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Die Ruhpoldinger Wende war ein drastischer lithologischer Umschwung im Sedimentationsgeschehen der Nordlichen Kalkalpen Das sich rasch ausbreitende stratigraphische Leitereignis fand im Oberjura an der Grenze Oxfordium Kimmeridgium statt Inhaltsverzeichnis 1 Etymologie 2 Definition 3 Einfuhrung 4 Sedimentologie 4 1 Kontaktverhaltnisse 4 2 Beschreibung 4 2 1 Tektonischer Einfluss 5 Assoziierter Vulkanismus 6 Ursachen 6 1 Vulkanosedimentologischer Natur 6 2 Tektonischer Natur 7 Alter 8 Siehe auch 9 Literatur 10 EinzelnachweiseEtymologie BearbeitenDie Ruhpoldinger Wende wurde nach der sie charakterisierenden buntgefarbten rund 50 Meter machtigen Ruhpolding Formation benannt Definition BearbeitenEine stratigraphische Wende stellt eine einschneidende Anderung des Sedimentationscharakters dar Einfuhrung Bearbeiten nbsp Die unmittelbar unter dem Gipfel der Parseierspitze 3036 m liegenden dunklen Radiolarite der Ruhpolding Formation brachten einen drastischen Wechsel im Sedimentationsgeschehen der Nordlichen KalkalpenVon der Untertrias bis zur Unterkreide lasst die Schichtenfolge im gesamten kalkalpinen Ablagerungsraum insgesamt sechs solcher Anderungen erkennen Diese sind eindeutig sedimentologisch gekennzeichnet und werden nach Gesteinsformationen benannt Folgende Wenden sind bisher bekannt vom Hangenden zum Liegenden Rossfeld Tannheimer Wende in der Unterkreide Ruhpoldinger Wende im tiefen Oberjura Adneter Wende im unteren Lias Reingrabener Wende im unteren Karnium Reiflinger Wende im oberen Anisium Reichenhaller Wende zu Beginn der Mitteltrias 1 Die Ruhpoldinger Wende zeichnet sich durch das Auftreten von Radiolariten der Ruhpolding Formation vormals auch Ruhpoldinger Schichten aus Gut geschichtete aus Radiolarienschlammen hervorgegangene Hornsteine Kieselkalke und Kieselmergel breiteten sich ab der Wende mehr oder weniger umgehend und zeitgleich uber faziell verschiedenartige tiefermarine Sedimente des kalkalpinen Sedimentationsraumes aus Sedimentologie BearbeitenDie Sedimentation der Radiolarite der Ruhpolding Formation bedeutet einen jahen und drastischen Einschnitt im Sedimentationsgeschehen der Nordlichen Kalkalpen Diese Anderung des Sedimentationscharakters war nicht vorubergehender Natur Mit dem Auftreten der Radiolarite und spater der Aptychen Schichten breiteten sich Sedimente aus die sich von den unter und mitteljurassischen Ablagerungen deutlich und bleibend unterschieden Vorausgegangen war eine rasche Abnahme der Sedimentationsraten und Machtigkeiten im Dogger So hauften sich in der oberen Klaus Formation die Omissionsflachen 2 und die Sedimentation wurde generell langsamer und luckenhafter Das Verhungern der Sedimentation war wahrscheinlich durch eine kontinuierliche Absinkbewegung bedingt Kontaktverhaltnisse Bearbeiten Die Radiolarite der Ruhpolding Formation liegen folgenden lithostratigraphischen Einheiten auf Jungere Allgauschichten des Doggers im Bajuvarikum Chiemgau Schichten im Bajuvarikum Klaus Formation Klaus Kalk mit mittel bis oberjurassischen Rotkalk im Tirolikum Strubberg Formation im Tirolikum Vilser Kalk im Bajuvarikum und TirolikumUberdeckt wird die Ruhpolding Formation von Ammergau Formation Aptychen Schichten und Seekarspitz Kalk im Bajuvarikum Steinmuhl Formation mit Saccocoma Kalk im Bajuvarikum Rofan Brekzie und Obersee Brekzie im Bajuvarikum Larchberg Formation im Tirolikum Oberalm Formation Tressensteinkalk und Plassenkalk im Tirolikum Agatha Formation Acanthicus Kalk und Haselberg Kalk im Tirolikum Sillenkopf Formation mit Gotzen Member im Tirolikum Strubberg Formation im Tirolikum Tauglboden Formation im TirolikumBeschreibung Bearbeiten Der Liegendkontakt zum unterlagernden Klaus Kalk erfolgt mit einer deutlichen Bankfuge die oft durch eine mehrere Zentimeter starke Tonlage betont wird 3 Gelegentlich kann die Ruhpolding Formation auch bis auf die Adnet Formation oder den Vilser Kalk heruntergreifen In lokal begrenzten Gebieten kann der Radiolarit schliesslich noch auf wesentlich alteren Untergrund bis hinab zur Obertrias transgredieren so zum Beispiel im Dachstein Gebiet 4 Der Radiolarit liegt in diesen Fallen mit glatter Basisflache oder mit Brekzien auf Uber den grauen mergeligen Allgauschichten ist die Grenze etwas weniger scharf Gewohnlich stellen einige Zentimeter bis Meter grauer Kieselkalke oder bunter Mergel einen Ubergang zwischen Allgauschichten und Radiolarit her 5 Wo jedoch der Radiolarit ins Hangende allmahlich in die pelagischen Aptychen Schichten der Ammergau Formation auch Tithonflaserkalk oder bunte Ammergauer Schichten Tithonium bis Berriasium oder Rotkalk ubergeht bleibt die Untergrenze hingegen stets scharf Die Hinterrissschichten sind eine sandig tonige Spezialfazies der Aptychen Schichten aus brekziiertem und konglomeratischen Aptychenkalk Die allmahlich erfolgende Verdrangung des Radiolarienschlamms der Ruhpolding Formation durch Coccolithenschlamm der uberlagernden Aptychen Schichten lasst sich entweder auf eine weitere Vertiefung zuruckfuhren und oder kann durch ein Aufbluhen des kalkhaltigen Nannoplanktons erklart werden Im Mittelabschnitt der nordlichen Kalkalpen Tirolikum folgt die bis 800 Meter machtige Beckenfazies der Oberalm Formation Oberalmer Schichten des Kimmeridgiums bis Berriasiums auf die Ruhpolding Formation stellenweise mit einem Basiskonglomerat Oberalmer Basiskonglomerat meistens erfolgt der Ubergang jedoch allmahlich und zeichnet sich durch zunehmenden Kalkgehalt oder durch Konzentration der Kieselsaure zu dunkelbraunen Hornsteinlagen und Hornsteinlinsen aus Es werden zwei Fazies differenziert die Tonigen Oberalmer Kalke und die Wechselfarbigen Oberalmer Kalke Letztere sind organodetritisch und stellen eine Ubergangsfazies zum Tressensteinkalk ein Riffhaldenschuttkalk Kimmeridgium bis Tithonium und zum Plassenkalk ein weisser massiger Mikrit oder Bio bis Intrasparit Oxfordium Kimmeridgium bis Tithonium Berriasium dar Tektonischer Einfluss Bearbeiten Im Verlauf der Wende wurde das vorhandene Meeresbodenrelief tektonisch akzentuiert und einzelne Schwellenbereiche stiegen bis in die Zone des Flachwassers auf In diesen angehobenen Tiefschwellen kam die auf tiefere Beckenbereiche beschrankte Ruhpolding Formation ubrigens nicht zur Ablagerung sondern es wurden hier weiterhin Rotkalke sedimentiert beispielsweise der Agathakalk ein Cephalopodenkalk der Tiefschwellenfazies aus dem Oxfordium bis Kimmeridgium der Acanthicus Kalk des Kimmeridgiums oder der Haselberg Kalk ein toniger Knollenflaserkalk aus dem Tithonium Erst spater mit einsetzender Sedimentation der Aptychen Schichten wurden die tektonisch bedingten Gegensatze dann wieder langsam ausgeglichen nbsp Die Barmsteine 851 m glitten nach der Ruhpoldinger Wende in den Hallstatter FaziesbereichMit zunehmender tektonischer Aktivitat wahrend der Ruhpoldinger Wende nimmt auch die Haufigkeit von Sedimentkorpern zu deren Bildung durch Erdbeben ausgelost wurde wie Turbidite Fluxoturbidite Schlammstrom Brekzien grain flows Schlammfalten und Gleitpakete Auch Olistholithen sind jetzt anzutreffen Hierher gehoren die hellbraunen allodapischen Kalke der Barmsteine Barmsteinkalk synsedimentare Eingleitungen in den Hallstatter Faziesbereich Ferner die Sonnwendbrekzie im Sonnwendgebirge sowie die Tauglboden und die Strubberg Formation Die meisten der durch tektonische Bewegungen verursachten Massenbewegungen fallen entweder in die Zeit kurz vor oder kurz nach der Ruhpoldinger Wende Ein gutes Beispiel fur wahrend der Wende erfolgte Massenbewegungen ist die Grubhorndlbrekzie eine Megabrekzie mit einem 300 Meter grossen Kalkblock die an einer Nord Sud streichenden Verwerfung in westliche Richtung abglitt und sich im Becken mit der Ruhpolding Formation verzahnte 6 In den der gleichen Schichtgruppe angehorenden rund 200 Meter machtigen Malmbasisschichten der nordlichen Osterhorn Gruppe treten vergleichbare kieselige Sedimente auf In ihnen verlieren aber die Brekzienlagen an Bedeutung und der Radiolarit beschrankt sich im Wesentlichen auf eine Lage im Basisniveau Schichtparallele Gleitungen fuhrten hier in den kieseligen Ablagerungen zu Schichtausfallen und Schichtwiederholungen 7 Assoziierter Vulkanismus BearbeitenDie Ruhpoldinger Wende wird neben tektonischen Bewegungen auch durch weitverbreitete vulkaniklastische Ablagerungen Tuffite charakterisiert 8 die zum basischen oberjurassischen Magmenpuls zu rechnen sind So erscheinen beispielsweise in der Osterhorn Gruppe unterhalb der Radiolarite hornsteinreiche Rotkalke mit tuffitischen Tonmergeln Ursachen BearbeitenVulkanosedimentologischer Natur Bearbeiten Das Aufbluhen der Radiolarien und die hierzu benotigte Kieselsaure und somit die Ausbreitung der Ruhpolding Formation kann durch vulkanischen Eintrag und oder durch Anderungen der Wasserzirkulation Offnung eines Ozeans mit Zustrom kalten Auftriebswassers bedingt sein 9 10 Indirekt darf somit auch auf weitreichende innerozeanische Veranderungen in den raumlichen Gegebenheiten des damaligen Tethysraumes geschlossen werden Inzwischen werden Radiolarite vorwiegend als Sedimente erhohter organischer Produktion angesehen welche an die Etablierung von kraftigen Monsunbedingungen geknupft war 11 Ihre vermutete Assoziation mit Tiefenwasser und Mittelozeanischen Rucken tritt mehr und mehr in den Hintergrund Tektonischer Natur Bearbeiten Die Ruhpoldinger Wende wird mittlerweile mit der Obduktion der Meliata Ophiolite uber das Sedimentpaket des Oberostalpins hinweg auf den sudostlichen Kontinentalrand Alcapias ein Akronym aus Alpen und Karpaten in Verbindung gebracht Dieser initiale orogene Puls Kimmerische Phase der alpinen Gebirgsbildung stand im Zusammenhang mit der Schliessung der permotriassischen Tethysbucht Hierdurch losten sich die verschiedenen Schelffazies von ihrer Unterlage und stapelten sich als nordwestvergente Deckenpakete Die Folge war dass juvavische Einheiten im Rucken von tirolischen Decken aufglitten 12 Die tektonischen Bewegungen bewirkten eine sehr komplizierte Unterwassertopographie Die Kontrollfaktoren der Radiolaritbildung lagen daher nach Baumgartner 1987 vor allem in den palaoozeanographischen Veranderungen begrundet und weniger in zunehmenden Wassertiefen 13 Alter BearbeitenDas Alter der Ruhpoldinger Wende ist an das erstmalige Auftreten der Ruhpolding Formation geknupft Die Ruhpolding Formation im engeren Sinne wurde im Oberen Oxfordium abgelagert d h vor rund 157 bis 155 Millionen Jahren Diese biostratigraphische Altersangabe Maximalalter beruht auf Ammoniten und Belemnitenfunden Hibolites semisulcatus in der obersten Klaus Formation 14 Inzwischen ist jedoch allgemein die Diachronizitat der Ruhpolding Formation erkannt worden Eine neuere Untersuchung von Wegener Suzuki amp Gawlick 2003 fand anhand der Radiolarienstratigraphie ein Alter von Mittlerem Oxfordium bis Unterem Kimmeridgium fur den oberen Roten Radiolarit d h 159 bis 154 Millionen Jahre 15 Wesentlich unscharfer wird die zeitliche Einstufung der Wende wenn im weiteren Sinne die gesamte Radiolarit Gruppe herangezogen wird Fur die Ruhpoldinger Radiolarit Gruppe geben Suzuki und Gawlick 2003a ein Alter von Bajocium bis Untertithon an 16 d h den Zeitraum von 171 bis 147 Millionen Jahren Siehe auch BearbeitenRadiolarit Ruhpolding FormationLiteratur BearbeitenVolker Diersche Die Radiolarite des Ober Jura im Mittelabschnitt der Nordlichen Kalkalpen In Geotektonische Forschungen E Schweizerbart Stuttgart 1980 S 1 217 3 Taf 45 Abb 1 Tab R E Garrison und A G Fischer Deep water limestones and radiolarites of the Alpine Jurassic In Soc Econ Paleont Mineral Spec Publ Band 14 Tulsa 1969 S 20 56 Reinhold Huckriede Rhyncholithen Anreicherung Oxfordium an der Basis des Alteren Radiolarits der Salzburger Kalkalpen In Geologica et Palaeontologica Band 5 Marburg 1971 S 131 147 Rudolf Oberhauser Der Geologische Aufbau Osterreichs Hrsg Geologische Bundesanstalt Springer Verlag Wien 1980 M W Rasser H J Gawlick und T Steiger Lithostratigraphische Einheiten im Oberjura des Mittelabschnitts der Nordlichen Kalkalpen In Berichte des Instituts fur Geol und Palaont Karl Franzens Univ Graz Austrostrat 2000 Band 2 2000 S 16 20 W Schlager und W Schollnberger Das Prinzip stratigraphischer Wenden in der Schichtfolge der Nordlichen Kalkalpen In Mitteilungen der Osterreichischen Geologischen Gesellschaft Band 66 67 1974 S 165 193 Einzelnachweise Bearbeiten W Schlager und W Schollnberger Das Prinzip stratigraphischer Wenden in der Schichtfolge der Nordlichen Kalkalpen In Mitteilungen der Osterreichischen Geologischen Gesellschaft Band 66 67 1974 S 165 193 Omission auf mineralienatlas de abgerufen am 7 September 2020 L Krystyn Stratigraphie Fauna und Fazies der Klaus Schichten Dogger Oxford in den ostlichen Nordalpen Osterreich In Verh Geol Bundesanst Wien Wien 1971 S 486 509 O Ganss F Kumel und E Spengler Erlauterungen zur geologischen Karte der Dachstein Gruppe In Wissenschaftliche Alpenvereinshefte Band 15 Innsbruck 1954 S 82 V Jacobshagen Die Allgau Schichten Jura Fleckenmergel zwischen Wettersteingebirge und Rhein In Jb Geol Bundesanst Band 108 Wien 1965 S 1 114 Hugo Ortner Michaela Ustaszewski und Martin Rittner Late Jurassic tectonics and sedimentation breccias in the Unken syncline central Northern Calcareous Alps In Swiss J Geosci 2008 S 1 17 doi 10 1007 s00015 008 1282 0 Rudolf Oberhauser Der Geologische Aufbau Osterreichs Hrsg Geologische Bundesanstalt Springer Verlag Wien 1980 W Schlager und M Schlager Clastic Sediments associated with radiolarites Tauglboden Schichten Upper Jurassic Eastern Alps In Sedimentology Band 20 Amsterdam 1973 S 65 89 H R Grunau Radiolarian Cherts and Associated Rocks in Space and Time In Eclogae Geol Helv Band 58 Basel 1965 S 157 208 V Diersche Die Radiolarite des Oberjura in den Nordlichen Kalkalpen zwischen Salzach und Tiroler Ache In Diss Techn Univ Berlin Patrick De Wever Luis O Dogherty und Spela Gorican Monsoon as a cause of radiolarite in the Tethyan realm In Comptes Rendus Geoscience Band 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