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Als glymphatisches System wird ein mutmassliches Entsorgungssystem fur Abfallstoffe im Zentralnervensystem ZNS der Wirbeltiere bezeichnet also in Gehirn und Ruckenmark Der Name ist ein Neologismus eine Wortneuschopfung aus den Begriffen Glia und lymphatisches System und wurde von einer Forschergruppe um Maiken Nedergaard Rochester und Kopenhagen 2012 eingefuhrt die das System erstmals als eine funktionelle Einheit beschrieb source source source source source source source source source Glymphatisches System der WirbeltiereAhnlich dem lymphatischen System das ausserhalb der Hirnhaut endet also nicht im ZNS vorkommt wird das glymphatische System als ein fliessendes Durchlaufsystem zum Abtransport von uberflussigem und schadlichem Material verstanden Die Transportflussigkeit wird in das lymphatische System abgegeben Trotz einiger skeptischer Kommentare ist das Interesse an seiner Entdeckung schnell gewachsen besonders wegen seiner Bedeutung fur Vorgange im Schlaf und bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer Krankheit der Parkinson Krankheit und der amyotrophen Lateralsklerose ALS Inhaltsverzeichnis 1 Kreislauf 2 Hintergrund 3 Nachweismethoden 4 Hauptsachlich aktiv im Schlaf 5 Schutzfunktionen 5 1 Alzheimer 5 2 Amyotrophe Lateralsklerose ALS 6 Ausgeweitete perivaskulare Raume als Biomarker 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseKreislauf BearbeitenDie Arterien des ZNS haben ab ihrem Eintritt durch die Hirnhaut rund um ihre Aussenwand einen zusatzlichen sehr engen Gefassraum einen so genannten perivaskularen Raum Spatium perivasculare der fur die Blutgefasse im ZNS die Bezeichnung Virchow Robin Raum tragt Durch diesen Raum gelangt in einem standigen Strom angetrieben durch die vom Pulsschlag ausgelosten Wellenbewegungen der Arterienwande ein kleiner Teil der Gehirn Ruckenmarks Flussigkeit Liquor cerebrospinalis aus dem Zwischenraum zwischen Schadeldecke und Gehirn Subarachnoidalraum oder ausserer Liquorraum in alle Bereiche des ZNS nbsp Astrozyten und Anlagerung ihrer Fortsatze an einer AderDer Transportraum entlang der Arterien wird seinerseits eng umschlossen von Fortsatzen der Astrozyten Sternzellen die die Mehrheit der Gliazellen bilden Sie nehmen vorbeifliessenden Liquor auf und leiten ihn weiter in den gesamten Zellzwischenraum Interstitium in Gehirn und Ruckenmark Die auf diese Weise laufend angereicherte Flussigkeit im Zellzwischenraum Interstitialflussigkeit sickert ihrerseits von den arteriennahen Bereichen quer durch das Gewebe bis hin zu Venengeflechten von wo aus sie wieder durch perivaskulare Raume diesmal entlang der Aussenwande von Venen das Gehirn verlasst und ab der Hirnhaut in Gefasse des lymphatischen Systems eingespeist wird Auf dem Weg durch das Gewebe werden Abfallstoffe aufgenommen die dann nach dem Transport uber perivaskulare Raume lymphatisches System und schliesslich den allgemeinen Blutkreislauf am Ende in Leber und Niere aufgearbeitet oder entsorgt werden 1 2 Hintergrund BearbeitenZum besonderen Schutz des ZNS vor unkontrolliertem Eindringen grosser Molekule Makromolekule und ihrem internen Durchdringen von Gefasswanden bestehen die Blut Hirn Schranke die Blut Liquor Schranke und die Aussperrung des lymphatischen Systems Abfallstoffe konnen deshalb hier nicht so entsorgt werden wie im ubrigen Korper Verscharft wird die Situation durch den intensiveren Stoffwechsel im ZNS Es gab deshalb seit langem Vermutungen und Anzeichen fur ein besonderes Entsorgungssystem Bereits 1968 wurde angenommen dass der Virchow Robin Raum ein dem lymphatischen System entsprechender Transportweg sein konne 1985 wurde diese Annahme bestatigt durch die Aufzeichnung der Ausbreitung spezieller markierter Proteine Der Abfluss von markierten Proteinen aus dem Zellzwischenraum wurde 1988 nachgewiesen 3 Nachweismethoden BearbeitenNach der Injektion von fluoreszenzmarkierten und radiomarkierten Molekulen verschiedener Grosse in den Liquor der Cisterna cerebellomedullaris von Mausen wurden Eintritt Verbreitung und Ausscheidung der Substanzen im Gehirn in Echtzeit aufgezeichnet Dies gelang indem die oberste Schicht des Cortex durch ein geschlossenes Beobachtungsfenster mit Zwei Photonen Mikroskopie in einer Tiefe von 60 und 120 mm gescannt wurde Grosse Molekule hier Fluorescein Isothiocyanate Dextran 2000 FITC d2000 mit der Molekulmasse von 2000 Kilodalton kDa gelangten zwar in den Virchow Robin Raum aber nicht in den Zellzwischenraum Interstitium Kleinere Molekule hier Alexa Fluor 594 Hydrazid A594 mit 759 Da und Texas Red Dextran 3 TR d3 mit 3 kDa breiteten sich dagegen auch im Zellzwischenraum aus wobei das leichtere A594 deutlich schneller war Der Transport in tieferen Schichten wurde durch spatere histologische Untersuchungen nachgewiesen Die aktive Rolle der Astrozyten durch die Beteiligung ihres Wasserkanals Aquaporin 4 AQP4 an ihren Kontaktstellen zu den Arterien wurde nachgewiesen durch Kontrollversuche mit transgenen Mausen denen AQP4 fehlte Bei ihnen war der Einstrom der markierten Molekule verlangsamt und ihre Auswaschung aus dem Gehirn um etwa 70 reduziert 4 3 5 Die Kreislauffunktion des glymphatischen Systems wurde wenig spater mit der kontrastmittelbasierten Magnetresonanztomographie MRT auch bei Ratten nachgewiesen 6 1 Hauptsachlich aktiv im Schlaf BearbeitenDer Vergleich des Transports bei wachen und schlafenden Tieren zeigte einen Ruckgang um etwa 95 im Wachzustand Es zeigte sich weiter dass im Schlaf das Volumen des Zellzwischenraums durch Schrumpfung der Zellkorper vergrossert war mit einem Anteil am Gesamtvolumen von etwa 24 im Vergleich zu etwa 14 im Wachzustand Im Schlaf war daher gt 60 mehr Raum fur den Flussigkeitstransport vorhanden Noradrenalin ein Hauptmodulator des Wachheitsniveaus erwies sich auch als moglicher Regler des Volumens des Zellzwischenraums und damit der Effektivitat des glymphatischen Systems 7 1 8 Schutzfunktionen BearbeitenSeit etwa 2008 hat sich zunehmend die Auffassung durchgesetzt dass Proteinfehlfaltungserkrankungen wie z B Alzheimer auf Proteinfehlbildungen nicht allein im Zellinneren sondern auch im Zellzwischenraum zuruckzufuhren sind 9 Die Bedeutung des glymphatischen Systems fur den Abtransport fehlgefalteter Proteine aus dem Gehirn ist deshalb seitdem Gegenstand intensiver Forschung Ein Zusammenhang ist bei allen bekannten neurodegenerativen Erkrankungen denkbar 1 Alzheimer Bearbeiten Ablagerungen von Beta Amyloiden so genannte Senile Plaques im Zellzwischenraum werden durch das glymphatische System abtransportiert Bei Mausen war der Abtransport der Beta Amyloiden wahrend des Schlafs doppelt so schnell wie wahrend der Wachphasen Dies wurde in Verbindung gebracht mit dem erhohten Risiko von Personen mit Schlafstorungen an Alzheimer zu erkranken Auch die Zunahme des Erkrankungsrisikos im Alter wurde in Verbindung gebracht mit dem entsprechenden altersbedingten Leistungsabfall des glymphatischen Systems 10 Bestimmte pathogene fur Alzheimer charakteristische Formen von Tau Proteinen werden ebenfalls durch das glymphatische System aus dem Zellzwischenraum abtransportiert 11 Amyotrophe Lateralsklerose ALS Bearbeiten Ein Kennzeichen von ALS ist die Anhaufung des fehlgefalteten Enzyms SOD1 und in einer Hypothese von 2015 wurde vorgeschlagen dass bei ALS Patienten die Funktion des glymphatischen Systems beeintrachtigt sein und zur Neurodegeneration beitragen konne 12 Ausgeweitete perivaskulare Raume als Biomarker BearbeitenPathologische Erweiterungen perivaskularer Raume lassen sich in der Magnetresonanztomographie MRT darstellen 13 14 Es sind Anzeichen dafur gefunden worden dass solche Ausweitungen Hinweise sein konnen fur kleine Gefassschaden ein erhohtes Risiko fur Schlaganfall und die Entwicklung von Demenz Ein Gegenstand der Forschung ist ob auf diesem Weg Biomarker als fruhe Anzeichen neurodegenerativer Erkrankungen zu finden sind 15 Literatur BearbeitenJ J Iliff A S Thrane M Nedergaard The Glymphatic System and Brain Interstitial Fluid 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Schlaf entgiftet das Gehirn In Deutsches Arzteblatt 18 Oktober 2013 Video Kurzvortrag von einem der beteiligten Forscher 3 17 min 15 August 2012 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d N A Jessen A S Munk I Lundgaard M Nedergaard The Glymphatic System A Beginner s Guide In Neurochemical research Band 40 Nummer 12 Dezember 2015 S 2583 2599 doi 10 1007 s11064 015 1581 6 PMID 25947369 PMC 4636982 freier Volltext Review D Raper A Louveau J Kipnis How Do Meningeal Lymphatic Vessels Drain the CNS In Trends in neurosciences Band 39 Nummer 9 September 2016 S 581 586 doi 10 1016 j tins 2016 07 001 PMID 27460561 PMC 5002390 freier Volltext Review a b T Brinker E Stopa J Morrison P Klinge A new look at cerebrospinal fluid circulation In Fluids and barriers of the CNS Band 11 2014 S 10 25 doi 10 1186 2045 8118 11 10 PMID 24817998 PMC 4016637 freier Volltext Review J J Iliff M Wang Y Liao B A Plogg W Peng G A Gundersen H Benveniste G E Vates R Deane S A Goldman E A Nagelhus M Nedergaard A paravascular 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2007 Jul Aug S 1071 1086 doi 10 1148 rg 274065722 PMID 17620468 Review PDF Memento vom 16 November 2016 im Internet Archive S Groeschel W K Chong R Surtees F Hanefeld Virchow Robin spaces on magnetic resonance images normative data their dilatation and a review of the literature In Neuroradiology Band 48 Nummer 10 Oktober 2006 S 745 754 doi 10 1007 s00234 006 0112 1 PMID 16896908 Review PDF J Ramirez C Berezuk A A McNeely F Gao J McLaurin S E Black Imaging the Perivascular Space as a Potential Biomarker of Neurovascular and Neurodegenerative Diseases In Cellular and molecular neurobiology Band 36 Nummer 2 Marz 2016 S 289 299 doi 10 1007 s10571 016 0343 6 PMID 26993511 Review PDF Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Glymphatisches System amp oldid 237529654