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Geschlossene und offene Form im Drama 1960 ist ein Buch des Literaturwissenschaftlers Volker Klotz das ein in den 1960er und 1970er Jahren sehr erfolgreiches Ordnungsprinzip fur Dramen vorschlagt das etwa im Schulunterricht bis heute fortlebt Offene und geschlossene Form beschreiben nach Klotz zwei gegensatzliche Typen der Dramatik Oft sind allerdings keine eindeutigen Abgrenzungen moglich manchmal sind auch beide Richtungen in der Entwicklung eines Dramatikers nachweisbar wie etwa bei Goethe Inhaltsverzeichnis 1 Begriffe 1 1 Geschlossenes Drama 1 2 Offenes Drama 2 Geschichtlicher Hintergrund 3 Literatur 4 EinzelnachweiseBegriffe BearbeitenKlotz knupft an das Gegensatzpaar tektonisches Aufbauprinzip atektonisches Aufbauprinzip des Wiener Literaturwissenschaftlers Oskar Walzel 1864 1944 an Walzel orientierte sich seinerseits am dritten kunstgeschichtlichen Begriffspaar geschlossene Form offene Form des Schweizer Kunsthistorikers Heinrich Wolfflin Ein weiterer Vorlaufer der Theorie ist Gustav Freytag der ein normatives Konzept des Dramas vertrat das er gegenuber dem weniger geschlossen wirkenden Schauspiel verteidigte Die Technik des Dramas 1863 Angelehnt an die Poetik des Aristoteles versuchen viele Dramentheorien Handlung Zeit Ort Personen und Sprache als Kriterien eines Dramas zu definieren Anhand von ihnen lasst sich nach Klotz das offene bzw atektonische Drama vom geschlossenen bzw tektonischen unterscheiden Aristoteles spricht nur von einer in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Grosse Poetik 6 die das Drama besitzen solle Freytag seinerseits unterscheidet das ideale Drama etwa vom Situationsstuck 1 ohne die Begriffe offen und geschlossen zu verwenden Geschlossenes Drama Bearbeiten Als Beispiel eines geschlossenen Dramas fuhrt Klotz Goethes Torquato Tasso 1790 an Es lasst sich beobachten dass die Einheiten von Zeit Ort und Handlung drei Aristotelische Einheiten eingehalten werden Die Standeklausel und die genera dicendi herrschen vor Die Handlung folgt kontinuierlich einer Entwicklung auf einen bestimmten Schluss hin wobei die einzelnen Szenen kausal miteinander verknupft sind Die Aktionen der Darsteller sind stilisiert und vermeiden das Kreaturliche bienseance Der Aufbau ist streng symmetrisch was sich nicht nur in der Symmetrie der Akte sondern auch in der Symmetrie der einzelnen Dialoge zeigt Bei Dialogen handelt es sich stets um Rededuelle welche auf Vers und Gegenvers basieren und bei denen jeder der Dialogpartner die gleiche Anzahl an Redepartien erhalt Die Figuren sind weitgehend unbeeinflusst von Zeit und Raum Auch die Sprache basiert auf dem Prinzip der Standeklausel Der Sprachstil der Figuren ist getragen gehoben und kann bis hin zum Pathos reichen Die wichtigste Stilfigur ist neben der Stichomythie Rededuell die Antithese Es werden Metaphern aus der Heraldik und viele andere Bildlichkeiten verwendet Der Text ist im Blankvers 5 hebiger reimloser Jambus geschrieben Es herrscht ein hypotaktischer Sprachstil vor Haupt und Nebensatz sind jedoch immer voneinander unterscheidbar Offenes Drama Bearbeiten Als typisches Beispiel fur ein offenes Drama nennt Klotz Georg Buchners Woyzeck 1836 Die Handlung hat keinen roten Faden wie beim geschlossenen Drama Doch wird in jeder Szene das Hauptthema wieder aufgegriffen Marie leidet unter dem Soldatenstand Woyzeck leidet unter seinen Vorgesetzten Es laufen mehrere Handlungen gleichzeitig ab Polymethie Es gibt keine Exposition also keine Einfuhrung in die Vorgeschichte der Figuren und keine eindeutige Anfangsszene Die Handlungsfolge ist zerrissen und nur durch den Zusammenhang der komplementaren Strange Kollektivstrang Privatstrang zu erkennen Die Episoden stehen daher relativ autonom nebeneinander und sind nur bei genauerer Analyse zu verbinden Es gibt wenig Vorwarts und Ruckwartsbezuge in den Szenen Jede Szene steht fur die Gesamtproblematik des Dramas sodass sie selbststandig und versetzbar erscheint Dagegen sind die Szenen verbunden durch stetige Wiederholungen eine zentrale Figur ein zentrales Ich Woyzeck tritt lediglich in vier Szenen nicht auf wiederkehrende Orte Kaserne Wirtshaus Freies Feld Motive die in fast allen Szenen auftauchen z B Rot Messer Blut Tod sowie Wortmotive Aufeinanderfolge mehrerer Worter Immer zu Der Zeitraum der Handlung ist beim offenen Drama meist sehr ausgedehnt Oft sind Zeitsprunge zwischen den Szenen zu beobachten Es ist eine Vielfalt der Orte festzustellen wobei das Verhalten der Figuren unmittelbar mit dem Raum in dem sie auftreten korrespondiert Ein weiteres Merkmal des offenen Dramas ist die grosse Anzahl der Figuren Die Personen stehen stellvertretend fur ihre Stande Auch werden keine Standesgrenzen berucksichtigt wie beim geschlossenen Drama sodass Gesprache zwischen Hohergestellten und Angehorigen niederer Stande durchaus ublich sind Auch die Sprache weicht im offenen Drama von der Norm ab Die Stilebenen und die Ausdruckshaltung werden gemischt So findet eher eine Orientierung an der Alltagssprache statt verschiedene Soziolekte Jargon spontane Ausserungen aneinander vorbeireden Anders als beim geschlossenen Drama wo das Bewusstsein die Sprache dominiert dominiert die Sprache das Bewusstsein Klotz Geschichtlicher Hintergrund BearbeitenEine geschlossene Form weist das Drama der franzosischen Klassik auf Es besteht aus funf Akten mit jeweils festgelegten Funktionen und den drei Einheiten von Ort Zeit und Handlung wie sie die franzosischen Theoretiker forderten etwa Nicolas Boileau Vor allem die Standeklausel enthielt einigen sozialen Sprengstoff Diese Norm der franzosischen Klassik irrtumlich oft auf die Antike ubertragen und Aristoteles zugeschrieben war noch im 18 Jahrhundert massgeblich fur die Theaterpraxis an den Hoftheatern siehe Gottscheds Theaterreformen und noch im 19 Jahrhundert bestimmend fur die theoretische Beschaftigung mit Theater Gustav Freytag Oskar Walzel Im deutschen Sprachgebiet hatte man ihr gegenuber stets eine Art Minderwertigkeitskomplex und meinte sich anpassen oder aussichtslos dagegen auflehnen zu mussen So pragte sich ein Gegensatz zwischen den weniger vornehmen offenen und den vornehmeren geschlossenen Formen aus der diesen Konflikt widerspiegelt Im Drama der offenen Form werden diese Regeln aufgegeben die Zahl der Akte ist beliebig die Handlung kann sich zu einer blossen Szenenfolge auflosen der Ort der Handlung kann in Ort und Zeit beliebig springen Die spanischen und englischen Dramen vor der franzosischen Klassik Calderon Shakespeare haben offene Formen und wurden deshalb seit dem spaten 17 Jahrhundert oft gering geschatzt Die Wiederentdeckung und Rehabilitierung Shakespeares ab etwa 1760 Wieland Herder Goethe machte offene Formen wieder moglich was in Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Veranderungen der franzosischen Revolution stand vgl Ludwig Tiecks Romantik oder den sogenannten Sturm und Drang Mit einem historischen Sieg der offenen Form uber die geschlossene endete die Schlacht um Hernani in Paris um 1830 Die grossere Freiheit des Dramas der offenen Form so wurde oft argumentiert erkauft sich der Autor mit einem Verlust an Konzentration Wahrend in Dramen der geschlossenen Form im Idealfall jedes Detail auf den tragischen Konflikt ausgerichtet ist verliert sich dieser Konflikt in der offenen Form tendenziell in einem Durcheinander von Haupt und Nebenkonflikten In der modernen Literatur erscheint den Theaterautoren die offene Form oft geeigneter weil sie die chaotischen Verhaltnisse moderner nach aristokratischer Gesellschaften angemessener wiedergeben wahrend das klassische Drama einen Konflikt zwischen zwei noch genau darstellbaren Verhaltensmodellen beschreibt Literatur BearbeitenVolker Klotz Geschlossene und offene Form im Drama Hanser Munchen 1960 14 Aufl 1999 ISBN 3 446120 27 0 Klaus Naderer Oskar Walzels Ansatz einer neuen Literaturwissenschaft 3 Aufl Naderer Bonn 1994 ISBN 3 928799 12 6Einzelnachweise Bearbeiten Gustav Freytag Die Technik des Dramas Hirzel Leipzig 1863 S 99 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschlossene und offene Form im Drama amp oldid 228216143