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Der Begriff der Gattung oder Textgattung ordnet literarische Werke in inhaltlich oder formal bestimmte Gruppen Das heutige Gattungssystem mit seiner klassischen Dreiteilung geht auf die Poetik des Aristoteles zuruck die auch Johann Wolfgang von Goethe aufnahm Die Literatur lasst sich demnach in die von Goethe auch Naturformen genannten Grossgattungen Epik Lyrik und Dramatik gliedern Diese drei dominanten Gattungen werden auch als Gattungstrias bezeichnet Neuere Modelle nennen neben diesen drei Gattungen oft die Sachliteratur bzw Sachtexte als vierte Gruppe Innerhalb des Dramas wiederum werden oft Komodie und Tragodie als grundsatzliche Gattungen betrachtet Auch Werkgruppen die im Laufe der Literaturgeschichte Traditionen mit jeweils typischen Merkmalen bildeten werden oft als Gattungen bezeichnet etwa der Schelmenroman der Witz das burgerliche Trauerspiel oder die Marchen novelle Teilweise wird auch die Verwendung von Prosa oder Vers als Grundmerkmal eines Gattungssystems gesehen Sachtexte treten in diesem System als Gebrauchsprosa auf Da der Gattungsbegriff auf verschiedenen Ebenen verwendet wird und daher ungenau ist und keine Differenzierung fur viele literarische Traditionen der Neuzeit bietet wird auch oft von Genus oder Genos Genre Textart und Textsorte gesprochen Die Gattungsbestimmung eines Textes geschieht in der Weise dass typische formale Aspekte eines Uberlieferungsstucks mit anderen verglichen werden Gattungsfrage Ergeben sich Ubereinstimmungen so darf angenommen werden dass die verglichenen Stucke der gleichen Gattung angehoren 1 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Gattungskonzepte und Optionen der Poesie sowie Literaturkritik 1 2 Das Gefuge der Gattungen im Wandel 1 3 Aktuelle Interessen an einer Definition der Gattungen 2 Literatur 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenGattungskonzepte und Optionen der Poesie sowie Literaturkritik Bearbeiten Der wichtigste Ort von Aussagen uber die Gattungen waren bis weit in das 18 Jahrhundert hinein die impliziten Poetiken Werke die dem eigenen Vorgeben nach uber die Regeln in der Poesie unterrichteten Kunden dieser Werke sollten so zahlreiche Vorreden die Autoren poetischer Werke sein Sie sollten hier Anleitungen erhalten wie sie in den Gattungen zu arbeiten hatten Von geringerem Belang war dagegen die Benennung von Gattungen auf den Titelblattern von Romanen und Dramen Die Kunden poetischer Werke erhielten die weit genaueren Informationen daruber was sie erwarben in den Kurzabrissen der Handlungen auf den Titelblattern in Aussagen zum Lesegenuss den der Text erlaube in Auskunften uber den Stil in dem der Autor schrieb Titelblatter waren ausfuhrlich in all diesen Punkten die weit mehr sagten als ein Gattungsbegriff hatte sagen konnen Zwischen Poetiken und den poetischen Werken tat sich durchgangig eine Kluft auf Poetiken notierten zwar wie Tragodien und Komodien abzufassen seien auf dem Markt bestand dagegen ein weitgehend ungeregeltes Spiel der Genres das der Autor erlernte indem er die laufende Produktion verfolgte Poetiken und ihre Aussagen zu Gattungen erschienen demgegenuber unter Gesichtspunkten der Gelehrsamkeit Ihre Aufgabe wurde effektiv die Kritik der laufenden sich an die Vorgaben kaum haltenden Produktion Der Kritik eroffneten sich mit den Gattungen und den zu ihr bestehenden Informationen flexible Optionen mittels derer sie auf aktuelle Werke eingehen konnte Stucke konnten die Regeln der Gattungen einhalten und deswegen gut sein schlecht sein obwohl sie die Regeln einhielten schlecht sein weil sie derart sklavisch Regeln befolgten statt poetisches Talent zu beweisen sie konnten endlich nicht minder gut sein weil sie die Regeln verletzten und einem poetischen Genie folgten Die Kritik selbst konnte sich spalten zwischen Parteigangern die eine Modifikation des Gattungskanons einklagten und Kritikern die eine Ruckkehr zu einem klassischen Gattungssystem verlangten Wahrend im 17 und 18 Jahrhundert Poetiken die Vorstellung verteidigten dass die einzelnen Gattungen prinzipiell nach Regeln zu verstehen seien setzte sich in der Literaturwissenschaft des 19 Jahrhunderts eine Historisierung des Gattungskanons und eine kulturelle Differenzierung durch die Theorie dass das Gattungsgefuge vielfaltige kulturelle und historische Auspragungen fand Der Literaturkritik des 19 Jahrhunderts eroffnete diese Relativierung Freiraume Werke konnten nun den Konventionen einer Zeit oder Kultur folgen oder diese verletzen das liess sich von nun an mit Fortschrittsgedanken und Reflexionen der Literaturgeschichte verbinden Werke konnten antiquiert oder epigonal alten Gattungskonventionen verpflichtet sein sie konnten Klassizitat erlangen indem sie Traditionen wiederbelebten sie konnten in den Augen der Kritik auslandischen und fremden Vorbildern folgen oder unterliegen sowie mit alten Vorgaben im Rahmen neuer Bewegungen und Stromungen brechen Die Literaturkritik stellte im selben Moment zur Diskussion wie sich das besprochene Werk in die Literaturgeschichte einordnete innerhalb des Austauschs der nun die Literatur schuf Das Gefuge der Gattungen im Wandel Bearbeiten Das Spektrum der gegenwartig von der Literaturwissenschaft verhandelten literarischen Gattungen bildete sich weitgehend im 19 Jahrhundert heraus Vorangegangen war dem heutigen Spektrum der literarischen Gattungen das der poetischen Gattungen das mit dem spaten 17 Jahrhundert in eine intensive Diskussion geriet In Frankreich beherrschte die von Nicolas Boileau herausgegebene Poetik die gelehrte Diskussion im deutschen Sprachraum gewann in den 1730er Jahren Johann Christoph Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen Leipzig 1730 eine grossere Bedeutung mit der Forderung einer Ruckkehr zum Schema der Gattungen nach Aristoteles Die Rufe zum aristotelischen Gattungsspektrum zuruckzukehren standen von Anfang an im Zeichen einer scharfen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Marktgeschehen Angriffe zog hier vor allem die Oper auf sich die unter Autoren des spaten 17 und fruhen 18 Jahrhunderts als das hohe Drama der Moderne im Raum stand Der Debattenschub der ersten Halfte des 18 Jahrhunderts bewegte die Oper erfolgreich aus der Poesiediskussion sie gehort seitdem eher zur Musikgeschichte Ein zweiter Diskussionsschub setzte Mitte des 18 Jahrhunderts ein und fuhrte zum Bruch mit der aristotelischen Poetik Mit dem burgerlichen Trauerspiel wurde die Position der antiken Tragodie im Gattungsschema relativiert Das moderne Trauerspiel konnte anders als das der Antike durchaus auch in Prosa der Sprache der bislang niederen Stilebene verfasst sein Gleichzeitig war mit dem neuen Trauerspiel das Gesetz der Fallhohe des tragischen Helden aufgehoben Der Held oder die Heldin einer Tragodie konnte nun auch burgerlichen Standes sein Die Neudefinition auf dem Gebiet der Dramatik hatte Mitte des 18 Jahrhunderts Einfluss auf das Gebiet der Epik Bislang lag hier ein Vakuum Das Epos der Antike kannte ein hohes und ein satirisches Genus in der Moderne hatten sich heroische Epen fast nur noch in der Panegyrik antreffen lassen Anfang des 18 Jahrhunderts hatte man vorubergehend diskutiert ob nicht der Roman das Epos der Moderne war die Veroffentlichung von Francois Fenelons Telemach 1699 1700 legte den Gedanken nahe Fenelons Roman konkurrierte mit den Epen Vergils und Homers und uberbot diese nach allgemeiner Sicht im Stilbewusstsein wie in der Beachtung der Gattungsregeln dem Telemach fehlte allein die Abfassung in Versen Der Roman blieb am Ende weiterhin ausserhalb des Spektrums poetischer Gattungen da Fenelons Werk deutlich eine Ausnahme blieb Diese Situation anderte sich in dem Moment in dem das burgerliche Trauerspiel Mitte des 18 Jahrhunderts als vollwertige Tragodie anerkannt wurde Die Werke Gotthold Ephraim Lessings zeigten sich dem Roman Samuel Richardsons verpflichtet Wenn Sarah Sampson eine Tragodie war dann waren die Romane der Gegenwart die korrespondierende epische Produktion Der Roman verliess daraufhin das Feld der dubiosen Historien und wechselte in das Feld der poetischen Gattungen das in den nachsten Jahrzehnten eine neue Benennung erhielt aus ihm wurde das Feld der literarischen Gattungen Das 19 Jahrhundert brachte die klassische Neuaufteilung des Feldes in dramatische epische und lyrische Gattungen Poetry wurde im Englischen und anderen umliegenden Sprachen der Dachbegriff fur alle kleineren Gattungen in gebundener Sprache Das Feld des Dramatischen erweiterte sich mit der Farce und dem Melodram um populare Gattungen das Feld der epischen Gattungen erweiterte sich mit der Novelle der Erzahlung und der Kurzgeschichte um ungebundene Kleingattungen Der Diskurs uber die Gattungen bislang Domane der Poetiken wurde Aufgabenfeld der Literaturgeschichtsschreibung Diese gestand den Kulturen und den Epochen eigene Gattungsspektren zu Das Sprechen von Gattungen verlor im selben Moment an Kontur da von nun an beliebige Varianten von Gattungen definierbar waren Literaturwissenschaftliche Arbeiten bundelten nach Belieben Werke und schufen dabei Gattungen wie den Artusroman die Spielmannsdichtung oder das absurde Theater Ein weiterer Diskurs uber Genres und Moden erlaubte die eingehenderen Blicke auf den sich entwickelnden Markt und die flexible Auseinandersetzung mit dem Marktgeschehen Gleichzeitig wurde aber der Bruch mit den Erwartungen die durch die Gattung geweckt wurde als Qualitatskriterium erkannt Theodor W Adorno formulierte in seiner postum erschienenen Asthetischen Theorie Wohl nie hat ein Kunstwerk das zahlt seiner Gattung ganz entsprochen 2 Aktuelle Interessen an einer Definition der Gattungen Bearbeiten Ein neues Interesse an der alten Gattungsdebatte kam im 20 Jahrhundert mit dem russischen Formalismus und den von ihm ausgehenden Diversifikationen des Strukturalismus auf Die Frage war und ist hier ob nicht ungeachtet der Flexibilitat die sich im Sprechen uber Gattungen hergestellt hatte wissenschaftlich bestimmbare Kategorien bestanden Pragend war hier unter anderem Jacques Derrida der darauf hinwies dass das Merkmal literarischer Texte gerade auch die Transgression der von einer normativen Gattungslehre vorgegebenen Grenzen sei die darin munde dass Texte wohl an Gattungen teilhaben ihnen jedoch nicht angehoren 3 Wellek und Warren hatten literarische Gattungen zuvor als institutionelle Imperative beschrieben die zwar Zwang auf den Dichter ausubten jedoch auch selbst von ihm geformt wurden 4 Die hier einsetzende Debatte erwies sich in Bruckenschlagen in die Linguistik und die linguistische Texttheorie fruchtbar Moderne Richtungen der Computerphilologie unterstellen heute dass die automatische Spracherkennung eines Tages in die Lage kommen konnte literarische Sprechweisen zu erkennen Eine allenfalls neue Gliederung der textlichen Produktion in Textsorten oder konventioneller ausgedruckt in Gattungen wurde dann mit statistischen Verfahren wie der Hauptkomponentenanalyse automatisch passieren Die resultierenden Gattungen konnten vom Menschen benannt und verwendet werden Eine Gattung ware dann vielmehr eine Dimension und ein Text konnte zugleich zu verschiedenen Gattungen gehoren Ahnliche Bemuhungen gibt es bereits in der Musik wo Musikstucke dann von einer Gattung oder Stilistik vgl Stil in der Musik in eine andere transformiert werden konnen Aus einem Jazzstuck wird eine klassische Oper aus einem Popsong eine Symphonie Ein etwas anders gelagertes Interesse an den Gattungen besteht demgegenuber in den historischer ausgerichteten Zweigen der Literaturwissenschaft wie der Buchgeschichte und den Forschungsfeldern des New Historicism Hier interessieren vor allem Produktionsbedingungen Rezeptionshaltungen des Publikums Modalitaten im Austausch zwischen der Kritik und dem sich entwickelnden Buchmarkt und Buhnenbetrieb Die Gattungen und Genres interessieren dabei als Konzepte uber die Ware ins Angebot kam und kommt mittels deren Erwartungshaltungen angesprochen werden und Konfrontationen zwischen Autoren Kritikern und Lesern stattfinden Literatur BearbeitenOtto Knorrich Lexikon lyrischer Formen Kroners Taschenausgabe Band 479 2 uberarbeitete Auflage Kroner Stuttgart 2005 ISBN 3 520 47902 8 Rudiger Zymner Gattungstheorie Mentis Verlag Paderborn 2003 ISBN 3 89785 377 9 Dieter Lamping Hrsg Handbuch der literarischen Gattungen Kroner Verlag Stuttgart 2009 ISBN 3 520 84101 0 Udo Kindermann Gattungensysteme im Mittelalter In Kontinuitat und Transformation der Antike im Mittelalter Hrsg von Willi Erzgraber Sigmaringen 1989 S 303 313 Ingrid Brunecker Allgemeingultigkeit oder historische Bedingtheit der poetischen Gattungen ein Hauptproblem der modernen Poetik herausgearbeitet an Dilthey Unger und Staiger Philosophische Dissertation Kiel 1954 Ernst Robert Curtius Europaische Literatur und lateinisches Mittelalter Bern Munchen 1948 9 Auflage ebenda 1978 S 253 Gattungen und Schriftstellerverzeichnis Karl Vietor Probleme der literarischen Gattungsgeschichte In Deutsche Vierteljahrsschrift fur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Band 9 1931 S 425 447 auch in Karl Vietor Geist und Form Aufsatze zur deutschen Literaturgeschichte Bern 1952 S 292 309 Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen Stuttgart 2002 Reclam UB Band 18187 Weblinks Bearbeiten Wiktionary Literaturgattung Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Georg Jager Das Gattungsproblem in der Asthetik und Poetik von 1780 bis 1850 PDF Datei 383 kB Einzelnachweise Bearbeiten Lehnardt Andreas Qaddish Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes Mohr Siebeck GmbH amp Co KG Tubingen 2002 S 64 Zitiert bei Michael Bachmann Dramatik Lyrik Epik Das Drama imSystem der literarischen Gattungen In Peter W Marx Hrsg Handbuch Drama Theorie Analyse Geschichte Stuttgart Weimar J B Metzler 2012 S 68 Jacques Derrida La loi du genre In Glyph 7 1980 S 176 201 Rene Wellek Austin Warren Theorie der Literatur Ubers Edgar und Marlene Lohner Ullstein Berlin 1963 S 202 Normdaten Sachbegriff GND 4074285 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gattung Literatur amp oldid 227598410