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Dieser Artikel behandelt die Bedeutung des Begriffs in der Biologie fur den Begriff Organizismus in der Architektur siehe Organische Architektur Als Organizismus oder organizistischen Holismus bezeichnet man in der Biologie die These dass sich viele biologische Fragen nur beantworten lassen wenn man einzelne Lebewesen als individuelle Organismen bzw Untersuchungsgegenstande oberhalb der Ebene des individuellen Organismus wie zum Beispiel Populationen Biozonosen und Okosysteme nach dem Modell des individuellen Organismus untersucht Der Organizismus steht somit einem biologischen Elementarismus und Reduktionismus gegenuber der biologische Makrophanomene generell auf biologische Mikrophanomene zuruckfuhren will Ernst Mayr beschreibt den Organizismus wie folgt Zusammenfassend kann man den Organizismus am besten als eine doppelte Uberzeugung beschreiben Zum einen ist es wichtig den Organismus als Ganzes zu betrachten Zum anderen ist Ganzheit nicht mysterios der Analyse verschlossen sollte jedoch auf der richtigen Analyseebene studiert werden 1 Diese richtige Analyseebene ist die der kausalen Abhangigkeiten zwischen den Teilen oder Organen des betrachteten Gegenstandes die im Organizismus als wechselseitig begriffen werden 2 In den Sozialwissenschaftenen versteht man darunter Konzepte die biologische Konzepte auf Grossgruppen von Menschen wie Staaten Gesellschaftenen oder Volker ubertragen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Naturwissenschaften 1 2 Sozialwissenschaften 2 Literatur 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenNaturwissenschaften Bearbeiten Der Begriff wurde von William Emerson Ritter im Jahr 1919 gepragt Der Organizismus entwickelte sich aus der Erkenntnis dass weder die mechanistisch reduktionistische Betrachtungsweise der Physik noch die nicht uberprufbaren Hypothesen des Vitalismus den besonderen Eigenschaften der Lebewesen angemessen sind Als Grundprinzip wird die besondere Organisation der Lebewesen und damit der Organismen betrachtet Sie stellen ein komplexes hierarchisch gegliedertes System aus Elementen dar die untereinander in vielfaltigen Wechselbeziehungen stehen und dadurch Eigenschaften hervorbringen die durch eine isolierte Betrachtung der einzelnen Elemente nicht mehr erklarbar sind Diese neuen Eigenschaften werden als Emergenzen bezeichnet Sie ergeben sich aus der Integration von Elementen zu einer neuen Einheit Diese steht wieder mit anderen Einheiten in vielfaltigen Wechselbeziehungen so dass auch hier eine weitere Integration auf einer weiteren Ebene entsteht und so fort Die besonderen Eigenschaften der Lebewesen beruhen demnach nicht auf ihrer stofflichen Zusammensetzung sondern auf der ihnen eigentumlichen Organisation Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile hat sich hierfur als griffige Formel eingeburgert So lassen sich zwar auf der Integrationsebene der Molekule alle Vorgange durch physikalisch chemische Gesetze erklaren diese verlieren aber fur die hoheren Ebenen immer mehr an Bedeutung und werden durch andere biologische Prinzipien ersetzt In der modernen Biologie spielt das genetische Programm zur Erklarung der Unterschiede zu nicht lebenden Systemen eine herausragende Rolle Nur Lebewesen werden in weiten Teilen von einem genetischen Programm gesteuert das im Laufe der Evolution erworben und weiter entwickelt wurde In der Okologie waren organizistische Theorien vor allem bis Mitte des 20 Jahrhunderts dominant Als fruhe Vertreter des Organizismus in der deutschen Okologie lassen sich Karl Friederichs 3 und August Thienemann 4 nennen Synokologische Einheiten gelten hier als Ganzheiten Ihren Teilen d h Arten und Artengruppen wird eine Funktion fur dieses Ganze zugeschrieben so dass die Teile Organe das heisst Werkzeuge des Ganzen sind Dabei wird davon ausgegangen dass Organismen durch lebensnotwendige wechselseitige Beziehungen miteinander verbunden sind und zwar so dass die Organismen alle zur Bildung von Organen der Gemeinschaft beitragen 5 Jedes Organ erfullt Funktionen fur die Gemeinschaft ohne die diese nicht existieren konnte Daher ist jedes Individuum abhangig von der Gemeinschaft als einer Ganzheit Nur dadurch dass das Individuum wie alle anderen seine speziellen Funktionen in der Gemeinschaft erfullt ist seine Selbsterhaltung moglich Die synokologischen Einheiten sind naturliche Einheiten Das heisst Sie existieren unabhangig vom Wissenschaftler dieser kann sie nicht nach Belieben abgrenzen sondern muss sie in der Natur auffinden Die Sukzession d h das Einanderablosen verschiedener Artenkombinationen in der Zeit fuhrt von wenig integrierten Pioniergesellschaften zu immer hoher integrierten und schliesslich zu organischen Einheiten Wahrend der Sukzession beeinflussen Umwelt und Artengemeinschaft einander wechselseitig und zwar so dass letztlich ein Klimaxzustand erreicht wird In diesem bildet eine Artengemeinschaft zusammen mit dem von ihr umgestalteten und insofern auch selbst gestalteten Habitat eine stabile ubergeordnete Einheit 6 Den Gegenpol zu diesen organizistisch holistischen Auffassungen in der Okologie bilden einerseits individualistisch reduktionistische Theorien In diesen wird vom Individuum ausgegangen Auf einer Flache koexistieren alle Arten die dorthin gelangt sind und geeignete Umweltbedingungen vorgefunden haben Sie sind in ihrer Existenz nicht daran gebunden fur andere oder eine ubergeordnete Gesellschaft Funktionen zu erfullen Nicht organizistische aber in bestimmten Aspekten holistische Theorien sind Okosystem theorien 7 Sozialwissenschaften Bearbeiten In der Soziologie den Staatswissenschaften und der Geschichtswissenschaft waren organizistische Auffassungen seit langem verbreitet Der Staat die Gesellschaft und das Volk wurden als ein Organismus aufgefasst Biologismus und folglich mit biologischen Kriterien analysiert Bereits in der Fruhen Neuzeit lasst sich im englischen Sprachraum die Vorstellung vom Gemeinwesen als body politic ein eines politischen Korpers dessen Kopf der Konig darstellte 8 Heute wird darunter der ethische Grundkonsens in einer Gesellschaft verstanden 9 Im 17 und 18 Jahrhundert versuchten die Physiokraten das soziale und okonomische Geschehen nach dem Modell des Blutkreislaufs mit dem Herzen als Zentrum zu verstehen 10 Als gesunder Zustand wurde die Abwesenheit von inneren Konflikten angesehen weshalb organizistische bzw organismustheoretische Konzepte die Existenz von Klassengegensatzen leugneten und gesellschaftlichen Pluralismus ablehnten 11 Diese Anschauungsweise kommt aktuell im Rechtspopulismus vor 12 Im Sozialdarwinismus des 19 und 20 Jahrhunderts wurden Kategorien der Evolutionsbiologie wie die naturliche Selektion auf das Zusammenleben von Menschen und Nationen ubertragen Die Gesellschaft wurde als organische Ganzheit angesehen der gegenuber die in ihr lebenden Individuen keine oder nur eingeschrankte Rechte haben Unerwunschte Kulturphanomene wurden als entartet delegitimiert Entartete Kunst Entartete Musik 13 als fremd markierte Menschengruppen wurden in der NS Zeit als Bedrohung des Volkskorpers stigmatisiert diskriminiert und ermordet Judischer Parasit Literatur BearbeitenWilliam Emerson Ritter The Unity of the Organism Or the Organismal Conception of Life 2 Bande Badger Boston 1919 Friedrich Alverdes Die Ganzheitsbetrachtung in der Biologie Elsner Berlin 1932 Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beforderung der Gesamten Naturwissenschaften zu Marburg 67 3 ISSN 0370 8624 Friedrich Alverdes Organizismus und Holismus Neuere theoretische Stromungen in der Biologie Der Biologe 1936 5 4 S 121 128 Armin Muller Ganzheitsbiologie und Ethik Borgmeyer Breslau 1933 Bucher der neuen Biologie und Anthropologie 10 ZDB ID 988446 4 Francesco Nardi Organismus und Gestalt Von den formenden Kraften des Lebendigen Oldenbourg Munchen u a 1942 Einheit des Wissens Ludwig Trepl Geschichte der Okologie Vom 17 Jahrhundert bis zur Gegenwart Zehn Vorlesungen Athenaum Frankfurt am Main 1987 ISBN 3 610 04070 X S 139 158 Athenaum Taschenbucher 4070 Ludwig Trepl Holism and reductionism in ecology technical political and ideological implications In Capitalism nature socialism CNS 1994 5 4 ISSN 1045 5752 S 13 31 Karen Gloy Das Verstandnis der Natur Band 2 Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens Beck Munchen 1996 ISBN 3 406 38551 6 Lizenzausgabe Komet Koln 2005 ISBN 3 89836 511 5 Ernst Mayr The organicists What is the meaning of life In Ernst Mayr This is biology The science of the living world Belknap Press of Harvard University Press Cambridge MA u a 1997 ISBN 0 674 88468 X deutsch Das ist Biologie Die Wissenschaft des Lebens Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg u a 2000 ISBN 3 8274 1015 0 Weblinks BearbeitenC N G Orsini Organicism in Dictionary of the History of IdeasEinzelnachweise Bearbeiten Ernst Mayr This Is Biology The Science of the Living World Belknap Press 1998 ISBN 0 674 88469 8 Immanuel Kant Kritik der Urteilskraft 1790 Werkausgabe Bd X Suhrkamp Frankfurt M 1996 Peter McLaughlin What functions explain Functional explanation and self reproducing systems Cambridge University Press Cambridge 2001 Kristian Kochy Perspektiven des Organischen Biophilosophie zwischen Natur und Wissenschaftsphilosophie Schoningh Paderborn 2003 Karl Friederichs Grundsatzliches uber die Lebenseinheiten hoherer Ordnung und den okologischen Einheitsfaktor Die Naturwissenschaften 15 7 153 157 182 186 1927 Karl Friederichs Vom Wesen der Okologie Sudhoffs Archiv fur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften 27 3 277 285 1934 August Thienemann Vom Wesen der Okologie Biol gen 15 312 331 1941 Kirchhoff Thomas amp Voigt Annette Rekonstruktion der Geschichte der Synokologie Konkurrierende Paradigmen Transformationen kulturelle Hintergrunde In Kaasch Michael amp Kaasch Joachim Hg Disziplingenese im 20 Jahrhundert Beitrage zur 17 Jahrestagung der DGGTB in Jena 2008 Berlin VWB Verlag 181 196 hier 182 2010 Kirchhoff Thomas amp Voigt Annette Rekonstruktion der Geschichte der Synokologie Konkurrierende Paradigmen Transformationen kulturelle Hintergrunde In Kaasch Michael amp Kaasch Joachim Hg Disziplingenese im 20 Jahrhundert Beitrage zur 17 Jahrestagung der DGGTB in Jena 2008 Berlin VWB Verlag 181 196 hier 183 2010 Annette Voigt Theorien synokologischer Einheiten Ein Beitrag zur Erklarung der Uneindeutigkeit des Okosystembegriffs Dissertation 2008 https mediatum ub tum de node id 632738 Ludwig Trepl Geschichte der Okologie Vom 17 Jahrhundert bis zur Gegenwart Frankfurt a M 280 S 1987 S 139 158 A D Harvey Body Politic Political Metaphor and Political Violence Cambridge Scholars Publishing Cambridge 2007 Everhard Holtmann Hrsg Politik Lexikon 3 Auflage Oldenbourg Munchen 2000 S 70 Matthias Gross Natur transcript Bielefeld 2006 ISBN 3 89942 340 2 S 31 Gunter Hartfiel Worterbuch der Soziologie 3 Auflage neu bearbeitet von Karl Heinz Hillmann Alfred Kroner Verlag Stuttgart 1972 S 561 Marius Hildebrand Populistische Kontestation als nationalkonservative Anti Politik Die SVP und die Hegemonisierung des Schweizer Sonderfalls In Seongcheol Kim Aristotelis Agridopoulos Hrsg Populismus Diskurs Staat Nomos Baden Baden 2020 ISBN 978 3 7489 2088 5 S 191 210 hier S 201 Andreas Domann Entartet Zu den sozialen Ursprungen eines Verdikts im Musikschrifttum von 1871 bis 1918 In Archiv fur Musikwissenschaft 74 Heft 1 2017 S 55 74 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Organizismus amp oldid 233772379