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Das burgerliche Trauerspiel ist ein Theatergenre das im 18 Jahrhundert in London und Paris aufkam Denis Diderot bezeichnete es als genre serieux Eine deutschsprachige Variante wurde etwa von Gotthold Ephraim Lessing entwickelt Die Hauptfiguren stammen aus dem Burgertum oder niederen Adel und das Stuck hat ein tragisches Ende Mit dieser Gattung wird Ende des 18 Jahrhunderts versucht eine burgerliche Hochkultur zu schaffen die sich von den popularen Theaterereignissen abhebt Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Merkmale 3 Beispiele 4 Liste 5 LiteraturGeschichte BearbeitenDer Ausdruck burgerliches Trauerspiel ist zur Zeit seiner Entstehung ein Oxymoron Tragodien spielten in der Welt des Adels und waren hauptsachlich fur die Hofgesellschaft bestimmt nicht fur einen burgerlichen Rahmen Es gab nur ein adliges Trauerspiel und ein burgerliches Lustspiel Als Abklatsch der Tragodien fur das gemeine Volk gab es die Haupt und Staatsaktionen Burger waren von vornherein lustige Personen was fur viele ein Argernis war Burgerliche Theaterstucke waren meist grobe Komodien so wie die Spektakel auf den Pariser Jahrmarktstheatern oder die Hanswurstiaden von Josef Anton Stranitzky Es galt die Ansicht der Burger konne nur in der Komodie als Hauptfigur auftreten da ihm die Fahigkeit zum tragischen Erleben fehle Standeklausel Das burgerliche Trauerspiel entstand somit im Zuge der Emanzipationsbewegung des Burgertums das sich damit eine Prasentations und Identifikationsplattform schuf Seine Tragik entfaltet sich nicht mehr in der Welt eines fur die Menschheit exemplarischen adligen Helden sondern in der Mitte der Gesellschaft Der Terminus burgerlich ist nicht nur unter soziologischen sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten da es sich um eine Gesinnungsgemeinschaft handelt der Personen vom niederen Adel bis zum Kleinburgertum angehoren konnen die sich aber durch einen ausgepragten Moralkodex vom Hochadel abzugrenzen versuchen Die Herkunft aus einer guten Familie bleibt dem Einzelnen verwehrt aber jeder kann sich fur einen vorbildlichen Lebenswandel entscheiden Der Wert eines burgerlichen Individuums ist nicht vorgegeben wie der des Adligen Geburtsadel sondern ergibt sich erst durch sein lobenswertes Verhalten Tugendadel Es hat keinen Namen von sich aus sondern ist gleichsam ein Schauspieler der sich erst einen Namen machen muss Daraus ergab sich die burgerliche Aufwertung des Theaterspiels im 18 Jahrhundert Paul Landois bezeichnete sein Drama Silvie Paris 1741 schon als tragedie bourgeoise Ein weiterer Vorlaufer der burgerlichen Tragodie ist George Lillos domestic tragedy The London Merchant London 1731 Die Pioniere des burgerlichen Dramas Pierre Augustin Caron de Beaumarchais und Denis Diderot hielten sich dagegen mit dem tragischen Ende zuruck das eher der Oper vorbehalten blieb oder schnell einmal zum Schocker oder Reisser in der Art des aufkommenden Melodrams tendierte Das tragische Ende signalisierte zwar aus konservativer Sicht dass das Drama zur hochsten Theatergattung gehorte erschien aber manchen Neuerern nicht konstruktiv und optimistisch genug Die meisten burgerlichen Dramen sind daher Ruhrende Komodien also Stucke mit ernster Handlung und glucklichem Ausgang Vor allem Diderot entwickelte eine Theorie des burgerlichen Dramas Entretiens sur le fils naturel 1757 Discours sur la poesie dramatique 1758 Seine Dramen waren hingegen nicht so erfolgreich wie diejenigen von Beaumarchais Merkmale BearbeitenVon seinen Stoffen her geht es im deutschsprachigen burgerlichen Trauerspiel entweder um unpolitische Familienkonflikte die soziale Gegensatze moglichst nicht beruhren und auf das Verbindende einer reinen Menschlichkeit setzen vgl Empfindsamkeit oder es handelt vom politischen Kampf gegen die Unterdruckung durch den Adel spater auch von der Kritik der entstehenden Arbeiterklasse an der burgerlichen Wertordnung Die antiken mythologischen oder historischen adligen Hauptfiguren der franzosischen Klassik werden im burgerlichen Trauerspiel zu einfachen Menschen gemacht Die in der Tragodie bisher ubliche Versform wird im burgerlichen Trauerspiel selten ubernommen Charakteristisch ist es ein Widerspruch zum Regeldrama Die Haltung zu den klassischen Vorbildern hat der Germanist Volker Klotz mit der Unterscheidung geschlossene und offene Form im Drama zu beschreiben versucht Beispiele BearbeitenVon den meisten Literaturhistorikern wird Lessings Miss Sara Sampson 1755 als das erste deutschsprachige burgerliche Trauerspiel betrachtet Aber auch andere deutschsprachige Autoren stellten sich diese Aufgabe wie Christian Martini Rhynsolt und Sapphira 1755 Statt der Politik der Offentlichkeit und der Historie herrscht in Miss Sara Sampson eine private mitmenschliche und familiare Atmosphare vor in der nichts Ubermenschliches mehr anzutreffen ist Lessing geht es vor allem um die Identifikation und das Mitleid der Zuschauer das zu ihrer sittlichen Besserung fuhren soll Hier wird der Standekonflikt so gut wie gar nicht thematisiert die Handlung spielt auch recht haufig im privaten Umfeld adliger Kreise Der Konflikt zwischen Burgertum und Adelswillkur erscheint erstmals in Lessings Emilia Galotti 1772 und findet in Schillers Kabale und Liebe 1784 die sprachlich und dramatisch geschlossenste Ausformung Mit Friedrich Hebbels Maria Magdalena 1844 richtet sich der Fokus auf kleinburgerliche Moralvorstellungen und pedantische Sittenstrenge mit den daraus resultierenden Konflikten innerhalb des Standes Die Dramen von Ludwig Anzengruber ubertragen dieses Prinzip auf eine landliche Welt Die naturalistischen Dramen von Gerhart Hauptmann oder Henrik Ibsen offenbaren die Lebenslugen selbstzufriedener Burger Dabei sollte nicht ubersehen werden dass diese literarischen Trauerspiele nur ein schmales gebildetes Publikum erreichten Wirkung auf das breitere burgerliche Publikum erzielten seit Ende des 18 Jahrhunderts neue Formen der Tragodie oder der Tragikomodie wie das Melodram das Ruhrstuck die grosse Oper Das Publikum des Alt Wiener Volkstheaters betrachtete es mehrheitlich nicht als Problem dass ihm die Possen einen Zerrspiegel entgegenhielten und dem Burgertum damit die Wurde des ernsten Schicksals versagten Johann Nestroy hat die burgerliche Tragodie des Volkstheaters als traurige Posse karikiert Der Talisman 1840 Liste BearbeitenGotthold Ephraim Lessing Miss Sara Sampson Gotthold Ephraim Lessing Emilia Galotti Friedrich Schiller Kabale und Liebe Heinrich Leopold Wagner Die Kindermorderin Friedrich Hebbel Maria Magdalena Arthur Schnitzler Liebelei Gerhart Hauptmann Rose Bernd J M R Lenz Die SoldatenLiteratur BearbeitenWalter Benjamin Ursprung des deutschen Trauerspiels Suhrkamp Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 518 27825 8 Erstausgabe 1928 Richard Daunicht Die Entstehung des burgerlichen Trauerspiels in Deutschland de Gruyter Berlin 1965 DNB 450877329 Peter Szondi Die Theorie des burgerlichen Trauerspiels im 18 Jahrhundert Suhrkamp Frankfurt am Main 1973 ISBN 3 518 07615 9 Susanne Komfort Hein Sie sei wer sie sei Das burgerliche Trauerspiel um Individualitat Centaurus Pfaffenweiler 1995 ISBN 3 8255 0027 6 zugleich Dissertation an der Universitat Tubingen 1993 Wolfgang Pasche Das burgerliche Schauspiel Klett Stuttgart 2005 ISBN 3 12 922607 9 Christian Rochow Das burgerliche Trauerspiel Reclam Ditzingen 1999 ISBN 3 15 017617 4 Karl S Guthke Das deutsche burgerliche Trauerspiel Metzler Stuttgart 2006 ISBN 3 476 16116 1 Franziska Schossler Einfuhrung in das burgerliche Trauerspiel und das soziale Drama Wiss Buchges Darmstadt 2003 ISBN 3 534 16270 6 Albert Meier Heide Hollmer Tochter statt Fursten Zum Ursprung des Burgerlichen Trauerspiels bei Lessing In Kemper Dirk Hrsg Weltseitigkeit Jorg Ulrich Fechner zu Ehren Paderborn 2014 Schriftenreihe des Instituts fur russisch deutsche Literatur und Kulturbeziehungen an der RGGU Moskau Band 11 S 125 134 Normdaten Sachbegriff GND 4008786 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Burgerliches Trauerspiel amp oldid 232218485