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Der Brief an den Vater ist ein 1919 verfasster niemals abgeschickter Brief Franz Kafkas an seinen Vater Er wurde postum 1952 in der Neuen Rundschau 1 veroffentlicht und ist ein bevorzugter Text fur psychoanalytische und biographische Studien uber Kafka Scan der ersten Seite der HandschriftNachdem Franz Kafka im Januar 1919 bei einem Kuraufenthalt in Schelesen Bohmen Julie Wohryzeck kennengelernt hatte und sich einige Monate spater mit ihr verlobte reagierte sein Vater ungehalten auf seine neuen und unstandesgemassen Heiratsplane Es wird angenommen dass dies Kafka veranlasste zwischen dem 10 und 13 November 1919 den Brief zu verfassen Die Hochzeit war ursprunglich fur November geplant fand jedoch nicht statt Der vordergrundige Anlass war eine vergebliche Wohnungssuche Der ausladende Brief besteht aus 103 handschriftlichen Seiten 45 Seiten in der Maschinenfassung 2 auf denen Kafka versucht seinen Vaterkonflikt schreibend zu bewaltigen Viele seiner Lebensschwierigkeiten schreibt er der totalen Wesensverschiedenheit zwischen sich und dem Vater zu Der Brief endet mit der Hoffnung dass sich durch ihn beide ein wenig beruhigen wurden und Leben und Sterben leichter gemacht werden konnten Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1 1 Gegensatz Vater Sohn 1 2 Familie Kafka 1 3 Sexualitat und Ehe 1 4 Das Judentum 1 5 Kafkas Schreiben 2 Form 2 1 Erlauterung der Briefform 3 Realitatsbezug und Subjektivitat 4 Zitate 5 Rezeption 6 Ausgaben 6 1 Horbuch 7 Sekundarliteratur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenGegensatz Vater Sohn Bearbeiten In erster Linie wird im Brief die Wesensunvertraglichkeit herausgearbeitet Hermann der kraftvolle impulsiv jahzornige Vater Sohn eines Fleischhauers ohne Bildung der sich emporgearbeitet hat Der Sohn Franz verweichlicht und unselbststandig durch des Vaters Wohlstand vollig verangstigt unzuganglich und eingesponnen in seine geistige Welt Familie Kafka Bearbeiten In den Kampf um und mit dem Vater waren die Schwestern unterschiedlich stark involviert und letztendlich fur den Bruder keine Mitstreiterinnen Valli fugte sich dem Vater ahnlich wie die Mutter Elli war ein Kind von dem man wenig erwartete Sie loste sich aber ganz aus der Familie Kafka grundete eine eigene Familie und wurde eine akzeptierte Frau Ottla schien in ihrem Kampf mit dem Vater viel harter und konsequenter gewesen zu sein als Franz der schnell aufgab Sie war das eigentliche Kind vom Schlag des Vaters 3 Die Mutter war zwischen den Kindern und dem Vater hin und hergerissen Sie wird als sehr mutterlich und menschlich geschildert aber gleichzeitig als Treiberin fur den Vater bezeichnet Sie unterstutzt ihre Kinder nur in dem Bereich den der Vater zulasst und hat wenig Einfluss auf die Beziehungen zwischen dem Vater und seinen Kindern Sexualitat und Ehe Bearbeiten Auch zu den Themen Sexualitat und Ehe hatte der Vater derbere Vorstellungen als der grublerisch empfindsame Sohn Zweimal zuerst dem 16 jahrigen Sohn danach dem 20 Jahre alteren gab der Vater Franz handfeste Ratschlage wie er sich vor Unzutraglichkeiten schutzen konnte wenn er in der damals ublichen Weise Sexualitat in Freudenhausern bei Prostituierten suchte Der Vater regte Franz zu dieser Sexualitat ausdrucklich an damit er nicht gleich ans Heiraten denken musste 4 Er meinte damit eine Ehe mit einer nicht standesgemassen Person wie Julie Wohryzeck Kafka empfand das Thema Heirat und die Rolle als Ehemann als so vollstandig von seinem Vater belegt ahnlich dem Leben als Geschaftsmann dass es schon daher nicht fur ihn in Frage kam Das Judentum Bearbeiten Der Sohn wirft dem Vater ein Nichts von Judentum vor das keinerlei tiefer gehende Religiositat beinhaltete Der Besuch der Synagoge war fur Franz einerseits angstbesetzt andererseits ein Aufenthalt wie auf einem geheimen Spielplatz Ein echter religioser Moment in dem er sich vielleicht mit dem Vater hatte treffen konnen existierte nicht Gleichzeitig gibt Kafka seiner Bewunderung fur den jiddischen Schauspieler Jizchak Lowy Ausdruck der vom Vater mit Ungeziefer verglichen und verachtlich gemacht wurde Kafkas Schreiben Bearbeiten Sein Schreiben bezeichnet der Sohn als ein selbststandiges Wegkommen vom Vater Trotz des Vaters Ablehnung hatte er aber immer wieder allerdings vergeblich versucht dessen Anerkennung zu gewinnen und wollte ihm auch seine Veroffentlichungen nahebringen In dem Brief tauchen verschiedene Motive auf die vorher und nachher auch in Kafkas Literatur erscheinen Speziell im Urteil treten verwandte Themen auf die Riesenhaftigkeit des Vaters seine unberechenbare Unzufriedenheit auf die der verunsicherte Sohn verbal gar nicht reagieren konnte und sein absolutes Aburteilen erst der Verlobten dann des Sohnes Laut Brief verglich der Vater zweimal Menschen mit widerlichem Ungeziefer das Thema der Erzahlung Die Verwandlung Die Harmonie des Ehepaars Kafka tritt dem Leser in der Erzahlung Das Ehepaar entgegen Die geringe Bedeutung der Mutter im Brief spiegelt sich in Kafkas Schreiben wider das immer nur mit dem Vater ringt Eine Mutter ist nicht anwesend wie in der Erzahlung Elf Sohne mit dem einsamen alle seine Nachkommen verurteilenden Vater Form BearbeitenErlauterung der Briefform Bearbeiten Kafka hat Milena Jesenska gegenuber den Brief als Advokatenbrief 5 voller Kniffe bezeichnet Dieser Brief wurde nie dem Vater ubergeben sondern Kafka hat ihn 1920 Milena uberlassen 6 Der Brief ist eine schwer zu entwirrende literarische Anklage und Verteidigungsschrift 7 in einem fur die jeweiligen Personen den Vater Kafka selbst und auch fur die nur am Rand auftretende Mutter Zum Ende des Briefes tritt sogar der Vater selbst als argumentierende Person auf Aber er spricht nicht in der von ihm zu erwartenden Einfachheit sondern im gewohnten Duktus des Sohnes Kafka hat sein ewiges Vater Sohn Thema in der formalen Logik der juristischen Rede und den Techniken der Literatur beleuchtet und dabei eine Art Lebensanalyse fur sich erstellt Ihre Hauptelemente sind Angst und Kampf 8 Dieser Brief ist aber keine Literatur im eigentlichen Sinn Realitatsbezug und Subjektivitat BearbeitenDie nachprufbaren Tatsachen und die Darstellung Kafkas driften zum Teil stark auseinander Der Brief behandelt einerseits Realitaten aus Kafkas Leben So wird einiges wahrheitsgemass aufgefuhrt wie die harte Kindheit des Vaters die Probleme Kafkas mit seiner Teilhaberschaft an der Prager Asbestfabrik oder der Ausbruch seiner Schwester Ottla in die Arbeitswelt der Landwirtschaft und naturlich die gescheiterten Heiratsversuche Andererseits deckt sich die Darstellung der eigenen Person Kafkas kaum mit den Schilderungen sonstiger Quellen Er schildert sein Schulleben als vollig uberlagert von der Versagensangst Mitschuler bezeichnen ihn aber ausser in Mathematik als guten Schuler der nie in Gefahr war sitzen zu bleiben Unter seiner Arbeit in der Arbeiter Versicherungsanstalt litt er und fuhlte sich ihr einerseits nicht gewachsen und war andererseits von ihr angeodet Seine Mitarbeiter aber lobten ihn im Nachhinein als juristisches Vorbild das auch regelmassig befordert wurde Sein Verhaltnis zu Frauen war sprichwortlich problematisch Er sah sich gehemmt unentschlossen und unterlegen Tatsachlich aber war er mit seiner grossen schlanken Gestalt attraktiv so dass er zunehmend mehr nicht nur literarische Verehrerinnen um sich scharte 9 Das oben Gesagte gilt auch fur das Hauptanliegen des Briefes namlich die Auseinandersetzung mit dem Vater Dieses Furcht einflossende hemmungslos aburteilende vitale Wesen Hermann Kafka dem der Sohn Franz sich ausgeliefert sah und mit dem er standig innerlich rang wird von anderen u a Max Brod als normaler judischer Geschaftsmann beschrieben der menschenfreundlich und beschwingt mit beiden Beinen in seinem Geschaft stand Zitate BearbeitenDer Sohn Mein Schreiben handelt von Dir ich klagte dort ja nur was ich an deiner Brust nicht klagen konnte Ich ware glucklich gewesen Dich als Freund als Chef als Onkel als Grossvater ja selbst als Schwiegervater zu haben Nur eben als Vater warst Du zu stark fur mich Deine ausserst wirkungsvollen wenigstens mir gegenuber niemals versagenden rednerischen Mittel bei der Erziehung waren Schimpfen Drohen Ironie boses Lachen und merkwurdiger Weise Selbstbeklagung In Wirklichkeit wurden die Heiratsversuche der grossartigste und hoffnungsreichste Versuch Dir zu entgehen entsprechend grossartig war dann allerdings auch das Misslingen Der Vater vom Sohn zitiert Ich zerreisse dich wie einen Fisch Er soll krepieren der kranke Hund Die Gottselige hat mir viel Schweinerei hinterlassen Leg s auf den Nachttisch bezogen auf Kafkas Veroffentlichungen Rezeption BearbeitenJoachim Pfeiffer S 92 ff sieht hier als typische literarische Techniken u a die Perspektivenverzerrung die Selbstaufhebung von Textteilen und vor allem die Ubertreibung Es handelt sich allgemein um einen Protest gegen die Welt der Vater in der ein Sozialdarwinismus Recht des Starkeren herrscht in der Kafkas Antihelden im Gegensatz zum Idol der heroischen Mannlichkeit stehen Reiner Stach S 321 ff bezeichnet den Brief als Basistext der literarischen Moderne als manipulativen Text der danach verlangt durchschaut und moralisch kommentiert zu werden Peter Andre Alt S 566 Die advokatische Technik der Argumentation die Kafka selbst eingestand spiegelt sich in den Rochaden des Spielers der tatsachlich keinen offenen Kampf fuhrt sondern uber den Umweg der Selbstanklage die Schuld des Gegners zu erweisen sucht Gisela Elsner schrieb einen fiktiven Antwortbrief des Vaters in dem er seinem Sohn vorwirft seine Lebensuntuchtigkeit und Opferrolle zu inszenieren da Selbstmitleid zum Lebensgefuhl der Prager Boheme zahle und Euch der Konflikt zwischen Dir und mir mittlerweile mehr Gesprachsstoff geliefert hat als der gesamte verflossene Weltkrieg In Die Zerreissprobe Hamburg 1980 Ausgaben BearbeitenBrief an den Vater Herausgegeben und kommentiert von Michael Muller Reclam Stuttgart 1995 ISBN 978 3 15 009674 1 Nachgelassene Schriften und Fragmente II Herausgegeben von Jost Schillemeit Fischer Frankfurt Main 1992 S 143 217 ISBN 978 3 10 038144 6 Horbuch Bearbeiten Franz Kafka Brief an den Vater gelesen von Hans Jochim Schmidt MP3 CD 135 Minuten Vorleser Schmidt Horbuchverlag Schwerin 2008 ISBN 978 3 937976 96 9 Sekundarliteratur BearbeitenPeter Andre Alt Franz Kafka Der ewige Sohn Eine Biographie Beck Munchen 2005 ISBN 3 406 53441 4 Theodor Pelster Lektureschlussel Franz Kafka Brief an den Vater Das Urteil Reclam Stuttgart 2008 ISBN 978 3 15 015395 6 Joachim Pfeiffer Franz Kafka Die Verwandlung Der Brief an den Vater Oldenbourg Munchen 1998 ISBN 3 486 88691 6 Oldenbourg Interpretationen Band 91 Reiner Stach Kafka Die Jahre der Erkenntnis S Fischer Frankfurt am Main 2008 ISBN 978 3 10 075119 5 Reiner Stach Kafka Die fruhen Jahre S Fischer Frankfurt am Main 2014 ISBN 978 3 10 075130 0 Daniel Weidner Brief an den Vater In Manfred Engel Bernd Auerochs Hrsg Kafka Handbuch Leben Werk Wirkung Metzler Stuttgart Weimar 2010 ISBN 978 3 476 02167 0 S 293 301 Bettina von Jagow Oliver Jahraus Hrsg Kafka Handbuch Leben Werk Wirkung Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2008 ISBN 978 3 525 20852 6 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Brief an den Vater Quellen und Volltexte Brief an den Vater im Projekt Gutenberg DE 1 2 Vorlage Toter Link etwasistimmer de Brief an den Vater Seite nicht mehr abrufbar Suche in Webarchiven als Horbuch kostenlos verfugbar Brief an den Vater Gesamte KonkordanzenEinzelnachweise Bearbeiten Oldenbourg Interpretationen Joachim Pfeiffer Franz Kafka Die Verwandlung Der Brief an den Vater ISBN 3 486 88691 6 S 90 Alt S 563 Peter Andre Alt Franz Kafka Der ewige Sohn Eine Biographie Munchen 2005 S 57 siehe v g S 566 Das Kafka Buch Herausgeber Heinz Politzer S 11 Peter Andre Alt S 559 563 siehe v g S 563 siehe v g S 564 siehe v g S 534 642Werke von Franz Kafka Zu Lebzeiten veroffentlicht Ein Damenbrevier Gesprach mit dem Beter Gesprach mit dem Betrunkenen Die Aeroplane in Brescia Richard und Samuel Grosser Larm Betrachtung Das Urteil Der Heizer Die Verwandlung Vor dem Gesetz Der Mord Ein Brudermord In der Strafkolonie Ein Landarzt Der Kubelreiter Josefine die Sangerin oder Das Volk der Mause Ein HungerkunstlerPostum veroffentlicht Auswahl Bilder von der Verteidigung eines Hofes Beschreibung eines Kampfes Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande Kleine Seele Der kleine Ruinenbewohner Unter meinen Mitschulern Skizze zur Einleitung fur Richard und Samuel Die stadtische Welt Ein junger ehrgeiziger Student Einleitungsvortrag uber Jargon Erinnerungen an die Kaldabahn Der Dorfschullehrer Blumfeld ein alterer Junggeselle Der Gruftwachter Die Brucke Eine Kreuzung Der Schlag ans Hoftor Der Jager Gracchus Beim Bau der Chinesischen Mauer Eine alltagliche Verwirrung Der Nachbar Vom judischen Theater Die Prufung Der Geier Prometheus Die Zurauer Aphorismen Brief an den Vater Der grosse Schwimmer Unser Stadtchen liegt Heimkehr Zur Frage der Gesetze Die Wahrheit uber Sancho Pansa Das Stadtwappen Der Steuermann Kleine Fabel In unserer Synagoge Das Schweigen der Sirenen Poseidon Die Truppenaushebung Forschungen eines Hundes Das Ehepaar Fursprecher Gibs auf Der Unterstaatsanwalt Der Process Das Schloss Der Verschollene Der Aufbruch Der Bau Normdaten Werk GND 4099247 0 lobid OGND AKS VIAF 202036620 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Brief an den Vater amp oldid 233220905