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Ein Briefroman ist eine Sammlung fiktiver Briefe die sich in ihrer Prasentation unter Umstanden zusammengehalten von einer Herausgeberstimme zur Romanhandlung verdichten Moglich sind Briefwechsel zwischen verschiedenen Personen wie die briefliche Hinterlassenschaft eines einzelnen Helden Wegen seiner Unmittelbarkeitsfiktion ist der Tagebuchroman mit dem Briefroman vergleichbar 1 Aphra Behn Love Letters Between a Nobleman and his Sister Titelblatt der ersten Ausgabe von 1684 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Eigenschaften 3 Der Briefroman im 18 Jahrhundert 4 Zeitgenossische Sonderform 5 Beispiele 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDer Anfang des Genres lasst sich nur schwer bestimmen Ausgaben von Briefen Gelehrter kamen mit dem Humanismus auf fingierte Briefwechsel erganzten das Repertoire in satirisch und politisch ausgerichteten Sammlungen Der Briefwechsel zwischen Abelard und Heloise eingebunden in Jean de Meungs Roman de la Rose 1280 gibt der amourosen Variante eine noch viel langere Geschichte Beruhmt waren im 17 Jahrhundert auf diesem Feld die Lettres Portugaises mit Imitationen und Erweiterungen und Antworten Grenzgange zwischen dem Fiktionalen und der Realitat kosteten die Briefsammlungen der Madame d Aulnoy aus Als den ersten grossangelegten mit aller Romankunst spielenden Briefroman wird man Aphra Behns Love Letters between a Noble Man and his Sister 1684 85 87 ansehen konnen den Roman einer verzweifelten Liebe zwischen der Heldin und dem Mann ihrer Schwester Die anfangliche Mischung aus Briefen voller Hoffnungslosigkeit Sehnsucht und Verzweiflung macht Intrigenhandlungen Platz Briefe werden lanciert und vorenthalten planvoll abgefasst um zu manipulieren eine erhebliche Spannungsbreite der Emotionen wird ausgekostet bevor die Helden ruiniert enden Eigenschaften BearbeitenMit Aphra Behns Roman standen die Vorzuge der Gattung fest Realitat wird mit ihr effektvoll behauptet die Herausgeberin prasentiert Briefe die tatsachlich zwischen den Beteiligten hin und her gegangen sein sollen der Stil findet im Briefroman neue Freiheiten hier erzahlt nicht ein Romanautor von dem man Erzahlkunst verlangen kann hier schreiben Menschen die nicht ahnten dass ihre Briefe eines Tages offentlich gelesen wurden verzweifelt intrigant verliebt zum Teil im Bruch mit allen Konventionen schriftstellerischer Kunst Perspektive und Wissen werden im Briefroman komplex handhabbar hier schreibt nicht ein Autor der das Geschehen bereits kennt hier schreiben Akteure die nicht wissen was die anderen Akteure tun isoliert voneinander subjektiv vermeintlich intim und ohne allen Uberblick uber das Geschehen eine Herausgeberstimme kann den Uberblick jederzeit hinzuliefern Der Briefroman im 18 Jahrhundert BearbeitenDie auf eine Reform der Moral drangenden Romane Samuel Richardsons reaktivierten Mitte des 18 Jahrhunderts das Genre Der Roman der schutzlos durch ihren Arbeitgeber Angriffen auf ihre Tugend ausgelieferten Pamela fand in der Briefsammlung sein geeignetes Medium Der Leser verfolgte den Gang der Dinge gemeinsam mit den Adressaten der Briefe die ohne eingreifen zu konnen von Brief zu Brief befurchten mussten dass die Heldin dem verwerflichen Mann mittlerweile unterlag Die Romane der zweiten Halfte des 18 Jahrhunderts offneten sich dem Genre in dem Masse in dem es die intime Selbstdarstellung erlaubte den Einblick in das im Vertraulichen schreibende psychologische Tiefe gewinnende Ich Die Handlung liess sich mit dem Briefroman nach innen verlagern Goethes Die Leiden des jungen Werthers 1774 nutzte konsequent das Genre Erster deutschsprachiger Briefroman war Sophie von La Roches Geschichte des Frauleins von Sternheim der 1771 erschien Die bekanntesten franzosischen Briefromane des 18 Jahrhunderts sind Montesquieus Lettres persanes 1721 dt Persische Briefe Jean Jacques Rousseaus Julie oder Die neue Heloise 1761 und Choderlos de Laclos Les liaisons dangereuses 1782 dt Gefahrliche Liebschaften Im 19 Jahrhundert ubernahmen subjektive und intime fingierte Autobiographien Terrain des letztlich vor allem von der Interaktion der Akteure lebenden Briefromans Zeitgenossische Sonderform BearbeitenEine Sonderform des Briefromans ist der E Mail Roman Wie im Briefroman erfahrt der Leser aus dem Briefwechsel E Mail der handelnden Personen die zu erzahlende Geschichte Durch die Geschwindigkeit und die geringen Formzwange der elektronischen Post vermag der Autor temporeicher und direkter zu vermitteln Ein Beispiel im deutschen Sprachraum ist Sehnsucht Internet von Gabriele Farke 2006 erschien Daniel Glattauers Roman Gut gegen Nordwind der die strikte Briefromanform auf die E Mail Form ubertragt Er kommt wie seine Fortsetzung Alle sieben Wellen 2009 ohne Erlauterungen aus Mail folgt auf Mail Eine weitere Sonderform entwickelte Cecelia Ahern in ihrem Roman Fur immer vielleicht in der die Protagonisten sich von Kindesbeinen an kennen und gemeinsam aufwachsen spater aber auseinanderleben um schliesslich wieder zusammenzufinden Der Roman selbst besteht nur aus zahllosen in der Schule ausgetauschten Zettelchen Briefen SMS und Mails aus denen der Leser die Geschichte selbst entwickeln muss Erst die letzte Seite des Buches bricht mit dieser Systematik und wechselt zur klassischen Prosa In Videospielen insbesondere in Adventure und Rollenspielen werden Teile der Geschichte und Hintergrundinformationen oft durch auffindbare Briefe oder E Mails vermittelt Beispiele BearbeitenSamuel Richardson Pamela 1740 und Clarissa 1748 John Cleland Fanny Hill 1749 Jean Jacques Rousseau Julie oder Die neue Heloise 1761 Sophie von La Roche Geschichte des Frauleins von Sternheim 1771 Johann Wolfgang von Goethe Die Leiden des jungen Werthers 1774 Choderlos de Laclos Gefahrliche Liebschaften 1782 Ludwig Tieck William Lovell 1795 96 Friedrich Holderlin Hyperion 1797 99 Achim von Arnim Hollin s Liebeleben 1802 Ugo Foscolo Ultime lettere di Jacopo Ortis 1802 16 Mary Shelley Frankenstein 1818 August Tholuck Guido und Julius Die Lehre von der Sunde und vom Versohner oder Die wahre Weihe des Zweiflers 1823 Bram Stoker Dracula 1897 Elisabeth von Heyking Briefe die ihn nicht erreichten 1903 Hugo von Hofmannsthal Die Briefe des Zuruckgekehrten 1907 Ricarda Huch Der letzte Sommer 1910 Jean Webster Daddy Langbein 1912 Else Lasker Schuler Mein Herz 1912 Der Malik 1919 Johannes Gillhoff Jurnjakob Swehn der Amerikafahrer 1917 Lea Goldberg Briefe von einer imaginaren Reise 1937 Kressmann Taylor Adressat unbekannt 1938 Julius Overhoff Eine Familie aus Megara 1946 Camilo Jose Cela Mrs Caldwell spricht mit ihrem Sohn 1953 Wolfgang Bauer Der Fieberkopf 1967 Heinrich Boll Das Vermachtnis 1982 Alice Walker Die Farbe Lila 1982 Herbert Rosendorfer Briefe in die chinesische Vergangenheit 1983 Paul Auster Im Land der letzten Dinge 1987 1989 Jostein Gaarder Klaus Hagerup Bibbi Bokkens magische Bibliothek 1993 Feridun Zaimoglu Liebesmale scharlachrot 2000 Cecelia Ahern Fur immer vielleicht 2004 Daniel Glattauer Gut gegen Nordwind 2006 Literatur BearbeitenArata Takeda Die Erfindung des Anderen Zur Genese des fiktionalen Herausgebers im Briefroman des 18 Jahrhunderts Epistemata Reihe Literaturwissenschaft Bd 656 Konigshausen amp Neumann Wurzburg 2008 ISBN 978 3 8260 3973 7 Weblinks BearbeitenAphra Behn Love Letters between a Noble Man and his Sister 1684 87 Einzelnachweise Bearbeiten Tagebuchliteratur in Microsoft EncartaNormdaten Sachbegriff GND 4146608 1 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Briefroman amp oldid 236205659