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Als Berliner Tumult werden innerprotestantische konfessionelle Unruhen bezeichnet die sich in der Karwoche 1615 in Berlin Kolln ereigneten Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Verlauf 3 Folgen 4 Literatur 5 EinzelnachweiseVorgeschichte Bearbeiten nbsp Berliner Dom im fruhen 17 Jahrhundert nbsp St Petri Kirche Kolln von Suden mit Kirchhof um 1690 nbsp Bruderstrasse von Norden Richtung Petrikirche um 1690Kurfurst Johann Sigismund hatte am Weihnachtstag 1613 mit einer Abendmahlsfeier nach reformiertem Ritus im alten Berliner Dom seine schon langer vollzogene Hinwendung zum Calvinismus offentlich gemacht Sowohl er selbst wie sein Bruder und Statthalter Johann Georg verbanden damit anfangs die Absicht die Landeskirche Brandenburgs zu der nach dem Julich Klevischen Erbfolgestreit 1609 auch reformiert gepragte Landesteile gehorten insgesamt zum reformierten Bekenntnis und Gottesdienst zu fuhren Darin sahen sie keinen Glaubenswechsel sondern die Vollendung der Reformation durch Beseitigung papistischer Reste insbesondere der Abendmahlsfeier mit Hostien des Exorzismus bei der Taufe 1 und der Kruzifixe und sonstigen Bilder in den Kirchen 2 Sie stiessen damit auf den Widerstand der Geistlichen in Stadt und Land bei denen seit der Einfuhrung der lutherischen Reformation durch Joachim II 1539 und der Beilegung innerlutherischer Kontroversen durch die Konkordienformel 1577 die lutherische Orthodoxie vorherrschte Verlauf BearbeitenNachdem bereits Joachim Friedrich 1608 bei einer Neugestaltung des Doms Skulpturen und Bilder entfernt das Domstift aufgelost und die Kirche durch den Generalsuperintendenten Christoph Pelargus 3 auf den Namen Zur Heiligen Dreifaltigkeit neu hatte einweihen lassen veranlasste Johann Georg mit Zustimmung seines auf der Jagd befindlichen Bruders des Kurfursten am Donnerstag 30 Marzjul 9 April 1615greg 4 die vollstandige Beseitigung aller Bilder des Taufsteins sowie des Hochaltars an dessen Stelle ein einfacher Abendmahlstisch aufgestellt wurde Insbesondere die Entfernung und Zerstorung des Triumphkreuzes emporte einige Zeugen des Geschehens die darin einen Angriff auf den dargestellten Christus selbst sahen Am darauf folgenden Palmsonntag 2 Apriljul 12 April 1615greg predigte der reformierte Domprediger Martin Fussel zwischen 9 und 10 Uhr im Dom und rechtfertigte die Massnahme als Reinigung von papistischem Unflat Gegen den angeblichen padagogischen Wert der Kirchenbilder argumentierte er mit Hinweis auf eine Skulptur in der nahen Petrikirche die ein Paar bei der Hurerei zeige 5 Als am selben Sonntag um 12 Uhr der lutherische Kaplan 6 Peter Stuler die Kanzel der Petrikirche bestieg wusste er nicht nur von den Ereignissen im Dom sondern auch von Fussels Predigtausserungen und reagierte darauf mit heftigen Gegenangriffen Seine gewagteste Ausserung richtete sich direkt an den Kurfursten Willst du reformieren so ziehe nach Julich da hast du zu reformieren genug Etwa hundert Zuhorer rotteten sich danach zusammen und ausserten Drohungen gegen die Calvinisten es kam jedoch nicht zu Tatlichkeiten Stuler wurde von seinem vorgesetzten Propst getadelt und indirekt auch von der lutherisch gebliebenen Kurfurstin Anna die sonst stets fur das lutherische Bekenntnis Partei ergriff Am Folgetag Montag der Karwoche kam Stuler zur Besinnung und furchtete harte Konsequenzen Am Abend verliess er die Stadt in Richtung Schoneberg Allen die ihm begegneten erklarte er ihm drohe Kerker oder Schlimmeres Vor Stulers Haus kam es dadurch zu einem Auflauf emporter Burger die ihn verteidigen wollten Die Frau des Predigers schenkte Bier aus wofur sie das Krugrecht besassen Die erregte Menge lief die Bruderstrasse auf und ab und warf Steine in die Hauser der reformierten Prediger Fussel Sachse und Finck sowie des Hofarztes Gegen 22 Uhr kam der Statthalter Johann Georg selbst mit acht Reitern und einigen Trabanten vom Schloss zur Petrikirche heruber um fur Ruhe zu sorgen Die mit 500 700 Personen bezifferte Menge glaubte er komme um ihren Prediger zu verhaften und einige die Gewehre bei sich hatten verschanzten sich hinter der Kirchhofmauer Ein Begleiter des Statthalters gab einen Warnschuss ab Einige aus der Menge stiegen darauf in den Kirchturm und lauteten die Sturmglocke sodass auch aus Berlin uber die Spreebrucke Menschen herbeieilten Johann Georg liess den Burgermeister von Colln wecken damit er die Leute beruhigte doch sein Anblick im Schlafpelz erregte sie nur noch mehr Der Statthalter beschloss zum Schloss zuruckzukehren um eine weitere Eskalation zu vermeiden Dabei wurde er beschimpft und verhohnt Etwa eine Stunde lang versuchte er noch die Menge zu besanftigen Es fielen weitere Schusse von beiden Seiten es gab Verletzte aber niemand wurde getotet Johann Georg wurde von einem Pflasterstein am Bein getroffen Schliesslich zog er sich mit seiner Begleitung zuruck auch die meisten Burger gingen nach Hause Ein kleiner Trupp aber drang ins Haus des Hofpredigers Fussel ein und zerstorte und entwendete den gesamten Hausrat Fussel selbst konnte mit seiner Familie uber das Dach in ein Nachbarhaus entkommen Am Dienstag war die Volksemporung noch nicht abgeklungen und einige Wortfuhrer stiessen erneut Drohungen gegen reformierte Hofbeamte und sogar gegen das Schloss aus Stuler kam in die Stadt zuruck und fachte zusammen mit einem Amtsbruder an St Petri die Erregung erneut an Am selben Tag kehrte auch der Kurfurst von der Jagd zuruck Er legte eine starke militarische Besatzung in die Stadt die die Ruhe wiederherstellte Auf das Ausfindigmachen und Bestrafen der Radelsfuhrer verzichtete er um nicht neues Ol ins Feuer zu giessen Am 27 Januar 1616 verkundete Kurfurst Johann Sigismund das Urteil das vom Schoppenstuhl zu Leipzig bestatigt wurde demnach wurde dem Kaplan Stuler lediglich das Schankrecht entzogen Er verliess die Stadt im selben Jahr und ubernahm eine andere Pfarrstelle Folgen BearbeitenDer Kurfurst verzichtete nach dem Tumult endgultig auf den Versuch die gesamte Landeskirche im calvinischen Sinn zu reformieren Der konfessionelle Konflikt schwelte noch jahrzehntelang weiter und die obrigkeitlich verordnete Toleranz die eine Einschrankung der lutherischen Bekenntnisfreiheit bedeutete erbitterte die lutherische Geistlichkeit darunter Paul Gerhardt nur umso mehr Erst zum Reformationsjubilaum 1817 verfugte Friedrich Wilhelm III die Union Aber der Agendenstreit und die Sezession der Altlutheraner offenbarten deren anfangliche Zerbrechlichkeit Literatur BearbeitenAnton Chroust Aktenstucke zur brandenburgischen Geschichte unter Kurfurst Johann Sigismund Extract schreibens sub dato Coln an der Sprew den 13 Aprilis a 1615 Augenzeugenbericht von den Ereignissen Kommentar S 11 12 und Text S 18 21 In Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte 9 Leipzig 1896 Daniel Heinrich Hering Tumult in Berlin In Daniel Heinrich Herings Pastors der evangelisch reformirten Kirche und der koniglichen Friederichs Schule Directors zu Breslau Historische Nachricht von dem ersten Anfang der Evangelisch Reformirten Kirche in Brandenburg und Preussen unter dem gottseligen Churfursten Johann Sigismund nebst den drey Bekentnissschriften dieser Kirche Halle 1778 S 279 301 Gabriel Almer Calvinista Aulico Politicus Konfession und Herrschaft in Brandenburg Preussen ca 1660 1740 Berlin 2016 darin S 85 86 Digitalisat Albrecht Beutel Reflektierte Religion Beitrage zur Geschichte des Protestantismus Tubingen 2007 zum Thema besonders S 87Einzelnachweise Bearbeiten Von Luther im Taufbuchlein vorgesehen Luther sah in altkirchlicher Tradition das biblische Bilderverbot als durch die Inkarnation uberholt an wahrend es fur Calvin strenge Gultigkeit besass Pelargus bekannte sich spater selbst offentlich zur Lehre Calvins In Brandenburg galt bis 1700 der Julianische Kalender wohl eine der in Romanik und Gotik haufigen apotropaischen Darstellungen die nicht mehr existiert und von der es auch keine Abbildungen gibt Auch Diaconus genannt er war wohl der zweite Prediger der Petrikirche Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Berliner Tumult amp oldid 234283897