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Die Herstellung von Wollwaren in Gottingen und Umgebung lasst sich bis in das 13 Jahrhundert zuruckverfolgen Die Zunft der Wollweber hat das Stadtbild von Gottingen entscheidend mitgepragt Das Gewerbe verschaffte der Stadt ein kulturelles und wirtschaftliches Wachstum Als Multiplikator fur diesen rasanten Anstieg im Wollgewerbe wirkte besonders die verkehrsgunstige Lage im Leinetal und der damals dort entlanglaufende Nord Sud Handelsweg von Frankfurt a M uber Gottingen und Hannover nach Lubeck Durch die raumliche Nahe der Weideflachen am Hainberg war die Rohstofflieferung der Wolle gesichert Das Wollgewerbe im Gottinger Raum anderte und diversifizierte sich im Laufe der Jahrhunderte bis es in der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts ganz an Bedeutung verlor Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Spezialisten aus den Niederlanden 1 2 Wirtschaftliche Bedeutung und Niedergang 1 3 Leinenweberei S amp A Rosenberg 2 Spuren der Wollindustrie bis in die Gegenwart 3 Literatur und Quellen 4 Einzelnachweise 5 WeblinksGeschichte BearbeitenIm Jahre 1290 wurde die Berufsgruppe der Wollweber in der Stadt Gottingen erstmals in einer Schriftquelle erwahnt da diese massgeblich mit finanziellen Mitteln den Bau der Marienkirche unterstutzten Zu einem richtigen Aufschwung kam es aber erst im Laufe des 14 Jahrhunderts In der Stadt siedelten sich die Wullenweber an die ihre Quartiere hauptsachlich in der damaligen Neustadt westlich des Leinekanals hatten Diese berufliche Separation war auch in anderen Stadten zu dieser Zeit ublich und begrundete sich in Bezug auf die Wollweber damit dass die Gerauschintensitat des Gewerbes sehr hoch war Insbesondere die Larmbelastigung der Webstuhle war ein Hauptgrund der auswartigen Lage Ein weiterer Grund fur die Lage der Webereien ist die Nahe zum Wasser Die fertigen Tucher konnten so direkt im Anschluss an den Herstellungsprozess im Leinekanal oder der Leine gereinigt werden Auch der Betrieb von Wassermuhlen zum Antrieb von Webstuhlen war so leichter moglich nbsp Stegmuhle bei Gottingen in der bei der Tuchherstellung das Walken erfolgte Zeichnung von Christian Andreas Besemann 1795 Wurde in den Anfangen der Wolle das Walken also die mechanische Bearbeitung zur Formung des Tuches noch in Handbetrieb durchgefuhrt so entwickelte sich auch dort eine Mechanisierung der Arbeitsprozesse Aus dieser Zeit stammt die heute noch existente Stegemuhle in der im Arbeitsprozess der Tuchherstellung nur das Walken erfolgte Der Rohstoff Wolle wurde hauptsachlich aus dem Gottinger Umland bezogen Der Gottinger Wald und Hainberg waren zu der Zeit vollstandig entwaldet und dienten als Weidelandschaft fur Ziegen und Schafe Zu einer Verknappung der Wolle kam es erst im Verlauf des 15 Jahrhunderts Der Stadtrat verhangte gelegentliche Exportbeschrankungen von Wolle damit der lokale Bedarf gedeckt werden konnte Daneben konnte der Bedarf in Spitzenzeiten auch uber importierte Wolle bestritten werden Die gesponnene Wolle wurde zu Teilen an auswartige Webereien veraussert Dies allerdings nur so lange wie der eigene Bedarf der in der Stadt ansassigen Wollweber gedeckt war Mit dem Anwachsen des Gewerbes wurde schliesslich ein Teil der Spinnereiarbeit in das naheliegende Eichsfeld ausgelagert weil der Bedarf der Stadt durch die ortsansassigen Spinnereien nicht mehr zu decken war Spezialisten aus den Niederlanden Bearbeiten Um 1475 forderte der Rat der Stadt Gottingen die Zunft der Tuchmacher mit einem Import von Spezialisten aus den Niederlanden die das Fachwissen der heimische Wollindustrie erweitern sollten Zu diesem Zweck wurde die Ubersiedlung von Webern aus den Niederlanden mit einer Pramie von 30 Gulden belohnt ebenso erhielten diese 100 Gulden in Form von Darlehen sowie das Burgerrecht verliehen und die Umsiedelung selbst wurde sowohl finanziell wie auch infrastrukturell unterstutzt Durch diese aktive Forderung wanderten viele niederlandische Weber nach Gottingen aus Um Konflikte mit den ortsansassigen Webern zu vermeiden wurden diese in einer eignen Zunft zusammengeschlossen Die niederlandischen Weber erstellten vornehmlich feines Tuch und wurden Tuchmacher Ihr spezielles Wissen ermoglichte ihnen auch gefarbte Wollwaren anzubieten bis dahin kamen aus Gottingen nur weisse und graue Tucher Um eine hohe Qualitat der Produkte zu gewahrleisten wurden die Tucher bereits wahrend des Herstellungsprozesses mehrmals gepruft und mussten dafur im Rathaus vorgelegt werden Dort wurde von je zwei Ratsmitgliedern und zwei Gildenmeister den sogenannten Wardienern die Einhaltung der Langen und Breitenmasse gepruft und mit einem Siegel versehen Der neue Arbeitsgang des Farbens wurde von den Drapenierern wie die neu angesiedelten Wollweber auch genannt wurden in den Farben blau grun rot braun und schwarz vorgenommen Den Abschluss der Tuchproduktion bildete das Scheren und Pressen der Tuche eine Tatigkeit die vom Apreder erledigt wurde Wirtschaftliche Bedeutung und Niedergang Bearbeiten Die Absatzverhaltnisse der Tuchmacher waren bis zum ausgehenden 15 Jahrhundert gunstig und verschlechterten sich erst im Laufe des 16 Jahrhunderts Im 18 Jahrhundert war der Weg der Wollindustrie in Gottingen und Umgebung von einer Manufaktur hin zu einem Grossbetrieb weitestgehend abgeschlossen Gottingen und Osterode Harz bildeten die wirtschaftsstarken Zentren der Wollindustrie in der vorindustriellen Zeit Neben der Wollindustrie der Region wurde auch die Herstellung von Produkten aus Flachs Leinen und Baumwolle industrialisiert Wenngleich an bestehende Grundlagen angeknupft werden konnte so bestimmte sich der Erfolg doch massgeblich durch Produktneuerungen Im Jahre 1823 wurden von den alteren Gottinger Manufakturen insgesamt etwa 2110 Kammer und Spinner beschaftigt die sich etablierende Mechanisierung der Wollaufbereitung und Spinnerei war jedoch bereits auf dem Vormarsch und verringerte die Zahl der Beschaftigten im 19 Jahrhundert deutlich Das erfolgreichste Wollwarenunternehmen dieser Zeit war der 1846 gegrundete Levinsche Grossbetrieb Die Firma Levin konnte bereits neun Jahre nach der Grundung auf dem ehemaligen Gelande der Firma Gratzel in Grone eine der modernsten Tuchfabriken Europas errichten In den ersten Jahren wurden die Stoffe noch auf Handwebstuhlen hergestellt die jedoch bald durch mechanische Webstuhle ersetzt wurden Fur den Antrieb der Webstuhle wurde neben dem Dampfantrieb auch die Wasserkraft der Grone verwendet 1895 beschaftigte die Firma ca 400 Arbeiter und 250 Arbeiterinnen Zu dieser Zeit war es die grosste Wollwarenfabrik in der Provinz Hannover Zu ihr gehorte der Levinsche Park der an die Levin und Gratzelstrasse grenzt 1 Ferdinand Levin der Sohn des Firmengrunders hatte diesen Park um 1890 als Zier und Nutzgarten um die ehemalige Fabrikantenvilla angelegt er diente aber auch als Pausen und Ruhezone fur die Fabrikarbeiter 2 Der grossere Teich war schon 1873 als Wasserreservoir fur die Fabrikation angelegt worden ist heute aber etwas kleiner Heute liegt der Levinsche Park am Rande des grossten Gewerbegebiets von Gottingen Erhalten sind hier u a noch die beiden Teiche das Badehaus und das ehemalige Wohnhaus der Besitzer 3 Neben den Grossfabriken entstanden in der ersten Halfte des 18 Jahrhunderts im Gottinger Umland mehrere kleinere Wollwarenfabriken oder Maschinenspinnereien mit jeweils etwa 12 bis 80 Arbeitern Die kleineren Werkstatten befanden sich in den Ortschaften Weende Grone Rosdorf und Klein Lengden Die lokale Belieferung mit Rohwolle und der Anbau von Flachs als Standortvorteile der Woll und Leinenfabriken in Gottingen verloren allmahlich an Bedeutung Die Schafzucht als Wolllieferant wurde aufgrund der billigeren auslandischen Konkurrenz unrentabel dies zeigte sich auch darin dass der Weidebetrieb der Gottinger Schafer nach und nach eingestellt wurde und der Hainberg in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts wieder aufgeforstet wurde Die Abhangigkeit von Importstoffen wie der ostindischen Jute der amerikanischen Baumwolle und des russischen Flachs hatten sehr negative Auswirkungen auf die regionale Textilproduktion in Gottingen und fuhrten dazu dass ein Grossteil der Betriebe bereits vor dem Ersten Weltkrieg ihre Produktion einstellten Leinenweberei S amp A Rosenberg Bearbeiten Die Leinenweberei S amp A Rosenberg wurde im Jahre 1872 von den Brudern Siegmund und Albert Rosenberg aus Dransfeld gegrundet Die Pruduktionsstatte befand sich zunachst in der Groner Strasse 15 und ab 1896 auf dem Grundstuck der Stegemuhle Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs das Auftragsvolumen der Firma stetig an es wurden Kleidung und Stoffe fur die Reichsmarine und das Reichswehr gefertigt Finanzielle Schwierigkeiten ergaben sich wahrend der Weltwirtschaftskrise in den Zwanziger Jahren Anfang 1933 hatte die Weberei mit einem verminderten Liquiditatsgrad zu kampfen und lieferte damit der Industrie und Handelskammer IHK der Stadtverwaltung und der NSDAP einen Vorwand die judischen Firmeninhaber zu beseitigen Die Firma S amp A Rosenberg wurde von der Stadt ubernommen und arisiert d h an eine nichtjudische Firma verkauft und in Gottinger Leineweberei umbenannt 4 Der letzte Firmeninhaber Otto Rosenberg verliess Gottingen im August 1939 Er uberlebte mit seiner Familie im Exil in London Sein Bruder Ernst Rosenberg war 1933 nach Frankfurt gezogen und emigrierte mit seiner Familie im Mai 1939 nach Nordirland Der dritte Bruder Fritz Rosenberg war mit seiner Familie noch im April 1933 nach Hamburg gezogen Am 8 9 November 1941 wurde er mit seiner Frau und seinen beiden jungeren Kindern ein alterer Sohn hatte noch 1939 emigireren konnen in das Ghetto Minsk deportiert Nur der Sohn Heinz uberlebte mehrere Verlegungen durch verschiedene Konzentrationslager Im Mai 1941 wurde in dem Betrieb eine zweite Produktionsstelle eingerichtet in der jugendlichen Haftlinge aus dem Jugendkonzentrationslager Moringen Wehrmachtsbedarf herstellen mussten Mitte 1944 wurden die Gottinger Leinenweberei und andere Textilunternehmen in Gottingen als nicht kriegswichtig eingestuft und zwangsweise geschlossen Das Rustungsunternehmen Sartorius ubernahm nach der Schliessung die gesamte Infrastruktur der Produktionsstatte der Leinenweberei einschliesslich der sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und der Baracke in der diese untergebracht waren Spuren der Wollindustrie bis in die Gegenwart Bearbeiten nbsp Kupferstich der historischen Walkemuhle von Christian Andreas Besemann um 1797Das Teilgebaude der alten Walkemuhle Walkmuhle ist noch vorhanden in der fruher die Stoffe verformt oder gewalkt wurden Die Muhle wurde 1770 errichtet und ist denkmalgeschutzt Sie befindet sich hinter dem Badeparadies Eiswiese in Gottingen das dort Wellnessanwendungen anbietet 5 Ehemalige Standorte von Wollwebereien in Gottingen lassen sich noch in folgenden Strassennamen finden Walkemuhlenweg StegemuhlenwegIn der Historischen Spinnerei Gartetal e V bei Klein Lengden befindet sich in der daran angeschlossenen Spinnerei ein Industriemuseum in dem die Geschichte der Wollverarbeitung und Papierherstellung thematisiert wird Literatur und Quellen BearbeitenBernd Herrmann Ulrike Kruse Hrsg Schauplatze und Themen der Umweltgeschichte Universitatsdrucke Gottingen Graduiertenkolleg 1024 Interdisziplinare Umweltgeschichte Naturale Umwelt und gesellschaftliches Handeln in Mitteleuropa 2010 Vom Mittelalter bis ins 19 Jahrhundert Gottingens wichtigstes Gewerbe in Gottinger Monatsblatter Mai 1982 W Holtermann Die Gottinger Tuchindustrie in Vergangenheit und Gegenwart Druck der Gottinger Handelsdruckerei Gottingen 1931 J Laufer Zwischen Heimgewerbe und Fabrik in Niedersachsisches Jahrbuch fur Landesgeschichte Band 71 Hahnsche Buchhandlung Hannover Hannover 1999 W Laporte 75 Jahre Wollwarenfabrikation Hermann Levin G m b H Wollwaren Fabriken in Gottingen und Rosdorf 1837 1912 Gottingen 1912 Alex Bruns Wustefeld Lohnende Geschafte Die Entjudung der Wirtschaft am Beispiel Gottingens Gottingen 1997 S 193 198 Heinz Rosenberg Jahre des Schreckens und ich blieb ubrig dass ich Dir s ansage Gottingen 1985 S 9 f Cordula Tollmien Juden in Gottingen in Gottingen Geschichte einer Universitatsstadt Band 3 Von der preussischen Mittelstadt zur sudniedersachsischen Grossstadt 1866 1989 hg von Rudolf von Thadden und Gunter J Trittel Gottingen 1999 S 675 760 hier S 708 f Aktennotiz 23 Juli 1940 Landesarbeitsamt an Stalag 23 Juli 1940 Aktennotizen 25 Juli 1940 7 August 1940 Aufstellung 23 August 1940 Aktennotiz 24 August 1940 28 August 1940 16 Oktober 1940 Ratssitzung 4 September 1940 Stadtarchiv Gottingen Bauamt Abt I Fach 16 Nr 48 o P Lagerliste auf Anforderung der Gestapo vom 6 September 1944 Stadtarchiv Gottingen Pol Dir Fach 124 Nr 2 Bl 545 ff Sitzung 4 Marz 1941 Stadtarchiv Gottingen AHR I A Fach 11 Nr 55 Schreiben Luftgaukommando 15 August 1942 Aktennotiz 30 Oktober 1942 Stadtarchiv Gottingen Bauamt Abt I Fach 16 Nr 49 o P Betriebskrankenkasse Sartorius Liste der Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen in Schorle Eckart Gutachten zur Situation von Zwangsarbeitern bei der Firma Sartorius Gottingen wahrend der Zeit des Nationalsozialismus Gottingen im Juni 2000 Manuskript im Stadtarchiv Gottingen o S zwischen S 54 und 55 Einzelnachweise Bearbeiten Fabrikarbeiterinnen Auf der Website www geschichtswerkstatt goettingen de Abgerufen am 23 Januar 2016 Der Levinsche Park in Gottingen von Ulrich Schubert Zeitungsartikel Themen 333 Dinge im Gottinger Tageblatt vom 10 Marz 2011 Geschichte des Levinschen Parks Auf der Website www stadt natur wildnis de Abgerufen am 23 Januar 2016 NS Zwangsarbeit Gottinger Leinenweberei Auf der Website www zwangsarbeit in goettingen de Abgerufen am 27 November 2015 Die Wohlfuhlmuhle abgerufen am 31 Dezember 2016Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Wollweberei in Gottingen Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Geschichte der Levinischen Wollfabrik in Gottingen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wollweberei in Gottingen amp oldid 237258528