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Liber de causis Buch der Ursachen ist der Titel einer hochmittelalterlichen lateinischen Ubersetzung einer arabischen philosophischen Schrift aus dem Fruhmittelalter Der Anfang des Liber de causis in einer Handschrift aus dem Besitz von Kardinal Bessarion Venedig Biblioteca Nazionale Marciana Lat 288 fol 2r um 1470 Inhaltsverzeichnis 1 Arabische Urfassung 2 Inhalt 3 Die lateinische Ubersetzung und ihre Rezeption 4 Forschungsgeschichte 5 Ausgaben und Ubersetzungen 6 Konkordanz 7 Literatur 8 Weblinks 9 AnmerkungenArabische Urfassung BearbeitenDer Autor der arabischen Urfassung war ein unbekannter Gelehrter der wohl im 9 Jahrhundert lebte vermutlich in Bagdad 1 Sein Werk war unter verschiedenen Titeln verbreitet darunter Kalam fi maḥḍ al ḫayr Abhandlung uber das reine Gute Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Texten antiker neuplatonischer Philosophen Die Hauptquelle aber nicht wie man fruher glaubte einzige Quelle waren die Grundlagen oder Elemente der Theologie des Neuplatonikers Proklos 5 Jahrhundert Das arabische Werk stimmt jedoch in seinem Aufbau nicht mit der Hauptquelle uberein sein Verfasser ordnete den Stoff nach anderen Gesichtspunkten als Proklos und zog auch neuplatonische Schriften heran die Lehren aus der Schule Plotins enthielten darunter die falschlich Aristoteles zugeschriebene Theologia Aristotelis Theologie des Aristoteles 2 Das Gerust bilden 31 Lehrsatze denen jeweils ein begrundender und erlauternder Kommentar angefugt ist Erst spater in Handschriften der lateinischen Ubersetzung wurde daraus durch Aufspaltung des vierten Satzes und Kapitels in zwei Teile eine Einteilung in 32 Kapitel Die arabische Originalfassung wurde anscheinend von den bedeutenden muslimischen Denkern kaum beachtet es sind nur drei arabische Handschriften uberliefert Da die alteste dieser Handschriften aus dem Jahr 1197 stammt wurde der im 12 Jahrhundert in Toledo tatige judische Philosoph Abraham ibn Daud Avendauth als Verfasser in Betracht gezogen 3 Spater stellte sich jedoch heraus dass schon ab dem 10 Jahrhundert arabische Autoren das Werk heranzogen auch bei dem judischen Philosophen Moses ibn Esra 11 12 Jahrhundert finden sich einschlagige Zitate Inhalt BearbeitenDer neuplatonischen Denkweise folgend nimmt der Autor an dass alles aus der ersten Ursache hervorgeht aus dem Einen das er mit der reinen Gutheit gleichsetzt Sein Hauptthema ist die Frage wie der Hervorgang der Vielheit aus der Einheit zu erklaren ist Dieses Problem versucht er zu losen indem er zwischen dem Einen und dem Vielen nicht eine Mehrzahl von Vermittlungsinstanzen annimmt sondern eine einzige Instanz den Geist Den Geist betrachtet er zugleich als Einheit und als ein Prinzip der Vielheit das die Vielheit der Formen enthalt In diesem Zusammenhang befasst er sich mit Zeit und Ewigkeit Entstehen und Vergehen Er meint das Eine sei als erste Ursache vor der Ewigkeit der unmittelbar daraus hervorgegangene Geist als zweites Sein sei mit der Ewigkeit die Seele als drittes gemeint ist im Neuplatonismus die Weltseele stehe unterhalb der Ewigkeit aber uber der Zeit 4 Das Eine als Erstursache erschaffe das Sein der Seele nicht unmittelbar sondern durch die Vermittlung des Geistes 5 Diese fur den Liber de causis charakteristische Lehre von der mittelbaren Erschaffung der Seele stellte fur die muslimischen und christlichen Interpreten eine Herausforderung dar Eines der Ziele des muslimischen Verfassers ist Elemente der neuplatonischen Emanationslehre zur philosophischen Begrundung des monotheistischen Schopfungsglaubens seiner Religion zu verwerten Zu diesem Zweck weicht er notigenfalls von Proklos Auffassungen ab und greift auf Lehren Plotins zuruck 6 So identifiziert er den ersten Grund aller Wirklichkeit mit dem reinen Sein wahrend Proklos meint der erste Grund das Eine sei uberseiend also noch oberhalb des Seienden Die lateinische Ubersetzung und ihre Rezeption BearbeitenGerhard von Cremona 1187 einer der fruchtbarsten Ubersetzer seiner Epoche ubersetzte das arabische Werk in Toledo ins Lateinische wohl nach 1167 Dabei bemuhte er sich um eine moglichst wortliche Ubertragung ohne stilistischen Erfordernissen der lateinischen Sprache Rechnung zu tragen Als Titel wahlte er getreu der arabischen Vorlage Liber de expositione bonitatis purae Buch zur Erklarung der reinen Gute Erst im 13 Jahrhundert setzte sich der Titel Liber de causis durch Man hielt den Liber zunachst fur ein Werk des Aristoteles eine Erganzung zu dessen Metaphysik denn man betrachtete die Metaphysik als eine unvollstandige Darstellung ihres Themenbereichs Manche Gelehrte meinten jedoch dass nur die im Liber enthaltenen Lehrsatze von Aristoteles stammten die jeweils anschliessenden Beweisfuhrungen und Erlauterungen jedoch von dem fruhmittelalterlichen arabischen Aristoteles Kommentator al Farabi 7 Zu den ersten Rezipienten des lateinischen Liber gehorte ein ebenfalls in Toledo tatiger Kollege Gerhards von Cremona der Gelehrte Dominicus Gundisalvi Gundissalinus der sich mit der darin dargelegten heterodoxen Schopfungslehre befasste die er teilweise missverstand Er fasste die vom Autor des Liber verwendeten Begriffe Geist in der lateinischen Ubersetzung intelligentia und Seele nicht im ursprunglichen neuplatonischen Sinne als Bezeichnungen fur zwei hochrangige Hypostasen hierarchisch geordnete Wirklichkeitsstufen auf Unter intelligentia verstand er vielmehr Intelligenzen womit in der damaligen Terminologie korperlose Lebewesen Engel gemeint waren Die Aussage dass aus dem Geist die Seele hervorgegangen sei bezog er nicht auf die Weltseele sondern auf die menschliche Einzelseele 8 Dieses Missverstandnis pragte auch die spatere mittelalterliche Rezeption Ein weiterer vom Schopfungsverstandnis des Liber beeinflusster Zeitgenosse Gerhards von Cremona war Alanus ab Insulis Er versuchte die neuplatonische Auffassung mit der kirchlichen zu vereinbaren indem er Gott zwar als Wirkursache bei der Entstehung der Seele betrachtete die Rolle der Formursache jedoch der Intelligenz zuwies Gott komme wegen seiner Einheitlichkeit nicht als Formursache in Betracht Als im 13 Jahrhundert das Universitatswesen aufbluhte wurde der Liber de causis zu einem Basistext des Unterrichts an den Fakultaten der Artes liberales Daher sind mindestens 237 lateinische Handschriften erhalten geblieben eine fur einen mittelalterlichen Text hohe Anzahl Wohl zwischen 1241 und 1245 verfasste der Philosoph Roger Bacon den wahrscheinlich altesten mittelalterlichen Kommentar zum Liber de causis unter dem Titel Quaestiones supra librum de causis Fragen uber das Buch von den Ursachen Darin nahm er zu einzelnen Thesen des kommentierten Werks kritisch Stellung 9 Als die Artes Fakultat der damals tonangebenden Universitat Paris 1255 ihr Studienprogramm festlegte wurde bestimmt dass der Liber de causis fur sieben Wochen im Jahr Unterrichtsgegenstand sein sollte Zahlreiche Gelehrte schrieben Kommentare zu dem Werk darunter Albert der Grosse Liber de causis et processu universitatis a prima causa der meinte der Verfasser sei ein gewisser Jude David gewesen Thomas von Aquin Expositio super librum de causis sowie weitere prominente Magister wie Siger von Brabant Aegidius Romanus und Walter Burley Bis um 1500 entstanden mindestens 29 lateinische Kommentare Die spatmittelalterlichen Kommentatoren schatzten den Liber zwar sehr distanzierten sich jedoch von seiner Lehre an einzelnen Stellen wo sie einen Gegensatz zum christlichen Glauben sahen etwa hinsichtlich der These die Seele sei von der Erstursache nicht unmittelbar sondern durch Vermittlung des Geistes erschaffen worden Es setzte sich die Tendenz durch die Bedeutung der nach damaligem kirchlichem Verstandnis anstossigen Beteiligung des Geistes der Intelligenz am Schopfungsprozess einzuschranken Man akzeptierte die Intelligenz nicht mehr als fur die Schopfung der Seele erforderliches Formprinzip sondern wies ihr bei diesem Vorgang eine untergeordnetere ontologisch unwesentliche Rolle zu Man betrachtete sie nicht mehr ontologisch als Seinsprinzip sondern liess sie nur noch erkenntnistheoretisch als Erkenntnisprinzip gelten 10 Zahlreiche Spuren der Benutzung des Liber finden sich bei Dante sowohl in der Divina commedia als auch in der Monarchia und im Convivio Meister Eckhart zitierte den Liber haufig da dessen Transzendenz und Emanationslehre zur Untermauerung seiner Theologie geeignet war Der Name des Proklos war den abendlandischen Gelehrten des Mittelalters zunachst noch kaum bekannt Dies anderte sich erst nachdem Wilhelm von Moerbeke am 18 Mai 1268 seine Ubersetzung von Proklos Grundlagen der Theologie abgeschlossen hatte Anhand dieser Ubersetzung erkannte Thomas von Aquin dass der Liber de causis hauptsachlich eine Zusammenfassung des Inhalts von Proklos Werk ist 11 In seinem 1272 in Paris verfassten Kommentar zum Liber de causis wies Thomas auf diesen Zusammenhang hin und bezeichnete die kommentierte Schrift als einen von einem arabischen Philosophen stammenden Auszug aus den Grundlagen des Proklos Thomas verglich die beiden Texte und fand derjenige des Proklos sei vollstandiger und differenzierter doch biete der Liber inhaltlich aus christlicher Sicht einen Erkenntnisfortschritt Die Entdeckung des nichtaristotelischen Ursprungs des Werkes tat dessen Beliebtheit zunachst kaum Abbruch nur langsam schwand das Interesse Es entstanden auch vier hebraische Ubersetzungen von denen eine auf dem arabischen Text fusst die ubrigen auf dem lateinischen sowie drei hebraische Kommentare 12 Forschungsgeschichte BearbeitenDie erste moderne Ausgabe wurde 1882 von dem Theologen Otto Bardenhewer vorgelegt der sowohl die arabische als auch die lateinische Fassung edierte allerdings auf unzureichender handschriftlicher Basis Wegweisend wurde die 1966 erschienene Ausgabe des lateinischen Textes von Adriaan Pattin die Pattin selbst allerdings nicht als endgultige kritische Edition sondern als Provisorium betrachtete Ein editorisches Problem besteht darin dass manche lateinische Handschriften einen authentischeren dem arabischen Original naheren Text bieten wahrend andere eine jungere bereits abgewandelte Textgestalt zeigen die jedoch rezeptionsgeschichtlich wichtig ist Ein Herausgeber des lateinischen Liber de causis hat somit die Wahl zwischen dem textkritischen Prinzip Rekonstruktion der altesten erreichbaren Textgestalt und dem uberlieferungskritischen Prinzip Entscheidung fur eine relativ autorferne aber stark rezipierte Version Ausgaben und Ubersetzungen BearbeitenArabischer Text Richard C Taylor The Liber de Causis Kalam fi maḥḍ al ḫayr A Study of Medieval Neoplatonism Dissertation Toronto 1981 enthalt kritische Edition des arabischen Textes mit englischer Ubersetzung und Kommentar Otto Bardenhewer Die pseudo aristotelische Schrift Ueber das reine Gute bekannt unter dem Namen Liber de causis Herder Freiburg 1882 enthalt kritische Edition des arabischen Textes mit deutscher Ubersetzung eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche USA Lateinischer Text Andreas Schonfeld Hrsg Anonymus Liber de causis Das Buch von den Ursachen Meiner Hamburg 2004 ISBN 3 7873 1639 6 lateinischer Text und deutsche Ubersetzung Alexander Fidora Andreas Niederberger Von Bagdad nach Toledo Das Buch der Ursachen und seine Rezeption im Mittelalter Dieterich sche Verlagsbuchhandlung Mainz 2001 ISBN 978 3 87162 053 9 lateinischer Text und deutsche Ubersetzung Adriaan Pattin Hrsg Le Liber de causis Edition etablie a l aide de 90 manuscrits avec introduction et notes In Tijdschrift voor Filosofie 28 1966 S 90 203 Edition des lateinischen Textes auch als Sonderdruck verbreitet Hebraische Ubersetzungen Jean Pierre Rothschild Les traductions hebraiques du Liber de causis latin Dissertation Paris 1985 Bd 1 S 172 243 synoptische Ausgabe eines Teils der hebraischen Ubersetzungen Kommentar des Thomas von Aquin Jakob Georg Heller Hrsg Thomas von Aquin Expositio super librum de causis Kommentar zum Buch von den Ursachen Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters Band 39 Herder Freiburg 2017 ISBN 978 3 451 37601 6 lateinischer Text mit deutscher Ubersetzung und Einleitung Konkordanz BearbeitenPaloma Llorente Megias Liber de causis Indice y Concordancia Olschki Firenze 2004 ISBN 88 222 5351 5Literatur BearbeitenUbersichtsdarstellung Cristina D Ancona Richard C Taylor Le Liber de causis In Richard Goulet Hrsg Dictionnaire des philosophes antiques Band Supplement CNRS Editions Paris 2003 ISBN 2 271 06175 X S 599 647Untersuchungen Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Vrin Paris 1995 ISBN 2 7116 1225 2 Thomas Ricklin Die Physica und der Liber de causis im 12 Jahrhundert Zwei Studien Universitatsverlag Freiburg Schweiz 1995 ISBN 3 7278 0994 9 Richard C Taylor The Kalam fi maḥḍ al khair Liber de causis in the Islamic Philosophical Milieu In Jill Kraye u a Hrsg Pseudo Aristotle in the Middle Ages Warburg Institute London 1986 ISBN 0 85481 065 X S 37 52Weblinks BearbeitenAndreas Schonfeld Bibliographie zum Liber de causis Lateinischer Text nach Massgabe der textkritischen Ausgabe von Adriaan Pattin 1966 uberarbeitet von Hans Zimmermann 2001 Arabischer und deutscher Text nach der Edition und Ubersetzung von Otto Bardenhewer 1822 Lateinischer Text Intratext Lateinischer Text deutsche Ubersetzung von Otto Bardenhewer uberarbeitet Sekundarliteratur Bibliotheca Augustana Lateinischer Text nach Hans Zimmermann und franzosische Ubersetzung von Jean Ranchin 2004 Anmerkungen Bearbeiten Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 155 194 pladiert dafur ihn mit al Kindi zu identifizieren Diese Hypothese war schon von prominenten Orientalisten wie Louis Massignon und Carl Brockelmann vorgetragen worden die auch jemand aus dem Schulerkreis al Kindis in Betracht zogen Zu diesen Quellen siehe Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 25 46 Zur Widerlegung dieser Annahme siehe Richard C Taylor The Kalam fi maḥḍ al khair Liber de causis in the Islamic Philosophical Milieu In Jill Kraye u a Hrsg Pseudo Aristotle in the Middle Ages London 1986 S 37 52 hier 37 ff Liber de causis 2 19 26 Liber de causis 3 32 Siehe dazu Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 73 95 Zu den Unterschieden zwischen seiner Metaphysik und derjenigen des Proklos siehe Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 33 46 63 72 133 153 Zu den Zuschreibungen siehe Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 215 217 Alexander Fidora Andreas Niederberger Von Bagdad nach Toledo Das Buch der Ursachen und seine Rezeption im Mittelalter Mainz 2001 S 205 208 Zu diesem Kommentar siehe Cristina D Ancona Costa Recherches sur le Liber de causis Paris 1995 S 197 201 Alexander Fidora Andreas Niederberger Von Bagdad nach Toledo Das Buch der Ursachen und seine Rezeption im Mittelalter Mainz 2001 S 220 222 Die in der alteren Forschung vertretene Ansicht der Zusammenhang mit Proklos sei schon vor oder um 1250 erkannt worden hat sich als unzutreffend erwiesen siehe Helmut Boese Wilhelm von Moerbeke als Ubersetzer der Stoicheiosis theologike des Proclus Heidelberg 1985 S 11 und Anm 3 Cristina D Ancona Richard C Taylor Le Liber de causis In Richard Goulet u a Hrsg Dictionnaire des philosophes antiques Erganzungsband Paris 2003 S 599 647 hier 607 609 617 619 623 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Liber de causis amp oldid 232062673