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Das ius auch jus primae noctis deutsch Recht der ersten Nacht franzosisch droit de cuissage im englischen Sprachraum droit du seigneur 1 bezeichnet das angebliche Recht eines Gerichtsherrn bei der Heirat von zwei seiner Herrschaft unterstehenden Personen die erste Nacht mit der Braut zu verbringen oder einen Geldersatz Stechgroschen zu verlangen Die Rechtsgepflogenheit beziehungsweise die zugehorige erotische Machtfantasie ist in der Fruhen Neuzeit und Aufklarung in literarisch politischen Publikationen publikumswirksam und verkaufsfordernd dargestellt worden Ob sie jemals tatsachlich bestand ist stark umstritten 2 Im Zeitalter bzw in der Literatur der Aufklarung wurde sie als menschenverachtend thematisiert und damit der Feudalismus wie die mittelalterliche Vergangenheit kritisiert Besonders ausfuhrlich erfolgte dies in Voltaires Werk Essai sur les moeurs Eine populare Darstellung findet sich auch in Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro Das Gemalde Das Herrenrecht von Wassili Dmitrijewitsch Polenow 1874 zeigt wie ein alter Mann seine Tochter zum Feudalherrn bringt Inhaltsverzeichnis 1 Historische Entwicklung 2 Zur historischen Quellenlage 3 Das ius primae noctis als musikalisches und literarisches Motiv 4 Literatur 5 EinzelnachweiseHistorische Entwicklung BearbeitenAls erste literarische Uberlieferung eines herrschaftlichen Rechts der ersten Brautnacht kann eine Stelle im Epos Gilgamesch 3 Jahrtausend v Chr gelten wo dem in Uruk herrschenden Gilgamesch ein solches Zeichen der Macht auf gottlichen Ratschluss zukommt Tafel II der ninivitischen Version Zeile 162 Doch ist sowohl ein ius primae noctis als auch seine angeblich gottliche Rechtfertigung in historischer Zeit aus Mesopotamien nicht belegt 3 Ein solches Herrenrecht wurde im Mittelalter im Jahr 1250 zum ersten Mal in einem Gedicht uber die Bauern von Verson beim Mont Saint Michel in Frankreich erwahnt Voll ausgepragt erscheint diese Verhaltensform eines bestehenden Herrenrechts im Baudouin de Sebourc einem um 1350 in Nordfrankreich verfassten Roman der Kreuzritterzeit Die Entstehung dieser literarischen Veroffentlichungen war eng verbunden mit der Ablehnung der als ungerecht empfundenen Mitgiftsteuer die bei der Eheschliessung an den Gerichtsherrn entrichtet werden musste Durch diesen Versroman wurde ein seit dem Hochmittelalter existierendes Herrenrecht auf die erste Nacht mit der Braut eines bauerlichen Paares vermutlich in ganz Europa bekannt Eine im Mittelalter im heutigen Gebiet Belgiens und der Niederlande ubliche Heiratssteuer deren Ubersetzung aus der lateinischen Sprache als Burgschaftsverpflichtung in den Quellen auftaucht weist den Weg zu den im fruhen Mittelalter ublichen Zahlungen des mundium der Braut Diese Zahlung durch den Herrn personlich an eine freie Frau anlasslich ihrer Eheschliessung mit einem unter Erbuntertanigkeit stehenden Mann hatte vermutlich die Nachwirkung dass sie in spaterer Zeit durch die in mundlicher Uberlieferung verbreitete Verbindung zwischen Heiratsgabe und Herrenrecht zu dem herrschaftlichen Vorrecht auf das Recht der Ersten Nacht gefuhrt haben konnte Mit der Zahlung des mundium erwarb ein Mann im alteren germanischen Eherecht auch das Recht auf die Heimfuhrung der Braut den ersten Geschlechtsverkehr Zwar war dieser Rechtsanspruch in dem besonderen Fall des Erwerbs einer freien Frau als Ehefrau fur einen Muntling des Herrn nicht beabsichtigt aber er ergab sich zwangslaufig aus der Zahlung des mundium durch den Herrn an die ursprunglich freie Frau Seit der zweiten Halfte des 14 Jahrhunderts soll die Vorstellung eines herrschaftlichen Vorrechts auf die Brautnacht erstmals Verbreitung im landlichen Gewohnheitsrecht gefunden haben Sie sei von Herren oder deren Verwaltern in das Rechtsleben von Herrschaften integriert worden Mit der Verschriftlichung habe es sich kontinuierlich von der Aufzeichnung landlicher Gewohnheitsrechte bis zum geschriebenen Recht der Erbuntertanigkeit weiter entwickelt Das Herrenrecht sei dahin erweitert worden Abgabenzahlungen anlasslich einer Hochzeitsfeier von Untertanen als Gerichtsherr zu legitimieren und Ersatzhandlungen fur die Nichtzahlung einer geforderten Abgabe in Geld zu veranlassen Die Abgabenzahlungen die in den landlichen Rechtstexten gefordert wurden seien keine Mitgiftsteuern gewesen sondern Beteiligungen des Gutsherrn oder seines Verwalters am Verlauf des Hochzeitsfests oder Erlaubnisgebuhren fur die Durchfuhrung des ehelichen Beilagers auf dem Grund und Boden des Herrschaftsinhabers Zahlungspflichtige und Zahlungsempfanger im Hohen Mittelalter haben angeblich an die Rechtsgultigkeit eines solchen Herrenrechts der ersten Nacht das seit ewigen Zeiten existiert geglaubt Der im ausgehenden Spatmittelalter an manchen Orten verbreitete Glaube an ein Herrenrecht der ersten Nacht erreichte in der zweiten Halfte des 15 Jahrhunderts eine gewisse Popularitat so dass mancherorts aus der mundlichen Tradition auch symbolische Rechtshandlungen erwuchsen In Frankreich wurde das droit de cuissage als Schenkelrecht in Anlehnung an die Sitte des symbolischen Vollzugs der Ehe durch einen Prokurator erfunden der hierzu ein unbekleidetes Bein in das Ehebett mit der Braut stellte In Katalonien schritten die Herren uber das Hochzeitsbett in dem die Braut niedergelegt worden war Diese symbolischen Handlungen wurden von den Bauern als Erniedrigung als Machtdemonstration der Herrschaft empfunden 4 Zur historischen Quellenlage BearbeitenDie einzigen beiden schriftlichen Belege im deutschsprachigen Raum stammen aus dem Raum Zurich 5 In Maur amtete ein Meier der sich nicht nur als Verwalter um die Verwaltung des Gutshofes kummerte sondern auch die niedere Gerichtsbarkeit ausubte Die Offnung von 1543 verburgte ihm schriftlich das Recht der ersten Nacht gemass dem er mit jeder Braut der Gemeinde die Hochzeitsnacht verbringen durfte 6 Dieses Recht findet sich auch in der Offnung fur Hirslanden und Stadelhofen heute Stadtteile von Zurich belegt Ob und wann der Gutsverwalter von diesem ius primae noctis Gebrauch machte ist nicht mehr uberprufbar Er konnte krafte oder interessemassig darauf verzichtet oder vom Brautigam eine Geldsumme als Ersatz fur die Handlung der Defloration eingefordert haben Stechgroschen weniger als Ersatz fur das eventuell entgangene Vergnugen was der Honorierung einer Dienstleistung gleichkame sondern eher als Bezahlung fur Geschirr Holz und Fleisch das die Gutsverwaltung an das Hochzeitspaar in Erbuntertanigkeit beizusteuern verpflichtet war 5 Ferner sprechen die Hofleute wer hier heiratet der soll den Meyer und dessen Frau einladen Der Meyer soll dem Brautigam einen Hafen leihen so dass er darin ein Schaf sieden kann Auch soll der Meyer an die Hochzeit ein Fuder Holz mitbringen Er soll sodann gemeinsam mit seiner Frau einen Viertel eines Schweineschinken bringen Und wenn die Hochzeit zu Ende ist so soll der Brautigam den Meyer in der Hochzeitsnacht bei seiner Frau liegen lassen oder funf Schillinge und vier Pfennige bezahlen 7 Forschungen zur internationalen Quellenlage waren im 19 Jahrhundert von dem Rechtshistoriker Karl Schmidt 1836 1894 angestellt worden Das ius primae noctis als musikalisches und literarisches Motiv BearbeitenDie bekannteste literarische Verarbeitung des ius primae noctis ist die Theaterkomodie Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro La folle journee ou Le mariage de Figaro 1778 von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais auf der auch die Oper Die Hochzeit des Figaro Le nozze di Figaro 1786 von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart basiert Auch die etwas fruhere komische Oper Le droit du Seigneur von Jean Paul Egide Martini Paris 1783 nach Francois Georges Desfontaines Lavallee handelt von diesem Recht des Gutsherrn Der Schriftsteller und Jurist Ildefonso Falcones verwendet das ius primae noctis als ein zentrales Element seines Romans Die Kathedrale des Meeres und gibt im Nachwort an das Recht sei tatsachlich 1486 Bestandteil des Usatges des katalanischen Rechtsbuchs gewesen Im Roman 1984 von George Orwell wird das ius primae noctis erwahnt Teil 1 Kapitel 7 There was also something called the jus primae noctis which would probably not be mentioned in a textbook for children It was the law by which every capitalist had the right to sleep with any woman working in one of his factories Es gab auch etwas was das Jus primae noctis genannt wurde was wahrscheinlich nicht in einem Lehrbuch fur Kinder erwahnt worden ware Es war das Gesetz nach dem jeder Kapitalist das Recht hatte mit jeder Frau zu schlafen die in einer seiner Fabriken arbeitete Das ius primae noctis steht in diesem Roman in einer Reihe klischeehaft uberzeichneter Schilderungen der Ubelstande des Kapitalismus in Anlehnung an die Missstande des Feudalismus die durch die Franzosische Revolution als abgeschafft galten Auch der Roman Das finstere Tal von Thomas Willmann verfilmt 2014 hat das ius primae noctis zum Kernthema Literatur BearbeitenAlain Boureau Das Recht der Ersten Nacht Zur Geschichte einer Fiktion Originaltitel Le droit de cuissage ubersetzt von Rainer von Savigny Artemis und Winkler Dusseldorf Zurich 2000 ISBN 3 538 07043 1 Genevieve Fraisse Droit de cuissage et devoir de l historien In Clio Histoire femmes et societes Band 3 Heft 1 1996 S 251 261 journals openedition org doi 10 4000 clio 476 R Kunz Das angebliche Recht der ersten Nacht In Genealogie Heft 1 2 1996 Sp 347 350 Wilhelm Schmidt Bleibtreu Ius primae noctis im Widerstreit der Meinungen Eine historische Untersuchung uber das Herrenrecht der ersten Nacht Rohrscheid Bonn 1988 ISBN 3 7928 0498 0 Evelyne Sorlin Ius primae noctis In Kurt Ranke Rolf Wilhelm Brednich et al Hrsg Enzyklopadie des Marchens Handworterbuch zur historischen und vergleichenden Erzahlforschung Band 7 De Gruyter Berlin Boston 2016 ISBN 978 3 11 055272 0 1 Jorg Wettlaufer Das Herrenrecht der ersten Nacht Hochzeit Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der fruhen Neuzeit Reihe Campus Historische Studien Band 27 Campus Verlag Frankfurt am Main 1999 ISBN 3 593 36308 9 digihum de Einzelnachweise Bearbeiten Ausfuhrlicher Artikel auf www tvtropes org uber das Droit du Seigneur als literarischen Tropus englisch Classen Albrecht The medieval chastity belt a myth making process Macmillan 2007 ISBN 978 1 4039 7558 4 S 151 Sin leqe uninni Das Gilgamesch Epos In Wolfgang Rolling Hrsg Reclams Universal Bibliothek Reclam Ditzingen 2021 ISBN 978 3 15 014088 8 S 135 Google books Jorg Wettlaufer Das Herrenrecht der ersten Nacht Hochzeit Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der fruhen Neuzeit Campus Verlag Reihe Campus Historische Studien Band 27 1999 ISBN 3 593 36308 9 a b Felix Aeppli Geschichte der Gemeinde Maur Gemeinde Maur Maur 1979 Jorg Wettlaufer Das Herrenrecht der ersten Nacht Frankfurt am Main S 251 ff eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche abgerufen am 2 Dezember 2015 Manuel Senn Lukas Gschwend Rene Pahud de Mortanges Die Offnung von Maur PDF 57 kB In Rechtsgeschichte 2009 abgerufen am 21 Juni 2022 Basierend auf Bruno Schmid Die Gerichtsherrschaft Maur In Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte Band 12 Zurich 1963 S 309 312 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ius primae noctis amp oldid 233024035