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Die Geschichte des Frauleins von Sternheim von Sophie von La Roche gilt als erster deutschsprachiger Roman der von einer Frau verfasst wurde Der moralisch empfindsame Briefroman wurde 1771 in der Zeit der Aufklarung zunachst anonym durch den Herausgeber Christoph Martin Wieland veroffentlicht Titelblatt der Erstausgabe des ersten Teils 1771 Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Interpretation 2 1 Parallelen zur Biographie La Roches 3 Form des Romans 3 1 Stil 3 2 Wieland als Herausgeber 4 Rezeption 4 1 Zeitgenossische Rezeption 4 2 Moderne Rezeption 5 Ausgaben 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenIn dem Roman Geschichte des Frauleins von Sternheim wird ein Abschnitt des Lebens von Sophie von Sternheim Tochter eines geadelten Obersten und seiner aus dem englischen Adel stammenden Frau geschildert Erzahlt wird die Geschichte hauptsachlich durch Briefe Sophies an ihre Freundin Emilia 1 jedoch kommen auch andere Verfasser in Briefen zu Wort Der Roman ist in zwei Teile gegliedert Der erste Teil schildert die Vergangenheit von Sophies Eltern Ihr Vater Oberst Sternheim verliebt sich in Sophie die Schwester seines Freundes Baron von P Obwohl ein Standesunterschied besteht kommt es schliesslich zur Ehe der beiden Sophie kommt zur Welt und wird nach christlichen Werten erzogen Ihre Mutter stirbt fruh so dass hauptsachlich der Vater fur ihre Erziehung verantwortlich ist Als Sophie von Sternheim neunzehn ist stirbt auch ihr Vater Sie muss das Landgut ihres Vaters verlassen und in die Hauptstadt D zu ihrem Onkel und ihrer Tante Grafin Lobau ziehen Entgegen ihrer naturlichen tugendhaften Erziehung soll sie die Matresse des Fursten werden da sich ihr Onkel dadurch einen politischen Vorteil erhofft Sophie soll sich dem Hofe anpassen und sich um ihre Ausserlichkeiten kummern anstatt sich zu bilden Am Hofe lernt Sophie Lord Derby und Lord Seymour kennen die beide aus gutem englischen Hause stammen Wahrend sie Lord Derby zunachst abstossend findet fuhlt sie sich zu Lord Seymour hingezogen was dieser anfanglich erwidert Irritiert von ihrem naiven Verhalten wendet er sich aber schliesslich ab Bei einem Land und Maskenfest redet Sophie mit dem Pfarrer und wird zusammen mit dem Fursten gesehen worauf Lord Seymour auf ein Verhaltnis zwischen ihr und dem Fursten schliesst Sophie durchschaut spater die Intrige ihrer Tante und fuhlt sich getauscht Inzwischen mimt Lord Derby einen tugendhaften Mann und hilft der Familie T derer sich auch Sophie angenommen hat Sie ist von seinem Verhalten beeindruckt und sieht den einzigen Ausweg ihrem Schicksal als Matresse zu entkommen und ihre Tugend wiederherzustellen darin Lord Derby zu heiraten Dieser inszeniert eine Scheinhochzeit 2 Sein Diener verkleidet sich als Geistlicher und traut die beiden Nach ein paar Wochen verlasst Lord Derby Sophie und geht zuruck nach England da er sich aufgrund ihrer Schwermut langweilt und sich herausstellt dass sie noch Gefuhle fur Lord Seymour hat Sophie andert nach dieser Enttauschung ihren Namen in Madam Leidens unterrichtet an einer Gesindeschule bei Madam Hills Madchen und legt ihnen die Tugend nahe In Spaa lernt sie Lady Summers kennen die sie nach England auf ihr Gut holt um dort als Gesellschafterin fur sie zu arbeiten Dort lernt sie ihren Nachbarn Lord Rich kennen der sich in Sophie verliebt und wie sich spater herausstellt der Bruder von Lord Seymour ist Lord Derby ist mittlerweile mit der Nichte von Lady Summers verheiratet Er lasst Sophie vor seinem Besuch mit seiner Frau bei Lady Summers entfuhren da er sich vor Komplikationen furchtet Er befiehlt sie ins Bleigebirge zu einer armen Kohlerfamilie zu bringen Sophie nimmt sich dort Derbys unehelicher Tochter an Nachdem Derby Sophie zum letzten Mal nach einer Eheschliessung fragt und sie diese ablehnt sperrt sein Diener Sophie in einen Turm ein wahrend Lord Derby in dem Glauben gelassen wird Sophie sei tot Dieser wird daraufhin todkrank und gesteht Lord Seymour und seinem Bruder den Aufenthaltsort von Sophie damit ihr Leichnam geholt und standesgemass beerdigt werden konne Lord Seymour stellt fest dass ihr Ableben lediglich vorgetauscht war Die Familie hatte Sophies Tod vorgegeben um sie zu retten da sie sich tugendhaft ihrer angenommen hat und sich um die uneheliche Tochter von Lord Derby gekummert hat Sie heiratet Lord Seymour bekommt einen Sohn und fuhrt ein tugendhaftes Leben 3 Interpretation BearbeitenDer Roman fand bereits direkt nach Erscheinen begeisterte Leser und Leserinnen und zahlt zu den Werken die die literarische Epoche der Empfindsamkeit wesentlich beeinflusst und die Gattung des Frauenromans begrundet haben Da sich das Fraulein von Sternheim den Adels Konventionen widersetzt und aus eigener Kraft tugendhaft bleibt nehmen sich die Leserinnen die Protagonistin als Vorbild an Selbstbestimmung 4 Mit Hilfe ihrer grossburgerlichen pietistisch gepragten Herkunft konnte Sophie von La Roche in dieser sehr gefuhlsbetonten Stromung im Rahmen der europaischen Aufklarung ihre menschlichen Gefuhlsausserungen und ethischen Werte in diesem Werk verstandnisvoll verdeutlichen Sie wendet sich damit vornehmlich an das neu entstehende Lesepublikum der Frauen des Bildungsburgertums 5 Sie zeigte psychologisch einfuhlsam an ihren Frauenfiguren die Anpassungsstrategien und beginnenden Autonomiebestrebungen von Frauen und stellte deren Subjektformierung dar La Roche thematisierte das Streben nach moralischer Zufriedenheit und guten Affekten wie Sympathie Freundschaft Menschenliebe und Mitgefuhl und sie polemisierte gegen die negativen wie Stolz Eifersucht Leidenschaft oder Unaufrichtigkeit Becker Cantarino 2008 S 87 Zusammen mit der von der Natur gegebenen Fahigkeit des Menschen sich moralisch gut zu verhalten bedeutete Tugend im 18 Jahrhundert die konkrete Umsetzung der Vorstellung von der Vervollkommnungsfahigkeit des Menschen Vervollkommnung stellte dabei das Ziel sowie die von Gott gegebene Aufgabe des Menschen dar Zahlreiche Erziehungsschriften und Romane aus dieser Zeit so auch die Geschichte des Frauleins von Sternheim befassen sich daher mit den Fragen ob und wie Tugend gelernt ausgebildet und an sich und anderen uberpruft werden kann und sollte 6 Anhand der jungen Protagonistin wird gezeigt zu welcher Tugend ein Mensch fahig sein kann Zugleich aber gibt der Roman Hinweise darauf wie der Wille zur Tugend und das Streben nach Tugendhaftigkeit den Menschen in seiner Tauschungsanfalligkeit belasst Dane 1996 S 171 La Roche bietet dies alles nicht in einem Stil von trockener Buchgelehrsamkeit Becker Cantarino 2008 S 93 sondern vermittelt die Geschichte naturlich mit Hilfe von inneren Seelenvorgangen Diese ermoglichen den Zugang zur Welt des Textes uber das identifikatorische Mitgefuhl von Leserin und Leser Becker Cantarino 2008 S 93 Das Werk stellt dabei jedoch keine statische psychologische Zeichnung dar sondern erzahlt die Geschichte der Sophie von Sternheim die in schwierige Umstande verwickelt ihr ausseres Gluck selbst zerstort dann aus sich selbst heraus als Madame Leidens den eigenen Weg geht und schliesslich erlost wird Ihre Geschichte lebt aus der Spannung zwischen christlichem Leidensweg und Bestrebungen zu Autonomie uber ihr Leben der Spannung zwischen patriarchaler Gesellschaft und weiblichem Subjekt Becker Cantarino 2008 S 93 Am Hofe an den Sophie ziehen musste und wo sie ihr Gluck in der Gesellschaft mit einer standesgemassen Heirat machen konnte ist die burgerlich denkende Sophie den Versuchungen eines selbstgefalligen Lebens und den Fallstricken des Lasters Vergnugungen Luxus Festlichkeiten Intrigen um Macht und Geld Spiel Verfuhrung sexuelle Reize ausgesetzt Becker Cantarino 2008 S 96 Sie halt jedoch an ihren Wertvorstellungen fest so liest sie schreibt beschaftigt sich mit weiblichen Handarbeiten gibt Bedurftigen Almosen und sucht Freundschaften Das intrigante Spiel des Hofes sie soll als Furstenmatresse Lustobjekt werden und so der politischen Macht ihres Onkels dienen durchschaut sie nicht Sophie erkennt auch die wahre Liebe des Lord Seymour nicht der sie uber ihre Situation als Objekt der Erotik aufklart Verunsichert und desillusioniert und ohne sich mit ihr nahestehenden Personen zu beratschlagen entscheidet sie sich schnell zur heimlichen Heirat mit Lord Derby um dem Leben am Hofe zu entfliehen Sie macht sich so aus Enttauschung Schamgefuhl Wut und Stolz zum Lustobjekt des falschen Derby Sophie erkennt ihre Tauschung und ihr Ungluck schnell 7 Diese Situation beschreibt zugleich das Dilemma und die ambivalente Situation der burgerlichen Frau im 18 Jahrhundert Sie wird als Person definiert uber das Tugendgebot Zugleich ist sie als Individuum nicht autonom sondern im familiaren Bereich sowie der Gesellschaft von Mannern und deren Interessen abhangig Vater Onkel der Furst Derby Seymour Becker Cantarino 2008 S 96 Aufgrund der zahlreichen thematisierten Problemzusammenhange ist der Roman also aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu interpretieren beispielsweise aufgrund seiner didaktischen Ausrichtung seiner Bedeutung im Rahmen von Sozialgeschichte oder der sich verandernden Frauen und Geschlechterrollen im 18 Jahrhundert Zentral erscheint hier die didaktische Absicht auf die die Geschichte der Sophie von Sternheim abzielt Durch ihren Fehler sich in Derby zu tauschen das Ideal einer Liebesheirat zu verdrangen und somit einer Ehe auf dem Boden der Vernunft einzugehen wird Sophie ins Ungluck gesturzt Schon ihr im Sterben liegender Vater bat den Pfarrer in seinem letzten Brief darauf Acht zu geben dass das edeldenkende sic Herz des besten Madchens durch keine Scheintugend hingerissen werde da sie lauter Empfindung ist haben so viele viele die elende Macht sie zu kranken La Roche 2006 S 53 Die Grenzen des aufgeklarten Tugendideals werden hier deutlich Es scheint als lage all das Ungluck welches ihr widerfahrt in der Tugendhaftigkeit Durch diese eindimensionale Weltsicht geht sie schnell davon aus dass auch andere so auch Derby diese Lebensauffassung teilen und nach diesem Ideal handeln Jedoch besteht fur Sophie die Schwierigkeit echte und ehrliche Tugendhaftigkeit im verstellten tauschenden und oberflachlichen hofischen Leben zu erkennen da Tugendhaftigkeit Personen in erster Linie durch ihr offentliches Auftreten und Handeln zugeschrieben wird und die wirklichen Absichten und Uberzeugungen der betreffenden Personen der Protagonistin so weitgehend unerkannt bleiben nur dem Leser eroffnen sich durch die Briefe der Figuren deren wahre aber auch die vorgetauschten Absichten Offentliches Handeln und Verhalten musste also nicht nur tugendhaft sein es musste auch offentlich als solches anerkannt sein Es erfordert also Selbstreflexion und kontrolle mit Blick auf andere wie aber auch sich selbst Hierbei ergibt sich unter anderem die Gefahr der Eitelkeit und Berechnung so dass Tugendhaftigkeit schnell in ihr Gegenteil umschlagt 8 Ausserdem wird deutlich dass es nicht moglich ist nur von einzelnen Handlungen einer Person auf den Charakter als Gesamtes zu schliessen Tugend ist fragil und tauschungsanfallig solange eine tugendhafte Person nicht lernt die personlichen Dispositionen und Interessen der jeweils Auslegenden zu durchschauen Dane 1986 S 187 Sophie wird schon fruh neben Philosophie Geschichte Sprachen Musik auch im Tanzen gelehrt der Intention und Uberzeugung ihres Vaters nach um die Bewegungen einer schnell und gross wachsenden Person schon beim Wachstum zu Harmonie schulen und angenehm machen zu konnen Am Hofe bekommt sie nun fur ihr Konnen Komplimente wird aber auch fur kokett gehalten Sophie selbst jedoch ist ausser Stande diese beiden Auslegungsmoglichkeiten zu erkennen denen sie und ihr Auftreten unterworfen sind Sophie gefallen die hofischen Zeremonien und das Zurechtmachen am Putztisch nicht sie arrangiert sich aber damit Nur bei dem Fest auf dem die Teilnehmer in Bauernkleidern erscheinen fuhlt sie sich aufgrund ihrer Bescheidenheit und Demut wohl und findet dort mit den Werten ihrer Herkunft eher Zufriedenheit und Bestatigung durchschaut aber die Oberflachlichkeit dieser kunstlichen Inszenierung nicht Sie sieht in ihrem Kleid gut aus und fuhrt dies auf die Einfachheit der Kleidung zuruck fur Derby allerdings ist es nur eine Verkleidung in der sie sich durch ihre Person in Schonheit von den anderen Frauen abhebt Diese verschiedenen Sichtweisen treffen unabhangig voneinander zusammen und die Aufgabe des Lesers ist es sie erkennen und richtig einschatzen zu lernen 9 Durch ihre Art menschliche Verhaltensweisen zu deuten wird Sophie anfallig fur Tauschungen Dadurch verliert sie im Roman zeitweise ihre Tugend in den Augen der hofischen Offentlichkeit insbesondere in denen Lord Seymours Die Abhangigkeit der Auslegung von Situationen und Verhaltensweisen hangt stark von den Gefuhlen der jeweiligen Figuren ab welches bei der brieflichen Beschreibung einer Situation durch die verschiedenen Figuren erkennbar wird So werden die daraus folgenden Fehler der Figuren und deren Grunde zunachst wieder nur dem Leser vor Augen gefuhrt 10 Es wird deutlich dass kein Mensch ausschliesslich gut oder schlecht sein kann das zeigen Seymours Fehler zu Beginn des Romans und Derbys spate Einsicht und Reue zum Schluss Fast ausnahmslos jede der Figuren ist am Zustandekommen des glucklichen Ausganges beteiligt auch wenn Sophies eigene tugendhafte Bestandigkeit die wichtigste Voraussetzung dafur ist Die Fehlbarkeit des Menschen bleibt trotz seines Willens zur Tugend anthropologisch bedingt Der Wille zur Tugend und tugendhaftes Verhalten allein schutzen vor Fehlern nicht und geben keine Sicherheit Dane 1996 S 191 Der Roman behandelt nicht nur die tugendhafte Empfindsamkeit er zielt auch auf eine gewisse Menschenkunde in der Zeit des hofischen Absolutismus ab 11 Parallelen zur Biographie La Roches Bearbeiten nbsp Sophie von La Roche mit ihrer Tochter Maximiliane und deren Ehemann ca 1773 1774 Oft kommt der Gedanke auf La Roches Roman Geschichte des Frauleins von Sternheim sei autobiographisch Tatsachlich enthalt der Roman einige Parallelen zu La Roches Leben doch diese fuhrten lediglich zum ersten Schreibimpuls La Roches Hauptanlass des Romans war La Roches Trauer und Einsamkeit die sie erleiden musste als zwei ihrer insgesamt acht Kinder die altesten Tochter Maximiliane und Luise gegen ihren Willen in eine Erziehungsanstalt nach Frankreich gebracht wurden Ein guter Freund und Vertrauter La Roches Pfarrer Johann Jakob Brechter gab ihr den Rat ihre Empfindungen niederzuschreiben Das Schreiben war fur La Roche schon immer ein bewahrtes Mittel gewesen das sie zur Bewaltigung privater Krisen nutzte Der Entstehung des Romans liegen mehrere Motive zur Grunde hierbei lassen sich zwei grosse Motive deutlich erkennen Eine enttauschte Mutter die sich ein neues Kind schafft um ihrer mutterlichen Rolle nachzugehen und somit die Trauer uber den Verlust ihrer beiden Tochter verarbeitet sowie ihr padagogisches Interesse an Erziehungsfragen die sie in didaktischer Absicht verfasst und so an Dritte weitergibt 12 Die Protagonistin Sophie kann daher als eine Mischung aus weiblicher Idealgestalt und autobiographischen Anklangen bezeichnet werden 13 La Roche die ein ausserordentliches Interesse fur Erziehungsfragen hatte vielleicht gerade weil sie ihre beiden Tochter nicht selbst erziehen konnte holte dies in ihrem Roman auf ihre ganz eigenen Art und Weise nach Sie schuf nun das papierne Madchen Sophie das sie in ihrem Roman nach ihren Wertvorstellungen erzieht Unschwer zu erkennen ist dass La Roche bei der Erziehung Sophies grossen Wert auf geistige Bildung und hauslichen Nutzen legt Hier lassen sich auch Parallelen zu La Roche ziehen die als junges Madchen im Hause Gutermann ahnlich Gutes erfahren hat Nach eigenen Bekenntnissen hat La Roche sich in der Protagonistin Sophie selbst gezeichnet jedoch nur ausserlich an ihre Erinnerung als junges Augsburger Madchen Die Protagonistin Sophie verliert im Roman ihre Mutter bereits mit acht Jahren Auch La Roche verlor ihre Mutter sehr fruh die Erinnerungen an den fruhen Tod ihrer Mutter mogen hier wohl mitgespielt haben 12 Form des Romans BearbeitenIn Deutschland entstanden die ersten empfindsamen Briefromane erst um 1770 La Roches Werk Die Geschichte des Frauleins von Sternheim ist einer von diesen und wurde anonym von Wieland mit einem Vorwort von ihm versehen herausgegeben Formal und inhaltlich kommt La Roches Roman dem englischen Muster am nachsten 14 La Roches Briefroman besteht aus zwei Teilen die getrennt voneinander im Mai und Juni 1771 erschienen sind Das Schicksal der Sophie von Sternheim wird dem Leser zum einen durch die eigenen Briefe an ihre Freundin Emilia mitgeteilt zum anderen in Form von Briefen abwechselnder Absender an wechselnde Adressaten die wiederholt dasselbe Ereignis aus den verschiedenen Perspektiven schildern 15 Die Perspektive Sternheims steht im Roman im Vordergrund sie richtet insgesamt 29 Briefe an ihre Freundin Emiliana jedoch gehen die Briefe nur in eine Richtung es gibt also keine Antworten Wichtig zu erwahnen ist dass die eigentliche Hauptfigur Sophie von Sternheim erst auf Seite 50 von insgesamt 349 Seiten eingefuhrt wird Davor werden zunachst das Kennenlernen und die Ehe der Eltern geschildert Stil Bearbeiten Sophie von La Roche verwendet in ihrem Roman unterschiedliche stilistische Mittel von denen einige zu dieser Zeit in der deutschen Literatur noch unbekannt waren Sie fuhrt zum einen den ersten mehrdimensionalen Roman ein zum anderen psychologisiert sie ihre Charaktere La Roche nutzt den erzahlenden Kunstgriff des Perspektivenwechsels Dadurch ist sie zum einen nicht gezwungen einzig die Perspektive von Sophie wiedergeben zu mussen zum anderen kommt sie ihren Personen naher und kann sie formen Der Perspektivenwechsel sorgt dafur dass die linear verlaufende Handlung durch die mehrdimensionale Perspektive gebrochen wird Diese Mehrstrangigkeit hat La Roche auch genutzt um ihren Charakteren eine besondere Intensitat zu verleihen und sie zu verfeinern Sie kreiert individuelle Charaktere indem sie nicht nur den Stil sondern auch den Duktus der Briefe schreibender Personen variiert Personliche private und subjektive Regungen sowie Empfindungen werden in den einzelnen Briefen in den Vordergrund gestellt Der Charakter und die Motive der Figuren sind nicht dadurch gekennzeichnet was sie sagen oder wie sie handeln sondern vielmehr wie sie sich ausdrucken 16 La Roche schafft auch hiermit einen neuen Impuls fur die deutsche literarische Welt denn die Psychologisierung von Romanfiguren war bis dahin in den deutschen Romanen vollig unbekannt Sophie von La Roche setzt mit ihrem Roman und durch ihren Schreibstil neue Parameter fur die deutsche Romanliteratur der Folgejahre Wieland als Herausgeber Bearbeiten nbsp Herausgeber Christoph Martin Wieland Gemalde von Anton Graff 1794 Sophie von La Roches Roman wurde anonym von Christoph Martin Wieland herausgegeben Im 18 Jahrhundert hatten Frauen in Deutschland weder das Recht noch eine Moglichkeit ihre Werke ohne mannliche Unterstutzung zu veroffentlichen 17 Gerade mit einem Roman war es fur Frauen undenkbar in der literarischen Mannerwelt zu debutieren Sophie von La Roches Laufbahn begann daher durch ihren langjahrigen Freund Wieland indem er ihr Werk herausgab La Roche begann bereits 1766 mit ihrem Roman stellte ihn jedoch erst fertig nachdem sie ihrer Rolle als Mutter nachgekommen war Wieland fungierte bei dem Roman nicht nur allein als Ratgeber denn er stand La Roche in literarischen Fragen stets zur Seite sondern er ermoglichte ihr auch die Publikation bei seinem Verleger Reich in Leipzig Wieland eroffnete dem Roman einen bedeutenden Platz in der literarischen Welt da er in seiner Vorrede La Roches Roman als Frauenroman benannte und somit einen neuen Gattungsbegriff ins Leben rief Doch Wielands Vorrede hat auch einen Beigeschmack Durch seine griffige Etikettierung als Frauenroman beschrankt er den Roman La Roches fur die Rezeption und die literarische Nachwelt 18 Wieland betreibt im Roman auch Leserstreuung da er eine Reihe von Anmerkungen zum Text Interessen der Manner zu vertreten und die Heldin in Grenzen als Frau zu weisen versucht Becker Cantarino 2008 S 90 Er korrigiert Regungen die von der sanktionierten Frauenrolle abweichen indem er darauf hinweist dass Frauen keine eigene Moral ausbilden durften 19 Wieland spielt zudem mit der Rolle des Herausgebers Im Vorwort merkt er an dass er das Manuskript in der gedruckten und nicht in der handgeschriebenen Fassung herausgibt Dadurch kann man erahnen dass der Roman bereits fur eine Veroffentlichung vorgesehen war Auch der Schriftzug auf dem Titelblatt des Romans Von einer Freundin derselben aus Originalpapieren und anderen zuverlassigen Quellen gezogen Becker Cantarino 2006 S 7 lasst von der ursprunglichen Behauptung er habe die Briefe gefunden gesammelt und trotz einiger Defizite als gelungenes Werk betrachtet absehen Wieland wendet sich im Vorwort an mogliche Kritiker und weist schon von vorneherein auf Defizite hin Da er ahnte dass seine Herausgeberfiktion schnell durchschaut werden wurde sicherte er sich gegen die Kritik der Kritiker ab indem er versuchte den Roman zu legitimieren Er betont wiederholt die Bescheidenheit und Tugendhaftigkeit der Frau von La Roche um ihr eine moglichst gute Rezeption zu verschaffen 20 La Roche verdankt Wieland ihren Durchbruch zur gefeierten Schriftstellerin und zur Akzeptanz in einer bis dato fast ausschliesslich mannlich bestimmten literarischen Welt Rezeption BearbeitenDie Geschichte des Frauleins von Sternheim wurde mit dem Erscheinen des Romans im Marz und September 1771 bei Philipp Erasmus Reich in Leipzig zu einem der grossen Erfolge des Buchmarkts und Sophie von La Roche mit einem Schlag zu einer bedeutenden Schriftstellerin 21 Noch im ersten Jahr mussten drei Auflagen gedruckt werden funf weitere Auflagen folgten in den nachsten funfzehn Jahren Zeitgenossische Rezeption Bearbeiten Sophie von La Roche bekam begeisterte Zuschriften und literarische Grossen kundigten ihren Besuch an um die Verfasserin des Romans personlich kennenzulernen 22 Den Philologen Eulogius Schneider veranlasste die Lekture und die positive Kritik des Romans sogar dazu Auszuge des Werkes als Beispiel eines guten Schreibstils in seine Stilistik aufzunehmen Das Vorwort des Herausgebers Christoph Martin Wieland entwaffnete die vermeintlichen Kritiker vorweg dadurch dass es ihnen schmeichelt Die wenigen ablehnenden Stimmen trafen auf heftigen Widerspruch der begeisterten Leser und fielen daher weniger ins Gewicht Kritische Einwande gab es lediglich gegen die Vorrede des Herausgebers den man zunachst fur den Verfasser hielt 23 Auffallend ist dass die Zustimmung fur das Werk aus sehr vielfaltigen Lagern der Leserschaft kam Spataufklarer wie Sturmer und Dranger jungere wie altere Generationen sprachen ihre Begeisterung uber das erste Werk der Schriftstellerin aus In der von Johann Georg Sulzer und Friedrich Nicolai herausgegebenen Allgemeinen deutschen Bibliothek erschien eine Rezension welche die uberall verbreitete gesunde Moral des Romans und den moralischen Heroismus des Frauleins von Sternheim hervorhebt 24 Die Aufnahme des Werkes im Kreis der Aufklarer war durchweg positiv die Zustimmung bei den Sturmern und Drangern steigerte sich hingegen bis zur Uberschwanglichkeit Johann Gottfried von Herder Maria Karoline Flachsland Johann Heinrich Merck und Johann Wolfgang von Goethe wetteiferten nahezu in ihren begeisterten Positionen zum Roman In Briefen an seinen Freund Merck ausserte Herder Alles was Sie mir von der Verfasserin der Sternheim sagen sind fur mich wahre Evangelien Die Sturmer und Dranger waren von den beschriebenen Gefuhlen in der Geschichte des Frauleins von Sternheim geradezu fasziniert Das wird besonders in Goethes Rezension des Romans deutlich die er in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen veroffentlichte Er zielt darin auf die Kritiker aus dem aufklarerischen Lager Allein alle die Herren irren sich wenn sie glauben Sie beurteilen ein Buch es ist eine Menschenseele Die jungen Leser der 1770er Jahre identifizieren sich oftmals mit der Romanfigur Sternheim sowie mit ihren Sehnsuchten und Idealen Sie ubersahen in ihrer Begeisterung jedoch dass die Lebensanschauungen des Frauleins von Sternheim sich vom rationalistischen Denken nur gering unterscheiden Gestort hat sich die Mehrzahl der zeitgenossischen Leser offenbar auch nicht an der wenig innovativen Handlung des Romans Damit ebnete der erste deutsche Frauenroman bis weit ins 19 Jahrhundert hinein vor allem den Weg fur die Trivialliteratur 25 Am Ende des 18 Jahrhunderts liess die Begeisterung fur den Roman immer weiter nach bis er fast ganzlich in Vergessenheit geriet Moderne Rezeption Bearbeiten In den 1970er Jahren stellte man fest dass Leben und Werk der La Roche bis dahin nur sehr selten Gegenstand historischer Forschung gewesen waren und ihre Person fast nur noch im Zusammenhang mit Zeitgenossen deren Leben sie mitgepragt hatte Erwahnung fand Zudem war ihr Werk bis auf die Geschichte des Frauleins von Sternheim kaum auf dem Buchmarkt erhaltlich Heute ist es vor allem die feministisch motivierte Literaturwissenschaft die Interesse fur Person und Werk der Sophie von La Roche zeigt und der wichtigsten deutschen Schriftstellerin im letzten Drittel des 18 Jahrhunderts neue Aktualitat verliehen hat Als Verfasserin des ersten deutschen Frauenromans ist ihr auch in der traditionellen Literaturgeschichtsschreibung eine gebuhrende Beachtung zuteilgeworden jedoch fand sie auch dort hauptsachlich Erwahnung als Verlobte Wielands Freundin des jungen Goethe und als Grossmutter von Bettina und Clemens Brentano Dagegen haben die neusten Forschungsbeitrage ihre literarischen Entwurfe weiblicher Sozialisation in der Gesellschaft des 18 Jahrhunderts in den Vordergrund gestellt 26 Ausgaben BearbeitenChristoph Martin Wieland Hrsg Geschichte des Frauleins von Sternheim Von einer Freundin derselben aus Original Papieren und andern zuverlassigen Quellen gezogen 2 Bande Weidmanns Erben und Reich Leipzig 1771 Originalausgabe Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Bd 1 Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Bd 2 Christoph Martin Wieland Hrsg Geschichte des Frauleins von Sternheim Von einer Freundin derselben aus Original Papieren und andern zuverlassigen Quellen gezogen Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 2007 ISBN 978 3 423 13530 6 Sophie von La Roche Geschichte des Frauleins von Sternheim Herausgegeben von Barbara Becker Cantarino Reclam Verlag Stuttgart 2006 ISBN 978 3 15 007934 8Literatur BearbeitenRolf Allerdissen Der empfindsame Roman des 18 Jahrhunderts In Helmut Koopmann Hrsg Handbuch des deutschen Romans Dusseldorf 1983 S 184 203 Barbara Becker Cantarino Meine Liebe zu Buchern Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin Heidelberg 2008 Ralf Bogner Hrsg Deutsche Literatur auf einen Blick 400 Werke aus 1200 Jahren Ein Kanon Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2009 Iwan Michelangelo D Aprile Winfried Siebers Das 18 Jahrhundert Zeitalter der Aufklarung Akademie Verlag Berlin 2008 Gesa Dane Sophie von La Roche Geschichte des Frauleins von Sternheim In Philipp Reclam jun Hrsg Romane des 17 und 18 Jahrhunderts Stuttgart 1996 S 171 195 M S Doms Sophie von La Roche Geschichte des Frauleins von Sternheim In Ralf Georg Bogner Hrsg Deutsche Literatur auf einem Blick 400 Werke aus 1200 Jahren Ein Kanon 1 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2009 S 211 212 Bernd Heidenreich Sophie von La Roche Eine Werkbiographie Frankfurt am Main 1986 F Herboth Sophie von La Roche 1731 1807 In Rainer Frank Max Christine Ruhrberg Hrsg Reclams Romanlexikon Bd 1 Deutschsprachige Vers und Prosadichtung vom Mittelalter bis zur Klassik Reclam Stuttgart 1998 S 275 278 Volker Meid 1771 Sophie von La Roche Geschichte des Frauleins von Sternheim In Metzler Literatur Chronik 3 erweiterte Auflage J B Metzler Stuttgart 2006 S 237 Jeannine Meighorner Was ich als Frau dafur halte Sophie von La Roche Deutschland erste Bestsellerautorin Sutton Erfurt 2006 Ivar Sagmo Diatetik der Leidenschaften Sophie von La Roche und ihr Schones Bild der Resignation In Kurt Erich Schondorf Hrsg Aus dem Schatten treten Aspekte weiblichen Schreibens zwischen Mittelalter und Romantik Frankfurt am Main 2000 S 45 46 Armin Strohmeyr Sophie von La Roche Eine Biographie Leipzig 2006 Weblinks BearbeitenVolltextProjekt Gutenberg zeno orgSekundarliteraturBirgit Dankert u a Lesen ist weiblich La Roche Sophie Geschichte des Frauleins von Sternheim Einzelnachweise Bearbeiten Herboth 1998 S 275f Bogner 2009 S 211f vgl Niethammer Ortrun Kindlers Literatur Lexikon Online Geschichte des Frauleins von Sternheim URL http www kll online de Zugriff am 23 Juni 2010 9 11 Juliane Ziegler Vorbilder Eine unabhangige Frau in chrismon plus Januar 01 2015 S 29 Vgl Becker Cantarino 2008 S 87 Vgl Dane 1996 S 171 Vgl Becker Cantarino 2008 S 96 f Vgl Dane 1996 S 183 Vgl Dane 1996 S 187 f Vgl Dane 1996 S 189 ff Vgl Dane 1996 S 191 a b vgl Meighorner 2006 S 70ff vgl Strohmeyer 2006 S 141 vgl D Aprile Siebers 2008 S 179 vgl Bogner 2009 vgl Strohmeyer 2006 S 145 vgl Meighorner 2006 S 75 vgl Becker Cantarino 2008 S 88f vgl Becker Cantarino 2008 S 90 vgl Becker Cantarino 2008 S 89 Heidenreich Bernd Sophie von La Roche Eine Werkbiographie Frankfurt Am Main 1986 S 64 Strohmeyr Armin Sophie von La Roche Eine Biographie Leipzig 2006 S 154 Strohmeyr Armin Sophie von La Roche Eine Biographie Leipzig 2006 S 138 J K A Musaus LaRoche S v Geschichte des Fraulein von Sternheim T 1 2 Rezension Veroffentlicht 1772 in Allgemeine deutsche Bibliothek 16 Band 1 St S 469 479 Allerdissen Rolf Der empfindsame Roman des 18 Jahrhunderts S195 Sagmo Ivar Diatetik der Leidenschaften In Aus dem Schatten treten Frankfurt am Main 2000 S 46 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichte des Frauleins von Sternheim amp oldid 238545371