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Naturliche Religion oder Vernunftreligion ist ein Begriff der Religionsphilosophie der Aufklarung Er bezeichnet eine religiose Weltanschauung die unabhangig von den Spezifika konkreter geschichtlicher Religionen ist Diese wurden als Hinzukommnisse zu einer ursprunglich rein vernunftformigen Religiositat verstanden Oftmals wird der Ausdruck als Gegenbegriff zu Offenbarungsreligion verwendet wobei manchmal eine Unterscheidung von Natur gegen Gnade zugrunde liegt Andere Gegenbegriffe sind geschichtliche Religion oder positive Religion im Sinne von geschichtlich gegebene vorgefundene Religion Inhaltsverzeichnis 1 Abgrenzung 2 Geschichte des Begriffs 2 1 Vertreter der naturlichen Religion 2 2 Kritik an der naturlichen Religion 3 Literatur 4 FussnotenAbgrenzung BearbeitenDie Bezeichnungen Naturliche Religion und Naturliche Theologie werden von einigen Denkern synonym verwendet bei anderen umfasst der Begriff Naturliche Religion das gesamte Bedeutungsfeld der beiden Termini Viele Theologen und Religionswissenschaftler unterscheiden indes zwischen Naturlicher Religion als Bezeichnung einer Lebensform und Naturlicher Theologie als Bezeichnung philosophisch theologischer Theoriebildung Naturreligion ist ein Ausdruck zur Bezeichnung der Religionen schriftloser Volker der in der Fachwelt als veraltet gilt aber immer noch popular ist Diese Redeweise wird heute als problematisch empfunden weil sie ahnlich wie primitive Religionen oft mit wertenden Konnotationen einhergeht und klassifikatorisch ungenau ist Geschichte des Begriffs BearbeitenVertreter der naturlichen Religion Bearbeiten Die ersten Vertreter der naturlichen Religion im engeren Sinne finden sich im englischen Deismus des 17 Jahrhunderts In der klassischen thomistischen Schultheologie wird von zwei Stufen der Erkenntnis religioser Wahrheiten ausgegangen Erstens der naturlichen Erkenntnis vgl Naturliche Theologie und zweitens der gottlichen Offenbarung Im Deismus wird diese zweite Stufe als nicht notwendig fur die Religion betrachtet sodass eine rein naturliche Religion moglich sei Erster prominenter Vertreter der naturlichen Religion ist Herbert von Cherbury In seinem Werk De religione gentilium errorumque apud eos causis von 1663 stellt er funf rational einsichtige Grundsatze der naturlichen Religion auf Die Annahme der Existenz eines hoheren Wesens Die Pflicht dieses Wesen zu verehren Die Gleichsetzung der Verehrung mit moralischem Handeln Die Forderung Sunden zu bereuen und zu bussen Der Glaube an gottliche Belohnung und BestrafungDiese Grundsatze stellen Herbert zufolge den unverdorbenen Kern aller Religionen dar der jedoch haufig durch Einbildungskraft oder Priesterbetrug erweitert oder verfalscht worden sei 1 Einen Beitrag zur Rechtfertigung der naturlichen Religion leistet auch Leibniz in seiner Theodizee von 1710 Ein sehr einflussreiches und weit ausgearbeitetes System naturlicher Religion legte Matthew Tindal 1730 in Christianity as old as the Creation vor Er betrachtet die naturliche Religion als notwendig vorhanden weil es einer Einschrankung von Gottes Gultigkeit gleichkomme zu behaupten es sei den Menschen vor Christi Geburt oder einer anderen Offenbarung nicht moglich gewesen die wahre Religion zu kennen Gott musse den Menschen von Beginn an eine ausreichende Befahigung zur Erkenntnis der Religion mitgegeben haben namlich die Vernunft Die Inhalte von Tindals naturlicher Religion sind im Wesentlichen der Glaube an die Existenz Gottes und seine autonome Glucklichkeit Da der Mensch zum Gluck Gottes nichts mehr beitragen konne sei er verpflichtet das Gluck der Menschheit bestmoglich zu befordern Tindal schliesst deshalb eine stoische Ethik in seine naturliche Religion ein Er stellt ausfuhrliche Uberlegungen an warum alle uberlieferten Offenbarungen insbesondere auch die inkonsistente Bibel unzuverlassig seien Jedoch ist er der Meinung dass das Christentum diejenige Religion sei die inhaltlich mit der naturlichen Religion identisch sei Daher sei die Bibel nur eine Wiederveroffentlichung der Inhalte der naturlichen Religion 2 Eine Form der Vernunftreligion vertritt auch Immanuel Kant in Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft Er betrachtet die Religion in Hinblick auf ihren moralischen Nutzen Naturliche Religion sei diejenige Religion in der wie auch bei Tindal nur die religiosen Satze anerkannt werden die rational erschlossen wurden 3 Dem stehe die geoffenbarte Religion und der statutarische Glaube gegenuber die mit der naturlichen Religion identisch sein konne 4 zumindest aber einen Teil von ihr enthalten musse um als Offenbarung gelten zu konnen 5 Daruber hinaus enthalten die vorhandenen Religionen jedoch einen Anteil von nicht rational einsichtigen Statuten welche als Selbstzweck befolgt werden 6 Der Glaube an diese Prinzipien sei ein Religionswahn und ihre Befolgung ein unnotiger ja gar moralisch falscher Afterdienst 7 Gerechtfertigt sind laut Kant jedoch solche Prinzipien die dazu dienen sollen eine den rationalen Gesetzen der Religion gehorchende Kirche zustande zu bringen 8 Das ursprungliche Christentum erhebe die vernunftig einsichtigen Gesetze zu seinem Prinzip und sei insofern naturlich 9 Es sei aber auch ein gelehrter Glaube in dem die Kleriker die Interpretation der Offenbarung vorgeben 10 Kant kritisiert dass in allen Religionen auch im Christentum der Afterdienst eine Rolle spiele 11 Die wahre alleinige Religion enthalte dagegen nichts als Gesetze 12 Spatere Religionsphilosophen der Aufklarungszeit verstehen den Ausdruck hingegen teilweise im Sinne einer Art Meta Religion die explizit als nachtragliche Abstraktion gegebener Religionen verstanden wurde und nur als so konstruierter Massstab an historische Religionen angelegt werden konnte Kritik an der naturlichen Religion Bearbeiten Ein erstes grundsatzliches Problem der naturlichen Religion welches David Hume wie Kant ein Vordenker der Aufklarung in seinen Dialogen uber naturliche Religion thematisiert ist die Begrundung des Glaubens an die Existenz Gottes Diese wird in der Regel mit Gottesbeweisen vorgenommen Sofern es sich um Beweise a posteriori wie den teleologischen Gottesbeweis handle seien diese von der verhaltnismassig willkurlichen Interpretation der Welt als solcher abhangig und daher nicht einleuchtend 13 Beweise a priori wie das kosmologische Argument seien einerseits ebenfalls nicht uberzeugend andererseits zielen sie auch nur auf die Existenz eines hoheren Wesens uberhaupt konnten aber nicht die Attribute wie die Gute oder Allwissenheit dieses Wesens belegen 14 Insofern die Existenz Gottes nicht bewiesen sondern nur als menschliche Intuition gerechtfertigt werde wird laut Hume das Problem drangend dass es gerade Ubel seien die religiose Gefuhle hervorrufen Bei solch einer Argumentation stelle sich daher das Theodizeeproblem in verscharfter Form 15 Eine scharfe Kritik an der naturlichen Religion formulierte Friedrich Schleiermacher in seinen Reden Uber die Religion von 1799 Dort versteht er Religion nicht als Denken oder Handeln sondern als Anschauung und Gefuhl 16 Da Gefuhle jedoch individuell sind musse auch die Religion diesen individuellen Anlagen gerecht werden Wahrend jedoch die positiven Religionen ein Prinzip der Individualisierung in sich trugen sei die naturliche Religion abgeschliffen und habe so philosophische und moralische Manieren dass sie wenig von dem eigentumlichen Charakter der Religion durchschimmern lasst 17 Eine individuelle Gestaltung der naturlichen Religion sei nicht moglich weil diese vollstandig allgemein gehalten sei und keinen Ansatzpunkt zu einer individuellen Entwicklung biete 18 Auch die Evangelische Theologie des spateren 19 und 20 Jahrhunderts vor allem Karl Barth kritisierte im Allgemeinen den Begriff naturliche Religion Fur Barth ist dabei die Auffassung ausschlaggebend dass alle Formen von Gotteserkenntnis ausschliesslich aus der unverdienbaren Gnade Gottes moglich seien Die katholische Tradition liess dagegen im Allgemeinen zumindest eine Gotteserkenntnis aus naturlicher menschlicher Vernunft selbst zu und verkundete diese Lehre auf dem Ersten Vatikanischen Konzil als Dogma Eine philosophische Gotteserkenntnis aus reiner Vernunft fuhrt aber auch dieser Auffassung nach noch nicht zu einer gelebten Religion In diesem Sinne sind wie eingangs skizziert naturliche Religion und Naturliche Theologie zu unterscheiden Wichtige Nachkriegstheologen beider christlichen Konfessionen z B Wolfhart Pannenberg Karl Rahner Bernard Lonergan haben anknupfend an Vorganger wie Blondel ausserdem die im Neuthomismus vorherrschende Konzeption naturlicher Theologie durch eine anthropologische Grundlagenreflexion ersetzt Dabei geht es nicht mehr beispielsweise um klassische Gottesbeweise oder sogenannte extrinsezistische extrinsische Argumente welche dem Glaubensinhalt selbst ausserliche Beweisgrunde wie Wunder oder Autoritat von Offenbarungszeugen anfuhrten sondern um eine grundlegende Fahigkeit Gott zu erkennen eine Offenheit fur Transzendenz die jedem Menschen als solchem und damit unabhangig von seiner Zugehorigkeit zu konkreten Religionen zukomme Auch diese Theologen wurden aber keine eigenstandige naturliche Religion unabhangig von geschichtlichen Religionen fur moglich halten Die Problematik des Verhaltnisses zwischen Natur und naturlicher Vernunft einerseits und Gnade und Offenbarung andererseits bildet sich bei Rahner in Begriffen wie ubernaturliches Existenzial anonymes Christentum und ahnlichen ab bei Pannenberg in Begriffsoppositionen wie cognitia dei insita versus acquisita etwa als durch die Natur eingepflanzte versus in der Geschichte erworbene Gotteserkenntnis wiederzugeben Literatur BearbeitenPrimarliteraturDavid Hume Dialogues concerning natural Religion englischer Volltext 1779 postum deutsch Dialoge uber naturliche Religion Herbert von Cherbury De religione gentilium errorumque apud eos causis Amsterdam 1663 als Faksimilie Neudruck hg v Gunter Gawlick Frommann Stuttgart 1967 Immanuel Kant Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft Volltext mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Bettina Stangneth Verlag Meiner Hamburg 2003 ISBN 3 7873 1676 0 Friedrich Schleiermacher Uber die Religion Reden an die Gebildeten unter ihren Verachtern Volltext in Kritische Gesamtausgabe I Abt Bd 2 Schriften aus der Berliner Zeit 1769 1799 hg v Gunter Meckenstock Verlag Walter de Gruyter Berlin New York 1984 S 185 326 insbesondere die funfte Rede S 293 326 ISBN 3 11 010266 8 Matthew Tindal Christianity as old as the Creation or The Gospel a Republication of the Religion of Nature englischer Volltext London 1730 als Faksimilie Neudruck hg v Gunther Gawlick Verlag Frommann Stuttgart 1967 SekundarliteraturWolfhart Pannenberg Systematische Theologie Band 1 Gottingen 1989 S 83 122 Fussnoten Bearbeiten Vgl den Artikel English Deism in der Internet Encyclopedia of Philosophy Vgl Matthew Tindal Christianity as old as the Creation or the Gospel a Republication of the Religion of Nature Online Textausgabe insbesondere Kap 1 und 2 Vgl Immanuel Kant AA VI S 154 1 Vgl Immanuel Kant AA VI S 155 2 Vgl Immanuel Kant AA VI S 156 3 Vgl Immanuel Kant AA VI S 165 4 Vgl Immanuel Kant AA VI S 168 5 Vgl Immanuel Kant AA VI S 158 6 Vgl Immanuel Kant AA VI S 159f 7 Vgl Immanuel Kant AA VI S 165f 8 Vgl etwa Immanuel Kant AA VI S 174 9 Vgl Immanuel Kant AA VI S 167 10 Vgl David Hume Dialoge uber naturliche Religion Abschnitt 7 und 8 Vgl David Hume Dialoge uber naturliche Religion Abschnitt 9 Vgl David Hume Dialoge uber naturliche Religion Abschnitt 10 und 11 Vgl Friedrich Schleiermacher Uber die Religion Reden an die Gebildeten unter ihre Verachtern 1 Aufl S 29 In spateren Auflagen stellt Schleiermacher das Gefuhl in den Mittelpunkt Vgl Friedrich Schleiermacher Uber die Religion Reden an die Gebildeten unter ihre Verachtern 1 Aufl S 135 In spateren Auflagen metaphysisch statt philosophisch Vgl Friedrich Schleiermacher Uber die Religion Reden an die Gebildeten unter ihre Verachtern 1 Aufl S 151 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Naturliche Religion amp oldid 219741559