Baryzentrische Koordinaten (auch homogene baryzentrische Koordinaten) dienen in der linearen Algebra und in der Geometrie dazu, die Lage von Punkten in Bezug auf eine gegebene Strecke, ein gegebenes Dreieck, ein gegebenes Tetraeder oder allgemeiner ein gegebenes Simplex zu beschreiben.
Ebene baryzentrische Koordinaten eines Punktes kann man sich als Verhältnisse von drei Massen vorstellen, die sich in den Ecken eines vorgegebenen Dreiecks befinden und deren Schwerpunkt ist (siehe Bild). Da es dabei nur auf Verhältnisse ankommt, schreibt man . Sind alle Massen gleich, ist der geometrische Schwerpunkt des Dreiecks und hat die baryzentrischen Koordinaten . Ihre geometrische Bedeutung erhalten die baryzentrischen Koordinaten durch die folgenden Eigenschaften: Im 1-Dimensionalen ist das Massenverhältnis gleich einem Verhältnis von Teilstrecken (siehe 2. Bild), im 2-Dimensionalen sind die Massenverhältnisse gleich Flächenverhältnissen von Teildreiecken.
Baryzentrische Koordinaten wurden zuerst von A. F. Möbius 1827 in seinem Buch Der baryzentrische Calcul eingeführt. Sie sind ein Spezialfall homogener Koordinaten. Ein wesentlicher Unterschied zu den üblichen homogenen Koordinaten, z. B. in der Ebene, ist die Beschreibung der Ferngerade durch die Gleichung statt durch .
Insbesondere in der Dreiecksgeometrie spielen die baryzentrischen Koordinaten, neben den trilinearen Koordinaten, eine wesentliche Rolle. Überall, wo es um Verhältnisse von Strecken geht, wie zum Beispiel in dem Satz von Ceva, sind sie ein geeignetes Werkzeug. Aber nicht nur in der Geometrie, sondern auch im Bereich des computer-aided Design verwendet man sie zur Erzeugung von dreieckigen Flächenstücken, den dreieckigen Bézierflächen.
Definition und Eigenschaften Bearbeiten
Definition Bearbeiten
Es seien die Ortsvektoren der Ecken eines Simplex in einem affinen Raum . Der affine Raum hat dann die Dimension . Falls es für einen Punkt in Zahlen gibt, deren Summe nicht Null ist und die Gleichung
erfüllt, sagt man sind baryzentrische Koordinaten des Punktes bezüglich der Punkte und schreibt . Für die Ecken gilt offensichtlich
Baryzentrische Koordinaten sind nicht eindeutig: Für jedes ungleich Null beschreibt auch den Punkt . D. h.: Nur die Verhältnisse der Koordinaten sind wesentlich. An diese Eigenschaft soll die Schreibweise mit erinnern. Man kann baryzentrische Koordinaten als homogene Koordinaten eines -dimensionalen projektiven Raums auffassen, von dem der affine Raum ein Teil ist. Und zwar sind die Punkte von diejenigen Punkte von , die nicht in der durch die Gleichung bestimmten Hyperebene (Fernhyperebene) liegen.
Gleichung (G) ist ein unterbestimmtes homogenes lineares Gleichungssystem, das sich in der üblichen Form
schreiben lässt.
Erfüllen die Koordinaten zusätzlich die Normierungsbedingung
so spricht man von normierten baryzentrischen Koordinaten. In diesem Fall sind die Zahlen eindeutig bestimmt (s. unten) und man kann den Punkt (Ursprungsgerade) auch als affinen Punkt der Hyperebene des mit der Gleichung auffassen. Um die Normierung formal sicherzustellen, kann man (N) nach einer Koordinate auflösen und in das n-tupel einfügen. Löst man z. B. nach auf, ergibt sich .
Hinweis: Die Begriffe werden nicht einheitlich verwendet. Viele Autoren sprechen nur dann von baryzentrischen Koordinaten, wenn die Normierungsbedingung erfüllt ist.
Normierte baryzentrische Koordinaten lassen sich einfach ermitteln, indem man jede einzelne baryzentrische Koordinate durch die Summe der Koordinaten dividiert.
Eigenschaften Bearbeiten
Punkt im Simplex Bearbeiten
Falls die Koordinaten positiv sind, so liegt der Punkt in der konvexen Hülle von , also im Simplex mit diesen Eckpunkten. Die Darstellung eines Punktes innerhalb einer konvexen Hülle als Summe von Eckpunkten eines Simplex wird affine Kombination oder baryzentrische Kombination genannt.
Massenmittelpunkt Bearbeiten
Wie man aus der Umstellung
der Definitionsgleichung (G) sieht, kann man als Massenmittelpunkt (das Baryzentrum) einer Anordnung von Massen an den Eckpunkten des Simplex auffassen. Dies ist der Ursprung des Begriffs baryzentrisch.
Physikalische Bedeutung der
- Gleichung (G): Die Gesamtmasse im Schwerpunkt verursacht im Nullpunkt dasselbe Drehmoment wie die Einzelmassen,
- Gleichung (G'): Die Summe der von den Einzelmassen erzeugten Drehmomente ist im Schwerpunkt gleich 0.
Mittelpunkt zweier Punkte Bearbeiten
Sind die normierten (!) baryzentrischen Darstellungen zweier Punkte , dann hat der Mittelpunkt die baryzentrische Darstellung
Existenz, Eindeutigkeit normierter Koordinaten Bearbeiten
Normierte baryzentrische Koordinaten sind eindeutig bestimmt. Denn, versucht man das durch (G') und (N) beschriebene inhomogene lineare Gleichungssystem mit Hilfe der Cramerschen Regel zu lösen, ist die Determinante im Nenner ungleich Null, da sie, bis auf einen Faktor, im ebenen Fall (n=3) die orientierte Fläche des Dreiecks und im 3-dimensionalen Fall (n=4) das orientierte Volumen des Tetraeders ist (siehe unten).
Lässt man die Bedingung (N) wieder fallen, hat das lineare homogene System (G') 1-dimensionale Lösungen (Punkte des oben erwähnten projektiven Raums ). Für größeres gilt Entsprechendes.
Unabhängigkeit von Nullpunkt und Skalierung Bearbeiten
Dass die baryzentrischen Koordinaten nicht von dem zufällig gewählten Nullpunkt des affinen Raums abhängen, erkennt man dadurch, dass eine Verschiebung der Vektoren um einen festen Vektor die Definitionsgleichung (G) unverändert lässt. Dasselbe gilt für eine uniforme Skalierung (Multiplikation der Vektoren mit einem festen Faktor ungleich Null).
Beispiel Bearbeiten
In der Ebene besteht ein Simplex aus 3 Punkten (Dreieck), d. h. es ist und jeder Punkt hat 3 baryzentrische Koordinaten: . Zum Beispiel hat der geometrische Schwerpunkt des Dreiecks die baryzentrische Darstellung , denn es ist Die normierte Darstellung ist
Vorteil, Nachteil Bearbeiten
Wie man in dem Beispiel sieht, lassen sich wesentliche Punkte z. B. von Dreiecken einheitlich und einfach beschreiben. Bei Berechnungen müssen nicht die speziellen (affinen) Koordinaten eines gegebenen Dreiecks berücksichtigt werden. Wie man affine Koordinaten in baryzentrische Koordinaten umrechnet, wird in den folgenden Abschnitten gezeigt. Ein gewisser Nachteil baryzentrischer Koordinaten ist allerdings: Sie sind nicht eindeutig (im nicht normierten Fall) und es gibt immer 1 Koordinate mehr als die affinen Koordinaten.
Unterschied zu anderen homogenen Koordinaten: Beispiel n=3 Bearbeiten
Üblicherweise führt man homogene Koordinaten so ein, dass die Ferngerade durch eine Koordinatenebene, z. B. durch , beschrieben wird. Dies hat den Vorteil, dass ein einfacher Zusammenhang zu den affinen Koordinaten, die die zugehörige affine Ebene (projektive Ebene ohne die Punkte der Ferngerade) beschreiben, besteht: Ein affiner Punkt hat die Koordinaten . Es besteht allerdings der Nachteil, dass die zu den Koordinatenachsen gehörigen projektiven Punkte keine affinen Punkte sind. Nur der Punkt wird zu einem affinen Punkt. Baryzentrische Koordinaten haben keine so einfache Beziehung zu den affinen Koordinaten. Dafür liegen alle den Koordinatenachsen entsprechenden projektiven Punkte im affinen Bereich, denn die Ferngerade wird hier durch die Gleichung beschrieben.
Auf einer Gerade (n=2, Strecke) Bearbeiten
Der Schwerpunkt zweier Massen , die auf der -Achse an den Stellen platziert sind, ist die Stelle , wo das Hebelgesetz (Kraft × Kraftarm = Last × Lastarm, siehe 2. Bild) erfüllt ist. Genauer: Wo die Summe der Drehmomente gleich Null ist und damit gilt:
Diese Gleichung ist äquivalent zu (siehe Abschnitt Definition)
Auflösen nach ergibt:
Lässt man negative Massen zu, z. B. , so ergibt sich aus (G2) für die Gesamtmasse und .
Eine Lösung von (G'2) ist . Alle Lösungen sind Vielfache davon. Also hat der Schwerpunkt die baryzentrische Darstellung (siehe Abschnitt Definition)
Dabei ist
Dieser einfache Zusammenhang der baryzentrischen Koordinaten mit Verhältnissen von Teilstrecken ist der Grund für ihre Bedeutung in der Dreiecksgeometrie.
Die Aussage (B2) ist der Lehrsatz in §21, S. 25, des Buches von Möbius.
Die normierten baryzentrischen Koordinaten müssen zusätzlich zu (G'2) die Bedingung
erfüllen. Löst man das inhomogene Gleichungssystem bestehend aus den Gleichungen (G'2), (N2) mit Hilfe der Cramerschen Regel, ergibt sich die normierte Darstellung
Beispiel: Der Mittelpunkt der Punkte besitzt die baryzentrischen Koordinaten und in normierter Darstellung
In einer Ebene (n=3, Dreieck) Bearbeiten
Umrechnung der Koordinaten Bearbeiten
Sind in den Ecken eines Dreiecks drei Massen platziert, so sind die Gleichgewichtsgleichungen für die Drehmomente um die Koordinatenachsen
oder in der Form (siehe Definition)
Der Schwerpunkt hat die Koordinaten
Baryzentrische Koordinaten eines gegebenen Punktes , erhält man durch Lösen des unterbestimmten homogenen Systems (G'3) nach . Nimmt man die Normierungsgleichung
Aussage (BF3) ist der Lehrsatz in §23, S. 26, des Buches von Möbius.
Spezialfall: Koordinatendreieck:
Für das spezielle rechtwinklige Dreieck als Bezugsdreieck hat ein Punkt die einfachen baryzentrischen Koordinaten .
Geraden, Schnittpunkte, Parallelität Bearbeiten
- Die Ecken des Dreiecks haben die homogenen Koordinaten
- Die Gerade durch die Punkte wird durch die Gleichung beschrieben und hat den Fernpunkt . …
- Die Ferngerade ist durch die Gleichung festgelegt.
- Eine beliebige Gerade wird durch eine Gleichung beschrieben (s. homogene Koordinaten).
- Drei Geraden
.
- Zwei Geraden sind parallel, wenn sie sich auf der Ferngerade schneiden, d. h., wenn
.
- Drei Punkte , und liegen genau dann auf einer Geraden, wenn
- Hieraus ergibt sich die Gleichung einer Gerade durch zwei vorgegebene Punkte in Determinantenform:
Beziehung zu trilinearen Koordinaten Bearbeiten
Für die Flächen der Teildreiecke in (BF3) gilt , wobei die Grundseiten (Seiten des Dreiecks) und die Höhen der Teildreiecke sind (siehe Bild). Also gilt
Die Beziehung (BT3) zeigt den einfachen Zusammenhang der baryzentrischen Koordinaten mit den trilinearen Koordinaten eines Punktes. Für ein gleichseitiges Dreieck sind die baryzentrischen und trilinearen Koordinaten gleich. Die Ferngerade hat in baryzentrischen Koordinaten die Gleichung . In trilinearen Koordinaten ist die Gleichung noch von den Seitenlängen des Dreiecks abhängig:
Besondere Punkte, Eulergerade Bearbeiten
ist der geometrische Schwerpunkt, wenn alle Massen gleich sind. Seine baryzentrischen Koordinaten sind also Wegen (BF3) und gilt
(Siehe hierzu auch Geometrischer Schwerpunkt.)
Eine Gerade durch zwei Punkte hat für Punkte die Darstellung
Projiziert man einen Punkt von der Ecke aus auf die gegenüberliegende Seite (die Gerade hat die Gleichung ), so erhält man den Punkt (siehe Bild). Sind die Koordinaten von normiert, teilt die Strecke im Verhältnis . Ist z. B. der Punkt der geometrische Schwerpunkt , so wird er auf die Seitenmitte projiziert und teilt die Strecke im Verhältnis .
Entsprechendes gilt für die Projektionen von den anderen Ecken aus.
Für den Inkreis des Dreiecks gilt (Inkreisradius) und damit (s. (BT3)) hat der Inkreismittelpunkt die baryzentrischen Koordinaten und wegen gilt Mit Hilfe des Sinussatzes ergibt sich für den Inkreismittelpunkt auch eine Darstellung mit den Winkeln:
wobei der Winkel bei ist.
Die Winkelhalbierende der Ecke (Gerade ) hat die Gleichung
Sie schneidet die Seite (Gleichung ) im Punkt . ( kann auch als Projektion von auf die Seite angesehen werden.) Wegen (B2) gilt:
Dies ist der Winkelhalbierendensatz für das Dreieck .
Da die Dreiecksflächen orientiert sind, kann und damit auch negative Werte annehmen, jenachdem, ob auf derselben Seite der zu gehörigen Dreiecksseite liegt wie die Ecke oder nicht. Beim Inkreismittelpunkt haben alle dasselbe Vorzeichen. Bei einem Ankreismittelpunkt haben (wie beim Inkreismittelpunkt) alle Abstände die Länge des Ankreisradius, aber einer der Abstände hat ein von den beiden anderen verschiedenes Vorzeichen. Damit ergeben sich die baryzentrischen Darstellungen der Ankreismittelpunkte:
Analog zum Inkreisradius ergibt sich für die Ankreisradien:
Aus der Beschreibung der Lage der Berührpunkte der Ankreise auf den Dreiecksseiten erkennt man ihre baryzentrische Darstellung:
ist offensichtlich die Projektion (siehe oben) des Punktes
von der Ecke aus auf die gegenüberliegende Seite. D.h.:
Die Matrix
beschreibt (in baryzentrischen Koordinaten) die zentrische Streckung am geometrischen Schwerpunkt mit dem Faktor (siehe Abschnitt Steiner-Ellipse, Steiner-Inellipse). Bildet man damit ab, erhält man den Inkreismittelpunkt . Dies zeigt:
Der Umkreismittelpunkt hat zu den Ecken den gleichen Abstand , den Umkreisradius. Der Winkel bei im Teildreieck ist wegen des Kreiswinkelsatzes doppelt so groß wie der Winkel bei . Also ist die Fläche . Entsprechendes gilt für . Damit sind die baryzentrischen Koordinaten des Umkreismittelpunktes
Aus und den Kosinussätzen für die drei Winkel ergibt sich die winkelfreie Darstellung
Ist der Höhenschnittpunkt, so ist der Fußpunkt der Höhe (siehe Bild) und es gilt Wegen (B2) ist Analog ergeben sich die anderen Verhältnisse. Damit hat der Höhenschnittpunkt die baryzentrischen Koordinaten
Falls ein Winkel ist, z. B. , so ist .
Belegt man die Seiten eines Dreiecks gleichmäßig mit Masse, so nennt man den zugehörigen Kantenschwerpunkt Spieker-Punkt. (Ecken- und Flächenschwerpunkt eines Dreiecks sind identisch: der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden.) Denkt man sich die Masse einer Seite in ihrem Schwerpunkt, dem Mittelpunkt konzentriert, so ist der Spieker-Punkt der Schwerpunkt des Dreiecks mit den Seitenlängen als Massenbelegungen in den Ecken. Aus und (S3) folgt:
Analog ergibt sich die y-Koordinate.
Hieraus erkennt man die baryzentrischen Koordinaten des Spieker-Punktes:
Bedeutung von für das Dreieck :
Aus den obigen Überlegungen (Masse im Punkt ) folgt direkt die baryzentrische Darstellung von bezüglich des (grünen) Dreiecks :
Da die Länge der dem Punkt gegenüberliegenden (grünen) Seite ist, ist der Inkreismittelpunkt = Schnittpunkt der Winkelhalbierenden des Dreiecks (siehe oben). Diese Eigenschaft liefert die Möglichkeit den Punkt zeichnerisch zu bestimmen.
Der geometrische Schwerpunkt , der Umkreismittelpunkt und der Höhenschnittpunkt liegen auf einer Gerade, der Eulergerade. Denn, führt man am Punkt eine zentrische Streckung mit Streckfaktor durch, wird jede Ecke auf den Mittelpunkt der ihr gegenüberliegenden Seite abgebildet ( teilt jede Seitenhalbierende im Verhältnis 2:1) und die Höhen werden auf die Mittelsenkrechten abgebildet. Also geht in über und beide Punkte liegen auf einer gemeinsamen Gerade durch . Der Umkreis geht dabei in den Kreis durch die Seitenmitten, den Feuerbachkreis, über, dessen Mittelpunkt (Bild von ) also auch auf der Eulergerade liegt.
Die Gleichung der Eulergerade in baryzentrischen Koordinaten ist (s. oben)
oder unter Verwendung von Punkt :
Gleichseitige Dreiecke besitzen keine Eulergerade, da ist.
Ist das Dreieck gleichschenklig, aber nicht gleichseitig, z. B. , so hat die Eulergerade die Gleichung und ist gleich der Seitenhalbierenden durch . Sie enthält dann auch den Inkreismittelpunkt.
Ist das Dreieck rechtwinklig, z. B.