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Gibs auf ist ein Ende 1922 entstandener und 1936 veroffentlichter parabelartiger kleiner Prosatext von Franz Kafka 1 Der Titel stammt von Max Brod In den Manuskripten Kafkas steht als Uberschrift Ein Kommentar 2 Inhaltsverzeichnis 1 Originaltext 2 Inhaltsanalyse 3 Form 4 Deutungsansatze 4 1 Biografische Deutung 4 2 Existenzialistische Deutung 5 Rezeption 6 Ausgaben 7 Sekundarliteratur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseOriginaltext Bearbeiten Es war sehr fruh am Morgen die Strassen rein und leer ich ging zum Bahnhof Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich sah ich dass schon viel spater war als ich geglaubt hatte ich musste mich sehr beeilen der Schrecken uber diese Entdeckung liess mich im Weg unsicher werden ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus glucklicherweise war ein Schutzmann in der Nahe ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg Er lachelte und sagte Von mir willst Du den Weg erfahren Ja sagte ich da ich ihn selbst nicht finden kann Gibs auf gibs auf sagte er und wandte sich mit einem grossen Schwunge ab so wie Leute die mit ihrem Lachen allein sein wollen Inhaltsanalyse BearbeitenBeginnend mit dem Hinweis auf die morgendlich reinen Strassen geht der Text uber in die zeitliche und raumliche Verunsicherung des Protagonisten dessen Geschlecht offen bleibt Als er den Schutzmann nach dem Weg fragt entsteht eine befremdliche Wendung Der Schutzmann gibt nicht die erbetene nuchterne Auskunft sondern antwortet lachelnd in personlicher Form aber gleichzeitig herabwurdigend mit einem du 3 Sein Rat Gibs auf kann doppelt verstanden werden Es kann sinnlos fur den Frager sein vom Schutzmann Hilfe zu erwarten Es kann aber auch bedeuten dass das ganze Vorhaben des Fragenden zum Scheitern verurteilt ist Am Schluss wendet sich der Schutzmann der wie speziell fur den Reisenden auf dem Weg postiert erscheint 3 mit grosser Geste ab Wenn der Reisende dabei an ein verborgenes Lachen denkt spricht daraus dessen Verunsicherung Er empfindet es als abweisendes Hohnlachen als sei seine Frage die eines hoffnungslos unverstandigen Kindes 4 Der Schutzmann ist eine typische skurrile Figur von Kafka eigentlich in der Lage zu helfen aber doch unwillig zur Hilfeleistung vergleichbar dem Turhuter aus Vor dem Gesetz Auch dieser ist nur fur den Mann vom Lande vor der Gesetzestur postiert Er hilft ihm nicht ins Gesetz zu gelangen und kundigt auch am Schluss sein Gehen an In beiden Parabeln wird nicht auf das Anliegen des Fragenden eingegangen es zeigt sich eher ein versteckter Spott Der Frager wird auf sich selbst zuruckgeworfen Er soll sich selbst helfen oder es aufgeben 5 Form BearbeitenDie parabelartige Erzahlung gehort zu den typischen schmucklosen aber doppelbodigen Texten Kafkas 6 Die Textgestaltung entwickelt sich entsprechend dem Inhalt wie folgt Zu Beginn einfacher Satzbau entsprechend dem alltaglichen Geschehen Irritation des Erzahlers ausgedruckt durch syntaktisch kompliziertere Erzahlweise kopflose kurzatmige Hektik durch stakkatoartige Reihungen Die Reaktionen des Schutzmanns sind die starken eindrucksvollen Momente der Erzahlung Das Lacheln stellt eine fur Kafka typische Fugung einer Scheinsicherheit vor der endgultigen Desillusionierung dar Das doppelte Gibs auf ist eine apodiktische Abweisung Im letzten Satz des Textes wird dann zum ersten Mal in diesen sonst eher nuchtern blassen Geschehnissen eine Geste der Grandezza beschrieben Der Schutzmann scheint in ganz anderen Geistesregionen zu Hause als der Wegsucher und der Leser Deutungsansatze BearbeitenBiografische Deutung Bearbeiten Bereits in einer Tagebuchaufzeichnung 7 vom 13 Februar 1914 hat Kafka einen Traum mit ahnlichen aber wesentlich optimistischeren Elementen beschrieben 8 Handlungsort ist Berlin wohl im Zusammenhang mit einem Besuch bei Felice Bauer In der Parabel von 1922 konnte nun die Abgrenzung zur damaligen Verlobten ausgedruckt sein durch die beabsichtigte Abreise mit der Bahn 8 Auch in dem Fragment Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande gibt es einen Passus der auf die Konstellation der vorliegenden Parabel hinweist mit einem Frager nach der Zeit auf dem Weg zum Bahnhof und einem Antwortenden der lachend wegstrebt Gibs auf konnte sich auch auf einen Briefentwurf vom Dezember 1922 an Franz Werfel beziehen Kafka bringt darin seine totale Unfahigkeit zum Ausdruck uber Werfels Drama Schweiger irgendetwas Definitives auszusagen 9 Kafka hat sich in dieser Zeit bis zur erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Jahr 1923 recht konkret mit der Vorstellung befasst nach Palastina auszuwandern Der Appell Gibs auf konnte auch die Ahnung enthalten dass dieses Land fur ihn unerreichbar ist 1 Heinz Politzer sagt uber diese Art der Parabeln sie seien Rorschachtests der Literatur und ihre Deutung sage mehr uber den Charakter ihrer Deuter aus als uber das Wesen ihres Schopfers 10 Existenzialistische Deutung Bearbeiten nbsp Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen beispielsweise Einzelnachweisen ausgestattet Angaben ohne ausreichenden Beleg konnten demnachst entfernt werden Bitte hilf Wikipedia indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfugst Jedoch lasst der Text auch eine Interpretation mit existenzialistischen Ansatzen zu Die spater um Rat fragende Person wird sich beim Vergleich der eigenen mit der Turmuhr der Tatsache bewusst dass schon sehr viel Zeit verstrichen ist dass sie der wahren also objektiven Zeit Turmuhr hinterher hinkt wird sich zunehmend bewusst dass Zeit und somit auch das Leben und alles damit verbundene Positive und Negative verganglich sind Deshalb verliert sie die Orientierung auf dem zuvor scheinbar klar und gerade verlaufenden Weg d h dem Leben und sucht Abhilfe bei einem Wachmann Es ist naheliegend diesen mit verschiedenen Sinngebungsinstanzen etwa der Religion der Philosophie oder auch der Esoterik zu identifizieren Jedoch wird der Ratsuchende vom Wachmann enttauscht Von mir willst Du den Weg erfahren Gibs auf gibs auf Der Fragende erhofft sich vom Wachmann wegweisende Antworten eine genaue Beschreibung wie sein Ziel der Bahnhof zu erreichen ist Jedoch ubersieht er dass der Wachmann im selben System der Stadt wie er selbst gefangen ist und somit auf die gestellte Frage gar nicht angemessen antworten kann Um dem Fragenden adaquat antworten zu konnen musste der Wachmann die Stadt zumindest aber den Weg zum Bahnhof kennen bzw im Besitz eines Stadtplanes sein Dies ist jedoch bei der vorgeschlagenen existenz bzw lebensphilosophischen Interpretation unmoglich da die Stadt mit dem Leben und die Frage nach dem Weg zum Bahnhof mit quasi metaphysischen Fragen identifiziert werden muss Rezeption BearbeitenSchlingmann S 145 Ein Blick vom offenen Ende der Parabel zuruck auf die Ausgangssituation macht deutlich dass auch sie schon belastet war mit Unsicherheit Innere und aussere personliche und offentliche Zeit klaffen erschreckend auseinander Auch wenn der Reisende allein noch zum Bahnhof findet sein Zug wird schon abgefahren sein Ihm ist nur zu raten um im Bild der Parabel zu bleiben seine Reiseplane noch einmal zu uberdenken Sudau S 116 Der geheimnisvolle Ausdruck des letzten Erzahlsatzes beruht auf der Epiphanie eines Metaphysischen in der Trivialitat des Alltags Die Reaktionen und vor allem die letzte Erschutterung und Ehrfurcht gebietende Geste des Schutzmannes verwandeln diesen unvermittelt von einem einfachen Dienstleister in eine uberwirkliche Erscheinung Der Soziologe Ulrich Brockling stellt die Parabel in einen Gegensatz zur beruhmten Anrufungsparabel in Ideologie und ideologische Staatsapparate von Louis Althusser Wo Althussers Individuum immer schon von gesellschaftlichen Anrufungen subjektiviert sei weise Kafka auf die aktive Suche des Ichs nach einer Identitat hin die aber von hoherer Instanz verweigert wurde 11 Ausgaben BearbeitenFranz Kafka Samtliche Erzahlungen Herausgegeben von Paul Raabe Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main und Hamburg 1970 ISBN 3 596 21078 X Franz Kafka Nachgelassene Schriften und Fragmente 2 Herausgegeben von Jost Schillemeit Fischer Frankfurt am Main 1992 S 530 ISBN 3 10 038147 5 Sekundarliteratur BearbeitenPeter Andre Alt Franz Kafka Der ewige Sohn Eine Biographie C H Beck Munchen 2005 ISBN 3 406 53441 4 Manfred Engel Kleine nachgelassene Schriften und Fragmente 3 In Manfred Engel Bernd Auerochs Hrsg Kafka Handbuch Leben Werk Wirkung Metzler Stuttgart Weimar 2010 ISBN 978 3 476 02167 0 S 343 370 bes 361 363 Carsten Schlingmann Literaturwissen Franz Kafka Reclam Stuttgart ISBN 3 15 015204 6 Ralf Sudau Franz Kafka Kurze Prosa Erzahlungen Klett Verlag 2007 ISBN 978 3 12 922637 7 Weblinks BearbeitenText von Gibs aufEinzelnachweise Bearbeiten a b Peter Andre Alt Franz Kafka Der ewige Sohn Eine Biographie Verlag C H Beck Munchen 2005 ISBN 3 406 53441 4 S 638 Literaturwissen Franz Kafka von Carsten Schlingmann Reclam S 141 a b Literaturwissen Franz Kafka Carsten Schlingmann Reclam S 144 Ralf Sudau Franz Kafka Kurze Prosa Erzahlungen 2007 Klett Verlag ISBN 978 3 12 922637 7 S 113 Literaturwissen Franz Kafka Carsten Schlingmann Reclam S 145 Ralf Sudau Franz Kafka Kurze Prosa Erzahlungen 2007 Klett Verlag ISBN 978 3 12 922637 7 S 115ff Franz Kafka Tagebucheintrag 13 Februar 1914 a b Literaturwissen Franz Kafka Carsten Schlingmann Reclam S 143 Literaturwissen Franz Kafka Carsten Schlingmann Reclam S 142 Literaturwissen Franz Kafka Carsten Schlingmann Reclam S 145 Heinz Politzer Franz Kafka der Kunstler S 42 Ulrich Brockling Das unternehmerische Selbst Suhrkamp Frankfurt a M 2007 S 29ff Werke von Franz Kafka Zu Lebzeiten veroffentlicht Ein Damenbrevier Gesprach mit dem Beter Gesprach mit dem Betrunkenen Die Aeroplane in Brescia Richard und Samuel Grosser Larm Betrachtung Das Urteil Der Heizer Die Verwandlung Vor dem Gesetz Der Mord Ein Brudermord In der Strafkolonie Ein Landarzt Der Kubelreiter Josefine die Sangerin oder Das Volk der Mause Ein HungerkunstlerPostum veroffentlicht Auswahl Bilder von der Verteidigung eines Hofes Beschreibung eines Kampfes Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande Kleine Seele Der kleine Ruinenbewohner Unter meinen Mitschulern Skizze zur Einleitung fur Richard und Samuel Die stadtische Welt Ein junger ehrgeiziger Student Einleitungsvortrag uber Jargon Erinnerungen an die Kaldabahn Der Dorfschullehrer Blumfeld ein alterer Junggeselle Der Gruftwachter Die Brucke Eine Kreuzung Der Schlag ans Hoftor Der Jager Gracchus Beim Bau der Chinesischen Mauer Eine alltagliche Verwirrung Der Nachbar Vom judischen Theater Die Prufung Der Geier Prometheus Die Zurauer Aphorismen Brief an den Vater Der grosse Schwimmer Unser Stadtchen liegt Heimkehr Zur Frage der Gesetze Die Wahrheit uber Sancho Pansa Das Stadtwappen Der Steuermann Kleine Fabel In unserer Synagoge Das Schweigen der Sirenen Poseidon Die Truppenaushebung Forschungen eines Hundes Das Ehepaar Fursprecher Gibs auf Der Unterstaatsanwalt Der Process Das Schloss Der Verschollene Der Aufbruch Der Bau Abgerufen von https de 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