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Das Ehrenfestsche Paradoxon ist ein Paradoxon der Relativitatstheorie und wurde erstmals 1909 von Paul Ehrenfest besprochen Es besagt dass gemass der Relativitatstheorie keine starren Korper existieren konnen und fur einen mitrotierenden Beobachter der Raum eine nichteuklidische Geometrie annimmt Das Ehrenfestsche Paradoxon Der Umfang einer rotierenden Scheibe sollte kontrahieren nicht jedoch der Radius Inhaltsverzeichnis 1 Starrer Korper und Relativitatstheorie 2 Rotation und nichteuklidische Geometrie 3 Formale Losungen 4 Siehe auch 5 Quellen 6 Literatur 7 WeblinksStarrer Korper und Relativitatstheorie BearbeitenMax Born versuchte 1909 das Konzept des starren Korpers bei der Beschreibung beschleunigter Bewegungen in die spezielle Relativitatstheorie zu integrieren Die bornsche Starrheitsbedingung besagt dass in einem mitbeschleunigten Bezugssystem S displaystyle S nbsp die Abstande in der infinitesimalen Umgebung des Beobachters konstant bleiben Aus Sicht eines Inertialsystems S displaystyle S nbsp hingegen sind diese Abstande der relativistischen Langenkontraktion unterworfen 1 Dies fuhrt jedoch zu einem prinzipiellen Widerspruch der 1909 von Paul Ehrenfest aufgezeigt wurde In seiner ursprunglichen Formulierung geht er von einem starren Zylinder aus der in Rotation versetzt wird Die Beschreibung erfolgt im Inertialsystem S displaystyle S nbsp das im Folgenden als Laborsystem bezeichnet werden soll Der Radius r displaystyle r nbsp des Zylinders verandert sich bei der Beschleunigung nicht Aber gemass der bornschen Starrheitsbedingung unterliegt der Umfang 2 p r displaystyle 2 pi r nbsp der Lorentzkontraktion Daraus ergibt sich im Laborsystem in dem die euklidische Geometrie weiterhin gultig sein muss der widerspruchliche Zusammenhang 2 2 p r lt 2 p r displaystyle 2 pi r lt 2 pi r nbsp r r displaystyle r r nbsp Unabhangig von Ehrenfest wurde die begrenzte Gultigkeit der bornschen Starrheitsbedingung auch von Gustav Herglotz und Fritz Noether erkannt 1909 Sie bemerkten dass ein bornscher starrer Korper nur 3 Freiheitsgrade besitzt womit die Analogie zu dem starren Korper der klassischen Mechanik sehr eingeschrankt wird 3 4 Max Planck 1910 wies daruber hinaus darauf hin dass dieses Paradoxon im Zusammenhang mit der Elastizitatstheorie zu behandeln ist Denn wahrend der Beschleunigung mussten auftretende Spannungen und Deformationen berucksichtigt werden 5 Schliesslich zeigte Max von Laue 1911 auf einfache Weise dass von starren Korpern uberhaupt nicht mehr gesprochen werden kann da jede Richtungsanderung sofort Deformationen im Korper auslost und somit eine Einschrankung der Freiheitsgrade wie in der newtonschen Mechanik nicht moglich ist 6 Dieser scheinbare Widerspruch zeigt also dass starre Korper im Allgemeinen zur Relativitatstheorie im Widerspruch stehen Dies steht in Zusammenhang mit der Konsequenz der Relativitatstheorie dass Wirkungen sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten konnen wahrend in einem perfekt starren Korper die Schallgeschwindigkeit unendlich ware Es ergeben sich dadurch allgemein folgende Konsequenzen 7 8 Eine Scheibe kann nicht wie ein starrer Korper vom ruhenden Zustand in Rotation versetzt werden folglich existieren keine starren Korper Und auch durch sorgfaltig gewahlte Krafte die an jeden Punkt des Korpers angreifen lasst sich nur in ausgewahlten Fallen eine Verformung vermeiden Die bornsche Definition des starren Korpers kann nur in einer sehr geringen Anzahl von Fallen benutzt werden Die beschleunigte Rotation gehort nicht zu diesen Fallen Gewohnliche Materialien werden also in der Phase in der sie vom ruhenden Zustand in Rotation versetzt werden bzw eine beschleunigte Rotation ausfuhren unterschiedlichen Deformationen unterworfen sein welche wiederum von der Beschaffenheit der Materialien abhangig sind Ob die Scheibe im rotierenden Zustand grosser oder kleiner ist als in Ruhe hangt nicht nur von der Langenkontraktion sondern auch von Zentrifugalkraften und mechanischen Spannungen ab Dazu soll folgender Spezialfall im Laborsystem betrachtet werden Am Rand einer Scheibe sollen mehrere Stabe lose angeordnet werden Die Scheibe soll wahrend der Phase der beschleunigten Rotation derart deformiert werden dass der Scheibenumfang trotz der Langenkontraktion bis zum Erreichen der gleichformigen Rotation konstant bleibt Da jedoch die darauf befindlichen Stabe untereinander nicht verbunden sind werden an ihnen im Gegensatz zur Scheibe kaum Deformationen auftreten und sie konnen ungehindert kontrahieren Ihr gegenseitiger Abstand auf der gleich gross bleibenden Scheibe wird folglich grosser werden Dies ist analog zum Bellschen Raumschiffparadoxon Waren einige Raumschiffe kreisformig angeordnet und mit Seilen miteinander verbunden und wurden aus Sicht des Laborsystems die Raumschiffe gleichzeitig beschleunigt werden dann wurden sowohl Raumschiffe als auch die Seile der Langenkontraktion und diversen Deformationen unterworfen sein Die Raumschiffe wurden aufgrund ihrer grosseren Widerstandsfahigkeit diesen Deformationen widerstehen und nur der Langenkontraktion unterworfen sein Hingegen die Seile wurden durch die Deformationen reissen oder zumindest gedehnt werden sodass der Umfang des Raumschiff Seil Kreises gleich bliebe Also ist die ursprungliche Vorstellung Ehrenfests dass aus Sicht eines Laborsystems bei gleichbleibendem Radius der gesamte Umfang kontrahiert im Rahmen der Relativitatstheorie nicht moglich Rotation und nichteuklidische Geometrie BearbeitenBislang wurde die Frage behandelt wie eine Scheibe vom ruhenden Zustand aus in Rotation versetzt wird und ob dies starr erfolgen kann oder nicht Doch bei einer Scheibe die sich bereits in gleichformiger Rotation befindet stellt sich nun die rein kinematische Frage welche Unterschiede in der Vermessung der Scheibe auftreten wenn die Messung entweder im Laborsystem oder in einem rotierenden Bezugssystem vorgenommen wird Dazu sollen sowohl im Laborsystem als auch im Scheibensystem baugleiche Stabe verwendet werden Wird nun mit diesen im jeweiligen System ruhenden Staben der Scheibenumfang bzw der Scheibenradius gemessen ergibt sich 8 Wie oben demonstriert ist im Laborsystem der Umfang der Scheibe im Verhaltnis zum Radius nicht kontrahiert Er betragt somit gemass der euklidischen Geometrie U 2 p r displaystyle U 2 pi r nbsp Die auf der Scheibe befindlichen bewegten Stabe sind hingegen in tangentialer nicht jedoch in radialer Richtung der Langenkontraktion gemass L L 1 v 2 c 2 displaystyle L L sqrt 1 v 2 c 2 nbsp unterworfen Also beobachtet man im Laborsystem dass die mitrotierenden Beobachter ihre Stabe in tangentialer Richtung ofter anlegen mussen als die Beobachter im Laborsystem wogegen es in radialer Richtung keinen Unterschied gibt Das bedeutet dass der mit den kontrahierten Staben gemessene Umfang nicht mehr ein Verhaltnis von 2 p displaystyle 2 pi nbsp zum Radius hat sondern 2 p 1 v 2 c 2 displaystyle 2 pi sqrt 1 v 2 c 2 nbsp Da die auf der Scheibe mitrotierenden Beobachter nichts von der Kontraktion bemerken da sie selbst genauso der Langenkontraktion unterworfen sind wie die Stabe mussen sie davon ausgehen dass die Stablangen sowohl in radialer als auch in tangentialer Richtung gleich sind Dass ihre Messung ein Verhaltnis 2 p 1 v 2 c 2 displaystyle 2 pi sqrt 1 v 2 c 2 nbsp ergibt ist fur sie Ausdruck davon dass der Scheibenumfang grosser ist als im Laborsystem und wird interpretiert als Folge der nichteuklidischen Geometrie im Scheibensystem Ehrenfest ging also ursprunglich davon aus dass der Scheibenumfang im rotierenden Bezugssystem gleich bleibt und im Laborsystem kleiner wird Tatsachlich bleibt jedoch der Umfang im Laborsystem gleich und wird grosser im rotierenden Bezugssystem Formale Losungen BearbeitenDa Gravitationskrafte hier keine Rolle spielen kann dieses Paradoxon beziehungsweise die nichteuklidische Geometrie im rotierenden Bezugssystem durchaus mit den Mitteln der speziellen Relativitatstheorie behandelt werden Denn entgegen einem verbreiteten Irrtum ist diese Theorie auch fur alle Beschleunigungen gultig siehe Beschleunigung Spezielle Relativitatstheorie die allgemeine Relativitatstheorie wird erst benotigt wenn Gravitation im Spiel ist Wesentlich ist dabei dass die Poincare Einstein Synchronisation von Uhren in rotierenden Bezugssystemen nicht auf das ganze System sondern nur lokal angewandt werden kann denn im Ruhezustand synchrone Uhren verlieren wahrend der Rotation bzw bei Beschleunigungen ihre Synchronisation Bereits 1910 deutete Theodor Kaluza an dass die Geometrie auf einer Scheibe nichteuklidisch im Sinne der Lobatschewskischen Geometrie ist 9 Die formale Standardlosung fur die Beschreibung der nichteuklidischen Geometrie in rotierenden Bezugssystemen wobei neben dem Ehrenfestschen Paradoxon auch der Sagnac Effekt zu nennen ist geht auf Paul Langevin 1935 zuruck und wurde u a von Christian Moller Lew Dawidowitsch Landau Jewgeni Michailowitsch Lifschitz und Oyvind Gron fortgefuhrt Langevin Landau Lifschitz Metrik Was daruber hinaus noch diskutiert wird bzw wo noch Abweichungen vorhanden sind sind Detailfragen bei der Anwendung und Interpretation der Langevin Landau Lifschitz Metrik 10 11 8 12 Neben der speziellen Relativitatstheorie kann dieses Problem naturlich auch mit der allgemeinen Relativitatstheorie behandelt werden da erstere Theorie in der letzteren als Grenzfall enthalten ist Tatsachlich war dieses Paradoxon von grosser Wichtigkeit fur Albert Einstein bei der Entwicklung der allgemeinen Relativitatstheorie 13 Denn in der speziellen Relativitatstheorie sind beschleunigte Bezugssysteme und Inertialsysteme nicht gleichberechtigt In der allgemeinen Relativitatstheorie hingegen versuchte Einstein alle Bezugssysteme als gleichberechtigt darzustellen Beispielsweise sollten beschleunigte Bezugssysteme zumindest lokal aquivalent mit dem freien Fall in einem Gravitationsfeld sein Aquivalenzprinzip Dabei war die Erkenntnis dass in rotierenden Systemen eine nichteuklidische Geometrie verwendet werden muss ein entscheidender Hinweis dass dies auch in Gravitationsfeldern notig ist 14 Daruber hinaus fuhrte die Komplexitat des Problems bzw die Unkenntnis der eben erwahnten formalen Losung dazu dass im Laufe der Jahrzehnte immer wieder fehlerhafte Erklarungen veroffentlicht wurden So wurde beispielsweise von Weinstein 1971 die Hypothese vertreten dass aufgrund der Thomas Prazession radiale Linien auf der rotierenden Scheibe verzerrt wurden wobei dieser Effekt kumulativ ware 15 Phipps fuhrte 1973 ein Experiment mit einer sich monatelang drehenden Scheibe durch um Weinsteins Effekt nachzuweisen mit negativem Ergebnis 16 Whitmire 1972 konnte jedoch bereits vorher zeigen dass ein solcher Effekt sofern er uberhaupt auftritt sofort durch dabei auftretende Spannungen ausgeglichen wurde und somit von vornherein nicht messbar ware 17 Uberdies wies Gron 1975 darauf hin dass in der von ihm entwickelten relativistischen Kinematik von rotierenden Scheiben kein solcher Effekt auftritt Die Relativitatstheorie ist somit in Ubereinstimmung mit dem negativen Resultat 18 8 Siehe auch BearbeitenGeschichte der speziellen Relativitatstheorie Starre Korper und Realitat der Langenkontraktion Born KoordinatenQuellen Bearbeiten Max Born Die Theorie des starren Elektrons in der Kinematik des Relativitatsprinzips In Annalen der Physik 335 Jahrgang Nr 11 1909 S 1 56 bnf fr Paul Ehrenfest Gleichformige Rotation starrer Korper und Relativitatstheorie In Physikalische Zeitschrift 10 Jahrgang 1909 S 918 Gustav Herglotz Uber den vom Standpunkt des Relativitatsprinzips aus als starr zu bezeichnenden Korper In Annalen der Physik 336 Jahrgang Nr 2 1910 S 393 415 bnf fr Fritz Noether Zur Kinematik des starren Korpers in der Relativtheorie In Annalen der Physik 336 Jahrgang Nr 5 1910 S 919 944 doi 10 1002 andp 19103360504 bibcode 1910AnP 336 919N bnf fr Max Planck Gleichformige Rotation und Lorentz Kontraktion In Physikalische Zeitschrift 11 Jahrgang 1910 S 294 Max von Laue Zur Diskussion uber den starren Korper in der Relativitatstheorie In Physikalische Zeitschrift 12 Jahrgang 1911 S 85 87 Wolfgang Pauli Encyclopadie der mathematischen Wissenschaften Band 5 2 1921 Die Relativitatstheorie S 690 691 online a b c d Oyvind Gron Space Geometry in a Rotating Reference Frame A Historical Appraisal Memento vom 16 Oktober 2013 im Internet Archive In G Rizzi M Ruggiero eds Relativity in Rotating Frames Kluwer 2004 T Kaluza Zur Relativitatstheorie In Physikalische Zeitschrift 11 Jahrgang 1910 S 977 978 Paul Langevin Remarques au sujet de la Note de Prunier In Comptes Rendus 200 Jahrgang 1935 S 48 51 bnf fr Landau Lifschitz Lehrbuch der theoretischen Physik Bd 2 Klassische Feldtheorie Harri Deutsch Frankfurt 1997 ISBN 3 8171 1327 7 Guido Rizzi Matteo Luca Ruggiero Space geometry of rotating platforms an operational approach In Foundations of Physics 32 Jahrgang Nr 10 2002 S 1525 1556 doi 10 1023 A 1020427318877 arxiv gr qc 0207104v2 Albert Einstein Die Grundlage der allgemeinen Relativitatstheorie In Annalen der Physik 49 Jahrgang 1916 S 769 782 uni augsburg de PDF John Stachel General Relativity and Gravitation Hrsg A Held Springer New York 1980 ISBN 0 306 40266 1 Einstein and the Rigidly Rotating Disk D H Weinstein Ehrenfest s Paradox In Nature 232 Jahrgang 1974 S 548 doi 10 1038 232548a0 T E Phipps Kinematics of a rigid rotor In Lettere Al Nuovo Cimento 9 Jahrgang Nr 12 1974 S 467 470 doi 10 1007 BF02819912 D P Whitmire Thomas Precession and the Relativistic Disk In Nature 235 Jahrgang 1972 S 175 176 doi 10 1038 physci235175a0 O Gron Relativistic Description of a rotating disc In American Journal of Physics 43 Jahrgang Nr 10 1975 S 869 876 doi 10 1119 1 9969 Literatur BearbeitenH Reichenbach Axiomatik der relativistischen Raum Zeit Lehre Vieweg Braunschweig 1924 H Reichenbach Philosophie der Raum Zeit Lehre de Gruyter Berlin amp Leipzig 1928 G Rizzi M Ruggiero eds Relativity in Rotating Frames Kluwer 2004 Weblinks BearbeitenThe Rigid Rotating Disk in Relativity Relativity FAQ Hrvoje Nikolic Relativistic contraction and related effects in noninertial frames arxiv gr qc 9904078 Guido Rizzi Matteo Luca Ruggiero Space geometry of rotating platforms an operational approach arxiv gr qc 0207104 Olaf Wucknitz Sagnac effect twin paradox and space time topology Time and length in rotating systems and closed Minkowski space times arxiv gr qc 0403111 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ehrenfestsches Paradoxon amp oldid 238275921