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Die Halkyon oder Alkyon altgriechisch Ἀlkywn Alkyṓn im attischen Dialekt Ἁlkywn Halkyṓn lateinisch H alcyo ist ein antiker literarischer Dialog in altgriechischer Sprache der dem Philosophen Platon zugeschrieben wurde aber sicher nicht von ihm stammt Die Unechtheit wurde schon in der Antike erkannt Der unbekannte Verfasser der angeblich Leon hiess lebte anscheinend in der hellenistischen Zeit Der Anfang der Halkyon in der altesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift Paris Bibliotheque Nationale Gr 1807 9 Jahrhundert Den Inhalt bildet ein kurzes fiktives Gesprach zwischen dem Philosophen Sokrates und dessen Schuler Chairephon Sie erortern die Frage ob Metamorphosen die in zahlreichen Mythen uberlieferten Verwandlungen von Menschen in Tiere tatsachlich moglich sind Dieses Thema fuhrt sie zum allgemeinen erkenntnistheoretischen Problem der Erkenntnisgrenzen der Schwache des Verstandes und der mangelnden Gewissheit dessen was man zu wissen glaubt Sokrates erlautert warum er die Erreichbarkeit gesicherten Wissens skeptisch beurteilt In der Fruhen Neuzeit galt der Dialog gewohnlich als Werk des Schriftstellers Lukian von Samosata Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Autor und Entstehungszeit 3 Rezeption 4 Ausgaben und Ubersetzungen 5 Literatur 6 Weblinks 7 AnmerkungenInhalt BearbeitenDie Beteiligten und die UmstandeDer Dialog spielt sich zu Lebzeiten des Sokrates 399 v Chr ab noch vor der Machtergreifung des oligarchischen Rats der Dreissig Dreissig Tyrannen im Jahr 404 v Chr die Chairephon zwang ins Exil zu gehen Der historische Chairephon war ein Altersgenosse Schuler und Freund des Sokrates Eine Rahmenhandlung fehlt das Gesprach setzt unvermittelt ein Die beiden Gesprachspartner befinden sich auf einem Spaziergang am Meeresufer bei Phaleron in der Nahe von Athen Es ist die Zeit der vierzehn halkyonischen Tage im Dezember um die Wintersonnenwende 1 Die halkyonischen Tage wurden im antiken Griechenland wegen des in diesem Zeitraum gewohnlich heiteren Wetters und der Windstille geschatzt Sie wurden nach der Halkyon dem Eisvogel benannt denn man nahm an dass das Eisvogelweibchen um diese Zeit nistet und brutet Der GesprachsverlaufChairephon fragt Sokrates nach den lieblichen Klangen die aus der Ferne zu horen sind er will wissen welches Tier solche Tone hervorbringt Sokrates erklart ihm dass es sich um die traurige klagende Stimme des Eisvogels handelt Mit ihr hangt ein Mythos zusammen Nach einer alten Erzahlung war Halkyone Alkyone die Tochter des Windgottes Aiolos mit Keyx dem Sohn des Morgensterns Heosphoros verheiratet Nach dem Tod ihres Gatten irrte sie untrostlich auf der ganzen Erde umher in der vergeblichen Hoffnung ihn irgendwo wiederzufinden Schliesslich verwandelten sie die Gotter aus Mitleid in einen Eisvogel In dieser Gestalt fliegt sie seither uber die Meere wo sie die Suche nach dem geliebten Gatten fortsetzt Zur Belohnung fur ihre ausserordentliche Liebe haben die Gotter dafur gesorgt dass wahrend ihrer Brutzeit schones Wetter herrscht Chairephon der noch nie zuvor einen Eisvogel gehort hat bestatigt dass dessen Stimme sich wie ein Wehklagen anhort Er zweifelt aber an der Wahrheit der Erzahlung denn die Verwandlung einer Frau in einen Vogel kommt ihm unmoglich vor Nun will er wissen was sein Freund und Lehrer davon halt 2 Sokrates nimmt die Frage zum Anlass auf die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermogens hinzuweisen Nach seinen Darlegungen ist jede Behauptung ein bisher nie beobachteter Vorgang sei moglich oder unmoglich fragwurdig Die Annahme etwas konne nicht sein entbehrt einer Grundlage Da das Leben des Menschen kurz ist bleibt sein Verstand immer kindlich Schon bei den alltaglichen Naturvorgangen die er wahrnimmt ist ihm vieles ratselhaft beispielsweise wie aus Eiern mannigfaltige Lebewesen hervorgehen konnen Seine Erkenntnismoglichkeiten und seine Urteilskraft sind eng begrenzt sein Verstandnis verhalt sich zu dem der Gotter wie das eines wenige Tage alten Kindes zu dem eines Erwachsenen Angesichts der Naturkrafte ist der Mensch hilflos und ahnungslos wie ein solches Kind Er irrt wenn er glaubt beurteilen zu konnen was moglich ist und was nicht Taten die fur manche unvorstellbar sind werden von anderen vollbracht Vom Ausmass der Fahigkeiten der Gotter haben Sterbliche keine Vorstellung Darum sollen sie sich nicht einbilden die Grenzen des Moglichen zu kennen Den Mythos vom Eisvogel will Sokrates seinen Kindern erzahlen wie er ihn von den Vorfahren ubernommen hat ob sich die geschilderten Vorgange buchstablich so abgespielt haben kummert ihn nicht Ihm kommt es auf die Verherrlichung einer vorbildlichen ehelichen Liebe in der Eisvogelsage an Chairephon stimmt zu 3 Autor und Entstehungszeit BearbeitenDie Halkyon ist zusammen mit anderen zu Unrecht Platon zugeschriebenen Werken uberliefert aber auch zusammen mit Werken des Satirikers Lukian von Samosata der im 2 Jahrhundert lebte 4 Dass keiner der beiden als Autor in Betracht kommt ist in der Forschung unstrittig Der kaiserzeitliche Philosophiegeschichtsschreiber Diogenes Laertios nennt als Verfasser einen Leon wobei er sich auf das funfte Buch der Denkwurdigkeiten des Schriftstellers Favorinus der im 2 Jahrhundert lebte beruft 5 Von dem Werk des Favorinus sind nur Fragmente erhalten geblieben Athenaios behauptet Leon der Akademiker habe den Dialog geschrieben er berichtet diese Information stamme von Nikias von Nikaia dem Autor der heute verlorenen Philosophiegeschichte Die Nachfolge der Philosophen 6 Wer Leon war und ob die Uberlieferung die ihn als Autor nennt glaubwurdig ist ist unklar Oft ist vermutet worden es handle sich um Leon von Byzanz einen Philosophen und Politiker des 4 vorchristlichen Jahrhunderts 7 Auch ein anderer Leon des 4 Jahrhunderts der sich mit Mathematik beschaftigte und der platonischen Akademie angehorte ist in Betracht gezogen worden 8 Die Vermutung Leon von Byzanz sei der Autor hat weiterhin Befurworter stosst aber auf starke Bedenken da sprachliche und stilistische Grunde dafur sprechen dass der Dialog fruhestens im 3 Jahrhundert v Chr entstanden ist Carl Werner Muller vermutet Abfassung in der zweiten Halfte des 2 Jahrhunderts v Chr 9 Eckart Mensching setzt das Werk in die Mitte des 3 Jahrhunderts v Chr 10 Keiner der Versuche den angeblichen Autor Leon zu identifizieren und die Entstehungszeit zu bestimmen hat allgemein Anklang gefunden 11 Der Verfasser der Halkyon lasst seinen Sokrates erwahnen dass er zwei Ehefrauen habe Xanthippe und Myrto Von der angeblichen Doppelehe des Philosophen ist aber in zeitgenossischen Quellen nichts uberliefert es handelt sich um eine Legende die erst nach Platons Tod verbreitet wurde Auch dies ist ein Indiz das gegen eine fruhe Datierung spricht 12 Da im Dialog eine ausgepragte erkenntnistheoretische Skepsis vertreten wird ist es wahrscheinlich dass der Verfasser der platonischen Akademie in dem Zeitraum angehorte der als Epoche der jungeren oder skeptischen Akademie bekannt ist 268 264 88 86 v Chr 13 Einen weiteren Hinweis bietet die in der Halkyon ausfuhrlich dargelegte Argumentation des Sokrates gegen die Behauptung die Verwandlung eines Menschen in ein Tier sei unmoglich Damit wendet sich der Autor des Dialogs wohl gegen die von den Stoikern vertretene scharfe Trennung zwischen dem vernunftbegabten Menschen und dem vernunftlosen Tier Demnach handelt es sich um eine Stellungnahme in der Auseinandersetzung uber die Vernunftigkeit der Tiere die in der Epoche des Hellenismus zwischen der Akademie und der Stoa gefuhrt wurde 14 Rezeption Bearbeiten nbsp Der Anfang der Halkyon in der Erstausgabe Florenz 1496Da die Halkyon in der Antike als unecht galt wurde sie nicht in die Tetralogienordnung der Werke Platons aufgenommen Diogenes Laertios fuhrte sie unter den Schriften auf die ubereinstimmend als nicht von Platon stammend angesehen wurden 15 Dennoch wurde die Halkyon spatestens im 2 Jahrhundert unter Platons Namen verbreitet Die Zuschreibung an Lukian setzte erst spater ein als die an Platon vermutlich erst in der Spatantike oder im Mittelalter 16 Als einziger antiker Textzeuge ist ein Papyrus Fragment aus dem spaten 2 Jahrhundert erhalten geblieben 17 Im Mittelalter war die Halkyon der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Westens nicht zuganglich Im Byzantinischen Reich hingegen fand sie vereinzelte Leser Die alteste erhaltene mittelalterliche Handschrift stammt aus dem 9 Jahrhundert 18 Sie gibt als Titel Alkyon oder Uber die Verwandlung an 19 In der Lukianuberlieferung lautet der Alternativtitel Uber die Verwandlungen Nach ihrer Wiederentdeckung im Zeitalter des Renaissance Humanismus fand die Halkyon wieder Beachtung Der Humanist Agostino Dati fertigte eine lateinische Ubersetzung an die er im Zeitraum 1448 1467 beendete Dati hielt den Dialog fur ein echtes Werk Platons das sich durch seine Nahe zum christlichen Glauben auszeichne Seine Ubersetzung wurde erstmals 1503 in Siena gedruckt 20 Die Erstausgabe des griechischen Textes erschien 1496 in Florenz im Rahmen der ersten Edition von Lukians Werken Auch in die folgenden Lukian Ausgaben wurde die Halkyon aufgenommen In der 1513 erschienenen Erstausgabe von Platons Werken hingegen fehlte sie Auch in der 1578 veroffentlichten fur die Folgezeit massgeblichen Platon Ausgabe von Henri Estienne Henricus Stephanus wurde die Halkyon im Unterschied zu anderen pseudoplatonischen Werken weggelassen Christoph Martin Wieland 1733 1813 der die Halkyon ins Deutsche ubersetzte hielt sie fur ein echtes Werk Lukians Der englische Schriftsteller Walter Pater liess in seinem 1885 veroffentlichten historischen Roman Marius the Epicurean einen Gelehrten auftreten der bei einem Symposion die Halkyon rezitierte und dabei die Frage ansprach ob Lukian wirklich der Verfasser sein konne 21 In der modernen Forschung hat das kleine Werk relativ wenig Beachtung gefunden Die altere Forschungsmeinung der Autor sei Stoiker gewesen wird heute nicht mehr vertreten 22 Alfred Edward Taylor bezeichnete den Dialog als ein Stuck alberne Geziertheit 23 Luc Brisson hingegen lobte den sehr gepflegten Stil der Halkyon die eine naturliche und anziehende Schrift sei 24 Der Lukian Herausgeber Matthew D MacLeod hat 1987 die heute massgebliche kritische Edition der Halkyon im Rahmen seiner Gesamtausgabe der Werke Lukians veroffentlicht obwohl er die Moglichkeit dass Lukian tatsachlich der Verfasser war ausschliesst MacLeod meint der Autor des Dialogs habe Platons Stil geschickt imitiert 25 Ausgaben und Ubersetzungen BearbeitenMatthew D MacLeod Hrsg Luciani opera Bd 4 Libelli 69 86 Oxford University Press Oxford 1987 ISBN 0 19 814596 9 S 90 95 kritische Ausgabe Christoph Martin Wieland Ubersetzer Lukian Werke in drei Banden 2 Auflage Band 3 Aufbau Verlag Berlin 1981 S 155 159 die erstmals 1789 veroffentlichte Ubersetzung Wielands Matthew D MacLeod Hrsg Lucian in eight volumes Bd 8 Harvard University Press Cambridge Massachusetts 1979 Nachdruck der Ausgabe von 1967 ISBN 0 674 99476 0 S 303 317 griechischer Text und englische Ubersetzung Literatur BearbeitenMichael Erler Platon Hellmut Flashar Hrsg Grundriss der Geschichte der Philosophie Die Philosophie der Antike Band 2 2 Schwabe Basel 2007 ISBN 978 3 7965 2237 6 S 329 331 673 Carl Werner Muller Appendix Platonica und Neue Akademie Die pseudoplatonischen Dialoge Uber die Tugend und Alkyon In Klaus Doring Michael Erler Stefan Schorn Hrsg Pseudoplatonica Franz Steiner Stuttgart 2005 ISBN 3 515 08643 9 S 155 174 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Philologische Beitrage zur nachplatonischen Sokratik Fink Munchen 1975 S 272 319 Weblinks BearbeitenHalkyon deutsche Ubersetzung von Christoph Martin Wieland 1789 Anmerkungen Bearbeiten Siehe dazu Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 275 und Anm 5 Halkyon 1 2 Halkyon 3 8 Helen M Cockle The Oxyrhynchus Papyri Bd 52 London 1984 S 114 Diogenes Laertios 3 62 Favorinus Fragment F 53 Amato Athenaios 506c Siehe beispielsweise Helen M Cockle The Oxyrhynchus Papyri Bd 52 London 1984 S 113f Vgl Heinrich Dorrie Matthias Baltes Der Platonismus in der Antike Band 2 Stuttgart Bad Cannstatt 1990 S 346 und Anm 1 Francois Lasserre De Leodamas de Thasos a Philippe d Oponte Napoli 1987 S 518f Tiziano Dorandi Leon Nr 32 In Richard Goulet Hrsg Dictionnaire des philosophes antiques Bd 4 Paris 2005 S 86 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 285 296 316f Eckart Mensching Hrsg Favorin von Arelate Berlin 1963 S 89 Siehe dazu die Forschungsubersicht bei Eugenio Amato Hrsg Favorinos d Arles Œuvres Bd 3 Paris 2010 S 243f Siehe zu Myrto Debra Nails The People of Plato Indianapolis 2002 S 208 210 zur Legende von der Doppelehe Carl Werner Muller Appendix Platonica und Neue Akademie In Klaus Doring Michael Erler Stefan Schorn Hrsg Pseudoplatonica Stuttgart 2005 S 155 174 hier S 167 und Anm 51 Michael Erler Platon Basel 2007 S 330 Carl Werner Muller Appendix Platonica und Neue Akademie In Klaus Doring Michael Erler Stefan Schorn Hrsg Pseudoplatonica Stuttgart 2005 S 155 174 hier 164 166 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 307 311 316f Carl Werner Muller Appendix Platonica und Neue Akademie In Klaus Doring Michael Erler Stefan Schorn Hrsg Pseudoplatonica Stuttgart 2005 S 155 174 hier 166 168 Diogenes Laertios 3 62 Siehe dazu Heinrich Dorrie Matthias Baltes Der Platonismus in der Antike Bd 2 Stuttgart Bad Cannstatt 1990 S 90 93 345f Corpus dei Papiri Filosofici Greci e Latini CPF Teil 1 Bd 1 Firenze 1992 S 463f und Teil 1 Bd 1 Firenze 1999 S 91 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 274f vermutet erst mittelalterliche byzantinische Gelehrte hatten die Zuweisung an Lukian vorgenommen POxy 3683 siehe dazu Corpus dei Papiri Filosofici Greci e Latini CPF Teil 1 Bd 1 Firenze 1992 S 463 466 und Teil 1 Bd 1 Firenze 1999 S 90f Parisinus Graecus 1807 siehe zu dieser Handschrift und ihrer Datierung Henri Dominique Saffrey Retour sur le Parisinus graecus 1807 le manuscrit A de Platon In Cristina D Ancona Hrsg The Libraries of the Neoplatonists Leiden 2007 S 3 28 Matthew D MacLeod Hrsg Luciani opera Bd 4 Oxford 1987 S 90 Mariella Menchelli La versione dell Alcione di Agostino Dati Senese e il Vat gr 1383 In Civilta Classica e Cristiana 11 1990 S 203 219 James Hankins Plato in the Italian Renaissance 3 Auflage Leiden 1994 S 408 411 524 Edition von Datis Widmungsbrief zu seiner Ubersetzung 744f Walter Pater Marius the Epicurean Bd 2 London 1910 S 80 84 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 301 303 Alfred Edward Taylor Plato The man and his work 5 Auflage London 1948 S 552 Luc Brisson Platon Dialogues douteux et apocryphes In Richard Goulet Hrsg Dictionnaire des philosophes antiques Band 5 Teil 1 Paris 2012 S 833 841 hier 838 Matthew D MacLeod Hrsg Lucian in eight volumes Bd 8 Cambridge Massachusetts 1979 S 304 nbsp Dieser Artikel wurde am 22 Februar 2014 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Werk GND 4431149 7 lobid OGND AKS VIAF 178846904 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Halkyon amp oldid 227486600