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Ingo Pies 1964 in Arnsberg ist ein deutscher Okonom und Wirtschaftsethiker Er ist Inhaber des Lehrstuhls fur Wirtschaftsethik an der Martin Luther Universitat Halle Wittenberg schriftleitender Herausgeber der Fachzeitschrift ORDO Jahrbuch fur die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Herausgeber der Buchreihe Okonomik und Ethik Studien zur Sozialstruktur und Semantik moderner Governance und Mitherausgeber der Reihen Konzepte der Gesellschaftstheorie sowie Angewandte Ethik Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Theorie 3 Rezeption 4 Siehe auch 5 Schriften Auswahl 6 Weblinks 7 Einzelnachweise und AnmerkungenLeben BearbeitenPies studierte als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes Volkswirtschaftslehre an der Westfalischen Wilhelms Universitat in Munster Er promovierte 1992 an der Katholischen Universitat Eichstatt Ingolstadt bei Karl Homann mit einer Arbeit uber Normative Institutionenokonomik Nach Forschungsaufenthalten bei Gary S Becker an der University of Chicago und bei James M Buchanan an der George Mason University in Fairfax Virginia beide Nobelpreistrager folgte 1999 seine Habilitation bei Karl Hans Hartwig wieder in Munster Seit 2002 ist Pies Inhaber des Lehrstuhls fur Wirtschaftsethik an der Martin Luther Universitat Halle Wittenberg Theorie BearbeitenPies versteht Wirtschaftsethik nicht als eine Ethik fur die Wirtschaft sondern als eine allgemeine praktische Ethik mit okonomischer Methode d h als eine okonomische Theorie der Moral Der von Pies vertretene Ansatz lasst sich in zwei Punkten zusammenfassen Seine Wirtschaftsethik sucht nach institutionellen Reformen um moralische Anliegen nicht durch eine Ausserkraftsetzung sondern gerade umgekehrt durch eine bessere Inkraftsetzung des Marktes zur Geltung zu bringen Wettbewerb sei weder Selbstzweck noch per se moralisch abzulehnen Vielmehr konne Konkurrenz unter bestimmten Bedingungen als Instrument gesellschaftlicher Kooperation fur eine allgemeine Besserstellung in Dienst genommen werden Seine Unternehmensethik sucht nach institutionellen Bindungen durch die Unternehmen als Wertschopfungsagenten im gesellschaftlichen Auftrag produktiv tatig werden konnen Moral und Gewinnstreben stunden folglich nicht in einem unauflosbaren Widerspruch Vielmehr sei es den Unternehmen als Corporate Citizens moglich Moral als Produktionsfaktor einzusetzen Methodologisch stosst sich dieser konstruktivistische Ansatz an einem Dualismus verschiedener sich scheinbar antagonistisch gegenuberstehender Werte wie etwa Profit versus Moral Freiheit versus Gerechtigkeit Solidaritat versus Effizienz Okologie versus Okonomie Staat versus Markt und so fort Eine jede Argumentation die sich innerhalb eines solchen Werte Trade off positioniert sei weder mit Max Webers Werturteilsfreiheitspostulat 1 vereinbar noch sei sie zweckmassig zur praktischen Implementierung moralischer Anliegen denn sie fuhre stets nur den einen gegen den anderen Wert ins Feld und verscharfe dadurch soziale Konflikte anstatt sie zu uberwinden Die positive Okonomik Gary Beckers 1 mit der normativen Konstitutionenokonomik James Buchanans 2 verbindend versucht Pies das Problem der Implementierung von Moral mittels des semantischen Konstrukts der orthogonalen Positionierung 3 zu losen Dieses metatheoretische Konzept sieht vor praktisch relevante Probleme erstens nicht als reine Interessenkonflikte bzw Nullsummenspiele zu rekonstruieren sondern als soziale Dilemmasituationen nach dem Typ des Gefangenendilemmas in denen das gleichzeitige Vorliegen konfligierender und gemeinsamer Interessen die Konfliktparteien in ein Pareto inferiores Nash Gleichgewicht fuhrt Dem Ansatz zufolge lasst sich prinzipiell jedes 4 sic gesellschaftlich relevante Problem als soziales Dilemma bzw als Problem kollektiven Handelns im Sinne Mancur Olsons rekonstruieren Derartige Dilemmasituationen lassen sich nun in einem zweiten Schritt uberwinden Hierzu fuhrt Pies eine terminologisch an die Spieltheorie und systematisch an die Ordnungspolitik 5 angelehnte Unterscheidung zwischen Spielzugen und diese kanalisierenden Spielregeln ein Wahrend aus einer dualistischen Perspektive stets nur moralisierende Appelle an die Spieler adressiert werden konnten in einem gegebenen Spiel auf der Ebene der Spielzuge zugunsten einer postulierten Moral gegen ihre eigenen Interessen verstossen zu sollen sei es aus der Perspektive der orthogonalen Positionierung den Spielern nun moglich mittels individueller oder kollektiver Selbstbindungen im Sinne Thomas C Schellings 6 und Jon Elsters 7 die Spielregeln so zu modifizieren dass ein im Vergleich zum Status quo Pareto superiores also wechselseitig vorteilhaftes und somit konsensfahiges Ergebnis erreicht werden kann Dadurch wurden die ursprunglich als Gegner wahrgenommenen Konfliktparteien zu potentiellen Gesellschaftsvertrags bzw Tauschpartnern die trotz konfligierender Handlungsinteressen ein gemeinsames Regelinteresse an wechselseitiger Besserstellung haben Um solche wechselseitigen Besserstellungspotentiale praktisch verwirklichen zu konnen sei allerdings drittens ein Paradigmawechsel im Sinne Thomas S Kuhns anzustreben denn solange die oben skizzierte dualistisch moralisierende Semantik den Regelfindungsdiskurs dominiere werde die systematische Suche nach wechselseitig vorteilhaften Selbstbindungsstrategien und auch ihre Implementierung ver oder zumindest behindert In seinen neueren Schriften betont Pies die Interdependenz von Sozialstruktur und Semantik und bezeichnet eine Analyse dieser Interdependenz als Ordonomik 8 Diejenige Semantik welche die Wahrnehmungs und Deutungsmuster der Menschen und damit auch ihre Problemlosungsstrategien heute noch weitgehend prage habe sich als Antwort auf Probleme entwickelt die historisch in kleinen Gemeinschaften wie etwa der Familie oder der Dorfgemeinschaft aufgetreten sind Diese im moralischen Diskurs heute noch dominante Kleingruppen Semantik sei deshalb in weiten Teilen nicht nachhaltig sondern oft dysfunktional zur Losung neuartiger Probleme die sich im Zuge einer immer rasanteren Entwicklung hin zu einer anonymen globalen pluralistisch strukturierten offenen Gesellschaft im Sinne Karl Poppers unausweichlich stellen Aufgabe einer ordonomischen Wirtschaftsethik sei es Diskrepanzen zwischen Sozialstruktur und Semantik offenzulegen und sie durch ggf wechselseitige Anpassungen zu uberwinden Die Piessche dreistufige Unterscheidung zwischen Spielzugen Wirtschaft Spielregeln Politik und Regelfindungsdiskurs Semantik lasst sich als Analogie zu Karl Poppers Drei Welten Lehre deuten Rezeption BearbeitenNach Heinz Grossekettler ist schwer ersichtlich welche Abhilfe die Methodik der orthogonalen Positionierung bringen soll Die Problematik der heutigen Zeit sei weniger die Ausarbeitung paretosuperiorer Vorschlage sondern eine ernsthafte sachkompetente Diskussion uberhaupt herbeizufuhren Zudem konne nicht jedes wirtschaftswissenschaftliche Problem als Werte oder Interessenkonflikt dargestellt werden Die Forderung nach einem Ubergang von dem Euckenschen Denken in Ordnungen zu einem Denken in Anreizen lauft leer weil das Denken in Anreizen Stabilitatsprobleme und echte Interessengegensatze gar nicht thematisiert 9 Nach Markus C Kerber bleibt die Wirkung der Piesschen These von der Theoriebedurftigkeit gesellschaftlicher Probleme schmal Die Anwendung des Konzepts einer orthogonalen Positionierung auf konkrete Fragen fuhrt selten uber bekannte Positionen des okonomischen Diskurses hinaus Den Antagonismus von Markt und sozial motivierter Umverteilung als nicht notwendigen Gegensatz zu qualifizieren welcher durch die Idee einer Sozialpolitik fur den Markt ersetzbar sei sei lediglich eine diskursive Formel jedoch kein Konzept Die konkrete Anwendung bleibe vage 10 Siehe auch BearbeitenOrdnungspolitik Vertragstheorie Transzendentalphilosophie Radikaler KonstruktivismusSchriften Auswahl BearbeitenNormative Institutionenokonomik Zur Rationalisierung des politischen Liberalismus J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 1993 zugleich Dissertation Ordnungspolitik in der Demokratie Ein okonomischer Ansatz diskursiver Politikberatung J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2000 zugleich Habilitationsschrift Eucken und von Hayek im Vergleich Zur Aktualisierung der ordnungspolitischen Konzeption J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2001 ISBN 3 16 147636 0 Wie bekampft man Korruption Lektionen der Wirtschafts und Unternehmensethik fur eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung wvb Berlin 2008 ISBN 978 3 86573 359 7 Ingo Pies Markus Beckmann Stefan Hielscher Wie Unternehmen dem Vertrauensverlust im System und ins System der Marktwirtschaft unternehmerisch begegnen konnen In Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis BFuP 2009 Jg 61 Heft 5 S 442 464 Ingo Pies Stefan Hielscher Markus Beckmann Wie konnen Corporate Citizens voneinander lernen Ordonomische Anregungen fur inter organisationales Lernen im Global Compact der Vereinten Nationen In Zeitschrift fur Wirtschafts und Unternehmensethik zfwu 2009 Heft 10 1 S 41 65 Ingo Pies Stefan Hielscher Markus Beckmann Moral Commitments and the Societal Role of Business An Ordonomic Approach to Corporate Citizenship In Business Ethics Quarterly 2009 19 3 S 375 401 Ingo Pies Stefan Hielscher Markus Beckmann Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensethik Ein ordonomischer Beitrag zum Kompetenzaufbau fur Fuhrungskrafte In DBW Die Betriebswirtschaft 2009 69 Jg Heft 3 S 315 330 Ingo Pies Martin Leschke Ludwig von Mises okonomische Argumentationswissenschaft Mohr Tubingen 2010 ISBN 978 3 16 150514 0 Weblinks BearbeitenHomepage des Lehrstuhls von Ingo Pies Professorenprofil und Interview mit Ingo Pies Memento vom 26 Juli 2009 im Internet Archive in WISU Magazin 07 2008 Arne Stuhr Falsche Schublade Schuld und Suhne In manager magazin 31 Marz 2010 manager magazin de Interview mit Ingo Pies zur Bankenabgabe Zweiter Offener Brief an Markus Henn WEED Diskussionspapier Nr 2012 17 30 September 2012 uni halle de zur Regulierung der Spekulation mit Agrarrohstoffen Ingo Pies im Katalog der ZBW Leibniz Informationszentrum Wirtschaft ZBW Einzelnachweise und Anmerkungen Bearbeiten a b Ingo Pies Okonomischer Ansatz und Normativitat Zum wertfreien Umgang mit Werten In Ingo Pies Martin Leschke Hrsg Gary Beckers okonomischer Imperialismus J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 1998 S 107 135 Ingo Pies Public Choice versus Constitutional Political Economics A Methodolodical Interpretation of the Buchanan Research Program In Constitutional Political Economy Band 7 1996 S 21 34 Der Begriff bezieht sich auf eine gedanklich rechtwinklige Positionierung zu einem vermeintlichen Konflikt zweier Werte Es gehe also nicht darum einen Kompromiss zwischen solchen Werten zu finden sondern nach alternativen Losungen zu suchen die es ermoglichen wurden beide Werte umfassender zu verwirklichen als es im Status quo der Fall ist Vgl Ingo Pies Ordnungspolitik in der Demokratie Ein okonomischer Ansatz diskursiver Politikberatung J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2000 Martin Petrick Ingo Pies In Search for Rules that Secure Gains from Cooperation The Heuristic Value of Social Dilemmas for Normative Institutional Economics In European Journal of Law and Economics Band 23 Heft 3 2007 S 251 271 speziell S 257 Karl Homann Ingo Pies Wirtschaftsethik und Ordnungspolitik Die Rolle wissenschaftlicher Aufklarung In Helmut Leipold und Ingo Pies Hrsg Ordnungstheorie und Ordnungspolitik Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven Stuttgart 2000 S 329 346 Ingo Pies Eucken und von Hayek im Vergleich Zur Aktualisierung der ordnungspolitischen Konzeption J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2001 sowie Ingo Pies Martin Leschke Hrsg F A von Hayeks konstitutioneller Liberalismus J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2003 Ingo Pies Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts und Gesellschaftspolitik Der Beitrag von Thomas Schelling In Ingo Pies Martin Leschke Hrsg Thomas Schellings strategische Okonomik J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2007 S 1 37 Ingo Pies Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts und Gesellschaftspolitik Der Beitrag Jon Elsters In Ingo Pies Martin Leschke Hrsg Jon Elsters Theorie rationaler Bindungen J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 2008 S 1 31 Die Wortschopfung Ordonomik lasst sich wortlich als Ordnungslehre ubersetzen Vgl dazu Ingo Pies Markt versus Staat Uber Denk und Handlungsblockaden in Zeiten der Globalisierung In K Graf Ballestrem V Gerhardt K Ottmann M P Thompson und B Zehnpfennig Hrsg Politisches Denken Jahrbuch 2006 2007 Duncker amp Humblot Berlin 2007 S 259 293 und Ingo Pies Markt und Organisation Programmatische Uberlegungen zur Wirtschafts und Unternehmensethik In Wolfgang Kersting Hrsg Moral und Kapital Grundfragen der Wirtschafts und Unternehmensethik mentis Paderborn 2008 S 27 58 Heinz Grossekettler Walter Euckens Ordnungspolitik im Spiegel der Beitrage dieses Bandes und seines Gesamtwerks In Ingo Pies Martin Leschke Walter Euckens Ordnungspolitik ISBN 3 16 147919 X Seite 234 235 Markus C Kerber Neue Regeln fur die Politik In FAZ 5 Juni 2001Normdaten Person GND 115503080 lobid OGND AKS LCCN no93021892 VIAF 27233894 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Pies IngoKURZBESCHREIBUNG deutscher Okonom und WirtschaftsethikerGEBURTSDATUM 1964GEBURTSORT Arnsberg Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ingo Pies amp oldid 230583214