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Die Komplimentswahl war ein in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts ubliches Wahlverfahren in der Schweiz Amtierende Bundesrate stellten sich nach Ablauf der Legislaturperiode dem Urteil der Stimmberechtigten ihres Kantons bzw Wahlkreises indem sie als Nationalrate kandidierten Mit einer erfolgreichen Wahl in den Nationalrat stellten sie unter Beweis dass sie weiterhin das Vertrauen des Volkes besassen Diese Bestatigung der Legitimation als Regierungsmitglied galt als Voraussetzung fur die Wiederwahl eines Bundesrates durch die Bundesversammlung Unmittelbar nach erfolgreicher Wahl in den Bundesrat mussten die frei gewordenen Nationalratssitze in Ersatzwahlen neu besetzt werden Ab den 1880er Jahren wurde die Komplimentswahl wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Gewaltenteilung zunehmend kritisiert und geriet allmahlich ausser Gebrauch 1896 wurde sie letztmals angewendet Inhaltsverzeichnis 1 Auswirkungen 2 Grundsatzkritik 3 Rasches Verschwinden 4 Literatur 5 EinzelnachweiseAuswirkungen BearbeitenKomplimentswahlen fanden erstmals anlasslich der Nationalratswahlen 1851 statt Im Oktober 1854 belegte Ulrich Ochsenbein im Wahlkreis Bern Seeland den letzten Platz woraufhin die Bundesversammlung ihn nicht als Bundesrat wiederwahlte und stattdessen seinen Konkurrenten Jakob Stampfli vorzog Bei denselben Nationalratswahlen scheiterte Stefano Franscini im Wahlkreis Tessin Nord Da im Kanton Schaffhausen im ersten und zweiten Wahlgang noch keine Entscheidung gefallen war kandidierte er stattdessen dort und wurde auch gewahlt womit die Bundesversammlung seine Legitimation durch das Volk als bestatigt betrachtete 1 Wilhelm Matthias Naeff der dem Bundesrat von 1848 bis 1875 angehorte erhielt bei den Nationalratswahlen 1866 im Wahlkreis St Gallen Nordost ebenfalls keine Zustimmung des Volkes mehr da er bereits fast zwei Jahrzehnte in Bern lebte und dadurch kaum noch Kontakt zur Basis hatte 1869 und 1872 verzichtete er auf eine Nationalratskandidatur Trotzdem bestatigte ihn die Bundesversammlung stets wenn auch jeweils nur knapp 2 1866 verloren die radikalen Freisinnigen im Kanton Genf alle Sitze an die gemassigten Liberalen Dadurch war auch die Wiederwahl von Jean Jacques Challet Venel als Bundesrat gefahrdet Nur aufgrund des Umstands dass der Liberale Philippe Camperio eine Wahl in den Bundesrat ausdrucklich ablehnte blieb Challet Venel weiterhin im Amt Obwohl ihm bei den Nationalratswahlen 1872 eine ansprechende Komplimentswahl gelang wahlte ihn die Bundesversammlung trotzdem nicht wieder Grunde waren sein Widerstand gegen die Totalrevision der Bundesverfassung und seine Kandidatur auf einer antirevisionistischen Liste Im Gegensatz zu Challet Venel war Paul Ceresole ein Anhanger der Totalrevision was ihm aber im Kanton Waadt wenig Sympathien einbrachte Um seine Wiederwahl als Bundesrat zu sichern stellte er sich 1872 nicht in seinem Heimatkanton der Komplimentswahl sondern mit Erfolg im Wahlkreis Bern Oberland 3 Josef Martin Knusel unterlag bei den Nationalratswahlen 1875 im Wahlkreis Luzern Ost worauf er seinen Rucktritt als Bundesrat bekanntgab Vor den Nationalratswahlen 1878 wurde Bundesrat Numa Droz aufgrund parteiinterner Differenzen im Kanton Neuenburg gar nicht erst als Kandidat aufgestellt In der ubrigen Schweiz war er hingegen unbestritten weshalb ihn die Bundesversammlung trotz fehlender Komplimentswahl bestatigte Joachim Heer verzichtete im selben Jahr ausdrucklich auf eine Komplimentswahl im Kanton Glarus da er aus gesundheitlichen Grunden seinen baldigen Rucktritt aus dem Bundesrat in Aussicht stellte 4 Grundsatzkritik BearbeitenDer renommierte Staatsrechtler Simon Kaiser ein Nationalratsmitglied aus dem Kanton Solothurn war der erste der die Komplimentswahl grundsatzlich kritisierte Er war es auch der diesen Begriff pragte und dabei bewusst eine negative Konnotation hervorrief andere verwendeten bisweilen den Begriff Zutrauensvotum Seiner Ansicht nach erniedrige man das Wahlrecht des Volkes zu einer Befriedigung des Ehrgeizes vielleicht der Hoflichkeit zu einem Komplimente Man mute der Demokratie zu sie solle zur Aristokratie werden wo die Komplimente so wie aber auch die Lugen im Gebrauche sind Mit einer am 8 Dezember 1881 eingereichten Motion verlangte Kaiser die Anderung des Wahl und Abstimmungsgesetzes von 1872 da die Wahl eines Bundesrates in den Nationalrat auch wenn sie nur vorubergehend sei der Bundesverfassung und dem Prinzip der Gewaltenteilung widerspreche 5 Die Botschaft des Bundesrates vom 30 Oktober 1883 zur Revision des eidgenossischen Wahl und Abstimmungsgesetzes ging nicht auf Kaisers Anregung ein und schlug stattdessen vor die Komplimentswahl explizit festzuschreiben Ausserdem schlug der Bundesrat eine strenge Unvereinbarkeitsregelung fur Bundesbeamte vor Das unterschiedliche Vorgehen wurde damit gerechtfertigt dass Bundesrate nur rund zehn Tage dem Nationalrat angehorten wahrend Bestatigungswahlen fur Bundesbeamte durch das Parlament erst funf Monate nach den Nationalratswahlen stattfanden Ausserdem durfe die Wahlfreiheit des Volkes nicht eingeschrankt werden Als der Nationalrat im Marz 1885 das Gesetz beriet stellte Kaiser erneut den Antrag Bundesrate und auch Bundeskanzler von der Wahlbarkeit in den Nationalrat auszuschliessen Sein Antrag wurde zwar angenommen das Gesetz als Ganzes spater jedoch verworfen 6 Rasches Verschwinden BearbeitenAdolf Deucher von 1883 bis 1912 im Bundesrat vertreten wollte sich 1884 nicht einer Komplimentswahl im Kanton Thurgau stellen Da alle anderen Bundesrate erneut fur den Nationalrat kandidierten konnte er als Amtsjungster jedoch nicht ausscheren Vor den Nationalratswahlen 1887 gab er in einer Pressemitteilung bekannt dass er nun ausdrucklich auf eine Nationalratskandidatur verzichte Uberraschend kam diese Ankundigung nicht denn seine Abneigung gegen die Komplimentswahl war seit langerem bekannt In der Presse fand seine Entscheidung allgemein Zustimmung 1890 folgten zwei weitere Bundesrate Walter Hauser und Karl Schenk dem Beispiel ihres Amtskollegen 1893 gesellte sich auch Josef Zemp zu ihnen womit nun bereits vier Bundesrate auf die Komplimentswahl verzichteten Bei den Nationalratswahlen 1896 kandidierte nur noch Adrien Lachenal im Kanton Genf als Nationalrat 1899 gab es keine Komplimentswahlen mehr und dieses einst wichtige Wahlprinzip geriet rasch in Vergessenheit 7 Im Zusammenhang mit der Abwahl Christoph Blochers aus dem Bundesrat und der Eidgenossischen Volksinitiative Volkswahl des Bundesrates brachten verschiedene Medien und Politologen zu Beginn des 21 Jahrhunderts die Moglichkeit der Komplimentswahl ins Spiel 8 9 Literatur BearbeitenPaul Fink Die Komplimentswahl von amtierenden Bundesraten in den Nationalrat 1851 1896 In Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte Band 45 Nr 2 Schweizerische Gesellschaft fur Geschichte 1995 ISSN 0036 7834 S 214 235 doi 10 5169 seals 81131 Einzelnachweise Bearbeiten Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 216 218 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 218 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 218 219 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 219 221 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 222 223 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 224 226 Fink Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte S 226 227 Blocher als Nachfolger seiner selbst Neue Zurcher Zeitung 20 November 2005 abgerufen am 23 Oktober 2014 Das Volk soll bei der Wiederwahl der Bundesrate mitreden Tages Anzeiger 6 Juli 2011 abgerufen am 23 Oktober 2014 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Komplimentswahl amp oldid 213653244