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Landjudenschaften waren korporative judische Selbstverwaltungsorganisationen in den Territorien des Heiligen Romischen Reiches wahrend der fruhen Neuzeit vereinzelt danach noch bis zur Mitte des 19 Jahrhunderts Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklung 2 Aufbau 3 Landtage 4 Ende 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseEntwicklung BearbeitenEine Ursache fur die Entstehung von Landjudenschaften war die Vertreibung der Juden aus den Stadten und ihre verstreute Ansiedlung auf dem Land Regulare Gemeinden konnten dort meist nicht existieren Der Druck von aussen zwang zur Aufrechterhaltung der judischen Identitat zu Zusammenschlussen In gewisser Weise setzten sie die unregelmassigen Treffen von Rabbinern und Vertretern der Gemeinden im Mittelalter fort Erste Anfange gehen etwa im Rheinland und Franken bis in die Mitte des 15 Jahrhunderts zuruck Teilweise verschwanden diese als Folge von Migrationsbewegungen wieder Ihre reichsweite Verbreitung lag in der zweiten Halfte des 16 und der ersten Halfte des 17 Jahrhunderts Die judische Selbstorganisation territorialisierte sich nachdem reichsweite Ansatze etwa im Zusammenhang mit der sogenannten Frankfurter Rabbinerverschworung gescheitert waren noch starker Ziel war es eine gewisse Autonomie gegenuber den Landesherren aber auch gegenuber anderen judischen Gruppen ausserhalb des eigenen Territoriums zu wahren Die Judenschaft war gerade in kleineren Territorien haufig deckungsgleich mit der religiosen Landgemeinde Wichtig war es daher das Geld fur gemeinsame Einrichtungen wie einen Friedhof oder das Gehalt der Rabbiner aufzubringen Die Landesherren hatten dabei ein Interesse an der Bildung von Landjudenschaften Ihre straffe Organisation gab den Fursten ein wirkungsvolles Instrument zur Kontrolle der Juden in ihrem Gebiet in die Hand Das Eintreiben der Abgaben an den Landesherren war fur diesen der Hauptzweck der Judenschaften Die Landesherren beziehungsweise ihre Hofkammern teilten den Judenschaften die summarische Hohe der Abgaben mit Die Korporationen hatten die Summe aufzuteilen und einzutreiben Verschiedene Funktionstrager wie die Taxatoren welche die Juden den einzelnen Steuerklassen zuordneten oder die Kollektoren die die Steuern eintrieben waren dafur zustandig Die Fursten trugen auch aus Eigeninteresse dazu bei dass die Judenschaften sich zu Zwangskorporationen aller Juden eines Gebiets entwickelten Es gab zwischen 1661 und 1821 etwa in dreissig Gebieten des Reiches Landjudenschaften In einigen dorflichen Gemeinden betrug der Anteil judischer Einwohner dabei uber 50 Prozent 1 Aufbau BearbeitenDie von der jeweiligen Obrigkeit in den Territorien anerkannten mit Wohnrecht versehenen Schutzjuden hatten einer solchen Korporation anzugehoren Dabei gehorten die Einzelpersonen der Judenschaft direkt und nicht indirekt uber die lokalen Gemeinden an Davon ausgenommen waren Juden die im Gebiet von adeligen Unterherrschaften lebten Grossere judische Gemeinden standen oft ausserhalb der Landjudenschaft Andere wie Mannheim oder Furth entwickelten in diesen eine Sonderstellung In religioser Hinsicht standen die Landesrabbiner oder vergleichbare religiose Oberhaupter an der Spitze Je nach Grosse konnten sie weitere Rabbiner unter sich haben Hinzu kam das Kultpersonal im weitesten Sinn vom Kantor bis zum Schachter Die nichtreligiose Spitze der Korporation waren die Judenvorsteher Judenvorganger beziehungsweise Obervorsteher oder Obervorganger Diese hatten haufig einen sehr weitgehenden Einfluss und konnten das religiose soziale und wirtschaftliche Leben reglementieren Verschiedentlich kam es etwa bei Amtsmissbrauch zu oppositionellen Bewegungen Der Vorsteher konnte diese meist mit Zustimmung des Landesherren und des Landesrabbiners durch die Verhangung von Geldstrafen oder dem Bann unterdrucken Seit der Mitte des 18 Jahrhunderts gelang es der Opposition haufiger die Macht der Vorsteher zu begrenzen Die Vorsteher trugen allerdings auch ein grosses Risiko Sie hafteten mit ihrem Vermogen fur die Steuerzahlung der gesamten Judenschaft Oft war das Oberhaupt der Landjudenschaft der vom Landesherrn bestimmte Hofjude Dieser war zumeist auch Fursprecher der Juden am Hof Teilweise blieb das Vorsteheramt uber Generationen in der Hand einer Familie Den Vorstehern zur Seite standen die Altesten und Beisitzer Hinzu kamen verschiedene Funktionstrager wie Taxatoren Landschreiber Landbote und ahnliche Personen Landesrabbiner Landschreiber und Landboten wurden besoldet Landtage BearbeitenIn gewisser Weise war die Institution der Landjudenschaft vom Vorbild der Landstande beeinflusst Das hochste Gremium waren die Landtage In den Landtagen waren die Oberhaupter der judischen Familien vertreten Unter ihnen waren etwa im Herzogtum Kleve auch die Witwen Diese Versammlungen tagten in einem unterschiedlichen Abstand teilweise abhangig von veranderten Abgabeforderungen der Landesherren etwa alle drei oder funf Jahre Dabei war das Wahlrecht in Preussen und anderswo als Dreiklassenwahlrecht an das Einkommen gebunden Auf den Landtagen wurden die summarischen Steuerforderungen der Landesherren auf die einzelnen Juden umgelegt Uber die Einschatzung durch die Taxatoren wurde nicht selten heftig debattiert Unter den armen Juden gab es zudem Unmut dass die Wohlhabenden nicht wirklich nach ihrer Leistungsfahigkeit zu den Steuern beitragen mussten Daruber hinaus ging es auf den Landtagen auch um organisatorische Fragen Klarung von Rechtsproblemen oder religiose Fragen Die Versammlungen beschlossen Statuten und erliessen Verordnungen Sie wahlten fur einen festgelegten Zeitraum die Landrabbiner Die Rabbiner nutzten die Gelegenheit um die Schachter und Fleischbeschauer zu prufen Die Landtage bestellten auch die Judenvorsteher In grosseren Territorien wurden teilweise auch kleine Rate fur die Zeit zwischen den Landtagen gewahlt Diese bestanden aus dem Landesrabbiner dem Vorsteher den Altesten und Beisitzern Die Landjudenschaften waren in ihrem Inneren autonom In religiosen und bei zivilrechtlichen Streitfragen zwischen Juden verfugten die Judenschaften uber eine eigene Gerichtsbarkeit Allerdings wurde diese im 18 Jahrhundert zunehmend eingeschrankt Auch zuvor hatten Wahlen und Beschlusse der Landtage oder der kleinen Rate die Anerkennung der Regierungen bedurft Ende Bearbeiten nbsp Gedenkstatte Landjuden an der Sieg in WindeckMit der Auflosung des Alten Reiches Reichsdeputationshauptschluss im Laufe der Franzosenzeit wurden auch die Landjudenschaften aufgelost Einige wie die im Herzogtum Westfalen und Mecklenburg Schwerins 1764 gegrundet bestanden jedoch noch bis in die Mitte des 19 Jahrhunderts weiter Durch erneuertes Statut von 1839 2 wurde die Landjudenschaft Mecklenburg Schwerins von 1764 3 als Israelitische Landesgemeinde Mecklenburg Schwerin 4 rekonstituiert 5 Die meisten architektonischen Zeugnisse der Landjuden sind in der Reichspogromnacht zerstort worden nbsp Geschichtsort Humberghaus in DingdenZu den wenigen erhaltenen Baudenkmalern gehoren die Alte Synagoge Einbeck und die Synagoge in Gottingen Das Humberghaus im sudlichen Westmunsterland war bis zur Vertreibung seines letzten Bewohners 1941 einhundertdreissig Jahre lang ein Wohn und Geschaftshaus fur fromme Landjuden gewesen und auf Grund der abgeschiedenen Lage mit einer eigenen Mikwe versehen die erhalten ist Es ist jetzt eine offentlich zugangliche Gedenkstatte die viele originale Gegenstande in den historischen Raumen zeigt Siehe auch BearbeitenSynagoge Padberg Synagoge Rodingen Synagoge Petershagen damals im Amt Petershagen Synagoge Bork in Selm Synagoge Issum NiederrheinLiteratur BearbeitenMordechai Breuer Michael Graetz Deutsch judische Geschichte der Neuzeit Band 1 Munchen 1996 S 187 195 Arno Herzig Judische Geschichte in Deutschland Von den Anfangen bis zur Gegenwart Munchen 2002 S 102f Fritz Baer Die Geschichte der Landjudenschaft des Herzogtums Kleve Berlin 1922 Digitalisat Leo Munk Die Judenlandtage in Hessen Kassel In Zur Erinnerung an die Einweihung der Synagoge in Marburg am 15 September 1897 Marburg 1897 Digitalisat Monika Richarz Landjuden In Dan Diner Hrsg Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur EJGK Band 3 He Lu Metzler Stuttgart Weimar 2012 ISBN 978 3 476 02503 6 S 478 483 Daniel Y Kohen Hrsg fur die Israelische Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Wissenschaften zu Gottingen Die Landjudenschaften in Deutschland als Organe judischer Selbstverwaltung von der fruhen Neuzeit bis ins neunzehnte Jahrhundert eine Quellensammlung Gottingen Wallstein Verlag 1996 2003 3 Bande parallel in Hebraisch ISBN 965 208 127 2 Reihe Fontes ad res Judaicas spectantesWeblinks BearbeitenEintrag auf jewishvirtuallibrary orgEinzelnachweise Bearbeiten https rheinische landeskunde lvr de media ilr juedisches leben PDF Landjuden ein Leben zwischen Land und Stadt pdf Vgl Statut fur die allgemeinen kirchlichen Verhaltnisse der israelitischen Unterthanen im Grossherzogthum Mecklenburg Schwerin Schwerin Hofbuchdruckerei 1839 Friedrich der Fromme bestatigte der Landjudenschaft ihre auf dem Landtag zu Schwaan beschlossene Satzung durch die Ordnung und Statua fur die in den Herzoglich Mecklenburgischen Landen wohnenden Schutzjuden vgl Gesetzessammlung fur die Mecklenburg Schwerin schen Lande 6 Bde Heinrich Friedrich Wilhelm Raabe Hrsg Hinstorff Wismar 1844 1859 4 Band Kirchensachen Unterrichts und Bildungsanstalten Staatsrechtliche Sachen 1852 Nr 3231 S 183 sqq Die Landesgemeinde schloss sich 1938 dem Preussischen Landesverband judischer Gemeinden an und 1946 grundeten Juden in Mecklenburg und Vorpommern sie als Judische Landesgemeinde Mecklenburg neu Vgl Axel Seitz Geduldet und vergessen Die Judische Landesgemeinde Mecklenburg zwischen 1948 und 1990 Bremen Edition Temmen 2001 ISBN 978 3 86108 773 1 S 11 Renate Penssel Judische Religionsgemeinschaften als Korperschaften des offentlichen Rechts von 1800 bis 1919 Bohlau Koln 2014 Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 33 ISBN 3 412 22231 3 S 355 372 zugl Erlangen Nurnberg Friedrich Alexander Univ Diss 2012 u d T Judische Religionsgemeinschaften als Korperschaften des offentliches Rechts Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung vom Beginn des 19 Jahrhunderts bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung Normdaten Sachbegriff GND 4537636 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Landjudenschaft amp oldid 225733572