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Petites perceptions franzosisch kleine Wahrnehmungen sind nach Gottfried Wilhelm Leibniz 1646 1716 kleine unmerkliche Empfindungen perceptions Sie werden nicht als solche einzelne Inhalte bewusst sondern vielmehr erst in ihrer Gesamtwirkung Summation oder Emergenz ahnlich wie das Rauschen einer Welle durch die Bewegung vieler einzelner Wassertropfen hervorgerufen wird Leibniz erkannte in diesen unbestimmten elementaren psychischen Vorgangen Vorstellungen die als verworrene Vorstufen der bewussten und aufmerksamen Wahrnehmung Apperzeption aufzufassen sind 1 Leibniz versuchte mit Hilfe dieser Begrifflichkeit im Rahmen seiner Monadologie den Cartesianismus zu uberwinden der korperliche und seelische Vorgange voneinander trennte res extensa und res cogitans Er gebrauchte den Begriff zur Erklarung der prastabilierten Harmonie 2 a Inhaltsverzeichnis 1 Geistesgeschichtliche Einordnung 2 Kritik an Descartes 3 Bedeutung fur die Weiterentwicklung der Bewusstseinstheorie 4 Anmerkungen 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGeistesgeschichtliche Einordnung BearbeitenLeibniz kannte einerseits die Philosophie von Descartes andererseits hatte er selbst die Lehre der Apperzeption entwickelt die er zu erganzen suchte 2 b Cogito ergo sum Anm 1 wurde daher zum mit Selbstbewusstsein ausgestatteten Denkakt In der Folge stellte Leibniz der Apperzeption als dem klar und mit Selbstbewusstsein Wahrgenommenen die Perzeption als eine vage und unscharfe Vorstufe des Denkens gegenuber und unterschied daruber hinaus noch eine kleine Perzeption die unmerklich ist und unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleibt da sie aus vielen unscharfen Empfindungen hervorgehen Auf ihnen beruht dieses ich weiss nicht was diese Geschmackswahrnehmungen diese Bilder sinnlicher Qualitaten welche alle in ihrem Zusammensein klar jedoch ihren einzelnen Teilen nach verworren sind Auf ihnen beruhen die ins Unendliche gehenden Eindrucke die die uns umgebenden Korper auf uns machen und somit die Verknupfung in der jedes Wesen mit dem ubrigen Universum steht Ja man kann sagen dass sich vermoge dieser kleinen Perzeptionen die Gegenwart mit der Zukunft trifft und mit der Vergangenheit erfullt ist dass alles miteinander zusammenstimmt und dass Augen die so durchdringend waren wie die Gottes in der geringsten Substanz die ganze Reihenfolge der Bewegungen des Universums lesen konnten Gottfried Wilhelm Leibniz 3 Indem Leibniz Begriffe wie Schlaf und Traum zum Gegenstand seiner Abhandlungen machte eroffnete er der Philosophie zugleich neue Gesichtspunkte zum Thema des Unbewussten 4 Durch die Annahme einer Parallelitat von korperlichen und seelischen Faktoren Psychophysischer Parallelismus ebnete Leibniz den Weg fur die Einheitslehre wie sie bereits von Spinoza 1632 1677 formuliert wurde und von Schelling 1775 1854 durch seine Identitatsphilosophie weiter bekraftigt wurde Die Psychophysik von Gustav Theodor Fechner 1801 1887 nahm diesen Standpunkt ebenfalls auf 5 a Das Leib Seele Problem ist auch heute Gegenstand von Modellvorstellungen wie etwa der psychophysischen Wechselwirkung Kritik an Descartes BearbeitenDie Kritik von Leibniz an Rene Descartes 1596 1650 richtete sich gegen die von diesem vertretene Annahme der Wechselwirkung zwischen Korper und Seele Im Falle der seelischen Einwirkung auf den Korper muss nach Auffassung von Descartes der entsprechende Einfluss ohne die Kategorien der res extensa begriffen werden weil die Seele sonst selbst mit diesen korperlichen Kategorien zu verstehen sei Leibniz vertrat stattdessen die These des psychophysischen Parallelismus Sie besagt dass beide Kausalreihen die korperliche und seelische voneinander unabhangig und nebeneinander bestehen 6 Nach Leibniz wird die Ubereinstimmung der unterschiedlichen Kausalreihen durch die gottliche Voraussicht am Anfang der Schopfung gewahrleistet Dies bedeutet allerdings dass ein deus ex machina vorausgesetzt wird s a Uhrengleichnis 5 b Bedeutung fur die Weiterentwicklung der Bewusstseinstheorie BearbeitenIm Rahmen der Psychophysik leistete die Beschreibung von Leibniz uber die petites perceptions Vorschub fur die Entdeckung der Sinnesschwelle und damit gewiss auch fur die Bewusstseinstheorie die erst 1720 von Christian Wolff 1679 1754 und uberhaupt der Begriff Bewusstsein als deutsche Bezeichnung eingefuhrt wurde 7 Johann Friedrich Herbart 1776 1841 trug zu dieser Erforschung im Rahmen der Psychophysik weiter bei 5 c Von ihm stammt die Aussage Wenn eine Vorstellung unter die Schwelle des Bewusstseins fallt so fahrt sie fort in latenter Weise zu leben in stetem Bestreben uber die Schwelle zuruckzukehren und die ubrigen Vorstellungen zu verdrangen 8 Leibniz gilt neben Isaac Newton 1643 1727 als Begrunder der Infinitesimalrechnung 9 Bestimmt durch diese Vorkenntnisse und die damit verbundene Begrifflichkeit des Grenzwerts hat Leibniz die petites perceptions als Bewusstseinsdiffentiale bezeichnet da sie an sich nicht wahrnehmbar durch ihr Zusammenwirken jedoch bzw durch ihre Steigerung Bewusstsein konstituieren 10 a Carl Gustav Jung 1875 1961 bestatigt dass Leibniz der erste aus einer Reihe spaterer Philosophen war der den Begriff des Unbewussten verwendete Sigmund Freud 1856 1939 habe ihn jedoch als erster in empirischer Hinsicht gebraucht ohne von philosophischen Pramissen auszugehen 11 a Von den philosophisch orientierten Autoren werden Augustinus 354 430 und Thomas von Aquin um 1225 1274 und Kant 1724 1804 als Erstbeschreiber angesehen die den Begriff des Unbewussten pragten 12 10 b 2 c Jung verwendete den Begriff der subliminalen Perzeption in sinnverwandter Art und Weise so wie Leibniz den der petites perceptions 11 b Allerdings gebraucht Jung den Begriff des Komplexes anstelle des von Leibniz und Herbart verwendeten Begriffs der Vorstellung 11 c Die Elementenpsychologie ist als Fortsetzung einer vielfaltigen Unterteilung der komplexen Bewusstseinsqualitat anzusehen Anmerkungen Bearbeiten Fur den Rationalismus seiner Zeit bezeichnender Satz der Descartes Ich denke also bin ich Allerdings zeichnet sich hier bereits die Ich bezogenheit des Bewusstseins ab Weblinks Bearbeiten Apperzeption im Worterbuch der Philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler 1904 Apperzeption im Kant Lexikon von Rudolf Eisler 1930 Einzelnachweise Bearbeiten Gottfried Wilhelm Leibniz Neue Abhandlungen uber den menschlichen Verstand Dt Ubersetzung Originaltitel Nouveaux essais sur l entendement humain Entstanden 1701 1704 Erstdruck in Œuvres philosophiques latines et francoises Amsterdam Leipzig 1765 Vorrede online a b c Heinrich Schmidt Philosophisches Worterbuch Kroners Taschenausgabe 13 21 Auflage neu bearbeitet von Georgi Schischkoff Alfred Kroner Stuttgart 1982 ISBN 3 520 01321 5 a S 524 zu Wb Lemma Petites perceptions b S 33 zu Wb Lemma Apperzeption c S 499 zu Wb Lemma Oberbewusstsein Ce sont elles qui forment ce je ne sais quoy ces gouts ces images des qualites des sens claires dans l assemblage mais confuses dans les parties ces impressions que les corps environnans font sur nous et qui envellopent l infini cette liaison que chaque estre a avec tout le reste de l univers On peut meme dire qu en consequence de ces petites perceptions le present est plein de l avenir et charge du passe que tout est conspirant symnoia panta comme disoit Hippocrate et que dans la moindre des substances des yeux aussi percans que ceux de Dieu pourroient lire toute la suite des choses de l univers Gottfried Wilhelm Leibniz Nouveaux Essais sur l entendement humain 1703 5 Preface in Samtliche Schriften und Briefe Bd VI 6 Berlin 1990 54 f Kurt Flasch Kampfplatze der Philosophie grosse Kontroversen von Augustin bis Voltaire Klostermann Frankfurt 2008 S 308 a b c Peter R Hofstatter Hrsg Psychologie Das Fischer Lexikon Fischer Taschenbuch Frankfurt a M 1972 ISBN 3 436 01159 2 a S 207 zu Kap Leib Seele Problem b S 208 zu Stw Gustav Theodor Fechner c S 87 208 257 f zu Kap Bewusstsein Psychophysik Gottfried Wilhelm Leibniz La Monadologie 1714 dt Fassung 1720 mit dem Titel Monadologie 80 f Christian Wolff Vernunftige Gedanken von Gott der Welt und der Seele des Menschen Auch von allen Dingen uberhaupt Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet 7 Auflage Frankfurt und Leipzig 1738 1 728 f 732 35 752 924 Guido Villa Einfuhrung in die Psychologie der Gegenwart Ubersetzung Leipzig 1902 S 339 zu Stw Herbart Johann Friedrich Richard Knerr Lexikon der Mathematik Lexikographisches Institut Munchen 1984 S 63 zu Lemma Differentialrechnung a b Rudolf Eisler Worterbuch der philosophischen Begriffe 2 Bde Historisch quellenmassig bearb v Rudolf Eisler 2 Auflage Berlin 1904 Bd 2 O Z 942 S a b Gottfried Wilhelm Leibniz Quellen und Zitat ubersetzt nach franzos Urtext in Lemma Unbewusst Descartes Locke Plattner Leibniz online b Immanuel Kant Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Teil I 5 in Lemma Unbewusst Kant Maas Fichte Schelling Beneke online a b c Carl Gustav Jung Die Dynamik des Unbewussten In Gesammelte Werke Walter Verlag Dusseldorf 1995 Paperback Sonderausgabe Band 8 ISBN 3 530 40083 1 a S 121 212 zu Stw Leibniz b S 339 f 588 zu Stw subliminale Perzeption c S 189 350 zu Stw Komplex Hans Walter Gruhle Verstehende Psychologie Erlebnislehre 2 Auflage Georg Thieme Stuttgart 1956 S 12 zu Stw Thomas von Aquino Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Petites perceptions amp oldid 233176153