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Fermis Goldene Regel benannt nach dem Physiker Enrico Fermi 1901 1954 bezeichnet eine viel benutzte Gleichung aus der quantenmechanischen Storungstheorie Die Gleichung ergibt die theoretische Voraussage fur die Ubergangsrate Ubergangswahrscheinlichkeit pro Zeit mit der ein Anfangszustand unter dem Einfluss einer Storung in einen anderen Zustand ubergeht Wenn nicht zusatzlich noch Ubergange in weitere Zustande moglich sind gibt der Kehrwert der Ubergangsrate die mittlere Lebensdauer des Anfangszustands an Anschaulich gesagt ist das die Zeit die der Quantensprung in den neuen Zustand im Mittel noch auf sich warten lassen wird Auf Grund ihrer allgemeinen Gultigkeit konnen fur Fermis Goldene Regel vielfaltige Anwendungen gefunden werden z B in der Atomphysik Kernphysik und Festkorperphysik bei der Absorption und Emission von Photonen Phononen oder Magnonen Mit der Goldenen Regel kann man sowohl spontane Umwandlungen behandeln z B den radioaktiven Zerfall die Emission von Lichtquanten den Zerfall von instabilen Elementarteilchen als auch die Absorption z B von Lichtquanten aber auch den Wirkungsquerschnitt beliebiger Reaktionen zwischen zwei Teilchen Inhaltsverzeichnis 1 Formel 2 Geschichte 3 Herleitungsskizze 4 Literatur 5 Weblinks 6 Anmerkungen 7 EinzelnachweiseFormel BearbeitenWird ein Anfangszustand i displaystyle i rangle nbsp einer Storung V displaystyle V nbsp ausgesetzt durch die er in einen Endzustand f displaystyle f rangle nbsp in einem Energiekontinuum ubergehen kann so ist in erster storungstheoretischer Naherung die Ubergangsrate l i f displaystyle lambda i to f nbsp d h die Ubergangswahrscheinlichkeit pro Zeitspanne dafur gegeben durch l i f 2 p ℏ r E f V f i 2 displaystyle lambda i to f frac 2 pi hbar rho E f left V fi right 2 nbsp Dabei sind ℏ displaystyle hbar nbsp das reduzierte Plancksche Wirkungsquantum r E f displaystyle rho E f nbsp die Zustandsdichte der beobachteten Endzustande bei der Energie E f displaystyle E f nbsp V f i displaystyle V fi nbsp das zu diesem Ubergang gehorende Matrixelement des Storoperators V displaystyle V nbsp auch ausgedruckt durch f V i displaystyle langle f V i rangle nbsp die Zustande i displaystyle i rangle nbsp und f displaystyle f rangle nbsp Eigenzustande zu einem ungestorten Hamilton Operator zu dem die Storung V displaystyle V nbsp zusatzlich betrachtet werden soll Die Ubergangsrate hat die Dimension 1 Zeit Fur spontane Zerfalle Beispiel Radioaktivitat ist sie die Zerfallskonstante im Exponentialgesetz Die mittlere Lebensdauer des Systems im Anfangszustand ist t 1 l displaystyle tau 1 lambda nbsp Die Energieunscharfe oder Halbwertsbreite G i f ℏ l i f displaystyle Gamma i to f hbar cdot lambda i to f nbsp des Anfangszustands hat die Dimension Energie Sind Umwandlungen in verschiedener Form moglich so ergeben sich die totale Zerfallskonstante l displaystyle lambda nbsp bzw die totale Halbwertsbreite G displaystyle Gamma nbsp aus der Summe der einzelnen partiellen Werte fur jede Art des Ubergangs Geschichte BearbeitenDer storungstheoretische Formalismus der Goldenen Regel wurde 1927 von Paul Dirac auf der Basis der zeitabhangigen Schrodingergleichung entwickelt um die Absorption und Emission von Photonen erstmals quantenmechanisch zu behandeln 1 In der Arbeit wird die Wechselwirkung Storung eines Quantensystems beispielsweise eines Atoms oder Molekuls mit elektromagnetischer Dipolstrahlung dargelegt wobei hier der Storoperator im Gegensatz zum obigen Modellbeispiel in Form einer vektoriellen Grosse das sogenannte Ubergangsdipolmoment M f i displaystyle vec M fi nbsp auftritt Wenig spater wurde er von Gregor Wentzel in einer Arbeit zur Berechnung der Ubergangswahrscheinlichkeit fur den strahlungslosen Auger Meitner Effekt in Atomen noch einmal entwickelt der ebenfalls ein Ubergang von einem diskreten Zustand im Atom in den kontinuierlichen Bereich des Spektrums ist 2 Nach Fermi ist diese Regel Anmerkung 1 benannt da er sie 1950 in einem Kernphysik Lehrbuch als Golden Rule No 2 3 auffuhrte In der Literatur finden sich aber manchmal auch die Bezeichnungen Wentzel Fermi Golden Rule und Fermi Wentzel Golden Rule Als Golden Rule Nr 1 wird bei Fermi 4 der Einsatz des Terms zweiter Ordnung in der Storungstheorie fur solche Ubergange bezeichnet die nach der ersten Ordnung verboten waren Herleitungsskizze BearbeitenAls Grundannahme wird ein zeitlich konstantes System mit exakt losbarem Hamiltonoperator H 0 displaystyle H 0 nbsp durch einen Storoperator V displaystyle V nbsp erweitert H H 0 V displaystyle H H 0 V nbsp Fermis Goldene Regel gilt fur beliebige konstante oder zeitabhangige Storoperatoren Sie konnen die Wechselwirkung mit einem ausseren konstanten oder zeitabhangigen Feld darstellen oder eine zusatzliche Art der Wechselwirkung zwischen den Teilchen des Systems die in H 0 displaystyle H 0 nbsp nicht berucksichtigt war z B die Moglichkeit der Erzeugung eines Photons Hier wird die Herleitung fur einen zeitlich konstanten Storoperator gezeigt Fur den vervollstandigten Hamiltonoperator muss die zeitabhangige Schrodingergleichung i ℏ t PS t H PS t displaystyle mathrm i hbar partial t left Psi t right rangle H left Psi t right rangle nbsp gelost werden Am Anfang t 0 displaystyle t 0 nbsp soll das System sich in einem Eigenzustand zu H 0 displaystyle H 0 nbsp befinden Man entwickelt die gesuchte Funktion PS t displaystyle left Psi t right rangle nbsp nach den Eigenfunktionen des ungestorten Hamiltonoperators PS n displaystyle left Psi n right rangle nbsp mit Energie Eigenwerten E n displaystyle E n nbsp und hat damit zeitabhangige Koeffizienten PS t n 0 a n t PS n e i E n t ℏ displaystyle left Psi t right rangle sum n 0 infty a n t left Psi n right rangle e frac mathrm i E n t hbar nbsp Die Anfangsbedingung ist a i 0 1 displaystyle a i 0 1 nbsp alle anderen a n 0 0 displaystyle a n 0 0 nbsp Nach Einsetzen von Hamiltonoperator und Wellenfunktion in die Schrodingergleichung ergibt sich durch Koeffizientenvergleich i ℏ t a f t n 0 V f n a n t e i w f n t displaystyle mathrm i hbar partial t a f t sum n 0 infty V fn a n t e mathrm i omega fn t nbsp wobei w f n displaystyle omega fn nbsp eine Kurzschreibweise fur E f E n ℏ displaystyle tfrac E f E n hbar nbsp darstellt und V f n PS f V PS n displaystyle V fn left langle Psi f right V left Psi n right rangle nbsp gilt Die Stormatrix V displaystyle V nbsp ist diagonal sofern die Storung ausgeschaltet ist Erst das Einschalten der Storung erzeugt nichtdiagonale Matrixelemente welche als Mass der Storung interpretiert werden konnen Diese Gleichung beschreibt wie sich die Koeffizienten a f t displaystyle a f t nbsp zeitlich andern Zur naherungsweisen Losung wird angenommen dass die Koeffizienten sich gegenuber ihren Anfangswerten stetig andern sodass fur kleine Zeiten von der Summe nur das Glied n i displaystyle n i nbsp zu betrachten ist Das ist der Sinn der 1 storungstheoretischen Naherung Da V f i displaystyle V fi nbsp zeitlich konstant ist kann die Gleichung integriert werden i ℏ a f t V f i 0 t d t e i w f i t displaystyle mathrm i hbar a f t V fi int 0 t mathrm d t e mathrm i omega fi t nbsp Als Ergebnis erhalt man i ℏ a f t V f i 1 i w f i e i w f i t 1 2 V f i e i w f i t 2 sin w f i t 2 w f i displaystyle mathrm i hbar a f t V fi frac 1 mathrm i omega fi e mathrm i omega fi t 1 2V fi e frac mathrm i omega fi t 2 left frac sin tfrac omega fi t 2 omega fi right nbsp Es sei daran erinnert dass aufgrund der Herleitung diese Formel nur gultig bleiben kann solange a f t 1 displaystyle left a f t right ll 1 nbsp gilt Die Wahrscheinlichkeit zur Zeit t das System im Zustand f zu finden ist das Betragsquadrat a f t 2 4 V f i 2 ℏ 2 sin 2 w f i t 2 w f i 2 displaystyle left a f t right 2 frac 4 left V fi right 2 hbar 2 left frac sin 2 tfrac omega fi t 2 omega fi 2 right nbsp Bei einem Ubergang ins Kontinuum besitzt der Endzustand f displaystyle f nbsp zahlreiche Nachbarzustande ahnlicher Struktur aber mit kontinuierlich variierender Energie die auch als Endzustande moglich sind Das Matrixelement kann deshalb fur alle gleich angenommen werden die jeweilige Ubergangswahrscheinlichkeit ist wegen des eingeklammerten Faktors in nachfolgender Graphik mit g displaystyle g nbsp bezeichnet in der letzten Formel aber unterschiedlich In Abhangigkeit von w f i displaystyle omega fi nbsp betrachtet ist dieser Faktor g displaystyle g nbsp eine Funktion mit einem spitzen Maximum der Hohe t 2 4 displaystyle tfrac t 2 4 nbsp bei w f i 0 displaystyle omega fi 0 nbsp Die benachbarten Nullstellen liegen bei w f i 2 p t displaystyle omega fi pm tfrac 2 pi t nbsp das Maximum dazwischen kann man gut durch ein Dreieck mit der Grundlinie 4 p t displaystyle tfrac 4 pi t nbsp annahern Der Mittelwert des Klammerfaktors in diesem Intervall ist daher naherungsweise die Halfte des Maximums t 2 8 displaystyle tfrac t 2 8 nbsp nbsp Das zentrale Maximum der Ubergangswahrscheinlichkeits Verteilung in beliebigen Einheiten Die Hohe des bei E i E f displaystyle E i E f nbsp zentrierten Maximums ist proportional zu t 2 displaystyle t 2 nbsp wahrend die Breite proportional zu 1 t displaystyle tfrac 1 t nbsp ist Das spitze Maximum dieser Funktion bei w f i 0 displaystyle omega fi 0 nbsp zeigt dass Ubergange bevorzugt in Zustande gleicher Energie E f E i displaystyle E f E i nbsp fuhren aber Abweichungen in einem Bereich der Breite D E 4 p ℏ t 2 h t displaystyle Delta E tfrac 4 pi hbar t tfrac 2h t nbsp moglich sind Mit wachsender Zeit wird dieser Schwankungsbereich kleiner Dies ist eine der Formen der Unscharferelation fur Energie und Zeit und begrundet die bei allen Spektrallinien zu findende naturliche Linienbreite Auch wird mit wachsendem t die Spitze hoher und die gesamte Flache unter dem Maximum genahert durch halbe Hohe mal Breite wachst proportional zu t an Ist W die Summe der Ubergangswahrscheinlichkeiten in alle Zustande im Bereich des Maximums wachst also W proportional zu t und W t displaystyle tfrac W t nbsp ist die gesuchte konstante Ubergangsrate Aber es sei wiederholt dass die ganze Herleitung nur solange gultig bleiben kann wie W 1 displaystyle W ll 1 nbsp bleibt Zur Berechnung von W wird nun die mittlere Ubergangswahrscheinlichkeit im Maximum einfach mit der Zahl der Endzustande im Intervall D E displaystyle Delta E nbsp multipliziert Diese Zahl der Zustande ergibt sich aus der Dichte der Zustande auf der Energieachse r E f d n d E f displaystyle rho E f frac mathrm d n mathrm d E f nbsp multipliziert mit der Breite D E 4 ℏ p t displaystyle Delta E tfrac 4 hbar pi t nbsp Zu beachten ist dabei dass r E displaystyle rho E nbsp nicht unbedingt die Zustandsdichte D E displaystyle D E nbsp aller moglichen Zustande im Energieintervall E 1 2 D E displaystyle E pm tfrac 1 2 Delta E nbsp ist wie sie z B in der Festkorperphysik definiert ist sondern meist nur ein kleiner Bruchteil davon Es tragen hier nur diejenigen Zustande bei die auch bei der konkreten Messung der Ubergangswahrscheinlichkeit W displaystyle W nbsp mitgezahlt werden also z B nur solche wo Teilchen in bestimmte Richtungen fliegen Fur die Summe W aller einzelnen Ubergangswahrscheinlichkeiten a f t 2 displaystyle left a f t right 2 nbsp erhalt man damit W 4 V f i 2 ℏ 2 t 2 8 4 ℏ p t r E f 2 p ℏ r E f V f i 2 t displaystyle W frac 4 left V fi right 2 hbar 2 left frac t 2 8 right left frac 4 hbar pi t right rho E f frac 2 pi hbar rho E f left V fi right 2 t nbsp Division durch die Zeit ergibt somit Fermis Goldene Regel fur die Ubergangsrate l i f 2 p ℏ r E f V f i 2 displaystyle lambda i to f frac 2 pi hbar rho E f left V fi right 2 nbsp Literatur BearbeitenAuf Grund ihrer Wichtigkeit fur die quantenmechanische Storungstheorie wird Fermis Goldene Regel in den meisten einfuhrenden Buchern zur Quantenmechanik und Kernphysik behandelt H Haken H C Wolf Molekulphysik und Quantenchemie 5 Auflage Springer Berlin Heidelberg 2006 ISBN 978 3 540 30314 5 S 322 327 A Amann U Muller Herold Offene Quantensysteme Springer Berlin Heidelberg 2011 ISBN 978 3 642 05186 9 S 208 233 T Mayer Kuckuk Atomphysik 5 Auflage B G Teubner Stuttgart 1997 ISBN 978 3 519 43042 1 S 129 133 J J Sakurai Modern Quantum Mechanics Addison Wesley 1994 ISBN 0 201 53929 2 W Greiner Quantenmechanik Teil I Eine Einfuhrung 4 Auflage Harry Deutsch Thun 1989 ISBN 978 3 8171 1064 3 Weblinks BearbeitenTransition Probabilities and Fermi s Golden Rule Ausfuhrliche Herleitung PDF engl 117 kB Freier Matlab Code zur Visualisierung der RegelAnmerkungen Bearbeiten Warum sie als Regel bezeichnet wird anstatt Gleichung oder Formel wie sonst eher ublich ist nicht klar Jedenfalls kann dieses Wort an die Anfangszeit der neuen Quantenmechanik erinnern als noch herumprobiert werden musste welche Rezepte oder eben Regeln zum Erfolg fuhren Anm 2023 02 11 Fermi nutzte die Formel regelmassigEinzelnachweise Bearbeiten The quantum theory of the emission and absorption of radiation In Proceedings of the Royal Society of London Series A Containing Papers of a Mathematical and Physical Character Band 114 Nr 767 Marz 1927 ISSN 0950 1207 S 243 265 doi 10 1098 rspa 1927 0039 englisch royalsocietypublishing org abgerufen am 11 Februar 2023 Gregor Wentzel Uber strahlungslose Quantensprunge In Zeitschrift fur Physik Band 43 Nr 8 1927 S 524 530 doi 10 1007 BF01397631 Enrico Fermi Nuclear Physics Rev ed University of Chicago Press Chicago 1974 ISBN 0 226 24365 6 englisch archive org abgerufen am 11 Februar 2023 Fermi loc cit S 136 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fermis Goldene Regel amp oldid 233111254