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Der spater als Wimberger Parteitag bezeichnete Wiener Parteitag 1897 war der sechste Parteitag der osterreichischen Sozialdemokraten SDAP und fand vom 6 bis zum 12 Juni 1897 im Hotel Wimberger am Neubaugurtel 34 damals im 15 Bezirk in Wien statt 1 Das 1873 zur Wiener Weltausstellung unweit des Westbahnhofs eroffnete Hotel war Jahrzehnte lang beliebter Treffpunkt Der Parteitag war gepragt von der Nationalitatenfrage innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung im Vielvolkerstaat besonders vom Konflikt zwischen tschechischen und deutschen Delegierten In der Folge kam es zur Bildung von sechs nationalen Sektionen in der Partei Deutsche Tschechen Polen Italiener Ruthenen und Sudslawen die in der Folge immer mehr als eigenstandige Parteien auftraten 2 Josef Stalin erwahnte den Wimberger Parteitag in seiner 1913 verfassten Schrift Marxismus und nationale Frage in der er sich ausfuhrlich mit der Sozialdemokratie in Osterreich beschaftigte Dabei bezeichnete er die Aufsplitterung der osterreichischen Sozialdemokraten in nationale Fraktionen als Fehler und Grund fur die Schwache der Arbeiterbewegung im Habsburgerreich Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Reichsratswahlen 1897 3 Sechster Parteitag 3 1 Nationalitatenfrage 4 Folgen 5 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDen Plan die wachsende Arbeiterbewegung der Habsburgermonarchie in einer gemeinsamen Partei zusammenzufassen gab es bereits seit dem Jahr 1874 als im damals ungarischen heute burgenlandischen Ort Neudorfl eine Zusammenkunft von Delegierten verschiedener Gewerkschaften und Arbeitervereinen stattfand Auf Grund von ideologischen Differenzen zwischen gemassigten und anarchistischen Gruppen kam die Grundung einer gemeinsamen sozialdemokratischen Partei erst zur Jahreswende 1888 89 unter der Fuhrung von Victor Adler im niederosterreichischen Hainfeld zu Stande Auf diesem Grundungsparteitag auch Hainfelder Einigungsparteitag war somit eine sozialdemokratische Partei fur alle im osterreichischen Reichsrat vertretenen Lander Cisleithanien geschaffen worden Delegierte aus der ungarischen Reichshalfte Transleithanien waren dabei nicht beteiligt In der Folge konnte die sozialdemokratische Bewegung auf Grund der fortschreitenden Industrialisierung ihre Anhangerschaft ausweiten besonders in Wien Bohmen und Mahren sowie in den Arbeiterhochburgen in Ober und Niederosterreich und der Steiermark Bald sah sich die SDAP aber ahnlichen Problemen ausgesetzt wie die Habsburgermonarchie insgesamt Besonders die Nationalitatenfrage fuhrte zu Spannungen in der Bewegung die jedoch auf den vier folgenden Parteitagen noch eingedammt werden konnten Diese waren 3 Zweiter Parteitag der osterreichischen Sozialdemokraten im Hotel Union in Wien 9 Nussdorfer Strasse 23 vom 28 bis zum 30 Juni 1891 4 Dritter Parteitag der osterreichischen Sozialdemokraten in den Drei Engel Salen Wien 4 Grosse Neugasse 36 5 vom 5 bis 9 Juni 1892 6 Vierter Parteitag der osterreichischen Sozialdemokraten in Schwenders Kolosseum in Wien 15 damals 14 vom 25 bis 31 Marz 1894 7 Funfter Parteitag der osterreichischen Sozialdemokraten auf der Schutzeninsel Strelecky ostrov in Prag vom 5 bis 11 April 1896 8 Reichsratswahlen 1897 Bearbeiten nbsp Das socialdemokratische Wahlcomite fur den II Wahlkreis Steyr ruft zu einer Wahlerversammlung anlasslich der Reichsratswahl 1897 auf nbsp Wahlplakat fur Ignacy Daszynski Kandidat im Wahlkreis Krakau Liszky Podgorze SkawinaIm Jahr 1896 wurde in Cisleithanien das Wahlrecht reformiert und erstmals das allgemeine Mannerwahlrecht unabhangig von Besitz und Steuerleistung eingefuhrt allerdings nur fur eine neu geschaffene funfte zensusfreie Wahlerklasse innerhalb des Kurienwahlrechts Ein Sechstel der Abgeordneten sollte nun durch die funfte Kurie gewahlt werden allerdings hatten die Mitglieder der ersten vier Kurien auch in der funften ein Stimmrecht und somit ein Pluralwahlrecht Diese Reform war dennoch ein Teilerfolg fur die Sozialdemokratie die stets fur das unbeschrankte allgemeine Wahlrecht eingetreten war und damit erstmals Chancen auf einen Einzug in den Reichsrat hatte In den einzelnen Wahlkreisen der osterreichischen Reichshalfte bildeten die lokalen Sozialdemokraten nun Wahlkomitees um Kandidaten aufzustellen Im Marz 1897 fanden schliesslich die Reichsratswahlen statt und vierzehn sozialdemokratischen Kandidaten gelang es einen der 72 Platze der funften Kurie zu erringen Insgesamt wurden uber alle Kurien 425 Mandate vergeben Dieser erste kleine Wahlerfolg bedeutete einen wichtigen Schritt um eine etablierte Partei zu werden er hatte jedoch zwei bittere Wermutstropfen fur die Sozialdemokratie Zum einen gelang es den Wiener Sozialdemokraten entgegen allen Erwartungen nicht in einem der Wiener Arbeiterbezirke ein Mandat zu erringen Alle 14 Reichsratsmandate wurden ausserhalb von Osterreich unter der Enns wozu auch Wien gehorte erzielt etwa von Ignacy Daszynski in Galizien 9 und dem Chemiegewerkschafter Anton Schrammel in Bohmen 10 11 obwohl dort mit Victor Adler Jakob Reumann Ludwig August Bretschneider und Engelbert Pernerstorfer prominente Personlichkeiten kandidiert hatten 12 Es hatten namlich nicht nur die Sozialdemokraten von der Wahlrechtsreform profitiert sondern auch die Christlichsozialen die es besonders in Wien schafften auch kleinburgerliche Wahler anzusprechen So verlor etwa Victor Adler in seinem Wahlkreis gegen den politisch davor vollig unbekannten christlichsozialen Handlungsgehilfen Julius Prochazka 13 Zum anderen war durch die spontane Bildung von sozialdemokratischen Wahlkomitees in den Wahlkreisen der osterreichischen Reichshalfte ohne Grundsatzentscheidung der Partei eine lokale Organisationsebene entstanden deren Vertreter auch nach der Wahl diese provisorische foderale Struktur beibehalten wollten Diese Tendenzen die dem uberethnischen Internationalismus der Arbeiterbewegung widersprachen wurden durch die Badenische Sprachenverordnung vom 5 April 1897 noch verstarkt Vor diesem Hintergrund wurde fur den 6 Juni 1897 ein Parteitag ins Wiener Hotel Wimberger einberufen Sechster Parteitag BearbeitenThemen des Parteitags waren zunachst die gerade geschlagenen Wahlen und die Frage wie Wahlkampfe in Zukunft besser organisiert werden konnen Es hatte sich namlich gezeigt dass die Sozialdemokraten nicht ausreichend darauf vorbereitet waren und es insbesondere verabsaumt hatten rechtzeitig finanzielle Mittel fur den Wahlkampf zu sammeln 14 Daneben wurde uber den Status der Konsumvereine diskutiert und ein Antrag eingebracht die neu gewahlten sozialdemokratischen Abgeordneten sollen sich im Reichsrat fur die Verbesserung deren rechtlicher Grundlage einsetzen Der Vorschlag Victor Adlers jedes Parteimitglied sollte verpflichtend auch einem Konsumverein beitreten wurde jedoch nicht angenommen Dies sollte erst zwei Jahre spater am Parteitag in Brunn 1899 eine Mehrheit finden Ein weiteres Thema war der noch 1896 erfolgte spektakulare Parteieintritt von Engelbert Pernerstorfer Dieser war bereits seit 1885 als unabhangiger Abgeordneter fur den Wahlbezirk Wiener Neustadt Neunkirchen im Reichsrat gewesen und stand fruher deutschnationalen Kreisen um Ritter von Schonerer nahe spater dann dem sozial liberalen Kreis der Fabier Bei den Wahlen von 1897 hatte er jedoch nun als Sozialdemokrat sein Mandat nicht verteidigen konnen Dies und der Umstand dass er sich von Schonerer zwar wegen dessen Antisemitismus distanziert hatte jedoch weiter deutschnationalen Ideen anhing stiess bei Teilen der Delegierten auf Kritik 15 Als Reichsparteisekretar wurde im Hotel Wimberger Franz Schuhmeier aus Wien Ottakring bestatigt Nationalitatenfrage Bearbeiten Das dominierende Theme des Wimberger Parteitags war jedoch die zukunftige Organisation der Partei Im Zuge des Wahlkampfes waren in den Regionen der osterreichischen Reichshalfte zahlreiche sozialdemokratische Wahlkomitees entstanden die basisdemokratisch Kandidaten aufgestellt hatten Diese Wahlkomitees hatten im Wahlkampf durchaus unterschiedliche Positionen vertreten In den gemischtsprachigen Regionen von der Bukowina uber Galizien und Bohmen bis Krain und Triest konnten diese Komitees dort wo starke nationalistische Konkurrenz existierte teilweise mit dem dezidierten Internationalismus der Arbeiterbewegung punkten Teilweise stutzen sich diese Komitees jedoch nur auf die Wahlerschaft einer ethnischen Gruppen Besonders in Bohmen trat die soziale Frage der Arbeiterschaft oft in den Hintergrund gegenuber der nationalen Frage zwischen Tschechen und Deutschbohmen Gleichzeitig herrschten innerhalb der Volksgruppen erbitterte Kampfe zwischen den ideologischen Lagern um die Gunst der Wahler Die tschechoslawischen Sozialdemokraten in Osterreich Socialne demokraticka strana ceskoslovanska v Rakousku hatten sich deshalb bereits 1893 umbenannt in Tschechoslawische Sozialdemokratische Partei der Arbeiter Ceskoslovanska socialne demokraticka strana delnicka und versuchten sich mit nationalen Forderungen gegenuber den Jungtschechen zu behaupten In Galizien und Osterreichisch Schlesien wiederum schwankten die polnischen Sozialdemokraten zwischen internationalistischen Positionen und der nationalen Forderung zur Wiederherstellung eines unabhangigen polnischen Staates Dort war es 1893 zur Spaltung zwischen der im franzosischen Exil gegrundeten polnisch nationalen PPS Polska Partia Socjalistyczna und der mehr internationalistisch kommunistischen SDKP Socjaldemokracja Krolestwa Polskiego gekommen die sich in Osterreich offiziell Sozialdemokratische Partei von Galizien und Schlesien Teschen Partia Socjalno Demokratyczna Galicji i Slaska Cieszynskiego nannte Selbst Rosa Luxemburg Mitbegrunderin der SDPK meldete sich zu Wort und kritisierte nationalistische Positionen der polnischen Sozialdemokraten scharf Sie vertrat die Auffassung dass Polen nur durch eine Revolution sowohl im Deutschen Reich als auch in Osterreich Ungarn und im Russischen Kaiserreich unabhangig werden konne Deshalb empfahl sie noch vor dem Wimberger Parteitag den Sozialdemokraten aller Regionen des Habsburgerreiches eine straffe Zentralisierung der Parteiorganisation zu schaffen 16 Dieser Vorschlag war jedoch angesichts der komplizierten Interessenlagen im Habsburgerreich und des schlechten Wahlergebnisses der Wiener Sozialdemokraten illusorisch So suchten die Delegierten einen Kompromiss Aus pragmatischen Grunden entschloss man sich die lokale Parteiorganisation an den staatlichen Wahlbezirken zu orientieren und damit die spontan entstandenen Wahlkomitees zu offiziellen Parteigremien zu machen Daruber sollte es jeweils eine nationale Parteiorganisation geben Die politische Verantwortung uber die Gesamtpartei wurde einer Gesamtvertretung in Wien ubertragen deren Mitglieder von den Exekutivkomitees der nationalen Sektionen entsandt wurden Zusatzlich wurde eine standige Gesamtexekutive fur die Sozialdemokratie ganz Cisleithaniens eingerichtet die aus den jeweils in Wien anwesenden Vertretern der nationalen Vertretungen gebildet wurde Weiters wurde festgelegt dass alle zwei Jahre ein Gesamtparteitag stattfinden soll der uber die alle Nationalitaten betreffenden Angelegenheiten entscheidet 17 Damit wurde formal die Einheit der Sozialdemokraten ganz Osterreichs gewahrt gleichzeitig aber das zentralistische Prinzip aufgegeben Stattdessen entstand am Wimberger Parteitag eine stark foderalistische Struktur Das Selbstbestimmungsrecht der Volker wurde jedoch explizit abgelehnt und als Ziel ein gleichberechtigtes Miteinander der Volksgruppen innerhalb des Staates Osterreich angestrebt Folgen BearbeitenDer erste Parteitag der Sozialdemokraten der gesamten osterreichischen Reichshalfte fand vom 24 bis 29 September 1899 im Arbeiterheim in Brunn statt Dort wurde der am Wimberger Parteitag eingeschlagene Kurs in der Nationalitatenfrage in ein neues Parteiprogramm gefasst das als Brunner Programm bekannt wurde Vor allem der Kampf um ein umfassendes allgemeines Wahlrecht einte die Sozialdemokratie des Habsburgerreiches in den Folgejahren und bescherte ihr nach dessen Einfuhrung 1906 neue Erfolge Bei den Reichsratswahlen von 1907 wurde die Partei hinter den Christlichsozialen zweitstarkste Kraft Doch die zentrifugalen Krafte des Vielvolkerstaats zeigten auch innerhalb der Sozialdemokratie immer mehr ihre Wirkung Bei den Reichsratswahlen von 1911 wurden die Sozialdemokraten sogar starkste Partei doch die Abgeordneten der verschiedenen Kronlander zersplitterten sich in verschiedene Fraktionen und die Einheit war damit auch formal beendet 18 Einzelnachweise Bearbeiten Arbeiter Zeitung Wien 6 Juni 1897 Nr 155 S 2 f Gunther Sandner Austromarxismus und Multikulturalismus Karl Renner und Otto Bauer zur nationalen Frage im Habsburgerstaat Wien 2002 online als PDF auf kakanien ac at PDF 166 kB Peter Schoffer Der Wahlrechtskampf der osterreichischen Sozialdemokratie 1888 89 1897 Franz Steiner Verlag 1986 ISBN 3 515 04622 4 S 789 Arbeiter Zeitung Nr 27 3 Juli 1891 S 1 f Drei Engel Sale auf der Website dasrotewien at Arbeiter Zeitung Nr 24 10 Juni 1892 S 2 f Schwenders Kolosseum auf der Website dasrotewien Arbeiter Zeitung Nr 95 5 April 1896 S 1 ONB ALEX Stenografische Protokolle Abgeordnetenhaus XII Session 27 Marz 1897 2 Juni 1897 Anhang Verzeichnis der Wahlbezirke bzw Wahlkorper und ihrer Vertreter S 498 Galizien und Krakau e Allgemeine Wahlerclasse 2 Stadt Krakau mit den Gerichtsbezirken Krakau Liszky Podgorze Skawina ONB ALEX Stenografische Protokolle Abgeordnetenhaus XII Session 27 Marz 1897 2 Juni 1897 Anhang Verzeichnis der Wahlbezirke bzw Wahlkorper und ihrer Vertreter S 490 Bohmen e Allgemeine Wahlerclasse 6 Leitmeritz Aussig Tetschen Bohmisch Leipa Wegstadtl Margarete Grandner Kooperative Gewerkschaftspolitik in der Kriegswirtschaft Bohlau Verlag Wien 1992 ISBN 3 205 05411 3 S 11 Ilse Reiter Gustav Harpner 1864 1924 vom Anarchistenverteidiger zum Anwalt der Republik Bohlau Verlag Wien 2008 ISBN 978 3 205 78144 8 S 23 ONB ALEX Stenografische Protokolle Abgeordnetenhaus XII Session 27 Marz 1897 2 Juni 1897 Anhang Verzeichnis der Wahlbezirke bzw Wahlkorper und ihrer Vertreter S 501 Osterreich unter der Enns e Allgemeine Wahlerclasse 2 Wien Landstrasse Favoriten Wieden Simmering Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschosterreichs Protokoll des Sozialdemokratischen Parteitages L A Bretschneider 1898 S 58 Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschosterreichs Protokoll des Sozialdemokratischen Parteitages L A Bretschneider 1898 S 70 u 71 Peter Schoffer Der Wahlrechtskampf der osterreichischen Sozialdemokratie 1888 89 1897 Franz Steiner Verlag 1986 ISBN 3 515 04622 4 S 566 Peter Schoffer Der Wahlrechtskampf der osterreichischen Sozialdemokratie 1888 89 1897 Franz Steiner Verlag 1986 ISBN 3 515 04622 4 S 567 Fussnote Peter Schoffer Der Wahlrechtskampf der osterreichischen Sozialdemokratie 1888 89 1897 Franz Steiner Verlag 1986 ISBN 3 515 04622 4 S 567 Fussnote Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wimberger Parteitag amp oldid 195015409