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Der Begriff Rollenverzicht benennt die in Osterreich gangige Praxis dass der Bundesprasident sich nicht in das politische Tagesgeschaft einmischt und dass er die seinem Amt von der Verfassung Osterreichs zugemessenen Moglichkeiten nicht ausschopft Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Der Bundesprasident in der Zweiten Republik 2 1 Amtsverstandnis nach 1945 2 2 Anderungsversuche Thomas Klestils 2 3 Amtsverstandnis aktuell 3 Literatur 4 QuellenGeschichte BearbeitenIn der 1920 beschlossenen Erstfassung des Bundes Verfassungsgesetzes B VG war die Rolle des Bundesprasidenten politisch sehr schwach ausgestaltet da vor allem die Sozialdemokraten vom Parlament als oberstem Staatsorgan ausgingen Weder ernannte er die Bundesregierung noch konnte er den Nationalrat auflosen oder war Oberbefehlshaber des Bundesheeres Durch die Verfassungsanderung von 1929 wurden die Kompetenzen des Bundesprasidenten erweitert und gleichzeitig jene des Parlamentes geschwacht Die Novelle zum B VG wurde vor allem auf Druck des konservativen christlichsozialen Lagers beschlossen das der Parlamentsherrschaft mittlerweile sehr skeptisch gegenuberstand und die Schaffung eines starken Fuhrungsorgans ahnlich dem deutschen Reichsprasidenten erreichen wollte Um die fur die Verfassungsanderung notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen mussten die Christlichsozialen allerdings der oppositionellen Sozialdemokratie Zugestandnisse machen Diese blieb zwar eine Anhangerin der ausschliesslich parlamentarischen Demokratie liess sich aber zur Aufwertung des Amtes des Bundesprasidenten unter der Bedingung uberreden dass eine enge Bindung des Staatsoberhauptes an die Vorschlage anderer Staatsorgane erfolgte Der Bundesprasident erhielt nun zwar das Recht die Regierung zu ernennen und zu entlassen diese blieb aber dem Nationalrat verantwortlich und konnte weiterhin durch Misstrauensvotum gesturzt werden Ausserdem erhielt das Staatsoberhaupt die Moglichkeit den Nationalrat aufzulosen jedoch nur auf Antrag der Bundesregierung und nicht zweimal aus dem gleichen Grund Weiters erhielt der Bundesprasident zwar den formalen Oberbefehl uber das Bundesheer nicht jedoch die Verfugungsgewalt uber das Heer Er ernennt die obersten Richter und Bundesbeamten ist aber auch hier an Vorschlage anderer Organe gebunden In Art 67 Abs 1 wurde eine Generalklausel in die Verfassung aufgenommen nach der alle Rechtsakte des Bundesprasidenten soweit nicht anders bestimmt auf Vorschlag der Bundesregierung zu erfolgen haben Der letzte Bundesprasident der Ersten Republik Wilhelm Miklas ubte seinen Rollenverzicht in einer fur den Staat desastrosen Situation aus Obwohl er von uber einer Million Burgern in einer Petition dazu aufgefordert worden war unterliess er es die verfassungsbruchige Regierung Dollfuss 1933 zu entlassen im Gegenteil er deckte den weiteren Verfassungsbruch bis zum Anschluss 1938 Der Bundesprasident in der Zweiten Republik BearbeitenAmtsverstandnis nach 1945 Bearbeiten Die Stellung des Bundesprasidenten wurde 1929 zwar theoretisch enorm aufgewertet in der Praxis sind seine Moglichkeiten aber weiterhin beschrankt da er in den meisten Fallen ohne einen Antrag der auf Grund der letzten Nationalratswahlen zustande gekommenen Bundesregierung gar nicht initiativ werden kann ohne das jahrzehntelang ublich gewesene Amtsverstandnis zu andern In der offentlichen Wahrnehmung der Zweiten Republik erscheint der Bundesprasident meist als uberparteilicher Schlichter der mahnend und warnend auftritt selbst aber kaum politische Initiativen setzt Tatsachlich haben die Bundesprasidenten bisher Stand 2015 von wichtigen Kompetenzen kaum oder nie Gebrauch gemacht Seit 1929 hat das Staatsoberhaupt auf Vorschlag der Regierung nur einmal den Nationalrat aufgelost 1930 nach dem Scheitern zweier Regierungen binnen eines Jahres in der Zweiten Republik bisher Stand 2015 noch nie Genauso wenig hat der Bundesprasident jemals eine Bundesregierung gegen deren Wunsch entlassen einen Landtag aufgelost oder sein Notverordnungsrecht ausgeubt Bisher wurde nur einmal von Heinz Fischer die Beurkundung eines Gesetzes aus materiellrechtlichen Grunden verweigert Bundesprasident Korner hat 1953 den Versuch der OVP eine kleine statt der grossen Koalition zu bilden vereitelt Er kundigte an eine solche Regierung keinesfalls zu bestellen Bei der Ernennung hoher Staatsbeamten und Richter kam es nur gelegentlich zu Widerstanden von Seiten des Bundesprasidenten Anderungsversuche Thomas Klestils Bearbeiten Mit dem Slogan Macht braucht Kontrolle zog 1992 Thomas Klestil in die Hofburg den Amtssitz des Bundesprasidenten ein Seine Absicht die Rolle des Bundesprasidenten im politischen Gefuge zu starken scheiterte jedoch grossteils am Widerstand der Bundesregierung So konnte er entgegen seinen ursprunglichen Intentionen weder den EU Beitrittsvertrag unterschreiben noch wurde er Vertreter Osterreichs bei den Sitzungen des Europaischen Rates der Staats und Regierungschefs Dies ware auch ausserst unpraktisch gewesen da er politische Handlungen im Rat nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers vornehmen hatte durfen Nachdem Klestil die langjahrige Praxis jeweils den Erstgereihten des Dreiervorschlages des Nationalrates zum Verfassungsrichter zu ernennen beendet und den Drittgereihten ernannt hatte anderte die grosse Koalition die Verfassung dahingehend dass dem Prasidenten nun nur mehr ein Vorschlag unterbreitet werden muss Diesen kann er zwar weiterhin ablehnen er ist aber seiner ursprunglichen Wahlmoglichkeit beraubt Selbst die Angelobung einer kleinen Koalition zwischen OVP und FPO die ihm stark widerstrebte konnte Klestil zwei Mal nicht verhindern da keine andere Regierungskonstellation die Mehrheit des Nationalrates hinter sich gehabt hatte Er lehnte jedoch die Bestellung zweier FPO Minister ab gegen die strafrechtliche Ermittlungen gefuhrt wurden ausserdem ernannte er fur die Bundesregierung Schussel I den damaligen OVP Obmann Schussel zum Bundeskanzler obwohl die FPO mehr Stimmen hatte Das Beispiel Klestils zeigt dass die Sozialdemokraten 1929 tatsachlich eine Prasidialrepublik weitestgehend verhindert haben wie sie wollten und dass die jeweilige Bundesregierung von einem Bundesprasidenten aus dem gleichen politischen Lager kaum abhangig ist In Hinblick darauf hat sich der Rollenverzicht in der Realverfassung grossteils durchgesetzt Amtsverstandnis aktuell Bearbeiten Klestils Nachfolger Heinz Fischer der 2004 bis 2016 amtierte wich von dieser Praxis kaum ab Zwar hat er die Beurkundung eines Gesetzes verweigert seine Reprasentations und Ernennungsbefugnisse hat aber auch er wie ublich in weiten Teilen an andere Organe delegiert Die Einflussnahme auf die Regierung fand zumeist hinter den Kulissen statt Bei Entscheidungen die ohne den Bundesprasidenten nicht zustande kommen wurde bereits im informellen Vorfeld geklart ob bzw was der Bundesprasident unterschreiben wird Literatur BearbeitenManfried Welan Der Bundesprasident Kein Kaiser in der Republik Bohlau Verlag Wien Koln Graz 1992 ISBN 3 205 05529 2Quellen BearbeitenRechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes Kompetenzen des Bundesprasidenten im Detail Eintrag zu Rollenverzicht im Austria Forum im AEIOU Osterreich Lexikon Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rollenverzicht amp oldid 236530448