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Die Untersuchungshaft haufig kurz U Haft genannt ist nach deutschem Strafprozessrecht eine verfahrenssichernde Ermittlungsmassnahme im Rahmen der Ermittlung einer Straftat Die Untersuchungshaft darf nur durch einen Richter durch Haftbefehl und ein Ersuchen um Aufnahme zum Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet werden Ihr geht in aller Regel eine Festnahme durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft voraus Der Beschuldigte muss einem Haftrichter vorgefuhrt werden Die Anordnung der Untersuchungshaft ist in den 112 ff Strafprozessordnung StPO geregelt Die Zeit in der Untersuchungshaft wird in der Regel auf eine eventuell spater verhangte Freiheitsstrafe angerechnet Die Untersuchungshaft darf in der Regel hochstens sechs Monate dauern Inhaltsverzeichnis 1 Zweck der Massnahme 2 Voraussetzungen 3 Vollzug 4 Zusammentreffen von U Haft und anderen freiheitsentziehenden Massnahmen 5 Obergrenze der Untersuchungshaft 6 Ausservollzugsetzung 7 Literatur 8 Einzelnachweise 9 WeblinksZweck der Massnahme BearbeitenDie Untersuchungshaft dient grundsatzlich nur der Sicherung des Strafverfahrens Es soll einer moglichen negativen Beeinflussung des Verfahrens begegnet werden Das Gesetz nennt potentielle Gefahren in 112 Abs 2 StPO in Form von drei Haftgrunden Flucht oder Verborgenhalten Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr Daruber hinaus bestimmt 112a StPO die Wiederholungsgefahr als vierten Haftgrund Dieser Haftgrund ist praventiv polizeilicher Natur und stellt daher bei strenger Betrachtung einen Fremdkorper in der repressiv rechtlichen StPO dar Voraussetzungen BearbeitenGegenuber dem Beschuldigten muss zunachst dringender Tatverdacht vorliegen 112 Abs 1 S 1 StPO Dringender Tatverdacht liegt vor wenn aufgrund des gegenwartig ermittelten Sachverhalts aufgrund bestimmter Tatsachen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht dass der Beschuldigte als Tater oder Teilnehmer einer Straftat verurteilt wird 1 Zweite Voraussetzung ist ein Haftgrund der bei einer Vorfuhrung durch den Richter Ermittlungsrichter anhand bestimmter Tatsachen 112 Abs 2 StPO gepruft wird Haufigster angenommener Haftgrund ist dabei die Fluchtgefahr Es ist nicht notwendig dass der Beschuldigte sich bereits versteckt halt oder fluchtig ist Auch wenn die mogliche Strafe bereits einen Anreiz fur die Flucht gibt und keine familiaren oder personlichen Bindungen existieren kann von einer Fluchtgefahr gesprochen werden Das Nichtvorhandensein eines festen Wohnsitzes als Fluchtgrund anzugeben ist unstatthaft da es sich um eine formelhafte Wendung handelt Die Haftgrunde sind stattdessen ausfuhrlich darzulegen Gleichwohl kommt es in der Praxis zu teilweise gravierenden Benachteiligungen von Personen ohne festen Wohnsitz insbesondere bei Jugendlichen Ein anderer Haftgrund ist die Verdunkelungsgefahr Der Beschuldigte soll davon abgehalten werden Beweismittel zu vernichten oder zu verandern aber auch Zeugen zu beeinflussen Sind Beweise bereits ausreichend gesichert und die Zeugen richterlich vernommen besteht keine Verdunkelungsgefahr Die Verdunkelungshandlung muss sich auf die Tat en beziehen die im Haftbefehl aufgefuhrt ist sind Im Bereich der Schwerkriminalitat u a Bildung terroristischer Vereinigungen Mord Totschlag gelten geringere Anforderungen bezuglich der Darlegung eines Haftgrundes Nach der Formulierung des 112 Abs 3 StPO ist ausdrucklich kein Haftgrund erforderlich Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verstosst diese Regelung aber gegen den Verhaltnismassigkeitsgrundsatz 2 bei verfassungskonformer Auslegung bedeutet die Erleichterung daher lediglich dass der Richter bei der Prufung des Haftgrundes bereits einen begrundeten Verdacht als ausreichend erachten darf Die Wiederholungsgefahr als vierte Alternative dient nicht mehr der Sicherstellung des Verfahrens Sie stellt eigentlich eine praventive Massnahme dar insbesondere bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei Serienstraftatern Die Wiederholungsgefahr als Haftgrund ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich unbedenklich 3 Dieser Haftgrund gilt allerdings nur subsidiar namlich dann wenn der Beschuldigte sich in Freiheit befindet weil entweder kein Haftgrund nach 112 Abs 2 StPO vorliegt oder aber der Haftbefehl nach 116 StPO ausser Vollzug gesetzt worden ist und der Beschuldigte somit die Moglichkeit hat die Straftat fortzusetzen Abschliessend muss die Untersuchungshaft auch verhaltnismassig sein Die Untersuchungshaft darf also beispielsweise nicht die Dauer der zu erwartenden Strafe ubersteigen 112 Abs 1 Satz 2 StPO Bei Bagatelldelikten ist die Untersuchungshaft nur eingeschrankt zulassig 113 StPO Wenn durch andere Massnahmen zum Beispiel regelmassige Meldepflicht bei der Polizei Sicherheitsleistung also Kaution der Zweck der Untersuchungshaft ebenfalls erreicht wird ist die Untersuchungshaft nach 116 StPO entbehrlich beziehungsweise es wird zwar die Untersuchungshaft angeordnet dies jedoch gegen entsprechende Auflagen ausser Vollzug gesetzt Eine besondere Auspragung des Verhaltnismassigkeitsprinzips ist der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen Es sind der Freiheitsanspruch des Beschuldigten und das staatliche Interesse an der Strafverfolgung gegeneinander abzuwagen 4 Nach standiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nehmen mit der Dauer der Untersuchungshaft die Anforderungen an die staatlichen Organe zu die Arbeit in einer Haftsache besonders zugig vorzunehmen 4 Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft reicht dabei nicht ein Verweis auf die Hohe der Strafe die wegen der Tat zu erwarten ist wenn es zu erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzogerungen gekommen ist 4 Vollzug BearbeitenDer Vollzug der Untersuchungshaft erfolgte seit 1953 nach den Vorschriften der Untersuchungshaftvollzugsordnung UVollzO einer blossen Verwaltungsvorschrift Eine gesetzliche Grundlage fur den Vollzug der Untersuchungshaft war nur sehr unzureichend in 119 StPO und 177 StVollzG vorhanden Dennoch konnte sich der Bundesgesetzgeber nicht zu einer bundesrechtlichen Regelung entschliessen Nach der Foderalismusreform des Jahres 2006 blieb der Bund fur die Gesetzgebung in Verfahrensfragen Anordnung der UHaft Rechtsschutz Uberhaft etc zustandig wahrend die einzelnen Bundeslander fur den Vollzug d h die Haftbedingungen verantwortlich sind Bis zum um 1 Januar 2012 sind in allen Bundeslandern eigene Vollzugsgesetze in Kraft getreten Da auch fur den in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten die Unschuldsvermutung gilt und durch die Haft nur soweit in die Freiheitsrechte des Inhaftierten eingegriffen werden darf wie dies zur Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlich ist bestehen fur den Beschuldigten grundsatzlich die gleichen Haftbedingungen im Regelvollzug Im Gegensatz zu Strafgefangenen gibt es fur Untersuchungsgefangene aber keine Arbeitspflicht wahrend des Vollzugs sie brauchen keine Anstaltskleidung tragen und sind meist in getrennten Abteilungen von den Strafgefangenen untergebracht 5 Zusammentreffen von U Haft und anderen freiheitsentziehenden Massnahmen BearbeitenBefindet sich jemand in Untersuchungshaft und ist gleichzeitig Strafhaft aus einem anderen Verfahren zu vollstrecken so musste bisher die Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Verbussung der Strafhaft erwirkt werden In 116b Satz 1 StPO neuer Fassung n F ist nunmehr geregelt dass die Vollstreckung der Untersuchungshaft kunftig nur der Vollstreckung der Auslieferungshaft der vorlaufigen Auslieferungshaft der Abschiebungshaft und der Zuruckweisungshaft vorgeht Alle anderen freiheitsentziehenden Massnahmen z B Strafhaft Ersatzfreiheitsstrafe gehen der Vollstreckung der Untersuchungshaft vor 116b Satz 2 StPO n F Eine andere Vollstreckungsreihenfolge kann jedoch angeordnet werden wenn der Zweck der Untersuchungshaft dies erfordert 116b Satz 2 StPO n F Da 126a Abs 2 Satz 1 StPO n F nicht auf den 116b StPO n F verweist gilt diese Vollzugsregelung nicht bei einstweiliger Unterbringung Obergrenze der Untersuchungshaft BearbeitenSolange kein Urteil ergangen ist das auf eine Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Massregel lautet soll in Deutschland der Vollzug der Untersuchungshaft in der Regel sechs Monate nicht uberschreiten Das Oberlandesgericht bzw der Bundesgerichtshof kann jedoch diese Frist im Rahmen einer Haftprufung verlangern wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen 121 StPO bei Wiederholungsgefahr als Haftgrund betragt die neue Hochstdauer ein Jahr 122a StPO Die Verlangerung uber sechs Monate hinaus ist in der Praxis nicht selten der Fall Trotz der von Amts wegen durchgefuhrten Kontrolle durch das jeweils zustandige Oberlandesgericht bzw den Bundesgerichtshof gab es auch in Deutschland Einzelfalle uberlanger Untersuchungshaft die gelegentlich vom Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte EGMR als Verstoss gegen die Europaische Menschenrechtskonvention gerugt wurden Bei einer langeren Untersuchungshaft reicht nach einem Urteil des EGMR von 2004 eine zu erwartende hohe Strafe allein nicht aus 6 Im Juli 2004 brachte Rheinland Pfalz im Bundesrat eine Gesetzesvorlage zur Verlangerung der Hochstdauer der Untersuchungshaft ein diese wurde jedoch am 17 Februar 2005 vom Bundestag abgelehnt Ausloser fur die Gesetzesvorlage war ein im November 2002 begangener Mord Der Morder war bereits im Marz 2002 von der spater Ermordeten wegen Vergewaltigung angezeigt und verhaftet aber nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden weil bis dahin noch immer nicht mit seinem Prozess begonnen worden war Kritiker warfen der damaligen Landesregierung vor dass daher besser die Bearbeitung von Verfahren beschleunigt werden sollte anstatt auf Druck der Presse eine Verlangerung der Untersuchungshaft einzufordern 7 Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts BVerfG von 2014 reicht eine Uberlastung des Gerichts als Grund nicht aus Der Staat musse die Gerichte mit ausreichend Personal ausstatten 8 Eine gesonderte Form der Untersuchungshaft ist in 230 Abs 2 StPO geregelt Wenn ein Angeklagter trotz einer ordnungsgemassen Ladung zu einer Hauptverhandlung nicht erscheint und sein Ausbleiben nicht ausreichend entschuldigt ist die Vorfuhrung Festnahme am Tag der neuen Verhandlung 230 Abs 1 StPO anzuordnen oder ein Haftbefehl gemass 230 Abs 2 StPO zu erlassen Zwischen diesen beiden Mitteln besteht ein Stufenverhaltnis daher ist aus Grunden der Verhaltnismassigkeit grundsatzlich zunachst die Vorfuhrung anzuordnen 9 Auch diese Form der Untersuchungshaft dient einzig der Sicherung der zeitnahen Fortfuhrung des Strafverfahrens Daher darf in der Regel die Dauer der Inhaftierung eine Woche jedenfalls nicht deutlich uberschreiten 10 Weiterer Haftgrunde als das unentschuldigte Ausbleiben bedarf es nicht allerdings ist auch hier die Verhaltnismassigkeit eingeschrankt zu beachten Mit dem Ende der Hauptverhandlung erledigt sich der Haftbefehl gemass 230 StPO Einer gesonderten ausdrucklichen Aufhebung bedarf es daher am Ende der Hauptverhandlung nicht Ausservollzugsetzung BearbeitenDie Vollstreckung eines Untersuchungshaftbefehls kann ohne diesen ausdrucklich aufzuheben gegebenenfalls unter Auflagen ausser Vollzug gesetzt werden Als Auflagen kommen beispielsweise Meldepflichten Haftkaution etc in Betracht Im Falle eines Verstosses gegen die Auflagen kann der Haftbefehl jederzeit wieder in Vollzug gesetzt werden Literatur BearbeitenReinhold Schlothauer Hans Joachim Weider Untersuchungshaft 4 Auflage C F Muller Verlag Heidelberg 2010 ISBN 978 3 8114 3494 3 Richard Reindl Werner Nickolai Gunther Gehl Hrsg Untersuchungshaft Stiefkind der Justiz 176 Seiten Verlag Rita Dadder Weimar 1995 ISBN 3 926406 88 7 Michael Gebauer Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland Eine empirische Untersuchung zur Praxis der Haftanordnung und des Haftverfahrens 425 Seiten Wilhelm Fink Verlag 1987 ISBN 3 7705 2497 7 Joerg Sommermeyer Recht der Untersuchungshaft Kritischer Uberblick und Tendenzen NJ 1992 336 ff Maria Anna Kilp Ach wie ist das Leben schon Hammelsgasse 6 10 U Haft in Frankfurt M 1903 1973 Fachhochschule Frankfurt am Main 1986 ISBN 3 923098 18 9 Peter Hoflich Wolfgang Schriever Grundriss Vollzugsrecht Seiten 187 bis 228 Das Recht der Untersuchungshaft 3 Auflage Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 2003 ISBN 3 540 00126 3 Stefan Konig Untersuchungsgefangene bekommen mehr Rechte Am 1 Januar 2010 treten neue Regeln zur Untersuchungshaft in Kraft Anwaltsblatt 01 2010 46 Manfred Seebode Der Vollzug der Untersuchungshaft Berlin u a 1985 Christian Wiesneth Die Untersuchungshaft Verlag Kohlhammer 1 Auflage Stuttgart 2010 ISBN 978 3 17 021277 0 Christine Morgenstern Die Starkung prozessualer Garantien im Recht der Untersuchungshaft in Deutschland und Polen Der Einfluss des Europaischen Gerichtshofs fur Menschenrechte ZIS 2011 240 PDF Ullrich Schultheis Ubersicht uber die Rechtsprechung in Untersuchungshaftsachen 2009 2010 Teil 1 NStZ 11 2011 621 Pierre Hauck Lauschangriff in der U Haft NStZ 2010 17 Alle Kommentare zur Strafprozessordnung StPO Einzelnachweise Bearbeiten Matthias Krauss in BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra Graf 37 Edition Stand 1 Juli 2020 112 Rn 9 BVerfGE 19 342 350 BVerfGE 35 185 a b c Pressemitteilung Nr 75 2009 vom 7 Juli 2009 Zum Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen Bundesverfassungsgericht Pressestelle abgerufen am 8 Juli 2009 Zum Beschluss des BVerfG vom 13 Mai 2009 2 BvR 388 09 https www jva bremen de haftbereiche 12203 EGMR Urteil vom 29 Juli 2004 49746 99 CEVIZOVIC v GERMANY NJW 2005 3125 beck online Sabine Ruckert Ab in den Knast in Die Zeit Nr 22 24 Mai 2006 S 18 BVerfG Beschluss vom 30 Juli 2014 2 BvR 1457 14 Rn 23 KG Beschluss vom 19 Juli 2016 4 Ws 104 16 161 AR 30 16 OLG Hamburg Beschluss vom 4 Juni 2020 2 Ws 72 20 7 OBL 24 20 Weblinks 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