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Mit dem Erlass uber die Ausubung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa und uber besondere Massnahmen der Truppe vom 13 Mai 1941 kurz Kriegsgerichtsbarkeitserlass genannt liess Adolf Hitler durch den Chef des OKW Wilhelm Keitel anordnen dass Straftaten von Zivilpersonen die in den Ostgebieten gegen die deutsche Wehrmacht erfolgten nicht durch ordentliche Verfahren vor Standgerichten oder Kriegsgerichten geahndet werden durften Vielmehr sollten fluchtende Personen unverzuglich Tatverdachtige auf Geheiss eines Offiziers erschossen werden Angehorige der Wehrmacht mussten nicht damit rechnen sich nach einem Ubergriff vor einem Militargericht verantworten zu mussen Kriegsgerichtsbarkeitserlass Seite 1Historiker sehen einen engen ideologischen und rechtlichen Zusammenhang mit dem ungleich bekannteren Kommissarbefehl vom 6 Juni 1941 bei dem der Bruch des Volkerrechts offensichtlich ist 1 Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsgeschichte 2 Inhalte 3 Ausfuhrung und Widerstand 4 Deutungen 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEntstehungsgeschichte Bearbeiten1940 begannen die Planungen fur die weit gesteckten Kriegsziele im Osten die unter dem Begriff Generalplan Ost zusammengefasst wurden Dieser Kampf so ausserte sich Adolf Hitler werde sich wesentlich von dem Kampf im Westen unterscheiden Es werde ein Vernichtungskampf mit dem Ziele der Ausrottung bestimmter politischer Gegner gefuhrt 2 Dieser Kampf gegen das Gift der Zersetzung sei keine Sache der Kriegsgerichte sondern Aufgabe der Truppenfuhrung 3 Ab Marz 1941 wurden Plane ausgearbeitet um den Einsatz von Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei SD und die Aufgabenverteilung sowie Zusammenarbeit mit dem Heer zu regeln Der fur Rechtsfragen im Oberkommando des Heeres zustandige Generalleutnant z b V Eugen Muller schickte am 6 Mai 1941 einen Entwurf fur den spateren Barbarossa Gerichtsbarkeitserlass an das OKW der eine ausfuhrliche Begrundung fur die kurz darauf beschlossenen Anordnungen enthalt Zu der gegnerischen Armee kame diesmal als besonders gefahrliches und jede Ordnung zersetzendes Element aus der Zivilbevolkerung der Trager der judisch bolschewistischen Weltanschauung der seine Waffe der Zersetzung heimtuckisch und aus dem Hinterhalt gebrauche 4 Dieser Fuhrererlass tragt das Datum vom 13 Mai 1941 Tags darauf wurden 19 von 23 Ausfertigungen vom OKW als Geheime Kommandosache versandt Eine Weitergabe sollte nicht vor dem 1 Juni erfolgen Inhalte BearbeitenDer erste Abschnitt des Befehls vom 13 Mai 1941 bezieht sich auf die Behandlung von Straftaten feindlicher Zivilpersonen Fur Straftaten feindlicher Zivilpersonen sind Kriegsgerichte oder Standgerichte bis auf weiteres nicht zustandig Freischarler sind im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen Zivilpersonen die Angehorige der Wehrmacht und das Gefolge angreifen sind sofort niederzukampfen Tatverdachtige konnen auf Geheiss eines Offiziers erschossen werden Gegen Ortschaften konnen nach Anordnung eines Bataillonskommandeurs kollektive Gewaltmassnahmen durchgefuhrt werden Ausdrucklich verboten wird die Festsetzung und Verwahrung von Verdachtigen um diese spater einem Gericht zuzufuhren Erst wenn das besetzte Gebiet ausreichend befriedet ist konnen die Oberbefehlshaber die Wehrmachtgerichtsbarkeit uber Zivilpersonen einfuhren Ein zweiter Abschnitt des Befehls bezieht sich auf Straftaten die von Angehorigen der Wehrmacht gegen Einwohner des besetzten Gebietes verubt werden Es besteht kein Verfolgungszwang gegen den Angehorigen der Wehrmacht selbst wenn es sich um ein militarisches Verbrechen handelt Bei der Beurteilung solcher Taten sind Rachegedanken und Leiderfahrungen zu berucksichtigen die dem deutschen Volk durch bolschewistischen Einfluss zugefugt worden sind Nur schwere Sexualstraftaten Taten aus verbrecherischer Neigung sinnlose Vernichtung von Unterkunften und Beutegut sind kriegsgerichtlich zu ahnden da dieses zur Aufrechterhaltung der Manneszucht diene Bei der Beurteilung der Glaubwurdigkeit feindlicher Zivilpersonen ist ausserste Vorsicht zu beachten Ein dritter Abschnitt stellt die personliche Verantwortung der Befehlshaber fur die Durchfuhrung des Befehls heraus Samtliche Offiziere sollen rechtzeitig in eindringlicher Form belehrt werden Die Rechtsberater sind von den Weisungen und auch von den mundlich mitgeteilten politischen Absichten der Fuhrung zu informieren Nur solche Urteile sind zu bestatigen die den politischen Absichten der Fuhrung entsprechen Muller erlauterte bei einer Besprechung am 11 Juni 1941 in Warschau gegenuber den fur Feindaufklarung und Abwehr zustandigen Generalstabsoffizieren Ic und der Wehrmacht in welchem Sinn der Erlass auszulegen sei Unter dem Begriff Freischarler fallt auch der der als Zivilist die deutsche Wehrmacht behindert oder zu Behinderung auffordert z B Hetzer Flugblattverteiler nicht befolgen deutscher Anordnungen Brandstifter zerstoren von Wegweisern Verrater usw In Zweifelsfallen wird haufig Verdacht genugen mussen 5 Ausfuhrung und Widerstand BearbeitenDie uberwiegende Mehrheit der Kommandobehorden der Wehrmacht gab den Kriegsgerichtsbarkeitserlass an die unterstellten Verbande weiter und ermoglichte damit seine Umsetzung Mehrere Truppenfuhrer befurchteten allerdings die Aufhebung des Strafverfolgungszwanges der Wegfall der Standgerichte werde der Ordnung und Disziplin der Truppen schaden Das AOK 6 sah sich veranlasst in seinen Ausfuhrungsbestimmungen zum Erlass darauf hinzuweisen ein Divisionskommandeur konne trotz des Erlasses Kriegsgerichtsverfahren bei Straftaten gegen die Zivilbevolkerung anordnen Dagegen fanden die Bestimmungen des ersten Abschnitts die verfahrenslosen Hinrichtungen und die kollektiven Gewaltmassnahmen kaum Kritik Diese stiessen teilweise sogar auf ausgesprochene Zustimmung 6 Manche Truppenkommandeure schrankten die Ermachtigung aller Offiziere zu verfahrenslosen Hinrichtungen eigenmachtig ein reduzierten den Personenkreis oder ordneten wie Generaloberst Heinz Guderian trotzdem schnelle Feldgerichtsverfahren an Skeptische Ausserungen wie die von Generaloberst Franz Halder waren selten Er schrieb Wenn diese Disziplin gefahrdet wird oder wankt dann ist es mit militarischer Fuhrung vorbei Die Verantwortung fur die Verletzung der volkerrechtlichen Vereinbarungen und Gepflogenheiten wirkt nicht so unmittelbar druckend zumal die hier mitspielenden Rechtsbegriffe teilweise recht dehnbar sind 7 Auf erheblich grossere Vorbehalte und Widerstand stiess der wenige Tage spater erlassene Kommissarbefehl der sich auf den Kriegsgerichtsbarkeitserlass bezieht und die Aussonderung und Liquidierung von Politkommissaren anordnet Deutungen BearbeitenDer Historiker Jurgen Forster bezog bei seiner Deutung eine Anweisung Walther von Brauchitschs vom 24 Mai 1941 ein in der die Vorgesetzten aufgefordert werden willkurliche Ausschreitungen einzelner Heeresangehoriger zu verhindern und einer Verwilderung der Truppe rechtzeitig vorzubeugen 8 Forster kritisierte die Verlagerung der Verantwortung nach unten und urteilte Hatte sie i e die Heeresfuhrung aber wirklich der Erschutterung des Rechtsbewusstseins der Truppe durch ideologische Vorgaben vorbeugen wollen hatte sie zumindest nicht einen eigenen Beitrag zur Volkerrechtsbeugung vorlegen durfen und sich der Einschrankung der Kriegsgerichtsbarkeit starker widersetzen mussen 9 Christian Streit befand die Ausarbeitung des Erlasses vom 13 Mai 1941 und des sich darauf beziehenden Kommissarbefehls vom 6 Juni 1941 sei ein entscheidender Schritt in Richtung auf die Einbeziehung der Wehrmacht in die Vernichtungspolitik 10 Die Militarhistoriker Michael Epkenhans und John Zimmermann resumieren Der Kriegsgerichtsbarkeitserlass gab den Soldaten einen Freibrief bei der Behandlung der Bewohner des Landes das sie erobern sollten 11 Wigbert Benz stellte fest dass die sowjetische Zivilbevolkerung durch den von der Wehrmachtfuhrung ausgearbeiteten Kriegsgerichtsbarkeitserlass faktisch fur vogelfrei erklart wurde Er sei ein Kernbestandteil der verbrecherischen Befehle denen hunderttausende sowjetische Zivilisten zum Opfer fielen 12 Uber die Bewertung der Haltung jener Offiziere die spater als Widerstandskampfer am 20 Juli 1944 hervortraten entstand eine Kontroverse inwiefern der Kriegsgerichtsbarkeitserlass im Jahre 1941 bei der Wehrmacht auf Ablehnung gestossen sei Johannes Hurter und Felix Romer belegten dass der Erlass auch im Heeresgruppenkommando Mitte als Grundlage der deutschen Besatzungspolitik akzeptiert wurde Sie betonten der Kriegsgerichtsbarkeitserlass sei im Grundgedanken akzeptiert worden Protest habe sich ausschliesslich gegen die Aufhebung des Strafverfolgungszwangs gerichtet 13 Hermann Graml wertete die Ausfuhrungsbestimmungen der Truppenkommandeure zum Erlass hingegen als Versuch menschliches Verhalten zumindest in Ansatzen zu sichern 14 In den Zeitlauften vom 30 Oktober 2008 stellte Felix Romer im Zusammenhang mit seinem im selben Jahr erschienenen Buch 15 fest In kaum einem Bereich aber wirkte die Armee so unmittelbar aktiv und umfassend an der Realisierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mit wie bei der Umsetzung dieses Befehls 16 In einer speziellen Untersuchung zur Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer zeigt Romer dass schon der Kriegsgerichtsbarkeitserlass die Grundlage zur spateren Partisanenbekampfung schuf eben weil bereits dieser forderte nicht nur Freischarler durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen sondern auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen auf der Stelle mit den aussersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzumachen und damit die bis dahin in den deutschen Vorschriften gegen Freischarler vorgesehenen kriegsgerichtlichen Verfahren weitgehend obsolet machte 17 Eine ahnliche Bedeutung fur die unter dem Deckmantel Partisanenbekampfung durchgefuhrten Vernichtungsaktionen gegen sowjetische Zivilisten sieht auch der Historiker Christian Gerlach 18 Literatur BearbeitenHans Adolf Jacobsen Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener In Hans Buchheim Anatomie des SS Staates Band 2 Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933 1945 Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1967 dtv 463 Dokument Nr 8 S 181 ff Felix Romer Im alten Deutschland ware solcher Befehl nicht moglich gewesen Rezeption Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941 1942 PDF 538 kB In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 56 2008 S 53 99 Felix Romer Der Kommissarbefehl Wehrmacht und NS Verbrechen an der Ostfront 1941 42 Ferdinand Schoningh Paderborn u a 2008 ISBN 978 3 506 76595 6 zugleich Kiel Univ Diss 2007 Christian Streit Keine Kameraden Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 1945 Neuausgabe Dietz Bonn 1991 ISBN 3 8012 5016 4 S 33 42 zugleich Heidelberg Univ Diss 1977 Die sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges 1941 1945 Weblinks BearbeitenErlass uber die Ausubung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa und uber besondere Massnahmen der Truppe Kriegsgerichtsbarkeitserlass 13 Mai 1941 1000dokumente de mit einer Einfuhrung von Felix RomerEinzelnachweise Bearbeiten Jurgen Forster Das Unternehmen Barbarossa als Eroberungs und Vernichtungskrieg In Horst Boog Jurgen Forster Joachim Hoffmann Ernst Klink Rolf Dieter Muller Gerd R Ueberschar Der Angriff auf die Sowjetunion Militargeschichtliches Forschungsamt Hrsg Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Band 4 2 Auflage Deutsche Verlags Anstalt Stuttgart 1987 ISBN 3 421 06098 3 S 413 447 hier S 430 hier S 430 v onepage eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Alfred Streim Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg Heidelberg 1982 ISBN 3 8114 2482 3 S 23 Christian Streit Keine Kameraden Bonn 1991 ISBN 3 8012 5016 4 S 34 Notiz Halders vom 30 Marz 1941 Hans Adolf Jacobsen Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener In Anatomie des SS Staates Band 2 dtv 463 Munchen 1967 S 176 Dokument 5a vom 6 Mai 1941 zitiert nach Timm C Richter Die Wehrmacht und der Partisanenkrieg In R D Muller H E Volkmann Hrsg im Auftrag des MGFA Die Wehrmacht Mythos und Realitat Oldenbourg Munchen 1999 ISBN 3 486 56383 1 S 840 Felix Romer Im alten Deutschland ware solcher Befehl nicht moglich gewesen Rezeption Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941 1942 In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 56 2008 S 63 f 72 Hans Adolf Jacobsen Kommissarbefehl In Anatomie des SS Staates Band 2 dtv 463 Munchen 1967 S 147 abgedruckt in Hans Adolf Jacobsen Kommissarbefehl In Anatomie des SS Staates Band 2 dtv 463 Munchen 1967 S 185 f Dokument 10 Jurgen Forster Das Unternehmen Barbarossa als Eroberungs und Vernichtungskrieg ISBN 3 421 06098 3 S 433 Christian Streit Keine Kameraden Bonn 1991 ISBN 3 8012 5016 4 S 35 Michael Epkenhans John Zimmermann Die Wehrmacht Krieg und Verbrechen Reclam Ditzingen 2019 ISBN 978 3 15 011238 0 S 8 siehe auch S 54 f Wigbert Benz Der Russlandfeldzug des Dritten Reiches Ursachen Ziele Wirkungen Haag und Herchen Frankfurt am Main 2 Auflage 1988 ISBN 3 89228 199 8 S 51 f Johannes Hurter Felix Romer Alte und neue Geschichtsbilder vom Widerstand und Ostkrieg In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 53 2005 Hermann Graml Massenmord und Militaropposition Zur jungsten Diskussion uber den Widerstand im Stab der Heeresgruppe Mitte In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 54 2006 S 16 Felix Romer Der Kommissarbefehl Wehrmacht und NS Verbrechen an der Ostfront 1941 42 Ferdinand Schoningh Paderborn 2008 ISBN 3 506 76595 7 Kein Problem fur die Truppe Felix Romer Im alten Deutschland ware solcher Befehl nicht moglich gewesen Rezeption Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941 1942 in Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 56 2008 S 58 PDF Christian Gerlach Krieg Ernahrung Volkermord Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg Hamburger Edition Hamburg 1998 ISBN 3 930908 39 5 S 870 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kriegsgerichtsbarkeitserlass amp oldid 237404843