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Die franzosische Aussprache des Lateinischen frz prononciation traditionnelle du latin auch latin a la francaise oder latin gallican ist die historische Aussprache des Lateinischen in Frankreich wie sie in Unterricht und Kirche uber viele Jahrhunderte hinweg ublich war Zu Beginn des 20 Jahrhunderts wurde sie an den Schulen und Universitaten zugunsten der klassisch restituierten Lateinaussprache aufgegeben wahrend im kirchlichen Gebrauch das italienische Lautmodell an ihre Stelle trat 1 Latein a la francaise unterliegt weitestgehend den Ausspracheregeln des Franzosischen Diese werden jedoch nicht vollstandig auf die lateinische Sprache ubertragen sodass es einige charakteristische Unterschiede zwischen dem Franzosischen und dem franzosischen Latein gibt Inhaltsverzeichnis 1 Die Reform der Lateinaussprache in Frankreich 1 1 Hinwendung zur klassischen Aussprache an den Universitaten und Schulen 1 2 Ubernahme des italienischen Lautmodells in der Kirche 1 3 Die heutige Situation 1 4 Wiederbelebung durch die Historische Auffuhrungspraxis 2 Charakteristika der franzosischen Lateinaussprache 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseDie Reform der Lateinaussprache in Frankreich BearbeitenDas Wissen um den Lautstand des klassischen Lateins war spatestens seit Erasmus von Rotterdam 2 allgemein bekannt Zudem trugen neuerliche Erkenntnisse der historischen Linguistik und der Altphilologie im 19 Jahrhundert dazu bei dass in Frankreich immer mehr der Wunsch nach einer Reform der Lateinaussprache erwuchs Hinwendung zur klassischen Aussprache an den Universitaten und Schulen Bearbeiten Die Befurworter der klassisch restituierten Aussprache allen voran der Altphilologe Eloi Ragon empfanden die franzosische Lautung als obsolet und sahen in ihr ein klangliches Zerrbild das der lateinischen Sprache nur unzureichend gerecht wird Wenn man Latein auf franzosische Art ausspricht verschwindet der Laut u vollstandig aus dem Lateinischen Der Buchstabe U erhalt in franzosischer Aussprache vier verschiedene Lautungen u y un œ o ɔ on ɔ Deus deys tunc tœ k Deum deɔm defuncti defɔ kti Und wenn wir nunquam mit dem Klang des nasalen o ɔ wie in dem alten franzosischen Wort onc aussprechen ist es dann logisch derselben Silbe in nunc und tunc den Klang des nasalen u œ zu geben obwohl viele Leute nicht wissen ob man defunctus wie unser Wort defunt defœ oder wie unser Wort fonction fɔ ksjɔ aussprechen soll 3 Ist es wirklich von Vorteil keinen Ausspracheunterschied zwischen possint und possent pɔsɛ t legerint und legerent leʒeʁɛ t fugerint und fugerent fyʒeʁɛ t usw zu machen 4 Spatestens ab 1914 wurde an den Universitaten eine Lateinaussprache verbindlich die dem damaligen Forschungsstand der historischen Linguistik entsprach prononciation a la ciceronienne 5 Diese hielt nach dem Ersten Weltkrieg und zum Teil schon davor 6 in gemassigter Form auch an den Schulen Einzug wo sie die traditionelle Lateinaussprache verdrangte Die Reformdebatte an den Universitaten wurde auch von franzosischen Musikzeitschriften verfolgt Allerdings war die Berichterstattung langere Zeit von der Unklarheit gepragt was genau unter der klassisch restituierten Aussprache zu verstehen sei Diese Unklarheit ruhrte von der Mehrdeutigkeit des Worts romisch her das sich sowohl auf die Antike Republik Kaiserreich als auch auf die Moderne Hauptstadt Italiens katholische Kirche beziehen kann Einige Kantoren und Musikwissenschaftler sprachen sich einhellig fur die Verwendung der rekonstruierten Aussprache in der kirchenmusikalischen Praxis aus und waren gegen die Einfuhrung der italienischen Lateinaussprache Es geht uberhaupt nicht darum die italienische Aussprache zu ubernehmen Wichtiger ware es die Schuler daran zu gewohnen den lateinischen Wortakzent zu beachten Der Franzose berucksichtigt ihn gar nicht und wenn dann setzt er ihn im Lateinischen wie im Franzosischen auf die letzte Silbe Genau deshalb ist unsere Lateinaussprache so haarstraubend und abscheulich 7 Die Lateinaussprache auf italienische Art ist genauso fehlerhaft wie die Aussprache auf franzosische oder englische Art Ganz anders ist die wissenschaftliche Aussprache die auf unumstosslichen Fundamenten ruht Warum werden unsere lateinischen Texte nicht in der restituierten Aussprache gelesen rezitiert und gesungen 8 Ubernahme des italienischen Lautmodells in der Kirche Bearbeiten 1903 schrieb Papst Pius X in seinem Motu proprio Tra le sollecitudini Der liturgische Text soll so gesungen werden wie er in den Buchern steht ohne Veranderung oder Umstellung von Wortern ohne unerlaubte Wiederholungen ohne die Silben zu verstummeln und stets in einer Vortragsweise die von der zuhorenden Gemeinde verstanden wird 9 Der Papst ordnete mit diesem Satz keineswegs die italienische Lateinaussprache an 10 Aber seine Forderung nach Texttreue und Verstandlichkeit kann durchaus so interpretiert werden zumal die franzosische Lateinaussprache in gewisser Hinsicht tatsachlich Silben verstummelt Nasalierung und in vielen Punkten der weitaus klareren italienischen Lautung unterlegen ist Tatsache ist dass die Monche der beruhmten Benediktinerabtei Saint Pierre zu Solesmes den Anfang machten und nach ihrer Herausgabe der Editio Vaticana 1905 besonders ab 1940 als Eugene Cardine erster Kantor wurde 11 damit begannen im gregorianischen Choral die italienische Aussprache zu verwenden 12 Damit bekundeten sie ihre Verbundenheit mit Rom und verwarfen zugleich die franzosische Lateinaussprache deren Nachteile fur das Textverstandnis wegen der zahlreichen Lautnivellierungen und Vokalvertauschungen auf der Hand lagen Gerade in den Jahren nach der Trennung von Kirche und Staat 1905 auf die Pius X mit seinen Enzykliken Vehementer nos 1906 und Une fois encore 1907 scharf reagierte und den franzosischen Geistlichen seinen Beistand aussprach strebte die Kirche Frankreichs die unification romaine an die Vereinigung mit Rom 13 Und ein Ausdruck dieses Strebens war die Einfuhrung der italienischen Lateinaussprache die in der Folge gerne prononciation a la romaine genannt wurde Allerdings sollte es noch mehr als drei Jahrzehnte dauern bis diese Aussprache vollkommen etabliert war Nachdem der Anlauf genommen war setzte sich die Reform spater von der Nuntiatur unterstutzt allmahlich in allen Diozesen Frankreichs durch mit Ausnahme von Cambrai und von Dijon Die eifrigsten Vorstreiter der phonetischen Erneuerung konnten leider nicht immer ihre guten Absichten erfolgreich mit der italienischen Lateinaussprache in Einklang bringen Und in wie vielen Kirchen hort man noch heute 1938 ein scheussliches Gemisch aus der italienischen und der alten franzosischen Lautung 14 Die heutige Situation Bearbeiten Die Reform an den Universitaten und Schulen verlief offenbar mit geringeren Problemen als in den franzosischen Kirchen wo sie ein langwieriger Prozess war So wurden z B noch Anfang der 1930er Jahre auf Betreiben der Freunde der franzosischen Lateinaussprache in Paris zwei Messen in franzosischer Lateinaussprache gelesen und gesungen die jedoch die allgemeine Durchsetzung der Aussprache a la romaine nicht aufhalten konnten 15 Erst zur Mitte des 20 Jahrhunderts war die alte franzosische Lautung endgultig aus dem gottesdienstlichen Gebrauch verschwunden und auch das romanisierende Latein wurde seinerseits nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von der Landessprache Franzosisch abgelost Heute werden in franzosischen Gottesdiensten lateinische Gesange und Messen Motetten Kantaten und Oratorien wiederum auf italienische Art gesungen und aufgefuhrt Lateinische Lehnworter und Fachausdrucke werden in der Alltagssprache nach wie vor franzosisch gelautet da sie zu franzosischen Wortern geworden sind curriculum vitae kyʁikylɔm vite caecum sekɔm exequatur ɛɡzekwatyʁ fœtus fetys vademecum vademekɔm u v m Wiederbelebung durch die Historische Auffuhrungspraxis Bearbeiten Seit den 1990er Jahren kam es in Frankreich zu einer kleinen Renaissance der alten Lateinaussprache als fuhrende Ensembles der Alten Musik im Interesse der historisch informierten Auffuhrungspraxis damit begannen sie in Auffuhrungen von kirchenmusikalischen Werken der franzosischen Barockzeit zu verwenden z B Les Arts Florissants unter William Christie Le Concert Spirituel unter Herve Niquet Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset Le Poeme Harmonique unter Vincent Dumestre Le Parlement de Musique unter Martin Gester u a Allerdings beschrankt sich die Verwendung auf Kompositionen von Lully Charpentier Campra Couperin und Rameau u a obwohl bis ins 20 Jahrhundert die Kirchenmusik von Cherubini Rossini Berlioz Faure oder Saint Saens in der traditionellen Lateinaussprache aufgefuhrt wurde Besonders hervorgehoben sei Francis Poulenc da er genau in der Zeit der Reformen lebte und lateinische Worter bei der Vertonung gerne franzosisch akzentuierte Endsilben auf betonten Zahlzeiten Daraus darf man folgern dass Poulenc seine geistlichen Werke nicht in italienischer Lautung horen wollte wie sie zu seiner Zeit in Frankreich neu war sondern in traditionell franzosischer Aussprache Zudem seien im Opernbereich die lateinischen Studentenlieder und Gebete in Berlioz La damnation de Faust und der Eingangschor Te Deum laudamus in Halevys La juive erwahnt Charakteristika der franzosischen Lateinaussprache BearbeitenDie folgende Beschreibung ist den Elemens de la Grammaire francoise 1829 von Charles Francois Lhomond entnommen 16 ANLEITUNG ZUR LATEINAUSSPRACHE Wenn man Franzosisch lesen kann kann man auch das Lateinische muhelos lesen Die Ausspracheunterschiede beschranken sich auf folgende AI EI OI OU werden getrennt ausgesprochen Danai danai fidei fidei introitus ɛ tɾɔitys prout pɾɔyt AU wird wie frz o ausgesprochen laus los laudate lodate auctor oktɔɾ Endungen von Eigennamen auf US werden jedoch getrennt gelautet Nicolaus Danaus prononcez Nicola us Dana us nikɔlays danays AE Œ und alle E in offener Silbe werden wie frz e ausgesprochen pœnae prononcez pene pene 1 AM AN werden ɑ ausgesprochen angelus ɑ ʒelys vocantis vɔkɑ tis amant amɑ t amplius ɑ plijys EM EN werden immer ɛ und niemals ɑ ausgesprochen OM ON und UM UN werden ɔ ausgesprochen montis mɔ tis fons fɔ s compos kɔ pos promptus pɾɔ ptys unda ɔ da fugiunt fyʒijɔ t umbrae ɔ bɾe Zudem wird UN in sehr wenigen Wortern wie frz un œ ausgesprochen nunc nœ k hunc œ k tunc tœ k cuncti kœ kti 2 Die Endsilbe UM wird stets ɔm gelautet domum domɔm priorum pɾijoɾɔm vanum vanɔm usw AM AN EM EN OM und ON werden vor M bzw N und am Wortende nicht nasaliert Titan titan annus a n nys musam myzam flamma flama amnis amnis lumen lymɛn partem paɾtɛm dein de in hymnus imnys immotus i m motys Damon damɔn connexus kɔnɛksys omnis ɔmnis committo kɔmito usw Alle Buchstaben die nicht von einem Vokal gefolgt werden sind auszusprechen fons fɔ s dicunt dikɔ t psalmus psalmys promptus pɾɔ ptys emptor ɛ ptɔɾ usw CH wird immer k gelautet charitas kaɾitas chorus kɔɾys Anchises ɑ kizɛs GN wird immer hart ɡn ausgesprochen wie in den frz Wortern gnostique gnomonique magna maɡ na igne iɡ ne agni aɡ ni Dreifache Lautung von QU wenn U keine eigene Silbe ist 3 kw vor A quare kwaɾe kɥ vor E AE und I quae kɥe quercus kɥɛɾkys quilibet kɥilibɛt k vor O und U quotannis kɔtanis equus ekys TI wird vor Vokalen wie frz ci si ausgesprochen gratia ɡɾasija actio aksijo actium aksijɔm prudentiae pɾydɛ sije 4 Anmerkungen E in geschlossener Silbe wird nicht erwahnt wo es offen bzw in mittlerer Qualitat zu lauten ist Zur Lautung des E siehe die Ausspracheangaben auf Wikibooks mit Quellenangaben Darin eingeschlossen sind samtliche Ableitungen des lateinischens Verbs cunctor kœ ktɔɾ Den Quellen zufolge wird die Buchstabenverbindung UNC in allen anderen Fallen ɔ k ausgesprochen obgleich es diesbezuglich Unsicherheiten gegeben hat Diese dreifache Lautung gilt auch fur GU vgl auch SU in suavis swavis assuescat asɥɛskat Gilt nicht fur STI XTI Vokal Weblinks BearbeitenGabriel Faure Requiem op 48 auf YouTube historische Aufnahme vom 10 Marz 1930 17 Fanny Malnory Marseillac Sopran Louis Morturier Bariton Alexandre Cellier Orgel Chœur et Orchestre de la Societe Bach Gustave BretGabriel Faure Requiem op 48 auf YouTube historische Aufnahme vom 31 Mai 1938Suzanne Dupont Sopran Maurice Didier Bariton Edouard Commette Orgel Les Chanteurs de Lyon Le Trigentuor instrumental Lyonnais Ernest Bourmauck nbsp Wikibooks Franzosische Aussprache des Lateinischen Lern und Lehrmaterialien Ausfuhrliche Version dieses Artikels mit Ausspracheangaben und Quellen des 18 19 JahrhundertsLa prononciation du latin a la francaise ou latin gallicanEinzelnachweise Bearbeiten Joseph Brugerette Le Pretre francais et la societe contemporaine Lethielleux Paris 1938 3 Band S 628ff De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione Des Erasmi Roterodami Dialogus Paris 1528 Digitalisat Text einer ungenannten Ausgabe bei Wikisource Eloi Ragon La prononciation du latin in La Musique Sacree Revue mensuelle de plain chant et de musique religieuse 6 Jahrgang Nr 8 9 Toulouse 1907 S 35 Ders ebenda S 34 Alcide Mace Schallplattenaufnahme vom 5 Februar 1913 Universite de Paris Archives de la Parole Nr O 113 aufbewahrt in der Bibliotheque Nationale de France Departement Audiovisuel AP 45 Paul Crouzet Grammaire Latine simple et complete Toulouse Paris 1906 S 3f Joseph Burnichon Encore la prononciation du latin in La Musique Sacree Revue mensuelle de plain chant et de musique religieuse 7 Jahrgang Nr 10 Toulouse 1908 S 37 Th de Rifbonnet ebenda S 38 Pius X Tra le sollecitudini III 9 Ubersetzung aus dem Italienischen Joseph Brugerette Le Pretre francais et la societe contemporaine Paris 1938 S 630 Nino Albarosa La scuola gregoriana di Eugene Cardine In Rivista italiana di musicologia Nr 9 1974 S 289 Eloi Ragon in La Musique Sacree Revue mensuelle de plain chant et de musique religieuse 6 Jahrgang Nr 8 9 Toulouse 1907 S 34 Joseph Brugerette Le Pretre francais et la societe contemporaine Paris 1938 S 628ff Ders ebenda S 631 Ders ebenda S 631 Fussnote Charles Francois Lhomond Elemens de la Grammaire francoise erweiterte Neuausgabe Dijon 1829 S 142f Autor dieses Abschnitts ist Abbe de Boulliette Traite de la maniere d enseigner a lire servant de Troisieme Partie au Traite des Sons de la Langue Francoise Paris 1760 S 56ff Mutien Omer Houziaux La prononciation gallicane du chant latin garante d authenticite in Revue de la Societe liegeoise de Musicologie 20 Luttich 2002 S 91f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Franzosische Aussprache des Lateinischen amp oldid 231154658