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Der Weichkase Originaltitel La ricotta ist ein Film des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1963 Er bildet die dritte Episode des gesellschaftskritischen Episodenfilms RoGoPaG Die weiteren Episoden stammen von Roberto Rossellini Jean Luc Godard und Ugo Gregoretti FilmTitel Der WeichkaseOriginaltitel La ricottaProduktionsland Italien FrankreichOriginalsprache ItalienischErscheinungsjahr 1963Lange 35 MinutenStabRegie Pier Paolo PasoliniDrehbuch Pier Paolo PasoliniProduktion Alfredo BiniMusik Alessandro ScarlattiGiuseppe VerdiTommaso da Celano Dies irae Giovanni FuscoKamera Tonino Delli ColliSchnitt Nino BaragliBesetzungOrson Welles Regisseur Mario Cipriani Stracci Komparse Laura Betti Diva Edmonda Aldini eine weitere Diva Vittorio La Paglia Journalist Maria Bernadini Striptease Tanzerin Inhaltsverzeichnis 1 Handlung 2 Hintergrund 2 1 Vorgeschichte 2 2 Produktion 2 3 Skandal und Prozess 3 Filmanalyse 4 Kritiken 5 Auszeichnungen 6 Weblinks 7 Literatur 8 EinzelnachweiseHandlung BearbeitenDem Film sind zwei Texttafeln vorangestellt die erste zeigt zwei Bibelzitate ohne Ton Denn es ist nichts Verborgenes das nicht offenbar gemacht werden soll auch ist nichts Geheimes das nicht ans Licht kommen soll Wenn jemand Ohren hat zu horen der hore das Evangelium nach Markus 4 22 23 ELB und die Munzen der Wechsler schuttete er aus und die Tische warf er um und zu den Taubenverkaufern sprach er Nehmt dies weg von hier macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus das Evangelium nach Johannes 2 15 16 ELB Die zweite Texttafel prasentiert eine von Pasolini auch selbst gesprochene Erklarung Es ist nicht schwer vorherzusagen dass meine Geschichte interessierte zwiespaltige und geschockte Urteile hervorrufen wird Jedenfalls mochte ich hier erklaren dass unabhangig davon wie La ricotta aufgefasst werden wird die Geschichte der Passion von der La ricotta indirekt handelt fur mich das grosste Ereignis darstellt das sich je ereignet hat und dass die Bucher die davon berichten das Erhabenste sind was je geschrieben wurde Pier Paolo Pasolini Der Film spielt vor den Toren Roms auf dem Set eines Bibelfilms auf dem ein resignierter Regisseur versucht sein hochst weltliches ignorantes Filmteam zu dirigieren Hier arbeitet auch Stracci il straccione bedeutet auf italienisch der Lump ein einfacher Komparse und Darsteller des guten Schachers Er ist von heftigem Hunger geplagt doch die eigene Essensration bringt er pflichtbewusst seiner Familie ohne davon selbst etwas abzubekommen Als Frau verkleidet gelingt es ihm sich eine zweite Ration zu erschleichen aber bevor er dazu kommt seinen Hunger zu stillen macht sich der Hund der Diva ein kleiner Spitz uber das Essen her nbsp Rosso Fiorentinos Kreuzabnahme 1521 diente als Vorlage fur die erste der beiden Szenen des fiktiven BibelfilmsWahrenddessen taucht ein Journalist am Set auf und bittet um ein Interview mit dem Regisseur Dieser gewahrt ihm vier Fragen die er dann aber nur mit sarkastischen Sentenzen beantwortet Als der Journalist offenbar zufrieden mit diesen Antworten gehen will ruft er ihn zuruck und rezitiert ein Gedicht Pasolinis Ich bin eine Kraft des Vergangenen 1 Der Journalist versteht kein Wort 2 also diktiert ihm der Regisseur eine Reihe drastischer Beleidigungen in die Feder in denen er seine tiefe Verachtung fur ihn und das italienische Burgertum zum Ausdruck bringt Er entlasst ihn mit dem Hinweis dass der Verleger des Journalisten auch der Produzent dieses Filmes ist Der Journalist geht da trifft er Stracci der ihm den Hund der Diva verkauft Nun hat er endlich das Geld sich etwas zu Essen zu besorgen in chaplineskem Zeitraffer rast er zum Stadtrand kauft sich einen riesigen Laib Ricotta und kehrt zum Set zuruck Doch wieder kommt er nicht zum Essen er wird zu seinem Einsatz gerufen und an ein Kreuz gebunden In der Wartezeit machen die anderen sich uber den Gefesselten und seinen Hunger lustig eine Komparsin legt vor ihm einen Strip hin Die Szene wird verschoben aber Stracci bleibt ans Kreuz gefesselt erst in einer Drehpause kann er endlich zu seinem in einer Hohle versteckten Ricotta zuruck Gierig verschlingt er den Kase das belustigte Team ist ihm gefolgt beobachtet ihn und bringt ihm immer mehr zu essen unter ihrem hohnischen Gelachter stopft Stracci alles in sich hinein Da nahert sich der Produzent des Films mit grossem Gefolge dem Set Zu diesem Anlass ist ein grosses Buffet vor der Kreuzigungsszene aufgebaut die in seiner Anwesenheit gedreht werden soll Der Regisseur und die Stars begrussen noch diensteifrig die Gaste die Vorbereitungen fur den Szene sind fast beendet Stracci leidet nach der riesigen Mahlzeit sichtbar an seinem Kreuz wahrend ein Assistent mit ihm noch einmal seinen Text durchgeht Doch als die Kamera schliesslich lauft bleibt er stumm er hat sich uberfressen und ist am Kreuz gestorben Armer Stracci kommentiert der Regisseur lakonisch so zu krepieren er hatte keine andere Moglichkeit uns daran zu erinnern dass er gelebt hat Hintergrund BearbeitenVorgeschichte Bearbeiten Das Buch zu La ricotta entstand wahrend der Dreharbeiten zu Mamma Roma Die Finanzierung des nachsten grossen Projektes die Verfilmung des Evangeliums nach Matthaus gestaltete sich schwierig und zog sich hin Pasolini wollte daher einen kleineren Film einschieben Dieser war ursprunglich fur einen Episodenfilm La vita e bella des Produzenten Roberto Amoroso gedacht der mit dem Drehbuch jedoch nichts anfangen konnte und die Umsetzung ablehnte 3 Alfredo Bini der bis 1967 die meisten Filme Pasolinis produzierte bot Pasolini daher an den Film im Rahmen eines von ihm geplanten Episodenfilms zu drehen der Filmtitel RoGoPaG setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der beteiligten Regisseure Rossellini Godard Pasolini und Gregoretti zusammen Die Grundidee von RoGoPaG stammte von Roberto Rossellini der Film sollte sich mit den Auswirkungen des italienischen Wirtschaftswunders und der Konsumgesellschaft auf den Einzelnen auseinandersetzen Die einzelnen Episoden des Filmes waren dabei aber vollig unabhangig voneinander zu einem inhaltlichen Austausch oder einer Zusammenarbeit der Regisseure kam es nicht Pasolini war mit dem Ergebnis des Gesamtprojektes nicht zufrieden Gregoretti berichtete dass er sogar Bini dazu drangte nur seine und Gregorettis Episode zu veroffentlichen 4 Produktion Bearbeiten RoGoPaG entstand als italienisch franzosische Koproduktion der Arco Film Rom des Produzenten Alfredo Bini mit der Cineriz Rom die auch den Verleih in Italien ubernahm und der Societe Cinematographique Lyre Paris Fur die dritte Episode hatte Pasolini die Verantwortung fur Buch und Regie Kamera und Schnitt ubernahmen Tonino Delli Colli und Nino Baragli die beide uber lange Jahre hinweg an den meisten Filmen Pasolinis mitwirkten Die Ausstattung besorgten Danilo Donati Kostume und Flavio Mogherini Bauten die musikalische Leitung hatte Carlo Rustichelli 5 DrehorteDer Film wurde im Oktober und November 1962 auf einem Acqua Santa genannten Brachland am damaligen sudlichen Stadtrand von Rom gedreht in unmittelbarer Nahe zu den Cinecitta Studios in denen die Szenen des fiktiven Bibelfilms entstanden Das Gelande liegt im an antiken Monumenten reichen Valle della Caffarella und ist heute Teil des Parco Regionale dell Appia Antica Hier befindet sich mit der Calixtus Katakombe auch die Grablege der ersten fruhchristlichen Gemeinde BesetzungPasolini arbeitete am liebsten mit Darstellern die moglichst aus dem gleichen Milieu stammen sollten wie ihre Charaktere er bevorzugte daher die Arbeit mit Laiendarstellern Bei La ricotta hingegen galt es ein Filmteam darzustellen Folgerichtig besetzte er die Rolle des Regisseurs mit einem Regisseur War zunachst Peter Ustinov im Gesprach konnte er spater Orson Welles fur die Rolle gewinnen er wurde im Original von Giorgio Bassani synchronisiert Auch fur die Statisten die er normalerweise direkt am Drehort suchte setzte er hier Berufsstatisten der Cinecitta ein die sich selbst spielten Mario Cipriani Stracci und Vittorio La Paglia der Journalist hatten bereits Rollen in Accattone und Mamma Roma ubernommen Mit der Schauspielerin Laura Betti die Diva verband Pasolini eine lebenslange enge Freundschaft VeroffentlichungRoGoPaG startete am 19 Februar 1963 in Rom in den Kinos in der Bundesrepublik gelangten weder der Gesamtfilm noch La ricotta in den Verleih Pasolinis Episode war das erste Mal am 9 Juni 1967 im Spatprogramm des ZDF zu sehen 1976 wurde sie im Internationalen Forum des jungen Films auf der Berlinale gezeigt Skandal und Prozess Bearbeiten Nach der Premiere von RoGoPaG kam es wegen Pasolinis Episode zu einem Skandal Sie war vom zustandigen Ministerium Anfang Februar 1963 fur den Verleih freigegeben worden wenn auch mit einer Altersbeschrankung ab 18 Jahren Doch schon kurz nach dem Kinostart beschlagnahmte die Polizei am 1 Marz aus einer laufenden Vorfuhrung eine Kopie aufgrund einer Anklage wegen Verunglimpfung der Staatsreligion Auch die weiteren Kopien wurden eingezogen der Film durfte nicht mehr gezeigt werden Schon am 7 Marz verurteilte das Gericht Pasolini nach einem Schnellverfahren zu 4 Monaten Freiheitsentzug auf Bewahrung Im Mai 1964 wurde Pasolini in einem Berufungsverfahren freigesprochen Das Gericht stellte dabei ausdrucklich fest dass der Film als Ganzes den Straftatbestand der Verunglimpfung nicht erfulle die isolierte Betrachtung einzelner Szenen zur Bewertung des Filmes sei nicht zulassig und stelle eine falsche Auslegung des zugrundeliegenden Gesetzes dar Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision die im Februar 1967 vom Kassationsgerichtshof zuruckgewiesen wurde dabei erging formal kein Urteil mehr da der Straftatbestand seit 1966 aufgrund einer Amnestie nicht mehr bestand Das Gericht bestatigte in seiner Begrundung jedoch ausdrucklich noch einmal die inhaltliche Position des Berufungsgerichtes 6 Auch Pasolinis letzter Film Mamma Roma 1962 war in der Offentlichkeit heftig angegriffen worden vor allem aber hatte sein Debut Accattone 1961 einen beispiellosen Skandal verursacht die offentliche Aufmerksamkeit fur den Prozess war daher gross Die bisherigen Auseinandersetzungen mit Strafanzeigen tatlichen Angriffen scharfen Polemiken bis hin zu einer parlamentarischen Aussprache und der Sturmung von Vorfuhrungen durch militante Krafte rechter Gruppierungen hatten zu einer Solidarisierung der gebildeten Schichten der kulturellen Intelligenz in den Worten des zustandigen Staatsanwaltes Giuseppe Di Gennaro mit Pasolini gefuhrt wahrend sich in den Medien und auf der Strasse von Seiten der Konservativen und Rechten ein unbestimmbarer rassistischer Hass Pasolini ausserte dass ausgerechnet ein offen homosexuell lebender Kommunist es sich erlaubte der Gesellschaft die Leviten zu lesen das war nicht akzeptabel Bini Bini und Pasolini vermuteten daher dass der Film von konservativer Seite zum Anlass genommen wurde um an Pasolini als einem Beispiel besonderer Lebhaftigkeit und aussergewohnlicher Bedeutung im Sumpf der italienischen Kultur Di Gennaro ein Exempel zu statuieren 7 Gewicht bekommt diese These auch durch den Umstand dass Pasolini der Figur des vom Regisseur beschimpften Journalisten im Drehbuch mit Pedote den Namen eines Staatsanwaltes gegeben hatte der sich in fruheren Prozessen bei Befragungen als besonders unfair profiliert hatte Bini forderte ihn auf den Namen zu andern aber Pasolini variierte ihn nur leicht zu Pedoti Die Anklage wies auf diese Provokation im Prozess dann auch ausdrucklich hin Ins Bild passt auch die Tatsache dass von katholischer Seite aus kaum Kritik zu horen war obwohl die Anklage auf Verunglimpfung der Staatsreligion lautete Der Film wurde im Gegenteil in einigen katholischen Zeitungen positiv besprochen die Dozenten der papstlichen Universitat konnten keine Verunglimpfung erkennen und auch die vatikanische Zensurbehorde Centro Cattolico Cimenatografo stufte den Film nicht als Ausgeschlossen fur die Glaubigen ein obwohl dieses Urteil zusammen mit der Wertung Nicht empfehlenswert in den 60er Jahren uber die Halfte der italienischen Produktionen traf 8 9 Das der Anklage zugrundeliegende Gesetz der Codex Rocco stammte noch aus der Zeit des Faschismus und war zuvor noch nie auf Filme bezogen worden Der Prozess hatte dadurch auch uber den Einzelfall hinaus Bedeutung so fand am 4 Marz am Sitz der italienischen Pressevereinigung eine Solidaritatsdebatte fur Pasolini statt die Stellung bezog gegen eine staatliche Film Zensur religioser Fragen Die Staatsanwaltschaft erkannte insgesamt durchaus die sozialkritische Position des Filmes an ihre Argumentation bezog sich ausdrucklich auf die Verunglimpfung religioser Symbole in einzelnen Szenen vor allem bei den dargestellten Dreharbeiten zum fiktiven Bibelfilm indem er Pasolini einige Szenen aus der Passion Christi vorgefuhrt und diese durch den musikalischen Kommentar den Dialog und andere klangliche Ausserungen verhohnt hat 10 Staatsanwalt Di Gennaro erkannte aber auch etwa in der Szene in der die Darstellerin der Maria Magdalena vor dem ans Kreuz gefesselten Stracci strippt aus der Grossaufnahme seines Gesichtes eine innere Masturbation bis zu dem Punkt wo er im Moment der Ejakulation erschlafft Die Linke uberbietet sich in Analysen die beweisen wollen dass der Film nicht als blasphemische Provokation gemeint sei berichtete Alfred Andersch der sich zu dieser Zeit langer in Rom aufhielt nicht ohne anzumerken dass dies seiner Meinung nach die falsche Rechtfertigungsstrategie sei er selbst argumentierte mit der Freiheit der Kunst 11 RoGoPaG konnte nach einigen Monaten mit geringen Zensurauflagen wieder gezeigt werden so wurde beispielsweise in einigen Sequenzen der Text entscharft als der Regisseur im Film die Kreuzigungsszene verschiebt wird aus dem vielstimmigen Ausruf des Filmteams Weg mit den Kreuzen nun ein neutrales Die andere Szene Auch der Tod Straccis der im Kommentar des Film Regisseurs laut Drehbuch noch dessen Moglichkeit zur Revolution war ist nun nur noch ein Weg auf seine Existenz hinzuweisen Zudem musste der Filmtitel geandert werden um die satirische Dimension des Episodenfilms deutlicher herauszustellen er wurde nun unter dem Titel Gehirnwasche im Original Laviamoci il cervello vermarktet 12 13 Der Prozess war fur Pasolini auch durch die jahrelangen Angriffe der konservativen Medien sehr belastend 14 und hatte daneben auch noch eine weitere unerfreuliche Nebenwirkung die Produktionsfirma geriet durch die Kosten und die Beschlagnahmung des Filmes in finanzielle Schwierigkeiten zudem erschwerte der Prozess die Suche nach Investoren fur weitere Filme so dass Pasolini sein nachstes Projekt Il padre selvaggio Der wilde Vater nicht realisieren konnte der Film sollte in Afrika spielen und auch gedreht werden und war fast ausschliesslich mit lokalen schwarzen Darstellern geplant Das Drehbuch wurde 1975 mit einer Widmung Pasolinis an den Staatsanwalt und den zustandigen Richter der ersten Instanz veroffentlicht 15 Filmanalyse Bearbeiten nbsp Pontormos Grablegung Christi 1526 28 wird in der zweiten Szene des fiktiven Bibelfilms nachgestellt Wir mussen den Traditionalisten das Monopol an der Tradition entreissen denn Nur die Marxisten lieben die Vergangenheit die Bourgeoisie liebt nichts und niemanden Ihre rhetorischen Liebeserklarungen an die Vergangenheit sind schlicht zynisch und frevelhaft Diese ihre Liebe ist bestenfalls nur eine aufgesetzte gewiss keine reale die in der Lage dazu ware neue Geschichte zu erzeugen Pasolini 16 Pasolini inszenierte La ricotta mit einem bei diesem grandiosen Pathetiker des Films ungewohnt grimmigen Grinsen 17 als eine Groteske in der die Dreharbeiten an einem Film uber die Passion Christi mit der realen Passion des Darstellers Stracci parallel gefuhrt werden bis beide Strange am Ende durch Straccis Tod am Kreuz zusammenlaufen Die Gegenuberstellung dieser beiden Passionen bestimmt die Gestaltung des Films auf allen Ebenen 18 Auf der einen Seite steht Stracci der von ewigem Hunger getriebene standig in Bewegung befindliche und von allen verlachte Proletarier auf der anderen Seite der bourgeoise intellektuelle und namenlose Regisseur der vollstandig in sich ruht Er ist fast immer sitzend zu sehen und scheint keine Bedurfnisse zu haben im Drehbuch heisst es ganz Geist und Beklemmung Er isst nicht 19 Auch er ist in seiner Resignation isoliert Beide nehmen keinerlei Notiz voneinander erst durch den Tod Straccis tritt dieser ins Bewusstsein des Regisseurs Zentraler Angelpunkt des Filmes sind die zwei Szenen des fiktiven Bibelfilms Diese bestehen aus zwei nachgestellten Altarbildern tableaux vivants des 16 Jahrhunderts Jacopo da Pontormos Grablegung Christi 1526 1528 und Rosso Fiorentinos Kreuzabnahme 1521 deren Umsetzung im fiktiven Film jedoch grotesk scheitert Die Malerei war fur Pasolini der auch selbst malte und in den vierziger Jahren Kunstgeschichte bei Roberto Longhi studiert hatte ein wichtiger Bezugspunkt bei der Konzeption seiner Filme Dabei ging es nicht um die Ubernahme von Motiven oder Bildzitaten auch wenn dies in anderen Filmen Pasolinis durchaus vorkommt sondern um die zugrundeliegenden Konzepte etwa beim Bildaufbau oder den asthetischen Strategien Inhalte medial zu vermitteln So setzte Pasolini beispielsweise hier erstmals das 250 mm Zoomobjektiv mit seiner stark verringerten Tiefenscharfe bei langen Brennweiten ein um den Filmregisseur durch die deutliche Abgrenzung vom unscharfen und unverbundenen Vorder und Hintergrund zu isolieren und zusammen mit der Frontalansicht einen an Masaccio erinnernden Bildaufbau zu erzielen 20 Fur die Altargemalde in La ricotta hatte Pasolini mit Rosso Fiorentino und Pontormo bewusst zwei Manieristen ausgewahlt Der Manierismus zeichnet sich durch eine asthetische Strategie aus die mit einer Ubersteigerung des Ausdrucks die sich weit von der blossen Abbildung eines Geschehens entfernt um so deutlicher auf den hinter den abgebildeten Dingen stehenden Inhalt verweisen will Diese Ubersteigerung wird in La ricotta durch die Ubernahme dieser Gemalde in ein anderes Medium den Film noch betont Lustvoll inszenierte Pasolini das Scheitern dieses Konzeptes im fiktiven Bibelfilm die Gemalde sind fur die Darsteller des Filmes nicht mehr lesbar ihr religioser Gehalt vollstandig verloren Und so bricht ihre Welt als unuberwindlicher Storfaktor in die tableaux vivants ein statt sakraler Musik ist es versehentlich gleich mehrfach ihre Tanzmusik der Eclisse Twist aus dem Vorspann des Films Liebe 1962 L eclisse von Michelangelo Antonioni 21 die sehr zum Missfallen des Regisseurs zu den Szenen eingespielt wird mal konnen die Statisten ihre Positionen nicht halten und verlieren unter dem Gelachter der Kollegen das Gleichgewicht mal bohren sie gedankenverloren wahrend der Aufnahme in der Nase Es waren gerade diese Szenen auf die sich die Kritik der Anklage im Prozess bezog Bei La ricotta filmte Pasolini zum ersten Mal auch in Farbe doch sie ist den beiden Szenen des fiktiven Bibelfilms vorbehalten Zum einen soll damit auf die zeitgenossischen monumentalen Bibelverfilmungen angespielt werden 22 deren Oberflachlichkeit der Filmregisseur sich vergeblich mit dem Ruckgriff auf die christliche Ikonografie zu entziehen sucht Zum anderen wurde die Farbe aber bereits bei den Gemalden kaum noch zur Modellierung der Figuren verwendet schon Giorgio Vasari bemerkte im 16 Jahrhundert das Fehlen der Schatten bei Pontormos Grablegung sondern wurde in einem metaphorischen Sinne verwendet insofern als ihre Strahlkraft den Glanz Gottes transzendiert 23 Die naturliche Farbe lost die hochgradig artifiziellen tableaux vivants aus dem abstrakten Schwarzweiss der normalen Filmhandlung und verweist dabei auf die aus der Vergangenheit aufscheinende ursprungliche religiose Bedeutung die dem Realismus der Handlung erst seine tiefere Bedeutung verleiht Io sono una forza del passato Solo nella tradizione e il mio amore Vengo dai ruderi dalle chiese dalle pale d altare dai borghiabbandonati sugli Appennini o le Prealpi dove sono vissuti i fratelli Pasolini 24 Ich bin eine Macht aus vergangenen Zeiten Nur in der Tradition liegt meine Liebe Ich komme von den Ruinen den Kirchen den Altartafeln von den verlassenen Dorferndes Apennin und der Voralpen wo die Bruder einst lebten Der scheiternde Regisseur der im Film Pasolinis Gedicht Io una forza del passato zitiert ist ohne Zweifel ein ironisches Alter Ego Pasolinis Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von La ricotta bereitete Pasolini selbst gerade einen Bibelfilm vor Das 1 Evangelium Matthaus einen Film wie er im Vergleich zum fiktiven Bibelfilm kaum unterschiedlicher hatte ausfallen konnte Pasolini hatte sich schon fruh auch theoretisch mit Film auseinandergesetzt und sein Konzept des Kinos der Posie entwickelt Vergleichbar zur Strategie der Manieristen geht es dabei darum durch Uberschreitungen und Bruche in Stil und Technik den Bildern des Filmes wie beim Wortgebrauch in der Lyrik eine eigene Bedeutung zuzuweisen die uber das Abgebildete Gesagte hinausgeht Statt wie der Regisseur im Film dieses Konzept von den Manieristen eins zu eins zu ubernehmen ubersetzt er es in La ricotta in eine zeitgemasse und dem Medium angemessene Form und inszeniert den Film als Groteske die in der komischen Uberzeichnung auf den tragischen Kern des Filmes die Passion Straccis verweist Nicht nur bei den tableaux vivants ist es auch der Ton der die Bilder neu interpretiert umgekehrt hebt etwa bei der Szene mit Straccis Familie der leitmotivisch auf einem Akkordeon gespielte mittelalterliche Hymnus Dies irae aus der Totenmesse die Banalitat der Handlung auf eine religiose Ebene Die Bruche zwischen Farbe und Schwarzweiss der Wechsel der Geschwindigkeit zwischen dem missgluckten Stillstand der Standbilder des fiktiven Films des burgerlichen Regisseurs und der rasenden Zeitraffer Bewegung des Proletariers Straccis der die Bilder konterkarierende Einsatz der Musik schaffen eine poetische Ebene die die eigentliche Aussage des Films transportiert Kritiken Bearbeiten Eine feinsinnige Parabel angesiedelt an der Nahtstelle wo das Tragikomische der Situation in das Drama des im Stich gelassenen leidenden Menschen ubergeht Ein in seiner formalen Vielfalt und Kreativitat herausragender Film im Werk Pasolinis Lexikon des Internationalen Films 1967 25 Wir mussen vorausschicken dass nur ein Urteil auf diese Episode passt genial Pasolinis Episode besitzt die Komplexitat Geschlossenheit den Reichtum des Tones und die Vielschichtigkeit seiner Gedichte man konnte sie auch als ein kleines Gedicht in Filmbildern bezeichnen Alberto Moravia L Espresso 3 Marz 1963 ein starker Film eine geballte Faust aus Bildern Alfred Andersch 1966 11 Pasolinis kurzester Film gehort sicher zum Besten was er bisher gedreht hat Schrill und sanft komisch und tragisch zugleich ist die Geschichte vom romischen Hungerleider den Pasolini schon oft in vielfacher Variation zum Sinnbild des leidenden Menschen erhoben hat doch noch nie mit solch schrecklicher Objektivitat wie hier Joachim von Mengershausen Suddeutsche Zeitung 12 Februar 1967 26 ein Universum satirischer Kritik sarkastischen Humors und asthetisch politischer Reflexion dessen Dichte einmalig blieb in seinem gesamten Werk Wolfram Schutte 1977 27 Auszeichnungen BearbeitenPremio Grolla d oro fur die beste Regie Saint Vincent 4 Juli 1964Weblinks BearbeitenDer Weichkase in der Internet Movie Database englisch Abschriften von Dokumenten zum Prozess auf Pagine corsare italienisch Memento vom 24 Juli 2016 im Internet Archive Literatur BearbeitenElisabeth Oy Marra Alte und neue Medien im Dialog Malerei und Film in Pier Paolo Pasolinis La ricotta In Thomas Koeber und Irmbert Schenk Hrsg Das goldene Zeitalter des italienischen Films Die 1960er Jahre Munchen 2008 S 268 278 Joanna Barck Pasolini La Ricotta 1962 In Joanna Barck Hin zum Film Zuruck zu den Bildern Tableaux Vivants Lebende Bilder in den Filmen von Antamoro Korda Visconti und Pasolini transcript Bielefeld 2008 S 193 271 Piero Spila Pier Paolo Pasolini Gremese Rom 2002 vgl S 35 38 Pier Paolo Pasolini Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday Aus dem Englischen von Wolfgang Astelbauer Folio Verlag Wien Bozen 1995 ISBN 3 85256 021 7 S 65 71 Originalausgabe Pasolini on Pasolini Interviews with Oswald Stack Pseudonym Thames and Hudson London 1969 Das Interview fand im Fruhjahr 1968 statt Freunde der Deutschen Kinemathek Hrsg Redaktion Michael Hanisch Pier Paolo Pasolini Dokumente zur Rezeption seiner Filme in der deutschsprachigen Filmkritik 1963 1985 Berlin 1994 vgl S 56 61 die Angaben zu den Produktionen wurden erstellt nach Laura Betti und Michele Gulinucci Hrsg Pier Paolo Pasolini Le regole di un illusione Fondo Pier Paolo Pasolini 1991 Franca Faldini und Goffredo Fofi Pier Paolo Pasolini Lichter der Vorstadte Die abenteuerliche Geschichte seiner Filme Aus dem Italienischen von Karl Baumgartner und Ingrid Mylo Wolke Hofheim 1986 vgl S 61 72 der Band wurde zusammengestellt nach L avventurosa storia del cinema italiano raccontata dai suoi protagonisti Feltrinelli 1981 Mondadori 1984 Pier Paolo Pasolini Reihe Film 12 Dritte wesentlich erweiterte Auflage Hanser Munchen 1985 hrsg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek vgl S 114 118 219 241 Pier Paolo Pasolini Der Weichkase Literarische Fassung des Drehbuchtextes In Ders Ali mit den blauen Augen Erzahlungen Gedichte Fragmente Aus dem Italienischen von Bettina Kienlechner Serie Piper Piper Verlag Munchen 1990 ISBN 3 492 10917 9 S 77 98 Originalausgabe Ali dagli occhi azzurri Garzanti Mailand 1965 Einzelnachweise Bearbeiten im Original Io una forza del passato In Poesia in forma di rosa Garzanti Mailand 1964 Eine deutsche Ubersetzung findet sich im veroffentlichten Drehbuch in Ali mit den blauen Augen Piper Munchen 1990 S 83 84 Von Pasolini selbst gesprochen ist das Original auf Pagine Corsare Memento vom 5 Marz 2016 im Internet Archive zu finden Im Film wird deutlich auf Pasolini als Autor verwiesen das Buch aus dem der Regisseur zitiert tragt gut lesbar den Titel von Pasolinis letztem Film Mamma Roma 1962 Der Journalist antwortet er habe verstanden dass er der Regisseur auf der Via Tuscolana umhergehe Diese Strasse liegt wie die ebenfalls im Gedicht erwahnte Via Appia in unmittelbarer Nahe des realen Drehortes dort befinden sich auch die Cinecitta Studios vgl Enzo Siciliani Pasolini 1985 S 324 etwas anders bei Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday 1995 S 65 vgl Faldini und Fofi Pier Paolo Pasolini Lichter der Vorstadte 1986 S 61 62 zu den Produktionsdetails vgl Deutsche Kinemathek Pier Paolo Pasolini Dokumente 1994 S 56 zum Prozess vgl Enzo Siciliano Pier Paolo Pasolini Leben und Werk Aus dem Italienischen von Christel Galliani Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main 1985 S 327 330 336 337 ital Originalausgabe Rizzoli Mailand 1978 sowie die Dokumente zum Prozess auf Pagine corsare italienisch Memento vom 24 Juli 2016 im Internet Archive vgl Faldini und Fofi Pier Paolo Pasolini Lichter der Vorstadte 1986 S 70 72 Di Gennaro Bini und Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday 1995 S 70 71 zu den Reaktionen auf Accattone und Mamma Roma vgl Spila Pasolini 2002 S 27 28 34 Nico Naldini Pier Paolo Pasolini Wagenbach Berlin 1991 S 228 vgl Mariagrazia Fanchi Das italienische Filmpublikum In Thomas Koeber und Irmbert Schenk Hrsg Das goldene Zeitalter des italienischen Films edition text kritik Munchen 2008 S 50 63 vgl S 56 Deutsche Kinemathek Pier Paolo Pasolini Dokumente 1994 S 58 a b Alfred Andersch Aus einem romischen Winter Reisebilder Walter Olten und Freiburg i Br 1966 S 38 39 vgl Piero Spila Pasolini 2002 S 38 vgl Pier Paolo Pasolini Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday 1995 S 70 71 vgl Pier Paolo Pasolini Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday 1995 S 70 vgl Nico Naldini Pier Paolo Pasolini Wagenbach Berlin 1991 S 231 327 Pier Paolo Pasolini La belle bandiere Dialoghi 1960 65 Herausgegeben von Gian Carlo Ferretti Editori riunti Rom 1977 S 234 Zitiert nach Enzo Siciliano Pasolini Leben und Werk Fischer Verlag Frankfurt am Main 1985 S 334 Joachim von Mengershausen in der SZ 12 Februar 1967 zitiert nach Deutsche Kinemathek Pier Paolo Pasolini Dokumente 1994 S 57 Die Filmanalyse stutzt sich auf die Aufsatze von Elisabeth Oy Marra Malerei und Werk in Pasolinis La ricotta 2008 und Joanna Barck Pasolini La Ricotta 1962 2008 Pier Paolo Pasolini Der Weichkase In Ali mit den blauen Augen 1990 S 77 vgl Pier Paolo Pasolini Pasolini uber Pasolini im Gesprach mit Jon Halliday 1995 S 69 Noch ein zweites Mal bezieht sich Pasolini auf Antonioni wenn es im veroffentlichten Drehbuch ironisch vom Regisseur heisst er sitzt ganz versunken in seine erhabenen Gedanken Der junge Film Antonioni etc S 78 Und auf die letzte Frage des Journalisten Was halten Sie von unserem grossen Federico Fellini antwortet er als ratselhaftes Schlusswort nur Er tanzt S 83 Bini nennt in diesem Zusammenhang etwa den Film Barabbas 1961 vgl Faldini und Fofi Pier Paolo Pasolini Lichter der Vorstadte 1986 S 69 Elisabeth Oy Marra Malerei und Werk in Pasolinins La ricotta 2008 S 275 Der deutsche Gedichtanfang wurde zitiert nach dem Drehbuch S 83 84 die italienische Version nach Pagine Corsare Memento vom 5 Marz 2016 im Internet Archive Die Kritik erschien 1967 im film dienst Heft 27 abgedruckt in Deutsche Kinemathek Pier Paolo Pasolini Dokumente 1994 S 57 58 Pier Paolo Pasolini Reihe Film 12 1985 S 116 Filme von Pier Paolo Pasolini Accattone Wer nie sein Brot mit Tranen ass Mamma Roma Der Weichkase La Rabbia Gastmahl der Liebe Ortsbesichtigungen in Palastina Das 1 Evangelium Matthaus Grosse Vogel kleine Vogel Die Erde vom Mond aus gesehen Edipo Re Bett der Gewalt Was sind die Wolken Notizen fur einen Film uber Indien Teorema Geometrie der Liebe Die Geschichte einer Papierblume Der Schweinestall Medea Notizen zu einer afrikanischen Orestie Decameron Pasolinis tolldreiste Geschichten Erotische Geschichten aus 1001 Nacht Die Mauern von Sana a Die 120 Tage von Sodom Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Der Weichkase amp oldid 225735034