 1945 Staat im Staate Dusseldorf 1960 Siegfried Fiedler Kriegswesen und Kriegfuhrung im Zeitalter der Kabinettskriege Koblenz 1986 Hartmut Harnisch Preussisches Kantonsystem und landliche Gesellschaft In Bernhard Kroener Ralf Prove Krieg und Frieden Militar und Gesellschaft in der Fruhen Neuzeit Paderborn 1996 S 137 165 Otto Hintze Die Hohenzollern und ihr Werk Darmstadt 1979 80 Curt Jany Geschichte der Preussischen Armee vom 15 Jahrhundert bis 1914 Von den Anfangen bis 1740 Band I Osnabruck 1967 Jurgen Kloosterhuis Das Kantonsystem im preussischen Westfalen In Bernhard Kroener Ralf Prove Krieg und Frieden Militar und Gesellschaft in der Fruhen Neuzeit Paderborn 1996 S 167 190 Karl Lange Preussische Soldaten im 18 Jahrhundert Oberhausen 2003 Max Lehmann Werbung Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelm s I In Heinrich von Sybel Max Lehmann Historische Zeitschrift Band LXVII Munchen Leipzig 1891 S 254 289 Dieter Sinn Der Alltag in Preussen Frankfurt am Main 1991 Wilhelm Treue Acta Borussica Die Behordenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preussens im 18 Jahrhundert Band VI Frankfurt am Main 1986 87 Wolfgang Venohr Der Soldatenkonig Revolutionar auf dem Thron Frankfurt am Main Berlin 1990 Eugen von Frauenholz Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens Band IV Munchen 1940 Martin Winter Untertanengeist durch Militarpflicht Das preussische Kantonsystem in brandenburgischen Stadten im 18 Jahrhundert Bielefeld 2005 Weblinks BearbeitenInformation zur preussischen ArmeeEinzelnachweise Bearbeiten Martin Guddat Handbuch zur preussischen Militargeschichte 1688 1786 Mittler Hamburg 2011 ISBN 978 3 8132 0925 9 S 236 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kantonsystem amp oldid 230809175