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Die Fantasia contrappuntistica BV 256 ist ein im Juni 1910 entstandenes und im selben Jahr bei Breitkopf amp Hartel erschienenes Klavierwerk von Ferruccio Busoni das zu seinen bedeutendsten Kompositionen fur das Instrument gehort Im Zentrum steht sein Versuch die letzte und fragmentarische Fuge Contrapunctus XIV BWV 1080 19 aus Johann Sebastian Bachs spatem Zyklus Die Kunst der Fuge zu vollenden Ferruccio Busoni 1906Das technisch sehr anspruchsvolle und ausgedehnte Werk hat eine recht lange Entstehungsgeschichte und liegt in unterschiedlichen Fassungen vor Busoni widmete es dem deutsch amerikanischen Komponisten Wilhelm Middelschulte von dem wichtige Impulse ausgegangen waren und der ein Arrangement fur Orgel anfertigte Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Zur Musik 3 Hintergrund und Einzelheiten 4 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenDie Anregung fur das Werk geht auf den Anfang des Jahres 1910 zuruck und ist Wilhelm Middelschulte und Bernhard Ziehn zu verdanken die Busoni als Gothiker von Chicago III bezeichnete und deren Studien uber die unvollendete Fuge er zu dem Zeitpunkt kennenlernte Middelschulte war ein bedeutender Organist und Theoretiker der 1891 in die Vereinigten Staaten ausgewandert war Er arbeitete als Hochschullehrer setzte sich fur das Werk Johann Sebastian Bachs ein und pragte so das amerikanische Musikleben In Chicago wirkte er in der Jacobikirche und lernte dort den bedeutenden Musiktheoretiker Bernhard Ziehn kennen der ihn mit seinem Konzept einer erweiterten Tonalitat beeinflusste 1 Da Busoni die Fantasia mehrfach uberarbeitete entstanden 1910 und in den folgenden Jahren neben einer fragmentarischen Fassung fur Orchester weitere Versionen 2 Zunachst wollte er den Fugen eine umfangreiche Fantasie voranstellen ein Plan von dem er etwas spater abruckte um alles Fantasieartige in der Fuge selbst zu prasentieren 3 Hierbei schwebte ihm eine Kombination aus Cesar Franck und Ludwig van Beethovens Hammerklaviersonate vor Nachdem er die Fuge BV 255 am 1 Marz 1910 in den Vereinigten Staaten beendet und sie Middelschulte unter dem Titel Grosse Fuge Kontrapunktische Fantasie uber Joh Seb Bach s letztes unvollendetes Werk gewidmet hatte entschloss er sich im April eine Orchesterfassung zu schreiben der er das ebenfalls orchestrierte dritte Stuck aus der Elegiensammlung BV 249 voranstellen wollte Kamen diese Versuche nicht uber ein Fragment hinaus konnte er im Juni hingegen die erweiterte und endgultige Klavierfassung Edizione definitiva BV 256 vollenden 1912 schrieb er ein kurzeres Choralvorspiel nebst Fuge uber ein Bachsches Fragment Der Fantasia Contrappuntistica kleine Ausgabe BV 256a und neun Jahre spater schliesslich die Fantasia Contrappuntistica fur zwei Klaviere BV 256b 4 Zur Musik BearbeitenDie Edizione definitiva besteht aus den zwolf Teilen Preludio corale Moderato un po maestoso Fuga I Fuga II Fuga III auf die Tonfolge B A C H Intermezzo Variazione I Variazione II Variazione III Cadenza Fuga IV Corale und Stretta Fur das wuchtige Preludio griff Busoni auf seine dritte Gregor Beklemischeff gewidmete Elegie Meine Seele bangt und hofft zu Dir aus den Neue n Klavierstucken BV 249 von 1908 zuruck die er leicht bearbeitete und kurzte Die Elegie kann als freies Choralvorspiel uber das lutherische Kirchenlied Allein Gott in der Hoh sei Ehr aufgefasst werden das auch von Bach bearbeitet worden war und sich in der Sammlung von 18 Choralbearbeitungen fur Orgel mit zwei Manualen und Pedal findet 5 In der Fuga I Con molta importanza e sostenutissimo lasst Busoni den Dux im oktavierten Bass fortissimo einsetzen und fuhrt ihn diminuendo zum Pianissimo in Takt sechs wo der Comes nach dem Muster der unvollendeten Fuge tonal antwortet Das sechstaktige Thema entspricht ebenso der Vorgabe Bachs wie der Kontrapunkt in Takt acht wahrend die bereits im vierten Takt von Busoni hinzugefugten Oberstimmen davon abweichen Vor der Stretta zitiert Busoni als Reminiszenz erneut das Choralvorspiel das uber duster ostinaten aus dem B A C H Motiv gebildeten Bassfiguren erklingt und leitet in den triumphalen Schluss uber der terzlos endet und so die Frage offenlasst ob das Werk in Dur oder Moll ausklingt 6 Hintergrund und Einzelheiten BearbeitenIm Fruhwerk Busonis zeigt sich der romantische Hintergrund von Komponisten wie Schumann Chopin und Mendelssohn spater auch Johannes Brahms dem er zunachst mit respektvoller Distanz begegnete und dessen f Moll Sonate er 1884 im Beisein des Kritikers Eduard Hanslick in Wien spielte Der Einfluss der vertrackten Handel Variationen lasst sich in den fruhen Chopin Variationen op 22 BV 213 nachweisen und auch in seinem von Max Reger gelobten Konzertstuck op 31 a BV 236 von 1890 ist Brahms gegenwartig 7 nbsp J S Bach Die Kunst der Fuge Letzte Seite des Autographen mit der unvollendeten Fuge und der Anmerkung Carl Philipp Emanuel BachsDoch wie kein anderer Komponist bestimmte Johann Sebastian Bach die pianistische und kompositorisch kunstlerische Entwicklung Busonis der spater die Gesamtausgabe seines Klavierwerks bei Breitkopf amp Hartel betreute und mit Anmerkungen versah Die Bedeutung Bachs der ebenfalls eigene und fremde Werke bearbeitete zeigt sich in der kontrapunktischen Struktur vieler Werke Busonis sowie in zahlreichen Transkription Die Schwierigkeit einiger Bach Bearbeitungen ist den hohen Anforderungen und Klangvorstellungen Busonis geschuldet der die Vorlagen auf das Niveau eines Virtuosen heben wollte So wurde die Fantasia als Versuch gewertet Bachs vermutlich als Quadrupelfuge konzipiertes Werk zu Ende zu denken und das Klavier dabei zu vergessen 8 Bachs Contrapunctus 14 bricht nach der Vorstellung der drei Themen ab ohne das Grundthema des Zyklus einzufuhren Der Musikwissenschaftler Philipp Spitta glaubte das unvollendete Werk gehore nicht zum Zyklus eine Meinung der sich auch andere Fachleute anschlossen Auf der anderen Seite erklingt das Thema in Contrapunctus 8 erst sehr spat weswegen der von Spitta geausserte Zweifel nicht zwingend erscheint ist es doch moglich dass Bach es erst am Schluss der Fuge erklingen lassen wollte 9 nbsp Quadrupelkomplex aller vier ThemenMartin Gustav Nottebohm stellte als erster Musikwissenschaftler in einer Ausgabe der Musik Welt vom 5 Marz 1881 fest dass das Grundthema mit den drei bisher eingefuhrten Themen gut kombinierbar sei In diesem Falle wurden die vier Fugenthemen unterschiedlich beginnen und enden was nach Auffassung Donald Francis Toveys fur Bachs kompositorische Handschrift charakteristisch sei 10 Auf Transkriptionsfragen kam Busoni auch in seinem Rainer Maria Rilke gewidmeten Entwurf einer neuen Asthetik der Tonkunst zu sprechen ein musiktheoretisches Werk das kontrovers rezipiert wurde und auf das der konservative Wagner Verehrer Hans Pfitzner mit seiner Polemik Futuristengefahr reagierte Anstatt ein Werk immer in derselben Weise durch sklavische Fixierung auf die Zeichen zu spielen sollte der Interpret es nach den jeweiligen Gegebenheiten gestalten Vom Problem der Notation ausgehend spricht Busoni auch seine eigenen Transkriptionen an die auf Widerstand gestossen seien und die er damit rechtfertigt dass jede Notation bereits eine Transkription sei Wirkten Beethovens Klavierwerke wie vom Orchester ausgehende Klaviertranskriptionen so Schumanns Orchesterwerke umgekehrt wie orchestrierte Klavierwerke Die zwischen 1907 und 1909 geschriebenen Elegien BV 249 markieren einen Neubeginn in Busonis Entwicklung was von ihm selbst so gedeutet wurde als er angab in ihnen sein ganz personliches Gesicht aufgesetzt zu haben 11 Mit ihrer erweiterten Tonalitat und den stellenweise bitonalen Ansatzen gehen sie uber die gebrauchliche Funktionsharmonik der Zeit ebenso hinaus wie die Sonatinen in denen sich ebenfalls bitonale Strukturen finden 12 1954 spielte der junge Alfred Brendel das Werk ein und trug es etwas spater einem schmalen Publikum in Wien vor Fur ihn ist die Fantasia eine Einheit von These und Antithese Kontrapunkt und Phantasie Bach und Busoni Der Klavierklang sei unendlich verfeinert und zeige eine neue Sphare der Instrumentalkunst Es sei bezeichnend dass Bach und Liszt Basis und Gipfel des Klavierspiels die Saulen seines gewaltigen Repertoires gewesen seien bewege Busoni sich doch zwischen der Kontemplation des einen wie der ekstatischen Klangmagie des anderen 13 Einzelnachweise Bearbeiten Middelschulte Wilhelm In Die Musik in Geschichte und Gegenwart Band 16 Barenreiter Verlag 1986 S 1276 1277 Christoph Flamm Fantasia contrappuntistica In Harenberg Klaviermusikfuhrer 600 Werke vom Barock bis zur Gegenwart Meyers Mannheim 2004 S 236 Zit nach Christoph Flamm Fantasia contrappuntistica In Harenberg Klaviermusikfuhrer 600 Werke vom Barock bis zur Gegenwart Meyers Mannheim 2004 236 Reinhard Ermen Ferruccio Busoni Rowohlt Reinbek bei Hamburg 1996 S 144 Christoph Flamm Elegien 7 neue Klavierstucke In Harenberg Klaviermusikfuhrer 600 Werke vom Barock bis zur Gegenwart Meyers Mannheim 2004 S 231 Christoph Flamm Fantasia contrappuntistica In Harenberg Klaviermusikfuhrer 600 Werke vom Barock bis zur Gegenwart Meyers Mannheim 2004 S 237 Busoni Ferruccio Benvenuto In Die Musik in Geschichte und Gegenwart Band 2 Barenreiter Verlag 1986 S 525 526 So Reinhard Ermen Ferruccio Busoni Rowohlt Reinbek bei Hamburg 1996 S 40 Kritischer Bericht in Johann Sebastian Bach Die Kunst der Fuge Cembalo Klavier BWV 1080 Nach den Quellen herausgegeben von Davitt Moroney G Henle Verlag Munchen S 107 Kritischer Bericht in Johann Sebastian Bach Die Kunst der Fuge Cembalo Klavier BWV 1080 Nach den Quellen herausgegeben von Davitt Moroney G Henle Verlag Munchen S 108 Zit nach Busoni Ferruccio Benvenuto In Die Musik in Geschichte und Gegenwart Band 2 Barenreiter Verlag 1986 S 525 526 Hermann Grabner Allgemeine Musiklehre Barenreiter Verlag Kassel 2001 S 141 Zit nach Alfred Brendel Nachdenken uber Musik Piper Munchen 1982 Seite 150 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fantasia contrappuntistica amp oldid 215331620