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Das Glaskrebschen Leptodora kindtii ist eine rauberisch lebende Art der Cladocera oder Wasserflohe Bis 2009 galt es als einzige Art der damit monotypischen Gattung Leptodora Familie Leptodoridae und sogar Unterordnung oder nach anderer Auffassung Ordnung Haplopoda bis 2009 mit Leptodora richardi eine zweite Art aus dem Flusssystem des Amur in Ostasien neu beschrieben worden ist 1 Vermutlich gibt es zusatzlich weitere kryptische Arten die morphologisch derzeit nicht unterscheidbar sind 2 3 Leptodora ist mit einer Korperlange von ja nach Quellenangabe von maximal 12 bis 14 Millimeter der grosste Wasserfloh Die Korperlange ist aber individuell sehr variabel GlaskrebschenLarveSystematikKlasse Krebstiere Crustacea Ordnung Krallenschwanze Onychura Unterordnung HaplopodaFamilie LeptodoridaeGattung LeptodoraArt GlaskrebschenWissenschaftlicher NameLeptodora kindtii Focke 1844 Das Glaskrebschen lebt in Seen und grossen Fliessgewassern rauberisch von verschiedenen Kleinkrebsen Anomopoda Ruderfusskrebse und Radertierchen Inhaltsverzeichnis 1 Bau des Glaskrebschens 1 1 Auge 2 Fortpflanzung und Entwicklung 3 Okologie und Lebensweise 4 Lebensraum und Verbreitung 5 Systematik der Haplopoda 6 Entdeckung Benennung 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseBau des Glaskrebschens BearbeitenLeptodora kindtii 4 1 ist fast glasklar durchsichtig hyalin mit einem langgestreckten schlanken Korper mit grossem langem Kopf von einem Viertel bis zu einem Drittel der Korperlange insgesamt und besonders langem dreisegmentigem Hinterleib Abdomen Langste Extremitaten sind die zweiten Antennen die zum Schwimmen eingesetzt werden sie erreichen etwa die halbe bis fast zwei Drittel der Korperlange Sie bestehen aus einem Grundglied Basipodit der zweiastige mit langen Schwimmborsten besetzte Geisseln tragt Die ersten Antennen sind deutlich kurzer und zwischen den Geschlechtern sehr verschieden ausgebildet Sexualdimorphismus Beim Weibchen ist sie stummelformig kurz eingliedrig mit neun schlauchformigen Sensillen Asthetasken an der Spitze Beim Mannchen ist sie deutlich langer aber viel kurzer als die zweiten Antennen Die Glaskrebschen besitzen nur ein einziges unpaares Komplexauge nahe des vorderen anterioren Kopfendes das aus etwa 500 Ommatidien besteht Das Naupliusauge fehlt ganz oder ist nur rudimentar erhalten Die Mundwerkzeuge bestehen nur aus einer Oberlippe Labrum einer dreilappigen Unterlippe die embryonal aus der Verschmelzung von Teilen der ersten Maxillen mit einem Teil des Sternums entsteht und zwei kraftigen Mandibeln mit spitzem sabelformigen ausseren Abschnitt Der Rumpfabschnitt tragt sechs Paare einastiger uniramer Beine mit vier Abschnitten mit zylindrischer nicht abgeflachter Gestalt Diese sind auf der Innenseite lang bestachelt und werden zum Beutefang eingesetzt sie spielen keine Rolle bei der Fortbewegung Das erste Beinpaar ist besonders lang Im Gegensatz zu fast allen anderen Wasserflohen ist Korper nicht vom Carapax eingeschlossen Dieser bildet beim Weibchen eine nach hinten oben posterodorsal vom hinteren Ende des Rumpfabschnitts abstehende taschenartige Struktur von etwa einem Funftel der Korperlange Sie besteht aus einem festen Dorsalteil mit zwei beweglichen Flugeln Der Carapax dient als Bruttasche in dem die Eier und jungen Larven geschutzt mitgetragen werden Beim Mannchen ist der Carapax dementsprechend weitgehend ruckgebildet und besteht nur wei bei den Juvenilen aus einem undifferenzierten Auswuchs Die drei Segmente des flexiblen und beweglichen Abdomens sind dunnwandig und wenig bestachelt An seiner Spitze sitzt ein langer stachelartiger Fortsatz Postabdomen an Auge Bearbeiten Das Auge des Glaskrebschens ist Gegenstand einer Spezialuntersuchung geworden 5 Demnach ist es im lebenden Tier fast ebenso hyalin wie der Korper weil in den ausseren zwei Dritteln der Ommatidien kein Pigment eingelagert ist Das Auge ist kugelformig und im Inneren des durchsichtigen Korpers in einer stielartigen vorderen Verlangerung des Kopfs eingelagert Es besteht aus zwei spiegelbildlichen Halften die ohne Spur einer Naht Sutur aneinandergelagert sind Nach aussen hin distal weichen die Ommatidien auseinander und lassen Zwischenraume frei Jedes der etwa 500 Ommatidien des Komplexauges hat einen Kristallkegel aus funf stabformigen Zellen ohne Bildung einer Linse am distalen Ende Die Sinneszellen der Retinula sind ebenfalls zu funft von denen vier ein Rhabdom bilden die funfte bildet ein kleines Rhabdomer das distal daran angelagert ist Nur der unterste Abschnitt der Sinneszellen ist von Pigment umgeben Die Lichtstrahlen werden durch Gradienten des Brechungsindex innerhalb der Kristallkegel zur Retinula weitergeleitet Fortpflanzung und Entwicklung BearbeitenBei den Glaskrebschen gibt es nur im Herbst eine sexuelle Fortpflanzungsphase monozyklische Fortpflanzung Die Mannchen die etwas kleiner sind als die Weibchen ergreifen diese mit ihren zu Greiforganen ausgebildeten 1 Antennen sowie mit den 1 Rumpfbeinen und besamt sie Die befruchteten Eier werden frei ins Wasser abgegeben aus ihnen schlupfen nach dem Winter Metanauplius Larven mit sehr grossen Antennen Uber mehrere Hautungen entwickeln sie sich zu erwachsenen Tieren Im Sommer kommt es jedoch zur parthenogenetischen Fortpflanzung wobei sich die Jungtiere im Brutsack auf dem Rucken der Mutter entwickeln Bei der Art bilden in eine gelatinose Matrix eingeschlossene Zysten Embryonen im Stadium der Gastrula ein Dauerstadium das der Uberdauerung ungunstiger Bedingungen und der Ausbreitung dient Es kann phoretisch im Gefieder von Wasservogeln moglicherweise auch uber deren Darminhalt und Kot in neue Gewassersysteme verbreitet werden 3 Okologie und Lebensweise BearbeitenLeptodora kindtii lebt ungewohnlich fur Wasserflohe die sonst fast alle Filtrierer sind rein rauberisch Die Jagdstrategie der Art ist Beuteorganismen bei mehr oder weniger zufalligem Kontakt zunachst mit dem beim Schwimmen weit ausgestreckten langeren ersten Beinpaar zu ergreifen und dann unter den Korper zwischen die anderen Beinpaare zu bugsieren die gemeinsam durch die Bestachelung einen Fangkorb bilden Der lange Hinterleib wird dabei zusatzlich unter der Beute nach vorn gebogen Die Beute wird dann durch den Biss der langen sabelartigen Mandibeln abgetotet und gefressen Glaskrebschen schwimmen relativ langsam das wird als Kompromiss gedeutet um einerseits effektiv Beute zu finden aber andererseits nicht selbst auffallig und damit zur Beute von Fischen zu werden Potenzielle Beute wird nur auf kurze Entfernung registriert 6 Bevorzugt werden Beuteorganismen mit einer Korpergrosse von 0 6 bis 0 8 Millimeter Kraftig gefarbte Arten werden ofter erbeutet was auf eine Beteiligung des Sehsinns mit dem grossen Auge an der Jagd hinweist Bei hoherer Dichte im Gewasser oft mehr als 500 Individuen des Glaskrebschens pro Kubikmeter Wasser kann die Art hohen Einfluss auf die Dichte ihrer Beuteorganismen im Gewasser haben 7 Pro Tag werden bis zu 30 Beuteorganismen erbeutet und gefressen 8 Gemeinsam mit der ebenfalls rauberischen Bythotrephes longimanus die ebenfalls weit grosser ist als andere Vertreter der Ordnung und vergleichbare Grosse zum Glaskrebschen erreicht handelt es sich um eine okologische Schlusselart mit grossem Einfluss auf die Lebensgemeinschaft des Planktons in den besiedelten Gewassern Bei einer Metaanalyse der Lebensgemeinschaften von Seen in Norwegen 9 war Leptodora haufig und weit verbreitet aber alles in allem etwas seltener als Bythotrephes Die Arten traten auch gemeinsam im selben See auf haufiger war aber nur jeweils eine von ihnen prasent nach dieser wie nach anderen Untersuchungen wird angenommen dass sie sich wegen intensiver interspezifischer Konkurrenz aus dem Wege gehen oder gegenseitig ausschliessen Das Glaskrebschen war dabei die haufigere Art in eher alkalischen nahrstoffreichen Gewassern und in Gewassern mit einem hoheren Bestand an Fischen Cypriniden den wichtigsten Fressfeinden beider Arten Das durch seine Transparenz schwer zu entdeckende Glaskrebschen wird dabei von den Fischen vor allem uber das kraftig gefarbte grosse Auge optisch erkannt 7 Leptodora kam haufig gemeinsam mit vergleichsweise kleinen Wasserflohen wie Bosmina longirostris Daphnia cristata weniger ausgepragt auch Daphnia cucullata Limnosida frontosa und Bosmina coregoni und Ruderfusskrebsen wie Thermocyclops oithonoides vor Dabei war die Artenzahl dieser Kleinkrebse in Gewassern mit dem Glaskrebschen hoher durchschnittlich 9 2 Arten als in Gewassern ohne dieses durchschnittlich 5 Arten 9 Im Neusiedler See Osterreich und Ungarn war das Glaskrebschen die einzige wirbellose rauberische Art des Zooplanktons Sie erreichte hier hohe Dichten bis zu 2500 Individuen pro Kubikmeter Wasser Auch hier werden kleine Beuteorganismen von 0 5 bis 0 9 Millimeter Lange klar bevorzugt grosse und agile planktische Kleinkrebse wie der Ruderfusskrebs Arctodiaptomus spinosus konnen durch heftige Gegenwehr fast immer entkommen Von der wichtigsten Beuteart dem Wasserfloh Diaphanosoma mongolianum werden bis zu 45 Prozent der Jungtiere Beute des Glaskrebschens was deren Dichte effektiv begrenzt Leptodora selbst wird aber bei hoher Dichte zur bevorzugten Beute planktivorer plankton fressender Fische die wiederum deren Dichte begrenzen Die Fische erbeuten dabei selektiv grosse Individuen mit mehr als 6 Millimeter Lange 7 Durch ein ungeplantes naturliches Experiment die versehentliche Einschleppung des Glaskrebschens in einen See in Michigan in dem vorher keine rauberischen Wasserflohe lebten konnte eindrucksvoll der Einfluss des Glaskrebschens auf die Lebensgemeinschaft des Planktons nachgewiesen werden Die vorher die Lebensgemeinschaft dominierenden Wasserflohe der Gattungen Ceriodaphnia und Bosmina wurden weitaus seltener sie verschwanden beinahe Anstelle dieser kleinen Arten wurden grosse Wasserflohe der Gattungen Daphnia und Mesocyclops nun haufiger als vorher Der Anteil der Ruderfusskrebse an der Lebensgemeinschaft stieg von etwa 20 Prozent auf mehr als 50 Prozent an Die Etablierung von Leptodora gelang nicht nur trotz der Prasenz planktonfressender Fische sie scheint geradezu auf diese angewiesen zu sein In Seen ohne Fische misslingt sie da ein anderer rauberischer Plaktonorganismus die Larve der Buschelmucke Chaoborus americanus dann durch ihren Pradationsdruck auf Leptodora diese eliminieren kann Da die Fische zwar Leptodora fressen aber Chaoborus noch lieber fordern sie das Glaskrebschen indirekt 10 Lebensraum und Verbreitung BearbeitenDas Glaskrebschen lebt bevorzugt in grosseren stehenden Gewassern von Weihern bis hin zu grossen Seen wie zum Beispiel dem Bodensee Es besiedelt oligotrophe und eutrophe Gewasser gleichermassen Es bevorzugt Gewasser tieferer Lagen mit einer maximalen Meereshohe von etwa 600 Metern mit vereinzelten alteren Angaben aus wenigen grossen Hochgebirgsseen 3 Die Art besiedelt neben dem bevorzugten Susswasser auch Brackwasser So kommt sie in der Ostsee vor 11 Die Art ist in Europa vom Westen einschliesslich der Britischen Inseln bis zum Osten durchgehend verbreitet fehlt aber in grossen Teilen Sudeuropas so in Suditalien und auf der Iberischen Halbinsel sudlich der Pyrenaen Sie kommt aber auf dem Balkan bis Griechenland und in der kleinasiatischen Turkei vor Im Norden erreicht sie Skandinavien sudlich des Polarkreises fehlt aber auf Island und Gronland Sie fehlt auch im Iran und im grossten Teil des ariden Zentralasien kommt aber beispielsweise im Balchaschsee in Kasachstan vor Vorkommen in Japan China und dem sudostlichen Sibirien gehoren vermutlich alle zu Leptodora richardti Sie ist ausserdem in Nordamerika uber grosse Teile der USA und Kanadas mit Ausnahme der nordlichsten Teile verbreitet Sie erreicht noch den Suden von Texas fehlt aber in Mexiko 3 Systematik der Haplopoda BearbeitenDie Haplopoda wurden fruher gemeinsam mit den Onychopoda und den Anomopoda als Wasserflohe Cladocera zusammengefasst diese Gruppe stellt jedoch wahrscheinlich keine naturliche Einheit dar Die tatsachliche Zuordnung im System der Krallenschwanze ist umstritten Entdeckung Benennung BearbeitenDas Glaskrebschen wurde erstmals 1844 anhand von Exemplaren aus dem Bremer Stadtgraben von dem bremischen Apotheker Georg Christian Kindt beobachtet Gustav Woldemar Focke hat es beschrieben 12 und als Polyphemus kindtii benannt Der gultige Gattungsname Leptodora ist griechisch und bedeutet Dunne Haut leptos leptos dunn dora dora Haut Mit dem latinisierten Artnamen ehrte Focke seinen jungeren Kollegen Kindt Literatur BearbeitenMary D Balcer Nancy L Korda Stanley I Dodson Zooplankton of the Great Lakes A Guide to the Identification and Ecology of the Common Crustacean Species University of Wisconsin Press 1984 ISBN 978 0 299 09820 9 S 49 51 Weblinks BearbeitenLeptodora kindti Zooplankton of the Great Lakes Central Michigan University Einzelnachweise Bearbeiten a b Nikolai M Korovchinsky 2009 The genus Leptodora Lilljeborg Crustacea Branchiopoda Cladocera is not monotypic description of a new species from the Amur River basin Far East of Russia Zootaxa 2120 39 52 doi 10 11646 zootaxa 2120 1 5 Leszek A Bledzki amp Jan Igor Rybak Freshwater Crustacean Zooplankton of Europe Cladocera amp Copepoda Calanoida Cyclopoida Key to species identifi cation with notes on ecology distribution methods and introduction to data analysis Springer International Publishing Switzerland 2016 ISBN 978 3 319 29870 2 S 107 a b c d Lei Xu Bo Ping Han Kay Van Damme Andy Vierstraete Jacques R Vanfleteren Henri J Dumont 2011 Biogeography and evolution of the Holarctic zooplankton genus Leptodora Crustacea Branchiopoda Haplopoda Journal of Biogeography 38 359 370 doi 10 1111 j 1365 2699 2010 02409 x Nikolai M Korovchinsky amp Olga S Boikova 2010 Study of the external morphology of Leptodora kindtii Focke 1844 Crustacea Branchiopoda Haplopoda with notes on its relation to Cladocera and on conspecificity of populations of the species over the Eurasian range Journal of Natural History 42 45 46 2825 2863 doi 10 1080 00222930801919259 Dan Eric Nilsson Rolf Odselius Rolf Elofsson 1983 The compound eye of Leptodora kindtii Cladocera Cell and Tissue Research 230 401 410 Stanley I Dodson David G Frey Cladocera and other Branchiopoda Chapter 21 in James H Thorp amp Alan P Covich Ecology and Classification of North American Freshwater Invertebrates Academic Press San Diego etc 2nd ed 2001 ISBN 0 12 690647 5 a b c Alois Herzig 1995 Leptodora kindti efficient predator and preferred prey item in Neusiedler See Austria Hydrobiologia 307 273 282 R de Bernardi G Giussani M Manca 1987 Cladocera Predators and prey Hydrobiologia 145 225 243 a b Dag O Hessen Vegar Bakkestuen Bjorn Walseng 2011 The ecological niches of Bythotrephes and Leptodora lessons for predicting long term effects of invasion Biological Invasions 13 2561 2572 doi 10 1007 s10530 011 0079 7 A Scott McNaught Richard L Kiesling Anas Ghadouani 2004 Changes to zooplankton community structure following colonization of a small lake by Leptodora kindti Limnology and Oceanography 49 4 2 1239 1249 Irena Telesh Lutz Postel Reinhard Heerkloss Ekaterina Mironova Sergey Skarlato Zooplankton of the Open Baltic Sea Extended Atlas Leibnitz Institut fur Ostseeforschung Warnemunde Meereswissenschaftliche Berichte no 76 2009 290 Seiten Amtlicher Bericht uber die zweiundzwanzigste Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Bremen im September 1844 Bremen 1845 2 Abteilung S 108 109 Auch digital 2 Sitzung 20 Sept 1844 Ausfuhrlicheres zur Taxonomiegeschichte unter dem Lemma Leptodora in der englischen Wikipedia Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Glaskrebschen amp oldid 238625772