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Die Frankfurter gelehrten Anzeigen waren eine Literaturzeitschrift die von 1772 bis 1790 in Frankfurt am Main erschien Sie gilt als wichtiges Organ der Literaturkritik in der Periode des Sturm und Drang vor allem in ihrem ersten Jahrgang Ihre Redakteure waren anfangs Johann Heinrich Merck und Johann Georg Schlosser spater Karl Friedrich Bahrdt Zu ihren Rezensenten gehorten Johann Wolfgang Goethe und Johann Gottfried Herder Um den Jahrgang 1772 kam es zu einer Auseinandersetzung um die Pressefreiheit mit den kirchlichen und politischen Behorden in Frankfurt in der die Herausgeber letztlich unterlagen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Auseinandersetzungen um die Pressefreiheit 2 Literatur 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten1736 grundete der Frankfurter Buchhandler und Verleger Samuel Tobias Hocker die Frankfurter Gelehrtenzeitung die erste literarisch wissenschaftliche Zeitung Frankfurts Er folgte damit einer Anregung von Christian Munden dem damaligen Senior des lutherischen Predigerministeriums 1771 erwarb der aus Waldeck stammende Hofrat Johann Conrad Deinet die Zeitung anderte den Namen in Frankfurter gelehrte Anzeigen und gab sie mit neuem Programm heraus Unter den beiden neuen Redakteuren Merck und Schlosser erschienen Rezensionen zu den verschiedensten Themengebieten darunter Rechtswissenschaft Geschichte Philosophie Politik und Theologie Die einzelnen Rezensionen waren nicht mit Namen gekennzeichnet sondern das Ergebnis intensiver Diskussionen zwischen den Autoren oft noch durch die Redakteure uberarbeitet Unter den Rezensenten des Jahrgangs 1772 und teilweise auch 1773 waren neben Schlosser vor allem Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang Goethe Von den 396 Beitragen des ersten Jahrgangs stammen zwischen 30 und 60 aus Goethes Feder an weiteren etwa 30 durfte er mitgewirkt haben Zu den rezensierten Autoren gehorten unter anderen Johann Georg Jacobi Friedrich Gottlieb Klopstock Gotthold Ephraim Lessing und Christoph Martin Wieland Die Rezensionen waren in einem sehr personlichen oft emotionalisierten und uberpointierten Stil geschrieben Die Rezensenten nutzten die Kritik um ihre eigenen asthetischen Ideale zu formulieren So betont Goethe in einer Lyrik Rezension vom 18 Dezember 1772 die Bedeutung des Ungeglatteten und des Wildschonen und begreift die Natur als zerstorende Kraft gegen die sich das Individuum mit den Mitteln der Kunst zu behaupten habe Goethe selbst urteilte spater in den Tag und Jahresheften uber diese Phase 1 Inzwischen geschehen kuhnere Griffe in die tiefere Menschheit es entsteht ein leidenschaftlicher Widerwille gegen missleitende beschrankte Theorien man widersetzt sich dem Anpreisen falscher Muster Alles dieses und was daraus folgt war tief und wahr empfunden oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen Die Rezensionen in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen von 1772 und 1773 geben einen vollstandigen Begriff von dem damaligen Zustand unserer Gesellschaft und Personlichkeit Ein unbedingtes Bestreben alle Begrenzungen zu durchbrechen ist bemerkbar Auseinandersetzungen um die Pressefreiheit Bearbeiten Bereits nach der dritten Nummer kam es im Januar 1772 zu Beschwerden Der damalige Frankfurter Senior Johann Jakob Plitt nahm Anstoss an der Rezension einer von Jacobi stammenden Rede von der Liebe zu Gott Der Rezensent hatte die empfindungsvolle simple sanfte und ruhrende Sprache gelobt und gefordert dass man doch endlich einmal anfangen moge allen dogmatisch scholastischen Wust exegetischen Flitterstaat und oratorischen Prunk von den Kanzeln zu verbannen 2 Das lutherische Predigerministerium sah darin einen Angriff auf die Frankfurter Geistlichkeit und lud den Herausgeber Hofrat Deinet vor das fur die Kirchenzucht zustandige Konsistorium zumal es wegen einer polemischen Rezension uber die Predigten eines Geistlichen aus Nordhausen in der funften Nummer schon zu weiteren Beschwerden gekommen war Deinet rechtfertigte sich dass nicht er sondern verschiedene Gelehrte deren Namen er selbst nicht kenne die Verfasser der Rezensionen seien und dass solche nur fur Gelehrte geschriebenen Rezensionen nicht zu scharf zu nehmen seien 3 Am 20 Januar 1772 ordnete die mit der Buchzensur in Frankfurt beauftragte Deputation zum Bucherwesen an dass Deinet die Verfasser zu nenne habe und in Zukunft keine dergleichen anstossige und anzugliche recensionen uber theologische Materien seinen Gelehrten Anzeigen einverleiben auch eine schickliche Widerrufung sothaner beiden Passagen einrucken sollte 3 Nach einem Rekurs Deinets liess man die Sache allerdings vorlaufig auf sich beruhen und die gelehrten Anzeigen veroffentlichten weiterhin Kritiken theologischer Schriften Zu einer erneuten Auseinandersetzung mit der Zensur kam es im Juli 1772 Nach einer kritischen Rezension des Theologen Karl Friedrich Bahrdt uber eine Schrift des Hamburger Hauptpastors Johann Melchior Goeze Erbauliche Betrachtungen uber das Leben Jesu auf Erden auf alle Tage des Jahres 4 ging der Rat selbst gegen Deinet vor Man fuhlte sich Goeze verpflichtet der im Vorjahr das strenge Vorgehen der lutherischen Stadt Frankfurt gegen die Calvinisten verteidigt hatte und dafur eine Gabe von 12 Dukaten erhalten 5 Die rezensierte Schrift uber das Leben Jesu hatte Goeze daraufhin dem Frankfurter Rat gewidmet Die Bucherdeputation lud Deinet erneut vor und beschloss am 22 August ihn wegen seines abermaligen Vergehens in eine Strafe von 20 Reichsthaler zu condemniren Deinet protestierte dagegen und erhielt eine vierwochige Frist zugebilligt um eine Verteidigungsschrift vorzulegen Noch wahrend dieser Frist kam es zu neuen Beschwerden gegen die Anzeigen nach einer Rezension von Balthasar Munters Bekehrungsgeschichte des Grafen Johann Friedrich Struensee 6 die vermutlich ebenfalls von Bahrdt stammte Der Verfasser hatte darin die These aufgestellt dass bekannte Freigeister wie Voltaire Hume und Rousseau der Moralitat und der Religion weniger geschadet hatten als der glaubensstrenge Pascal Das Predigerministerium forderte in einer Eingabe an den Rat der Stadt Frankfurt dass dem Directori dieser Anzeigen befohlen werde sich der recension theologischer Schriften entweder ganzlich oder doch wenigstens allen gegen die Religion anstosenden Ausdrucken die dem christlich gesinnten Leser zum Argernuss gereichen und woruber wir schon viele Klagen von Fremden und Einheimischen gehoret haben zu enthalten 3 Der Rat ordnete daraufhin am 15 September an dass Deinet kunftig keine theologischen Artikel mehr drucken lassen durfe die nicht zuvor von einem vom Ministerium zu benennenden und von Deinet zu bezahlenden Zensor eingesehen und genehmigt waren Deinet widersprach am 17 September mit der Begrundung dass er als reformierter Christ sich unmoglich dem lutherischen Ministerium unterwerfen konne und liess in der Nummer LXXVI vom 22 September eine Selbstverteidigung des Rezensenten der Struenseeschen Bekehrungsgeschichte erscheinen Erneut erhob Senior Plitt daraufhin Beschwerde und am 24 September hielt der Rat Deinet nochmals zur Befolgung des Beschlusses vom 15 September an bei Vermeidung von weiteren 100 Reichstalern Strafe Am 6 Oktober 1772 schrieb Goethe an Johann Christian Kestner in Wetzlar Unsre Spektakels mit dem Pfaffen werden taglich grosser Sie prostituiren sich immer mehr und wir rencheriren drauf 7 Er Goethe hatte inzwischen als Deinets Advokat beim Rat eine Fristverlangerung bewirkt und eine Verteidigungsschrift angekundigt Dieses von Schlosser entworfene 31 Seiten lange Schreiben vom 15 Oktober 1772 wies in hochst ironischem Tonfall die gegen Deinet und die Anzeigen erhobenen Vorwurfe zuruck Pascal anzugreifen sei kein Verbrechen er sei kein Apostel und auch das hochwurdige lutherische Ministerium billige gewiss nicht alles was dieser romisch katholische Schriftsteller sage 3 Der Rat bestatigte am 22 Oktober seine bisherigen Beschlusse einschliesslich der Strafe von 100 Reichsthalern und bat die Juristenfakultat an der Leipziger Universitat um ein Gutachten in dieser Angelegenheit Das Verfahren zog sich somit in die Lange zumal die juristische Fakultat in Leipzig entschied auch ihre Kollegen von der theologischen Fakultat mit der Sache zu befassen In der Zwischenzeit waren mit dem Jahrgang 1773 die bisherigen Redakteure Merck und Schlosser ausgeschieden und Bahrdt hatte die alleinige Redaktion der Anzeigen ubernommen Am 7 April 1773 starb der bisherige Senior Plitt und sein Nachfolger Mosche zeigte kein Interesse an einer Fortsetzung der Auseinandersetzung Nach einigem Hin und Her zwang der Rat Deinet am 10 Februar 1774 zwar die auf Veranlassung des Rates erfolgte erste Strafe von 20 Reichstalern innerhalb von acht Tagen zu entrichten in der anderen vom Predigerministerium betriebenen Beschwerde beschloss der Rat dagegen am 9 Februar 1776 endlich Deinet die wegen der gedruckten Schriften sub rubro Gerichtl Acten etc angesagte Strafe aus obrigkeitlicher Milde ganzlich zu erlassen Deinet hatte somit den Prozess und den Kampf um die Pressefreiheit letztlich verloren war aber auf dem Gnadenwege glimpflich davongekommen Das Predigerministerium hatte wegen seines ungeschickten Auftretens viel Spott erfahren und Bahrdt fuhr fort theologische Rezensionen zu veroffentlichen ohne das ihm auferlegte Verbot zu beachten Nachdem auch Bahrdt als Redakteur ausgeschieden war erschienen die Anzeigen unter wechselnder Leitung noch bis 1790 ohne jemals noch einmal eine ahnliche Wahrnehmung in der Offentlichkeit zu erreichen wie 1772 Literatur BearbeitenHermann Brauning Oktavio Herausgeber und Mitarbeiter der Frankfurter Gelehrten Anzeigen 1772 Niemeyer Tubingen 1966 Hermann Dechent Die Streitigkeiten der Frankfurter Geistlichkeit mit den Frankfurter Gelehrten Anzeigen im Jahre 1772 in Goethe Jahrbuch 1889 Frankfurt am Main 1889 S 169ff Abgedruckt in Jurgen Telschow Hrsg Ich sah sie noch die alte Zeit Beitrage zur Frankfurter Kirchengeschichte Schriftenreihe des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main Nr 11 1985 ISBN 3 922179 10 X S 139 159 Johann Heinrich Merck Frankfurter gelehrte Anzeigen vom Jahr 1772 Nachdruck mit einem Vorwort von Hermann Brauning Oktavio und einer Konkordanz zu Bernhard Seufferts Nachdruckausgabe 1883 Bern 1970 ISBN 978 3 261 00500 7Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Frankfurter gelehrte Anzeigen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Digitalisat an der Universitats und Landesbibliothek Sachsen AnhaltEinzelnachweise Bearbeiten Johann Wolfgang von Goethe Berliner Ausgabe Poetische Werke Band 1 16 Band 16 Berlin 1960 ff S 8 9 Protokoll des Predigerconvents I 72 vom 22 Januar 1772 zitiert nach Dechent Goethe Jahrbuch 1889 S 169ff a b c d Dechent Goethe Jahrbuch 1889 S 169ff Besprochen in Nr LVIII vom 21 Juli 1772 Johann Melchior Goeze Die gerechte Sache der evangelisch lutherischen Kirche u s f Hamburg bei Johann Christian Brandt 1771 Besprochen in Nr LXXII vom 8 September 1772 Goethe Weimarer Ausgabe IV Band 2 Nr 99 S 29Normdaten Werk GND 4155165 5 lobid OGND AKS VIAF 204113671 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Frankfurter gelehrte Anzeigen amp oldid 236007295