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Differenzierung von lateinisch differre sich unterscheiden bezeichnet in der Entwicklungsbiologie die Entwicklung von Zellen oder Geweben von einem weniger in einen starker spezialisierten Zustand Es handelt sich hierbei um einen artspezifisch vielfach irreversiblen und daher pradeterminiert erscheinenden Wandel von einzelnen Zellen und Geweben Dieser Wandel kann in unterschiedlichen polyvalenten Richtungen erfolgen 1 2 Krankheitsbedingt kann es zur Ruckbildung der entwicklungsgeschichtlich erfolgten Aufbauleistungen zugunsten primitiverer Stadien kommen was dann als Entdifferenzierung bezeichnet wird 3 Inhaltsverzeichnis 1 Morphogenese 2 Auftreten 3 Differenzierung und Genom 4 Differenzierung und Determination 5 Regulation der Differenzierung 6 Beispiele 6 1 Gengesteuerte Bildung von Proteinen 6 2 Vergleichende Betrachtung von Entwicklungsstadien 6 3 Rindenahnliche Differenzierung 6 4 Zellulare Vorstadien spaterer Differenzierung 7 Gestaltpsychologie 8 Literatur 9 EinzelnachweiseMorphogenese BearbeitenDie Differenzierung ist zusammen mit der Zellteilung verantwortlich dafur einem mehrzelligen Lebewesen seine Form zu verleihen die Gesamtheit dieses Prozesses wird als Morphogenese bezeichnet Auftreten BearbeitenDifferenzierungsprozesse treten einerseits bei der individuellen Entwicklung eines vielzelligen Organismus auf der sich aus einer Zygote befruchtete Eizelle zu einem komplexen Gebilde mit vielen verschiedenen Zelltypen und Gewebetypen entwickelt Aber auch in ausgewachsenen Individuen spielen Differenzierungsprozesse wichtige Rollen bei der Aufrechterhaltung der Korperfunktionen Differenzierung und Genom BearbeitenMolekularbiologisch aussert sich die Differenzierung von Zellen darin dass nicht das gesamte Genom exprimiert also in Proteine umgesetzt wird sondern nur die fur den jeweiligen Zelltyp benotigten Gene aktiv sind Im Gegensatz zur kurzfristig variablen Genexpression die zum Beispiel die Reaktion auf Hormone oder Stress erlaubt stellt die Differenzierung also eine langerfristig stabile Form der Genregulation dar Differenzierung und Determination BearbeitenBei Lebewesen mit sexueller Fortpflanzung beginnt die Entwicklung mit einer einzigen Zelle der befruchteten Eizelle Zygote welche alle Zelltypen des vollstandigen Organismus hervorbringen kann Diese Eigenschaft wird als Totipotenz bezeichnet von lat totus alles und potentia Macht Fahigkeit Durch Zellteilung gehen aus dieser mehrere Tochterzellen hervor die sich je nach Zellabstammung auf verschiedene Rollen spezialisieren Insbesondere bei Tieren geht dieser Vorgang mit der sogenannten Determination einher Das bedeutet dass die eingeschlagene Richtung der Spezialisierung auf nachfolgende Zellgenerationen auf epigenetischem Weg weitergegeben wird Eine determinierte Zelle behalt damit ihr Entwicklungsprogramm auch dann bei wenn sie zum Beispiel an einen anderen Ort innerhalb des Organismus verpflanzt wird Hierdurch schrankt sich die Potenz der Zelllinie immer weiter ein von pluripotenten embryonalen Stammzellen von lat pluriens mehrfach welche alle Zelltypen des Embryos hervorbringen konnen uber multipotente Korperstammzellen somatische Stammzellen lat multus viel bzw altgriechisch sῶma soma deutsch Korper welche nur die Zelltypen eines bestimmten Gewebes hervorbringen konnen bis zu irreversibel differenzierten funktionellen Korperzellen Diese verlieren meist die Teilungsfahigkeit und haben haufig nur eine begrenzte Lebensdauer Allerdings konnen Zellen unter bestimmten Umstanden ihre Determination andern Transdetermination ihre Differenzierung verlieren Dedifferenzierung oder sich nach einer Dedifferenzierung neu differenzieren Transdifferenzierung Diese Prozesse spielen zum Beispiel bei der Wundheilung und der Entstehung von Krebs eine Rolle In Pflanzen finden sich ebenfalls auf die Teilung und damit die Erzeugung neuer Zellen und Gewebe spezialisierte sogenannte meristematische Zellen allerdings sind auch ausdifferenzierte Zellen haufig nicht oder nur eingeschrankt determiniert und behalten die Fahigkeit sich unter bestimmten Umstanden zum Beispiel nach Verwundung erneut zu teilen und verschiedene Zelltypen hervorzubringen Regulation der Differenzierung BearbeitenDer Weg der Differenzierung also die Entscheidung zu welchem Zelltyp eine Zelle sich entwickelt hangt ab von verschiedenen ausseren und inneren Faktoren zum Beispiel dem Einfluss von Wachstumsfaktoren und Hormonen Nachbarzellen Zellkontakte Der Herkunft der Zelle aus ihren Vorlaufern Determination Beispiele BearbeitenGengesteuerte Bildung von Proteinen Bearbeiten Der Humangenetiker Friedrich Vogel sprach 1961 von Problemen der Differenzierung wahrend der Embryonalentwicklung die im Zusammenhang stehen mit der Bildung von gengesteuerten Proteinen die ihrerseits wiederum abhangig sind vom Substratangebot Um diesen Vorgang zu verdeutlichen wahlt Vogel ein experimentell nachprufbares Beispiel von enzymatischer Adaptation Wenn Hefe mit Glukose ernahrt wird zeigt sie keine Bereitschaft zur Umsetzung von anderem Zucker wie etwa Galaktose Erst im Verlauf von einigen Stunden ist bei entsprechendem Angebot von Galaktose diese Bereitschaft infolge von Erhohung der Galaktokinase Aktivitat nachweisbar vgl Enzyminduktion Gleichzeitig sinkt dann jedoch die Glukokinase Aktivitat 4 Vergleichende Betrachtung von Entwicklungsstadien Bearbeiten Die vergleichende allgemeine Betrachtung der Stadien der Entwicklung innerhalb der Phylogenese ist fur das Verstandnis der funktionellen Gliederung unseres eigenen Nervensystems aufschlussreich da sie uns zugleich Vorteile und Nachteile und damit den biologischen Sinn solcher Differenzierung zeigt 5 Ein solches Beispiel hinsichtlich der Organisation der Netzhaut ist etwa ersichtlich beim Vergleich der menschlichen Entwicklung und derjenigen beim Tintenfisch siehe Zentralisierung Der Bauplan des inversen Auges bietet Vorteile bei der Blutversorgung Rindenahnliche Differenzierung Bearbeiten Die menschliche Netzhaut ist gleichzeitig ein Beispiel fur die rindenahnliche Differenzierung von Nervengewebe Die Netzhaut stellt einen vorgelagerten Anteil des Gehirns dar und weist die fur kortikale Strukturen typische mikroskopische Gliederung in Schichten Laminierung auf Die Laminierung ist ein Bauprinzip der grauen Substanz 5 Zellulare Vorstadien spaterer Differenzierung Bearbeiten Nicht endgultig differenzierte histogenetische Vorstadien von verschiedenen Entwicklungslinien stellen die sog Blasten dar Als konkretes Beispiel mogen hier die in der Wandung des embryonalen Neuralrohres Zona nuclearis intermedia liegenden einheitlich gestalteten Wandzellen dienen die auch als Neuroepithel bezeichnet werden Aus diesen Wandzellen entwickeln sich sowohl die Glioblasten als auch die Neuroblasten und Ependymzellen Neuroblasten sind als Vorstadien der spateren Neuronen anzusehen Glioblasten als Vorstadien der Glia 1 6 5 Gestaltpsychologie BearbeitenNach den Theorien einzelner Gestaltpsychologen wie Heinz Werner u a ist die Differenzierung als biologisches Entwicklungsprinzip in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Zentralisierung zu sehen Wahrend die Differenzierung als Fliessgleichgewicht ohne wesentliche morpholologische Veranderungen verstanden werden kann ist die Zentralisierung von Organen eher auf die funktionelle Vernetzung unterschiedlich differenzierter zellularer Elemente in einem raumlichen Organsystem bezogen siehe Kap Morphogenese 7 Jede neu erworbene Verhaltenseinheit muss in das Ganze des Organismus eingegliedert werden um durch diese Integration eine Desorganisation des Verhaltens zu vermeiden Integration setzt Differenzierung voraus Auch wenn Integration und Differenzierung als gegensatzliche Wirkprinzipien anzusehen sind wird hierdurch die Fahigkeit des Organismus erhoht auf unterschiedliche Reize gezielt zu antworten 8 Literatur BearbeitenW A Muller M Hassel Entwicklungsbiologie Springer Heidelberg 1999 ISBN 3 540 65867 X L Taiz E Zeiger Physiologie der Pflanzen Spektrum Akademischer Verlag 2000 ISBN 3 8274 0537 8 Heinz Werner Einfuhrung in die Entwicklungspsychologie 1926Einzelnachweise Bearbeiten a b Boss Norbert Hrsg Roche Lexikon Medizin 5 Auflage Hoffmann La Roche AG und Urban amp Schwarzenberg Munchen 1987 ISBN 3 541 13191 8 a zu Lex Lemma Differenzierung S 399 b zu Lex Lemma blast S 209 zu Lex Lemma Neuroblast S 1232 gesundheit de roche Otto Grosser bearb von Rolf Ortmann Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen 6 Auflage Springer Berlin 1966 S 2 24 zu Stw Pradetermination Fritz Broser Topische und klinische Diagnostik neurologischer Krankheiten 2 Auflage U amp S Munchen 1981 ISBN 3 541 06572 9 S 134 zu Kap 2 9 Stw Entdifferenzierung Friedrich Vogel Allgemeine Humangenetik Springer Berlin 1961 S 418 a b c Alfred Benninghoff und Kurt Goerttler Lehrbuch der Anatomie des Menschen Dargestellt unter Bevorzugung funktioneller Zusammenhange 3 Band Nervensystem Haut und Sinnesorgane 7 Auflage Urban und Schwarzenberg Munchen 1964 a zu Stw Vergleichende Betrachtung von Entwicklungsstadien S 106 b zu Stw Schichtenaufbau der Retina S 428 435 zu Stw rindenahnliche Differenzierung S 189 c zu Stw Neuroblasten S 73 123 Neuroblasten In Helmut Ferner Entwicklungsgeschichte des Menschen 7 Auflage Reinhardt Munchen 1965 S 125 137 f Peter R Hofstatter Hrsg Psychologie Das Fischer Lexikon Fischer Taschenbuch Frankfurt a M 1972 ISBN 3 436 01159 2 zu Stw Zentralisation Differenzierung Entwicklung S 102 164 f zu Stw Gestaltpsychologie Grundannahmen S 164 f Wilhelm Karl Arnold et al Hrsg Lexikon der Psychologie Bechtermunz Augsburg 1996 ISBN 3 86047 508 8 zu Lex Lemma Differenzierung Sp 367 zu Lex Lemma Integration Sp 995 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Differenzierung Biologie amp oldid 218159348