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Unter Kreolistik versteht man das Teilgebiet der Linguistik das sich mit den Pidgin und Kreolsprachen befasst Eine Pidgin Sprache ist eine reduzierte Sprachform die verschiedensprachigen Personen als Lingua franca zur Verstandigung dient Kreolsprachen entstehen in der Regel aus Pidgins wenn eine Pidgin Sprache durch Sprachausbau in vielfaltigen Domanen verwendbar wird und die resultierende ausgebaute Sprache zur Muttersprache einer Sprachgemeinschaft wird Viele Pidgin und Kreolsprachen sind im Kontext der europaischen Kolonisation im 17 und 18 Jahrhundert in Afrika Amerika und im Pazifik und dem damit einhergehenden Sklavenhandel entstanden Als Begrunder der Kreolistik als wissenschaftliche Disziplin im 19 Jahrhundert gelten der deutsche Sprachwissenschaftler Hugo Schuchardt der Niederlander Dirk Christiaan Hesseling und der Portugiese Francisco Adolfo Coelho Seit den 1960er Jahren ist die Kreolistik ein etablierte akademische Disziplin der Sprachwissenschaft an den Universitaten Forschungen zu Pidgin und Kreolsprachen haben zur Akzeptanz und Verbreitung von Kreolsprachen als Sprachen in Parlament Medien und Bildungswesen in vielen Landern beigetragen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte der Kreolistik 2 Forschungsinhalte 3 Literatur 4 EinzelnachweiseGeschichte der Kreolistik BearbeitenSiehe auch Kreolsprache Die Sicht der Allgemeinheit auf Pidgin und Kreolsprachen war lange Zeit durch rassistische Vorurteile gepragt Pidgin und Kreolsprachen wurden als defizitar angesehen was sich auch in den Bezeichnungen fur viele Pidgins und Kreolsprachen widerspiegelte so etwa broken English oder bastard Portuguese Auch Sprachwissenschaftler haben Pidgin und Kreolsprachen eher als falsche Varianten ihrer Ursprungssprachen denn als neue Sprachen betrachtet weshalb diese Sprachen von der Sprachwissenschaft als Forschungsobjekte lange ignoriert wurden Hinzu kam die bis ins 19 Jahrhundert verbreitete Pramisse dass nur Sprachen die uber eine Schrift verfugen es wert seien erforscht zu werden Da Pidgin und Kreolsprachen in der Regel uber keine schriftliche Fixierung verfugten fielen sie aus diesem Raster heraus 1 Typisch fur den Zugang zu Sprachen war ferner die Sicht etwa vertreten durch den deutschen Sprachwissenschaftler August Schleicher dass sich Sprachen wie naturliche Organismen verhalten die entstehen sich entwickeln und sterben konnen Eine solche Sichtweise von Sprache als Gegenstand der von Menschen nicht beeinflusst werden kann liess ausser Acht dass die Sprache einer Person durch kommunikatives Verhalten und soziale Interaktion beeinflusst wird Als Resultat wurden Pidgin und Kreolsprachen die in ein Modell einer genetischen Verwandtschaft der Sprachen nicht passten lange nicht erforscht Ahnliches galt fur Dialekte aber auch fur Kindersprache Lernersprachen oder die Sprache von Aphasikern deren Erforschung erst im 20 Jahrhundert einen Aufschwung erlebten 2 Die erste systematische Beschreibung einer Kreolsprache wurde von Missionaren der Herrnhuter Brudergemeine aus Mahren erstellt die 1739 auf der Insel Saint Thomas Sklaven missionieren wollten und schliesslich dazu ubergingen dies in ihrer Muttersprache einem franzosischbasierten Kriol zu tun Die erste publizierte Grammatik einer Kriolsprache war Jochum Melchor Magens Grammatica over det Creolske sprog som bruges paa de trende Danske Eilande St Croix St Thomas og St Jans i Amerika Kopenhagen 1770 3 Es folgten weitere Beschreibungen anderer Missionare alle aber reine Beschreibungen mit der praktischen Motivation die Missionierung zu erleichtern Addison Van Names Contributions to creole grammar von 1869 70 wird heute als der Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Kreolsprachen gesehen 4 Die Erforschung von Kreolsprachen erlebte dann in den 1880er Jahren einen deutlichen Aufschwung als soziale Aspekte mehr in den Mittelpunkt der Sprachwissenschaft ruckten Als Begrunder der Kreolistik als sprachwissenschaftliche Disziplin gelten der deutsche Sprachwissenschaftler Hugo Schuchardt der Niederlander Dirk Christiaan Hesseling und der Portugiese Francisco Adolfo Coelho 5 In den 1930er Jahren erlebte die Kreolistik einen Umbruch als Kreolisten die ihre Arbeiten unter theoretischen Aspekten vom Schreibtisch aus erstellten mehr und mehr Kreolisten Platz machten die Sprachdaten im Rahmen einer Feldforschung sammelten Fruhe Feldforscher waren z B der Anthropologe Franz Boas der Chinook Jargon 1933 untersuchte und die Folkloristin Elsie Clews die eine grosse Sprachdatensammlung aus dem karibischen Raum anlegte 1933 1943 Die zentrale Figur in dieser Phase der Kreolistik war der Linguist John Reinecke der auch als Vater der modernen Kreolistik gilt In seiner Dissertation befasste er sich mit der Entwicklung der Theorie in der Kreolistik sowie der Klassifikation und Soziolinguistik der Kreolsprachen ferner einer Beschreibung von uber 40 Pidgin und Kreolsprachen 6 Den Linguisten Robert Hall und Douglas Taylor ist es zu verdanken dass nach dem Zweiten Weltkrieg das Interesse an Kreolistik einen neuen Aufschwung erlebte Hall und Taylor wiesen unter anderem darauf hin dass die Beschaftigung mit Pidgins und Kreolsprachen dazu dienen konne Annahmen der theoretischen Linguistik zu verifizieren Kreolistik als akademische Disziplin an den Universitaten etablierte sich in den 1950er und 1960er Jahren 7 Seit den 1960er Jahren sind in der Kreolistik unter anderem verschiedene neue Konzepte diskutiert worden darunter die Theorie der Monogenese nach der alle Kreolsprachen auf eine gemeinsame Quelle zuruckgehen namlich eine portugiesisch basierte Pidgin Sprache in Afrika aus dem 15 Jahrhundert sowie die Idee eines Kreolkontinuums nach dem es einen fliessenden Ubergang von einer Standardsprache dem Akrolekt uber einen Mesolekt in der Mitte bis zu einem Basilekt gibt der am weitesten vom Standard entfernt ist Vergleiche zwischen der Entstehung einer Kreolsprache und dem Erstspracherwerb wurden gezogen und die Frage nach Sprachuniversalien in beiden Vorgangen gestellt 1981 veroffentlichte Derek Bickerton seine Theorie eines Bioprogramms einer Erklarung des Erstspracherwerbs fur das er Kreolsprachen als Belege heranzog Weitere Trends der Kreolistik im 21 Jahrhundert sind soziolinguistische Forschungen etwa die Frage nach der sozialen Identitat die zunehmende Vernetzung der Forschungsgemeinschaft uber das Internet und die Ausweitung des Felds der Kreolistik auf Nicht Kreolsprachen z B die Mischsprache Michif Immigrantensprachen wie Hindi ausserhalb von Indien oder Varietaten des Englischen wie Singapurisches Englisch 8 Forschungsinhalte BearbeitenDie Kreolistik beinhaltet die wissenschaftliche Beschaftigung mit den aus einer Sprachkontaktsituation entstandenen Kreolsprachen sowie der Kultur der Lander in denen diese Sprachen gesprochen werden bzw gesprochen wurden Kreolsprachen haben sich insbesondere nach der Kolonialexpansion europaischer Lander in Ubersee entwickelt und sind meist Ergebnis des Kontakts zwischen Sprechern einer oder mehrerer europaischer Basissprachen Englisch Spanisch Portugiesisch Franzosisch Niederlandisch mit indigenen Sprachen in Afrika Asien und Amerika Pidgin und Kreolsprachen werden von Millionen von Menschen gesprochen so z B die Haitianische Sprache eine Kreolsprache in Haiti mit etwa 11 Millionen Sprechern 9 In Papua Neuguinea beispielsweise ist die Kreolsprache Tok Pisin eine der offiziellen Sprachen des Landes und wird von 4 Millionen Menschen gesprochen 10 Zu weiteren Landern und Regionen in denen Kreolsprachen gesprochen werden zahlen Mauritius die Seychellen Reunion Kap Verde Guinea Bissau Sao Tome und Principe die Inseln Aruba Bonaire und Curacao Suriname und Sierra Leone Die Auseinandersetzung der Sprachwissenschaft mit Pidgin und Kreolsprachen hat wichtige Beitrage zur theoretischen Linguistik geleistet So werden z B Pidginisierung und Kreolisierung als Extrembeispiele von Sprachwandel interpretiert die durch Sprachkontakt hervorgegangen sind Dies ist eine Herausforderung fur die historische Sprachwissenschaft die mit Konzepten wie die genetische Sprachverwandtschaft insbesondere mit Familienstammbaumen fur Sprachen arbeitet Forschungsarbeiten zu Pidgin Sprachen haben ferner zu einem besseren Verstandnis vom Fremdsprachenlernen gefuhrt wahrend die Theorie des Bioprogramms des Linguisten Derek Bickerton die Erstspracherwerbsforschung befruchtet hat Aussagen zu grammatischen Gemeinsamkeiten vieler Pidgin Sprachen schliesslich trugen zur Forschung uber Sprachuniversalien bei 11 Es gibt vielfaltige Anwendungsfelder fur die Kreolistik So sind Ergebnisse aus der Kreolistik eingeflossen in die Bildungspolitik insbesondere der karibischen Lander die haufig vor der Situation stehen dass es fur ihre Kreolsprachen keine standardisierte Schriftsprache gibt In Papua Neuguinea haben Sprachwissenschaftler aktiv zur Sprachplanung des Landes beigetragen so dass Tok Pisin nun als Sprache im Parlament und in den Medien verwendet werden kann Andere Forschungsprojekte mit praktischer Anwendung reichen von lexikografischen Arbeiten bis hin zur Erstellung von Unterrichtsmaterialien in Kreolsprachen 12 Literatur BearbeitenJohn Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 Einzelnachweise Bearbeiten John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 1 2 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 2 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 18 19 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 24 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 27 36 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 36 38 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 42 44 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 46 51 63 67 Haitian Creole Institute of World Languages University of Virginia aufgerufen am 10 November 2021 Papua New Guinea s incredible linguistic diversity In The Economist online 24 Juli 2017 aufgerufen am 10 November 2021 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 3 4 John Holm An Introduction to Pidgins and Creoles Cambridge University Press Cambridge 2000 ISBN 0 521 58581 3 S 3 4 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kreolistik amp oldid 228794965