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Bereitstellungskrankheit ist ein 1963 durch Thure von Uexkull aufgestelltes psychosomatisches Krankheitskonzept bei chronisch anhaltenden funktionellen Syndromen Es stellt eine Fortentwicklung fruherer Konzepte der Organneurose Otto Fenichel 1945 und der vegetativen Neurose Franz Alexander 1950 dar 1 Inhaltsverzeichnis 1 Namensgebung und Methodik 2 Theorie 2 1 Objektlibido und Ichlibido 2 2 Angst 2 3 Pathophysiologisches Konzept 3 Unterscheidung von Ausdrucks und Bereitstellungskrankheit 4 Symptome 5 Beispiele 6 Systematik 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseNamensgebung und Methodik BearbeitenDie Bezeichnung Bereitstellungskrankheit ergab sich aufgrund der als erforderlich angesehenen methodisch systematischen Abgrenzung und Gegenuberstellung psychischer Storungen die nicht zu den klassischen Konversionsvorgangen gerechnet werden konnen Das Konversionsmodell versagt bei der Erklarung von Bereitstellungskrankheiten Bei diesen Storungen erscheint die pathogenetische Bedeutung ursprunglich physiologischer jedoch allzu dauerhafter Reaktionen im Wege der Bereitstellung massgeblich Dies war fur die Namensgebung der Bereitstellungskrankheiten ausschlaggebend auch wenn diese gelegentlich doch kombiniert mit Konversionsvorgangen auftraten Als entsprechende Bezeichnung fur die nur aufgrund von Konversionsmechanismen dauerhaft ausgelosten Storungen wurde die Bezeichnung Ausdruckskrankheiten gewahlt Die damit auch angestrebte Differenzierung der Methodik umfasst neben der Analyse der fur die Ausdruckskrankheiten wesentlichen Motivation und der bereits erwahnten Bereitstellung als pathophysiologischer Grundlage zusatzlich auch die Berucksichtigung von Stimmungen als Bedingung chronisch anhaltender Storungen Theorie BearbeitenObjektlibido und Ichlibido Bearbeiten Dem Konzept der Trennung zwischen Ausdrucks und Bereitstellungskrankheiten liegt die von der Triebtheorie gepragte Vorstellung Freuds zugrunde dass zwischen einer Ojektlibido und einer Ich Libido zu unterscheiden sei Freud hat sich die Libido als psychische Energie vorgestellt die das Individuum zu den Objekten aussendet Er sprach von Narzissmus wenn diese Libido von den Objekten abgezogen und auf das Individuum selbst zuruckgezogen wurde Zwischen den Objekten und dem Ich bestehe eine sozusagen positive energetische Wechselwirkung Diese sich forderlich entfaltende Wirkung stellte Freud am Bild des Protoplasmatierchens dar 2 Wir bilden so die Vorstellung einer ursprunglichen Libidobesetzung des Ichs von der spater an die Objekte abgegeben wird die aber im Grunde genommen verbleibt und sich zu den Objektbesetzungen verhalt wie der Korper eines Protoplasmatierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien Die Emanationen der Libido die Objektbesetzungen die ausgeschickt und wieder zuruckgezogen werden konnen wurden uns allen auffallig Wir sehen auch im groben einen Gegensatz zwischen der Ichlibido und der Objektlibido Je mehr die eine verbraucht desto mehr verarmt die andere Als die hochste Entwicklungsphase zu der es die letztere bringt erscheint uns der Zustand der Verliebtheit der sich uns wie ein Aufgeben der eigenen Personlichkeit gegen die Objektbesetzung darstellt und seinen Gegensatz in der Phantasie oder Selbstwahrnehmung der Paranoiker vom Weltuntergang findet Kommentar durch den narzisstischen Ruckzug an Energie 3 Fur die Beurteilung langfristiger seelischer Krafte massgeblich ist also die Auspragung wirksamer Motive die sich in Handlungen in Bezug auf die Triebobjekte umsetzen oder nicht umsetzen lassen Lassen sich diese nicht umsetzen so entfalten die bereitgestellten aber nicht konsumierten oder sublimierten Energien eine ggf pathogene Wirkung 4 Angst Bearbeiten Ein weiteres theoretisches Konstrukt zum Verstandnis chronisch anhaltender Ausdrucks und Bereitstellungskrankheiten ist die Vorstellung von Angst als einer entscheidenden emotionalen und affektiven Qualitat Sie tragt im Normalfall zur Entwicklung von Motiven bei Wenn Angst auf ein ausseres Objekt gerichtet ist kann sie durch sinnvolle Handlungen verringert werden Dies geschieht vermittels geeigneter Motive So wird Angst in Furcht umgewandelt Gelingt dieser Abbau von Angst jedoch mangels geeigneter motivgesteuerter Einstellungen nicht so wird weitere Angst ausgelost und es werden somit weitere seelische Energien mobilisiert Angstanfall Auch dies erfolgt ohne die Moglichkeit einer Verminderung von Spannungen Es entsteht die sog frei flottierende Angst Sie bewirkt zudem auch ein Aufgeben der Objektbesetzung so wie es bereits zuvor im Kap Objektlibido und Ichlibido dargestellt wurde Der Konflikt besteht hier also nicht mehr wie bei den Ausdruckskrankheiten zwischen Ich und sozialer Umwelt bzw Uber Ich sondern zwischen Ich und Es als dem Trager von automatisch und vegetativ ablaufenden biologischen Funktionen und Bereitschaften Angst hat man daher vor allem vor Gefahren die in einem selbst liegen Diesen Storungstypus hat Freud in seiner Beschreibung der Angstneurose dem Typus der Konversionshysterie entgegengestellt 5 Daher kann Freud als Protagonist der Unterscheidung zwischen den Konzepten der Ausdrucks und Bereitstellungserkrankungen gelten auch wenn er sich stets sehr zuruckhaltend gegenuber der Behandlung somatischer Storungen gezeigt hat und selbst nie Organkranke behandelt hat 2 Damit ist jedoch die Vorbedingung zu entscheidenden gesundheitlichen Risiken durch chronisch anhaltende innere Fehlsteuerungen gegeben Ein chronisch erhohter Blutdruck z B infolge von essentieller Hypertonie kann uber die damit hervorgerufene Arterienverkalkung nach Jahren zu Schlaganfall oder Herzinfarkt fuhren 1 Pathophysiologisches Konzept Bearbeiten Bereitstellungen jeder Art sind wie andere physiologische Reaktionen auch als prinzipiell antagonistisch vorzustellen Als Beispiel solcher gegensatzlicher Bereitschaftsreaktionen seien hier die ergotrope und trophotrope Einstellungen genannt Dies soll heissen dass sich eine allzu prolongierte Dauer bestimmter ursprunglich physiologischer Einstellungen letztlich schadlich auswirken muss Eine vermehrte Dauer der Sympathikotonie muss sich somit z B als Schlaflosigkeit bemerkbar machen 1 Unterscheidung von Ausdrucks und Bereitstellungskrankheit BearbeitenBei den Ausdruckskrankheiten fuhren die durch einen sozialen Konflikt entstellten Motive nicht mehr zu gezielter Handlungsweise sondern lediglich zu einem Handlungsfragment Teilweise abgewehrte Affektenergien konnen akute korperliche Befindlichkeitsstorungen bewirken Solche korperlichen Symptome stellen einen averbalen sozialen Appell dar und fuhren damit oft zu einem primaren Krankheitsgewinn Der wenigstens teilweise erhalten gebliebene affektive Zusammenhang zwischen der eigenen Angst bzw Stimmung Emotionalitat und den psychosozialen Hemmungen wird als Affektkorrelat bezeichnet Damit ist der Konflikt als zumindest noch teilweise bewusst anzusehen Die betroffenen Organe besitzen nach F Alexander quergestreifte Muskulatur 6 Bei den Bereitstellungskrankheiten sind ausgepragte Motivationen entweder nicht oder nicht mehr vorhanden da sie entweder nicht entwickelt durch Gegenmotivationen neutralisiert sind wie bei den funktionellen Syndromen oder durch chronisch wirkende Abwehrmechanismen ausgeschaltet bzw nahezu vollstandig aus dem Bewusstsein verdrangt sind Psychisches kann daher auch nicht mehr in Korperliches ubergehen da es unbewusst geworden ist Es kommt daher nicht zu Handlungsbruchstucken Die nicht immer oder nur noch teilweise bemerkten korperlichen Symptome fuhren zu einem sekundaren Krankheitsgewinn 1 Es kommt daher auch nicht mehr zu einer Beruhigung von zur Handlung drangenden Stimmungen Sie stellen lediglich unbewusst immer wieder neue Energien bereit Der verlorene Zusammenhang zwischen Angst und Korpersymptomen wird als Affektaquivalent bezeichnet Die betroffenen Organe besitzen nach F Alexander glatte Muskulatur 6 Symptome BearbeitenDie Symptome der Bereitstellungskrankheiten konnen nicht mit Hilfe des Konversionsmodells erklart werden Die bei den Konversionsstorungen bzw bei den Ausdruckskrankheiten meist leicht nachvollziehbare eigene Motivation des Kranken ist bei den Bereitstellungskrankheiten eher in den Hintergrund gedrangt Es handelt sich vordergrundig um eine vegetative Symptomatik Haufig wird Symptomwandel beobachtet der als Affektaquivalent gedeutet werden kann 1 Beispiele BearbeitenBeispiele fur Bereitstellungskrankheiten sind nach der Beschreibung von F Alexander 1891 1964 das Asthma bronchiale die Essentielle Hypertonie das Magengeschwur das Zwolffingerdarmgeschwur die Colitis ulcerosa das Atopische Ekzem und die Hyperthyreose holy seven 6 Systematik Bearbeiten nbsp Psychosomatosen wie die Bereitstellungskrankheit konnen im Gegensatz zu Konversionsneurosen als anhaltende funktionelle Storungen infolge von chronisch unterdruckten emotionalen Spannungen oder nicht entwickelten Losungsstrategien Motivationen verstanden werden Hinsichtlich des Krankheitswertes von Bereitstellungen ist zu unterscheiden zwischen vorubergehenden situationsbedingten Einstellungen bei Extrembelastungen wie bei Examen Lampenfieber etc und dauerhaften Einstellungen wie sie die Ausdrucks und Bereitstellungskrankheiten darstellen Die Gefahrdung aufgrund einer Ausdruckskrankheit ist allgemein geringer als bei einer Bereitstellungskrankheit Mit zunehmender Tiefe der Verdrangung wie sie bei Bereitstellungskrankheiten anzunehmen ist schwindet die subjektive Einsicht in das pathologische Geschehen und die Gefahr korperlicher Komplikationen wachst 1 7 Das Konzept der Bereitstellungskrankheiten ist heute als ein wichtiger Faktor unter anderen bei den fruheren klassischen Psychosomatosen holy seven angesehen 6 Literatur BearbeitenRainer Otte Thure von Uexkull Von der Psychosomatik zur Integrierten Medizin Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2001 online Weblinks BearbeitenRudiger Breit Karin Zimmer Rainer Zwisler Psychosomatik 1994 Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f Thure von Uexkull Grundfragen der psychosomatischen Medizin Rowohlt Taschenbuch Reinbek bei Hamburg 1963 a zu Stw Bereitstellungskrankheit S 194 f 197 f 200 f 203 ff 233 ff b zu Stw Angst Seiten 116 ff 121 147 194 200 ff 204 223 c zu Stw Steuerung von Bereitstellung Seite 170 d zu Stw Sekundarer Krankheitsgewinn Seite 197 e zu Stw Symptomwandel Seite 205 f zu Stw Systematik des Krankheitswerts Seite 200 203 ff a b Thure von Uexkull u a Hrsg Psychosomatische Medizin 3 Auflage Urban amp Schwarzenberg Munchen 1986 ISBN 3 541 08843 5 S 227 Sigmund Freud Zur Einfuhrung des Narzissmus 1914 Ges W Band X S 141 J Schunk Emotionelle Faktoren in der Pathogenese der essentiellen Hypertonie In Zschr klin Med 1953 152 S 251 280 Sigmund Freud Gesammelte Werke Band I S 63 Konversionshysterie S 317 ff Klinische Symptomatologie der Angstneurose S 339 Innerer Konflikt bei der Angstneurose a b c d Sven Olaf Hoffmann G Hochapfel Neurosenlehre Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin 6 Auflage CompactLehrbuch Schattauer Stuttgart 2003 ISBN 3 7945 1960 4 a zu Stw Quergestreifte Muskulatur Seite 304 b zu Stw Glatte Muskulatur Seite 304 c zu Stw holy seven Seite 304 d zu Stw heutige Bedeutung Seite 304 f Alexander Mitscherlich Anmerkungen uber die Chronifizierung psychosomatischen Geschehens In Psyche XV l 1961 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bereitstellungskrankheit amp oldid 239353157