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Konfliktsoziologie oder Soziologie des sozialen Konflikts wird einerseits als eine theoretische Perspektive auf die Gesellschaft 1 andererseits als eine Teildisziplin der Soziologie 2 verstanden Unabhangig von dieser Zuordnung wird der soziale Konflikt als ein zentrales Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens und als eine Triebkraft des sozialen Wandels begriffen Als multidisziplinarer und theorieubergreifender Begriff bezeichnet der soziale Konflikt einen Grundtatbestand des Sozialen und findet sich folglich in den meisten sozialwissenschaftlichen Theorieansatzen 3 und Disziplinen wieder auch wenn manche soziologische Schulen ihn als weniger zentral fur die soziale Gesellung bewerten Seine Erforschung steht unter der Fragestellung nach seinen gesellschaftlichen Ursachen und Folgen Soziale Konflikte konnen unterschiedliche Gegenstande haben haufig treten sie als Verteilungs Macht und Anerkennungskonflikte auf Manifestationen des sozialen Konflikts sind Kampf Streit Klassismus Agon und Konkurrenz Streik und industrieller Konflikt Klassenkampf und Rebellion schliesslich Krieg und Burgerkrieg Im ubertragenen Sinn wird sozialer Konflikt auch als Synonym fur Gegensatz schlechthin fur Widerspruch oder Antagonismus verwendet Inhaltsverzeichnis 1 Exemplarische Konflikttheorien 1 1 Marx und Engels 1 2 Simmel 1 3 Dahrendorf 1 4 Bourdieu 1 5 Honneth Fraser 2 Siehe auch 3 Literatur 4 Einzelnachweise 5 WeblinksExemplarische Konflikttheorien BearbeitenMarx und Engels Bearbeiten Ein grundlegender Begriff fur die Konfliktsoziologie ist alter als die Etablierung der Soziologie und stammt von Karl Marx und Friedrich Engels der Klassenkampf Fur sie ist nach dem Ende des Urkommunismus der Klassenkampf zwischen herrschender und beherrschter Klasse das historisches Movens jeder Gesellschaftsformation Als seine zentrale Ursache wird der Besitz bzw Ausschluss von Besitz an Produktionsmitteln Kapital angesehen sowie der daraus resultierende Gegensatz Antagonismus zwischen der besitzlosen und der besitzenden Klasse Im 19 Jahrhundert sahen sie Ausbeutung und Herrschaft der Bourgeoisie der kapitalistischen Klasse uber Lohnabhangige als Hauptkampffront d h den Interessenkonflikt zwischen Kapital und Lohnarbeit Konflikttheoretiker in der Marxschen Tradition legen das Hauptgewicht auf die soziale Ungleichheit in den Dimensionen von sozialer Status Besitz und Macht so z B Reinhard Bendix und Seymour Martin Lipset 4 sowie Gerhard Lenski 5 Simmel Bearbeiten Georg Simmel hat 1908 die Alltagskategorie des Streits in die Soziologie eingefuhrt Er fuhrt den Konflikt nicht auf gesellschaftliche Strukturen zuruck sondern auf zwei subjektive Triebfedern auf das Interesse an einem bestimmten Objekt und auf den Kampftrieb Anders als viele soziale Vorurteile begreift er den Konflikt nicht als ein dysfunktionales Phanomen vielmehr diene er zur Schaffung und Festigung von Gruppenidentitat An die Tradition von Simmel knupfte 1964 Lewis A Coser mit seiner strukturfunktionalistischen Konflikttheorie an Dahrendorf Bearbeiten Nicht in den Strukturen des Eigentums sondern in der Ausubung von Macht und Herrschaft verortet Ralf Dahrendorf die Ursachen sozialer Konflikte In Fortfuhrung der Ansatze von Vilfredo Paretos Revolutionstheorie implizit und Max Webers Herrschaftstheorie explizit behauptet er 1957 die Universalitat von Machtkonflikten mit einer differenzierten Verteilung von Herrschaftsrollen Zwischen den herrschenden und den der Herrschaft unterworfenen Gruppen bzw zwischen deren konfligierenden Interessen am Erhalt bzw der Veranderung des Status quo wird ein Herrschaftskonflikt ausgetragen Anders als im Marxismus kann ein Akteur gleichzeitig in mehreren Konflikten stehen in einigen Rollen als machtvoll in anderen als machtarm Im sozialen Konflikt sieht Dahrendorf eine schopferische Kraft die den Wandel von Institutionen Gruppen und ganzen Gesellschaften fordert In spateren Schriften hat Dahrendorf den Herrschaftskonflikt zum Konflikt um die Erweiterung bzw Verteidigung menschlicher Lebenschancen erweitert Der moderne soziale Konflikt ist ein Antagonismus von Anrechten und Angebot Das ist immer auch ein Konflikt zwischen fordernden und saturierten Gruppen 6 Nach den grossen historischen Kampfen um Burgerrechte werde der Herrschaftskonflikt heute in Form des demokratischen Klassenkampfes innerhalb einer rechtsstaatlichen Ordnung und im Rahmen garantierter Burgerrechte ausgetragen 7 Bourdieu Bearbeiten Pierre Bourdieu hat mit der Erweiterung des okonomischen Kapitalbegriffs um soziale kulturelle und symbolische Kapitalformen die Felder des Interessenkonflikts vermehrt Kapital beinhaltet ihm zufolge die Verfugung uber materielle und immaterielle Ressourcen die nicht nur einen spezifischen Lebensstil ermoglichen sondern auch Macht Einfluss und Anerkennung begrunden Um sie werden in den einzelnen sozialen Feldern Gruppen und Fraktionskampfe nach feldspezifischen Spielregeln und Strategien ausgetragen Honneth Fraser Bearbeiten Anschliessend an die Idee der intersubjektiven Anerkennung in Hegels Jenenser Schriften und im symbolischen Interaktionismus George Herbert Meads erklart Axel Honneth 1994 soziale Konflikte als Reaktionen auf die Verweigerung von Anerkennung in den drei Dimensionen der Gewaltanwendung Angriff auf korperliche Integritat der Entrechtung Negierung der sozialen Integritat und der Entwurdigung Missachtung der Selbstschatzung Aus dieser Theorieperspektive deutet Honneth soziale Konflikte als moralische Kampfe Die unterschiedlichen Formen zugefugter Missachtung konnen von den Betroffenen mit Gefuhlen der Scham defensiv hingenommen latenter oder unterdruckter Konflikt oder mit Emporung offensiv beantwortet werden manifester Konflikt Treffen sie auf gleichgerichtete Erfahrungen von Kollektiven konnen sie soziale Widerstandsbewegungen hervorrufen 8 Damit knupft Honneth einen Zusammenhang zwischen Erfahrungen moralischer Missachtung und sozialem Kampf Mit Verweis auf historische Untersuchungen Barrington Moores 1982 uber Kampfe der deutschen Arbeiterbewegung 1848 1920 begrundet er die Entstehung sozialer Bewegungen aus den Erfahrungen verweigerter Anerkennung Wahrend Honneth anfangs eine monistische Konflikterklarung sei s aus der Logik der Interessenverfolgung sei s aus der Logik der moralischen Reaktionsbildung ablehnt 9 subsumiert er spater die Interessen unter die Anerkennung 10 Gegen Honneth verteidigt Nancy Fraser die dualistische Perspektive auf soziale auch feministische Bewegungen Die Kategorien Verteilung und Anerkennung seien ihr zufolge in ihrer konzeptuellen Irreduzibilitat zu berucksichtigen und mit ihren komplexen Verbindungen zwischen beiden theoretisch zu erfassen 11 Ob explizit oder implizit kampften soziale Bewegungen meist um beides um Interessen an Umverteilung und um soziale Anerkennung Siehe auch Bearbeiten Krieg und Frieden bei Jagern und Sammler Kulturen Johan Galtungs KonflikttheorieLiteratur BearbeitenThorsten Bonacker Hrsg Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien Ein Einfuhrung 4 Auflage VS Verlag Wiesbaden 2008 ISBN 978 3 531 16180 8 Pierre Bourdieu Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft Suhrkamp Frankfurt am Main 1982 ISBN 3 518 28258 1 Lewis A Coser Theorie sozialer Konflikte Luchterhand Darmstadt 1965 Soziologische Texte 30 ISSN 0584 6072 US amerik Erstausgabe The Functions of Social Conflict Free Press of Glencoe u a New York NY 1964 Ralf Dahrendorf Class and class conflict in industrial society Stanford University Press Stanford CA 1973 viele Auflagen dt Erstausgabe 1956 Ralf Dahrendorf Der moderne soziale Konflikt DVA Stuttgart 1992 ISBN 3 421 06539 X Axel Honneth Kampf um Anerkennung Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte Suhrkamp Frankfurt am Main 1994 ISBN 3 518 28729 X Axel Honneth Nancy Fraser Umverteilung oder Anerkennung Eine politisch philosophische Kontroverse Suhrkamp Frankfurt am Main 2003 ISBN 3 518 29060 6 Hans Jurgen Krysmanski Soziologie des Konflikts Materialien und Modelle Rowohlt Reinbek 1971 ISBN 3 499 55362 7 Rowohlts deutsche Enzyklopadie 362 Roger B Myerson Game theory Analysis of conflict Harvard University Press Cambridge MA 1997 ISBN 0 674 34115 5 John Rex Grundprobleme der soziologischen Theorie Kapitel 7 Konflikttheorie und Theorie des sozialen Wandels Kapitel 8 Konflikt und Klassenanalyse Rombach Freiburg Breisgau 1970 S 149 172 u 173 216 Rombach Hochschul Paperback 16 ISSN 0341 843X Georg Simmel Der Streit In Georg Simmel Soziologie Untersuchungen uber die Formen der Vergesellschaftung Duncker amp Humblot Berlin 1908 S 186 255 zahlr Neuauflagen so bei Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 Ansgar Thiel Soziale Konflikte transcript Verlag Bielefeld 2003 ISBN 3 933127 21 1 Einsichten Thomas Ley Frank Meyhofer Soziologie des Konflikts Eine Einfuhrung Hamburg Kovacs Verlag 2016 ISBN 978 3 83008 938 4 Einzelnachweise Bearbeiten Vgl z B Ralf Dahrendorf Elemente einer Theorie des sozialen Konflikts in Ders Gesellschaft und Freiheit Zur soziologischen Analyse der Gegenwart Piper Munchen 1961 S 197 235 So Walter L Buhl Theorien sozialer Konflikte Darmstadt 1976 Als protosoziologischer Kronzeuge wird hier oft Heraklit herangezogen Krieg ist der Vater aller Dinge Reinhard Bendix Seymour Martin Lipset Hrsg Class Status and Power A Reader in Social Stratification 7 Aufl Free Press of Glencoe 1963 1953 Gerhard E Lenski Power and Privilege A Theory of Social Stratification McGraw Hill New York 1966 Ralf Dahrendorf Der moderne soziale Konflikt DVA Stuttgart 1992 S 8 Ralf Dahrendorf Der moderne soziale Konflikt DVA Stuttgart 1992 S 161ff Axel Honneth Kampf um Anerkennung Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte Suhrkamp Frankfurt am Main 1994 S 212ff Axel Honneth Kampf um Anerkennung Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte Suhrkamp Frankfurt am Main 1994 S 265 Axel Honneth Nancy Fraser Umverteilung oder Anerkennung Eine politisch philosophische Kontroverse Suhrkamp Frankfurt am Main 2003 S 129 224 Axel Honneth Nancy Fraser Umverteilung oder Anerkennung Eine politisch philosophische Kontroverse Suhrkamp Frankfurt am Main 2003 S 89 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikibooks Konfliktsoziologie Lern und Lehrmaterialien Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Konfliktsoziologie amp oldid 231099301