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Die Kopenhagener Deutung auch Kopenhagener Interpretation genannt ist eine Interpretation der Quantenmechanik Sie wurde um 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg wahrend ihrer Zusammenarbeit in Kopenhagen formuliert und basiert auf der von Max Born vorgeschlagenen Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion Es handelt sich genau genommen um einen Sammelbegriff ahnlicher Interpretationen die mit den Jahren ausdifferenziert wurden Besonders auf John von Neumann und Paul Dirac fusst die Version die auch als Standardinterpretation bezeichnet wird 1 Kopenhagener Deutung im Gedankenexperiment Schrodingers Katze Beim radioaktiven Zerfall erfolgt eine Verzweigung des Zustands Nach einem Zufallsprinzip kollabiert jedoch einer der beiden Zweige sofort wieder nachdem die Koharenz zwischen den Zustanden zum Beispiel aufgrund einer Messung weit genug abgeklungen ist Gemass der Kopenhagener Interpretation ist der Wahrscheinlichkeitscharakter quantentheoretischer Vorhersagen nicht Ausdruck der Unvollkommenheit der Theorie sondern des prinzipiell indeterministischen Charakters von quantenphysikalischen Naturvorgangen Es ist allerdings problematisch Nicht Vorhersagbarkeit mit Indeterminismus zu verbinden Es ist moglich dass wir bestimmte Ereignisse nicht vorhersagen konnen ohne annehmen zu mussen dass diese Ereignisse indeterministisch erfolgen Ferner wird in dieser Interpretation darauf verzichtet den Objekten des quantentheoretischen Formalismus also vor allem der Wellenfunktion eine Realitat in unmittelbarem Sinne zuzusprechen Stattdessen werden die Objekte des Formalismus lediglich als Mittel zur Vorhersage der relativen Haufigkeit von Messergebnissen interpretiert die als die einzigen Elemente der Realitat angesehen werden Die Quantentheorie und diese Deutungen sind damit von erheblicher Relevanz fur das naturwissenschaftliche Weltbild und dessen Naturbegriff Inhaltsverzeichnis 1 Die Kopenhagener Deutung 2 Deutung des Zufalls in der Quantenphysik 3 Deutung des Formalismus der Quantenphysik 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseDie Kopenhagener Deutung BearbeitenDie Kopenhagener Deutung war die erste abgeschlossene und in sich konsistente Interpretation des mathematischen Gebaudes der Quantenmechanik Sie fuhrte zu starkeren philosophischen Diskussionen Das Grundkonzept baut auf folgenden drei Prinzipien auf Unverzichtbarkeit klassischer BegriffeKlassische Begriffe werden in ihrer ublichen Bedeutung auch in der Quantenwelt benutzt Sie erhalten hier allerdings Vorschriften uber ihre Anwendbarkeit Diese Vorschriften umfassen die Definitionsgrenzen von Ort und Impuls unterhalb deren die Begriffe Ort und Impuls keinen Sinn mehr ergeben also undefiniert sind Die klassische Physik ist dadurch ausgezeichnet dass gleichzeitig eine exakte raumzeitliche Darstellung und die volle Einhaltung des physikalischen Kausalitatsprinzips als gegeben gedacht sind Die exakte raumzeitliche Darstellung ermoglicht die genaue Ortsangabe eines Objekts zu genau bestimmten Zeiten Das physikalische Kausalprinzip ermoglicht bei Kenntnis des Anfangszustandes eines physikalischen Systems und Kenntnis der wirkenden Entwicklungsgesetze die Bestimmung des zeitlichen Verlaufs zukunftiger Systemzustande Klassische Begriffe sind nun unverzichtbar da auch quantenphysikalische Messungen ein Messinstrument erfordern das in klassischen Zeit und Raumbegriffen beschrieben werden muss und das dem Kausalprinzip genugt Nach Carl Friedrich von Weizsacker besagt die erste Bedingung dass wir das Instrument uberhaupt wahrnehmen konnen und die zweite dass wir aus den wahrgenommenen Eigenschaften zuverlassige Schlusse auf die Eigenschaften des Messobjekts ziehen konnen 2 KomplementaritatIn Bereichen in denen die so genannte Wirkung in Grossenordnung des Planckschen Wirkungsquantums h displaystyle h nbsp liegt kommt es zu Quanteneffekten Quanteneffekte kommen aufgrund unkontrollierbarer Wechselwirkungen zwischen Objekt und Messgerat zustande Komplementaritat bedeutet nun dass Raumzeitdarstellung und Kausalitatsforderung nicht gleichzeitig erfullt sein konnen Ganzheitlichkeit der QuantenphanomeneNiels Bohr und Werner Heisenberg die beiden wesentlichen Begrunder der Kopenhagener Interpretation vertraten relativ ahnliche Ansichten unterschieden sich jedoch in einem Punkt bei der Interpretation Niels Bohr vertrat die Ansicht dass es in der Natur eines Teilchens liege ihm unterhalb gewisser Grenzen die durch die Unscharferelation gegeben sind Ort und Impuls nicht mehr zuordnen zu konnen weil diese Begriffe dort keinen Sinn mehr ergaben Ort und Impuls seien in diesem Sinne also nicht mehr objektive Eigenschaften eines Quantenobjektes Werner Heisenberg dagegen vertrat die eher subjektive Auffassung dass wir als Menschen als Beobachter nicht in der Lage seien z B durch Storungen am Messgerat durch unsere Unfahigkeit oder durch eine unzulangliche Theorie die Eigenschaften Ort und Impuls an einem Quantenobjekt gleichzeitig beliebig genau zu messen Deutung des Zufalls in der Quantenphysik BearbeitenDie Quantentheorie gestattet keine exakte Vorhersage von Einzelereignissen z B beim radioaktiven Zerfall oder bei der Beugung von Teilchenstrahlen sie lassen sich nur statistisch voraussagen Wann beispielsweise ein radioaktives Atom Teilchen emittiert ist im mathematischen Sinn zufallig 3 Ob dieser Zufall irreduzibel ist oder auf dahinterliegende Ursachen ruckfuhrbar ist ist seit der Formulierung dieser Theorie umstritten Die Kopenhagener Interpretation vertritt einen objektiven Indeterminismus 4 Es gibt aber auch Interpretationen die quantenphysikalische Vorgange durchgangig deterministisch erklaren Albert Einstein war uberzeugt dass die fundamentalen Vorgange deterministischer und nicht indeterministischer Natur sein mussten und betrachtete die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie als unvollstandig was in seinem Ausspruch Gott wurfelt nicht zum Ausdruck kommt Nur ein kleiner Teil der Physiker publiziert zu Unterschieden zwischen den verschiedenen Interpretationen Ein Motiv mag hierbei sein dass die wesentlichen Interpretationen sich hinsichtlich der Vorhersagen nicht unterscheiden weshalb eine Falsifizierbarkeit ausgeschlossen ist Eine Zusammenfassung findet sich in Adam Beckers Was ist real 5 Deutung des Formalismus der Quantenphysik BearbeitenPhysikalische Theorien bestehen aus einem Formalismus und einer zugehorigen Interpretation Der Formalismus ist durch eine mathematische Symbolik realisiert die Syntax welche die Vorhersage von Messgrossen erlaubt Diesen Symbolen konnen nun im Rahmen einer Interpretation Objekte der realen Welt und Sinneserfahrungen zugeordnet werden Damit erhalt die Theorie ein Bedeutungsschema ihre Semantik Die klassische Physik zeichnet sich dadurch aus dass sich ihren Symbolen problemlos Entitaten der Realitat zuordnen lassen Die Quantentheorie enthalt jedoch formale Objekte deren unmittelbare Abbildung auf die Realitat zu Schwierigkeiten fuhrt So wird beispielsweise in der Quantentheorie der Aufenthaltsort eines Teilchens nicht durch seine Ortskoordinaten in Abhangigkeit von der Zeit beschrieben sondern durch eine Wellenfunktion u a mit der Moglichkeit von scharfen Maxima an mehr als einer Stelle Nach der Kopenhagener Deutung reprasentiert diese Wellenfunktion jedoch nicht das Quantenobjekt selber sondern nur die Wahrscheinlichkeit dafur bei einer Suche uber eine Messung das Teilchen dort zu finden Diese Wellenfunktion ist fur ein einzelnes Teilchen nicht als ganzes vermessbar da sie bei der ersten Messung vollstandig verandert wird ein Vorgang der auch als Kollaps der Wellenfunktion interpretiert und bezeichnet wird Die Kopenhagener Deutung in ihrer ursprunglichen Version von Niels Bohr verneint nun die Existenz jeglicher Beziehung zwischen den Objekten des quantentheoretischen Formalismus einerseits und der realen Welt andererseits die uber dessen Fahigkeit zur Voraussage von Wahrscheinlichkeiten von Messergebnissen hinausgeht Einzig den durch die Theorie vorhergesagten Messwerten und damit klassischen Begriffen wird eine unmittelbare Realitat zugewiesen In diesem Sinne ist die Quantenmechanik eine nichtreale Theorie Wenn man hingegen die Wellenfunktion als physikalisches Objekt betrachtet ist die Kopenhagener Interpretation nichtlokal Dies ist der Fall weil der Zustandsvektor eines quantenmechanischen Systems ps displaystyle psi rangle nbsp Dirac Notation gleichzeitig uberall die Wahrscheinlichkeitsamplituden festlegt z B ps x x ps displaystyle psi rangle to x rangle langle x psi rangle nbsp wo x displaystyle x rangle nbsp Eigenfunktionen des Ortsoperators und damit Zustande bei einer Ortsmessung sind und x ps displaystyle langle x psi rangle nbsp die haufig als ps x displaystyle psi vec x nbsp bezeichnete Wahrscheinlichkeitsamplitude In welcher Form oder wo ein Teilchen zwischen zwei Messungen existiert daruber macht die Quantenmechanik nach der Kopenhagener Deutung keine Aussage Die Kopenhagener Deutung wird oft sowohl von einigen ihrer Anhanger wie von einigen ihrer Gegner dahingehend missdeutet als behaupte sie was nicht beobachtet werden kann das existiere nicht Diese Darstellung ist logisch ungenau Die Kopenhagener Auffassung verwendet nur die schwachere Aussage Was beobachtet worden ist existiert gewiss bezuglich dessen was nicht beobachtet worden ist haben wir jedoch die Freiheit Annahmen uber dessen Existenz oder Nichtexistenz einzufuhren Von dieser Freiheit macht sie dann denjenigen Gebrauch der notig ist um Paradoxien zu vermeiden Carl Friedrich von Weizsacker Die Einheit der Natur Hanser 1971 ISBN 3 446 11479 3 S 226 6 Dies wird ermoglicht da der Formalismus der Quantenmechanik keine Zustande umfasst in denen ein Teilchen gleichzeitig etwa einen genau bestimmten Impuls und einen genau bestimmten Ort hat Die Kopenhagener Deutung steht damit anscheinend dem Positivismus nahe da sie Machs Forderung berucksichtigt keine Dinge hinter den Phanomenen zu erfinden Diese Konzeption hat tiefgreifende Konsequenzen fur das Verstandnis von Teilchen an sich Teilchen sind Phanomene die in Portionen in Erscheinung treten und uber deren Fundort bei Messungen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen anhand der zugeordneten Wellenfunktionen moglich sind Dieser Umstand ist auch als Welle Teilchen Dualismus bekannt Andererseits waren fur Bohr Phanomene immer Phanomene an Dingen da sonst keine wissenschaftliche Erfahrung moglich sei Dies ist eine der Kant schen Transzendentalphilosophie nahestehende Einsicht nach der der Objektbegriff eine Bedingung der Moglichkeit von Erfahrung ist 2 Die mit dem Begriff Teilchen nach Massstaben unserer Alltagserfahrung verknupfte Vorstellung diese Portion musse sich in jedem Moment an einem bestimmten Ort befinden und damit permanent als Teilchen Bestandteil der Realitat sein ist hingegen experimentell nicht gedeckt und fuhrt im Gegenteil zu Widerspruchen mit den empirischen Messergebnissen Diese Vorstellung ist in der Kopenhagener Deutung aufgegeben Weblinks BearbeitenEintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und weder Parameter 2 noch Parameter 3Einzelnachweise Bearbeiten Jochen Pade Quantenmechanik zu Fuss 2 Anwendungen und Erweiterungen Springer Verlag 2012 S 225 ff a b Carl Friedrich von Weizsacker Die Einheit der Natur Hanser 1971 ISBN 3 446 11479 3 S 228 Gregor Schiemann Warum Gott nicht wurfelt Einstein und die Quantenmechanik im Licht neuerer Forschungen In R Breuniger ed Bausteine zur Philosophie Bd 27 Einstein 2010 S 111 Online PDF Gerhard Schurz Wahrscheinlichkeit De Gruyter 2015 S 56 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Adam Becker Was ist real Das ungeloste Problem der Quantenphysik Springer 2021 Carl Friedrich von Weizsacker Die Einheit der Natur Hanser 1971 ISBN 3 446 11479 3 S 226 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kopenhagener Deutung amp oldid 233113534