Die Fastnachtshexe ist eine populäre Narrenfigur insbesondere der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, auch in den Alpenländern Schweiz und Österreich.
Geschichte Bearbeiten
Der Ursprung der Fastnachtshexe ist bisher nicht zureichend geklärt. Vorläufer der heutigen Hexenfiguren sind schon aus dem Mittelalter überliefert: Männer in Frauenkleidern, die nach dem Motto Verkehrte Welt kostümiert waren. Die älteste erhaltene Maske ist eine „Hexenmutter“-Larve und stammt aus Tirol, wo Fastnachtshexen schon seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt und bis heute verbreitet sind, etwa beim Nassereither Schellerlaufen und Imster Schemenlaufen. In Österreich zählen Hexenfiguren bei „Perchtenläufen“ zu den „schiachen“ (obdt. für hässlich, schlimm, böse) Perchten.
In Furtwangen und anderen südwestdeutschen Orten lässt sich ein Fastnachtsbrauch bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, bei dem es ab dem 20. Januar den Buben erlaubt war, sich mit Frauenkleidern – noch ohne Masken – als „Hexen“ zu verkleiden. Diese „Hexen“ waren Figuren der unorganisierten bäuerlichen Fasnet, zu deren Handwerk neben dem Besenumtrieb auch das Rußeln gehören konnte, wie es heute noch von Rußhexen in Empfingen ausgeführt wird.
Als älteste Fastnachtshexen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht gelten zwei Figuren aus der Ortenau – die Offenburger Hexe und die Gengenbacher Hexe, sowie die Löffinger Hexe aus dem Hochschwarzwald, die dort jeweils um 1935 eingeführt wurden und erstmals geschnitzte Holzmasken trugen. Noch in den 1930er Jahren und vor allem in den Jahrzehnten nach 1950 verzeichnete man in vielen örtlichen Fastnachten eine starke Zunahme von neuen Hexenfiguren. Seit den 1980er Jahren beklagen die Brauchpfleger gar ein „inflationäres Überhandnehmen der Hexen“ in der südwestdeutschen Fastnachtslandschaft.
Hexenfiguren sind vermutlich aufgrund ihres wenig reglementiert erscheinenden, wilden Verhaltens bei Narrensprüngen und bei der Straßenfasnet populär und haben sich von der Ortenau in das gesamte Verbreitungsgebiet der schwäbisch-alemannischen Fastnacht ausgebreitet und in Hexenzünften organisiert. Sie sind mittlerweile in allen anderen Regionen zu finden, weniger jedoch in den besonders traditionsbewussten Hochburgen (etwa bei den Vereinen des Viererbunds).
Kritik an der Figur der Fastnachtshexe wird verstärkt aus kulturgeschichtlicher und feministischer Sicht geäußert.
Die traditionellen Fastnachtshexenfiguren mit ihrer stereotypen Erscheinungsform als alte, hässliche und hinterlistig-lauernde Frau gehen nach Ansicht des Volkskundlers Werner Mezger auf die aus Märchen bekannten, Hexengestalten, exemplarisch auf die romantisierte „böse Hexe“ im Märchen Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm zurück und hätten demzufolge „nichts mit den tragischen Opfern früherer Hexenverfolgungen zu tun.“ Von vielen Hexenzünften wird diese Herleitung übernommen, sofern sie den fraglichen Zusammenhang zwischen der Geschichte der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung und der Entstehung der Fastnachtshexe auszuschließen scheint.
Einige der jüngeren und auch ältere Hexenzünfte verweisen dagegen ausdrücklich auf lokale Überlieferungen aus der Zeit der Hexenverfolgung und greifen bei den Namen und der Gestaltung der Hexenfiguren auf ortsbekannte „Sonderlinge“ und „Originale“ zurück. So rekurriert die 1939 gegründete Hexenzunft Obernheim e. V. bei ihrem fastnachtlichen Treiben auf historische Hexenprozesse mit Folterung und Hinrichtung („Hexenverbrennung“) der wegen sogenannter „Teufelsbuhlschaft“ verurteilten Frauen. Der 2014 gegründete Engstlatter „Murschel-Hexen“ e. V. bezog sich sogar namentlich auf eine im 16. Jahrhundert in Balingen der „Hexerei“ bezichtigte, eingesperrte und gefolterte Frau: Anna Murschel. Nach Kritik der Balinger Historikerin Ingrid Helber an der Hexengruppe und deren „pietätlosen“ und „makabren“ Namenswahl beschloss der Verein 2016, sich in „Murschel-Weible“ umzubenennen.
Die von der 1935 gegründeten „Dorauszunft Saulgau“ tradierte Inszenierung der „Hexenverbrennung“ bzw. „Fastnachtsverbrennung“ am Fastnachtsdienstag geriet wie der Obernheimer „Hexenprozess“ in die Kritik, da sie an die Hinrichtungspraxis zur Zeit der Hexenverfolgung erinnert, bei der Frauen als „Hexen“ auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Vom örtlichen Arbeitskreis „Hexenverfolgung“ war 2017 zudem eine namentliche Gedenkstele für die Opfer von nachweislich 46 Hexenprozessen 1518–1732 eingeweiht worden. Die bei Fastnachtsverbrennungen üblicherweise verwendete, die Fastnacht symbolisierende Strohpuppe wird in Bad Saulgau personifiziert, im Häs der Saulgauer „Riedhutzel“-Hexe verbrannt. In einem Käfigwagen aus Holz vor ein Podest gefahren, wird zuvor ein „Riedhutzel“-Hästräger von den Bütteln, der Bad Saulgauer Narrenpolizei, übernommen und mit Schlägen ihrer „Saublodern“ aufs Podium getrieben. Schließlich wird eine vorbereitete „Riedhutzel“-Puppe über einem lodernden Feuer angezündet und an einem Masten auf dem Podium brennend hochgezogen. Die Zunft reagierte auf entsprechende Kritik in den letzten Jahren abwehrend, bezeichnete sie als „leidiges Herummäkeln an der Tradition“ und lehnte zuletzt 2018 Änderungen an der Inszenierung ihrer „Hexenverbrennung“ ab, wenn sie auch offiziell so nicht mehr genannt wird.
Häufig wurden und werden Fastnachtshexen nicht von Frauen, sondern von Männern verkörpert. Während zahlreiche Hexenzünfte inzwischen Frauen und Kinder aufnehmen, sind bei der Offenburger Hexenzunft ausschließlich volljährige Männer als Maskenträger „zugelassen“, die zudem eine zweijährige „Probezeit“ absolviert haben müssen. Bei Umzügen ist es verbreiteter Brauch, dass die „traditionell“ männlichen „Hexen“ beim sogenannten „Ärgern“ der Besucher vor allem junge Frauen auswählen, diesen dabei Konfetti in die Haare reiben oder sie in mitgeführte „Hexenwagen“ zerren bzw. in „Hexenkäfige“ sperren und dort mit Stroh, Heu oder Papierschnipseln „einseifen“. Beim Nachtumzug 2018 der Hexenzunft Eppingen erlitt eine junge Zuschauerin schwere Verbrühungen an den Beinen, als sie von einem oder mehreren Mitgliedern der Hexengruppe „Bohbrigga Hexenbroda“ „im Scherz“ über einen mitgeführten „Hexenkessel“ gehalten wurde, dabei mit den Beinen in kochend heißes Wasser geriet und anschließend ohne Ersthilfe zurückgelassen wurde. Der Fall löste eine allgemeine Debatte über Narrenumzüge aus und machte als „Hexenkessel-Prozess“ juristisch Schlagzeilen. Aufgrund der Maskierung der 18-köpfigen Hexengruppe erwies sich die Identifizierung der Beteiligten als schwierig. Ein Angeklagter wurde 2018 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, hatte seine Tatbeteiligung bestritten und ging in Berufung. Da ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, wurde er 2020 freigesprochen. Die Hexengruppe hatte sich 2018 wegen des Vorfalls aufgelöst und auch Nachtumzüge gab es in Eppingen seitdem nicht mehr.
Kostüme Bearbeiten
Das Narrenhäs der Hexenfigur wird durch eine traditionell geschnitzte und bemalte Holzmaske mit Hakennase, Warzen, Runzeln, wenigen bzw. schiefen Zähnen und starrenden Augen geprägt. In einzelnen Fällen wird das Gesicht auch angemalt oder mit einer Draht- oder Stofflarve (-maske) verhüllt. Bei der Kleidung dominieren Kopftücher, derbe Kittel, ausladende Röcke, weiße Bauernunterwäsche, Woll- oder Ringelstrümpfe und Strohschuhe. Dazu trägt die Hexe einen Reisigbesen, mitunter auch eine Ratsche.
Galerie Bearbeiten
Literatur Bearbeiten
- Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 57–76.
- Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 74 f.
- Elisabeth Skrzypek: „Toll trieben es die Weiberschaften…“ Frauen feiern die fünfte Jahreszeit, Reutlingen 2016, S. 79–89.
Weblinks Bearbeiten
- Alemannische Larvenfreunde, Maskenmuseum: www.larvenfreunde.de
Einzelnachweise Bearbeiten
- Alemannische Larvenfreunde, Maskenmuseum: www.larvenfreunde.de.
- Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 66 ff.
- Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 75.
- Jörg Kraus: Der Weg der Hexe in die Fasnacht. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, S. 58 und S. 105.
- Werner Mezger: Schwäbisch-alemannische Fastnacht: Kulturerbe und lebendige Tradition. Mit Fotografien von Ralf Siegele. Konrad Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-2947-9, S. 75; vgl. hierzu: Fasnetshexe basiert auf Grimms Märchen. In: Schwäbische Zeitung, 15. März 2015 (schwaebische.de).
- Werner Lissy: Alles Wehklagen hilft nichts: Unholda Moserin stirbt den Feuertod. In: Schwarzwälder Bote, 3. März 2019 (schwarzwaelder-bote.de); vgl. Zunfthistorie unter: hexenzunft-obernheim.de.
- Balingen. Historikerin empört über Murschel-Hexen. In: Schwarzwälder Bote, 20. Januar 2015 (schwarzwaelder-bote.de).
- Detlev Hauser: Aus der Hexe ist ein Weible geworden. In: Schwarzwälder Bote, 12. September 2016 (schwarzwaelder-bote.de).
- Dirk Thannheimer: 27 Namen erinnern an dunkles Kapitel. Feierliche Übergabe der Erinnerungsstele in Gedenken an Opfer der Hexenverfolgung. In: Schwäbische Zeitung, 22. November 2017 (schwaebische.de).
- Hexenverbrennen 2023 in Bad Saulgau, Filmdokument auf youtube.com.
- Rudi Multer: Hinrichtung. Kritik an Fasnetsverbrennen. Erinnerung an Hinrichtung von Frauen. In: Schwäbische Zeitung, 2. März 2018 (schwaebische.de).
- Zum mehr oder weniger reglementierten, auch sexualisierten „Hexenunwesen“ bei Fastnachtsumzügen vgl.: Gabriele Bartsch: „Bei uns kann man Rabbatz machen“ oder: Die kontrollierte Zügellosigkeit. In: Gottfried Korff (Hrsg.): Wilde Masken. Ein anderer Blick auf die Fasnacht. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1989, ISBN 3-925340-58-0, dort das Kapitel: Auf der Suche nach dem Unwesen, S. 82 f.
- Eppinger „Hexenkessel-Prozess“. Junge Frau bei Fastnachtsumzug verbrüht. In: Der Spiegel, 5. Mai 2020 (spiegel.de).