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Mit Zentralisierung wird in der Entwicklungspsychologie eine Theorie von Heinz Werner 1890 1964 u a Gestaltpsychologen wie Kurt Lewin Kurt Koffka und Felix Krueger bezeichnet mit deren Hilfe Entwicklungsvorgange naher beschrieben und verstanden werden konnen Die Theorie geht von Grundannahmen der Gestaltpsychologie aus 1 2 3 Beim Aufbau und in der Entwicklung funktioneller Strukturen stellt die Zentralisierung sozusagen das Gegenstuck der Peripherisierung dar Inhaltsverzeichnis 1 Zur Entstehung und Begrundung der Theorie 2 Wahrnehmung 3 Zentralisierung als Ausdruck der Selbstorganisation von Hirnzentren 4 Zentralisierung am Beispiel der Netzhaut 4 1 Mensch und Wirbeltiere 4 2 Cephalopoden 5 Literatur 6 EinzelnachweiseZur Entstehung und Begrundung der Theorie BearbeitenUrsprunglich handelte es sich um den Versuch sowohl die Differenzierung der Wahrnehmung als auch die selbstorganisierende Ausbildung ubergeordneter Zentren der Reizverarbeitung zu verdeutlichen Die Begriffe der Differenzierung und Zentralisierung lassen sich jedoch auch umfassend auf alle Entwicklungsvorgange anwenden Die Eizelle lasst sich ganzheitlich als funktionell totipotenter Prototyp einer Zelle verstehen vgl dazu auch die pluripotente Funktion von Stammzellen Solche Zellen konnen sich in verschiedene Gewebearten ausdifferenzieren Der Begriff der Differenzierung erschien daher geeignet insofern er die Ausgliederung von speziellen Teilfunktionen aus diffusen Ganzheiten beinhaltet als gestaltgebender Faktor fur die Entwicklung von Organen angesehen zu werden Als abgegrenzte Funktionseinheit im Dienste eines gesamten Organismus sind Organe jedoch immer auch als Zentren aufzufassen Organogenese ist daher immer auch Zentralisation insofern als man darunter die vereinheitlichende Zusammenfassung von Teilfunktionen im Dienste gemeinsamer Anliegen versteht 1 2 Zentralisierung ist daher nicht nur am Beispiel des Nervensystems zu verdeutlichen Auch andere Organe wie etwa die Bauchspeicheldruse bestehen aus einem Komplex besonders hoch spezialisierter Zellen Am Beispiel der Bauchspeicheldruse sind dies die eigentlichen exokrinen Drusenzellen und die endokrin wirksamen Langerhansschen Inseln Die Begriffe der Differenzierung und Zentralisierung haben sich in der Biologie durchgesetzt So wird dieses Begriffspaar oft beim Vergleich unterschiedlicher Bauplane von Tieren und bei der Beurteilung der sich hieraus ggf ergebenden Hoherentwicklung der Organisation verwendet 3 Wahrnehmung BearbeitenDas Erkennen wird als Einsicht in einen neuen Gestaltzusammenhang angesehen Insofern unterliegt die Wahrnehmung einer bestimmten individuellen Entwicklung Aktualgenese Sie fuhrt von diffusen stark gefuhlsbetonten und dynamischen Anfangszustanden Vorgestalten Gestaltkeimen unter geeigneten Bedingungen zu pragnanten und klar gegliederten Endgestalten Wie Friedrich Sander zeigte gilt dies nicht nur fur die Wahrnehmung sondern auch fur die Entwicklung von Lebewesen Diese Gestalten sind nicht unbedingt nur als submikroskopische Veranderungen von Nervenzellen anzusehen sondern sind dazu in der Lage auch die Organisation der Zellen im sichtbaren Bereich zu gestalten Selbstorganisation Hirnpathologische Falle liefern Beispiele fur eine unvollstandige Aktualgenese 1 Zentralisierung als Ausdruck der Selbstorganisation von Hirnzentren Bearbeiten nbsp Abb 1 Das Wappen kann als Albrecht Durers Illustration zum Prinzip von Stirb und Werde verstanden werden Wahrend der Begriff der Differenzierung an den gleichzeitigen Aufbau und Abbau von Funktionen im Sinne eines Wandels biologischer Einheiten von Nervenzellen gebunden ist wird unter dem Begriff der Zentralisierung die Einwickelung Integration von Teilfunktionen verstanden die dadurch erreicht wird dass Zellen unterschiedlicher Differenzierung Arbeitsgemeinschaften bilden die nicht nur eine grossere Summe von Funktionen und damit von Fahigkeiten etwa in der Organisation von Hirnzentren umfasst sondern auch zu einer Herausbildung von neuen Sinnesqualitaten fuhren kann Hierdurch wird eine vereinheitlichende Zusammenfassung von Teilfunktionen im Dienste gemeinsamer Anliegen erzielt Noch Johannes Nikolaus Tetens 1736 1807 wies unter dem Begriff der Einwickelung auf den gegenlaufigen Aspekt von Aufbau und Abbau hin der bei jeder Entwicklung zu beobachten ist und bisweilen sogar als Verlust alterer Fahigkeiten erlebt werden kann vgl Goethe Stirb und Werde in West ostlicher Divan vgl a Abb 1 Auch Immanuel Kant 1724 1804 gebrauchte noch den Begriff der Einwickelung zur Abhandlung der Begriffe kosmologischer Ideen im Sinne einer Beziehung eines Regressus zwischen dem Ganzen und den Teilen 4 Dieser Auf und Abbau wird heute unter dem Terminus des Fliessgleichgewichts verstanden d h als Formen z B Zelltypen deren Inhalte mit ihnen verbundene Funktionen sich standig andern 1 Zentralisierung am Beispiel der Netzhaut BearbeitenMensch und Wirbeltiere Bearbeiten nbsp Abb 2 Entwicklung des Wirbeltierauges Phase 1 Ausbuchtung des Gehirns und Bildung der optischen Vesikel Mensch 4 Woche sowie beginnende Ausbildung zweier Augenbecher nbsp Abb 3 Zelltypen in den drei Schichten einer Saugetiernetzhaut Licht fallt von links ein weiss unterlegt die zellkernreichen Schichten v l n r weiss Ganglienzellen und ihre Axone grau Innere Schicht weiss Bipolarzellen gelb Aussere Schicht weiss Fotorezeptoren hellbraun Fotorezeptoren Aussensegmente Der entwicklungsgeschichtliche Vorgang der Zentralisierung erfolgt v r n l Zuletzt wachsen die Axone der Ganglienzellen aus Am Beispiel der Netzhaut sei auf die Augenentwicklung bei Wirbeltieren und beim Menschen hingewiesen die vom Neuralrohr im Bereich des Zwischenhirns ausgeht Abb 2 Die Zentralisierung schreitet von peripher nach zentral fort Abb 3 Dabei dient der Stil des Augenbechers als Leitstruktur Die Axone der Ganglienzellen mussen Anschluss finden in den entsprechenden Zentren von Zwischenhirn Mittelhirn und Grosshirnrinde 5 6 Der schichtweise Aufbau der Netzhaut hat Ahnlichkeit mit den Schichten der Hirnrinde Allocortex Das bipolare Ganglion retinae und das Ganglion nervi optici entsprechen der grauen Substanz des Gehirns Sie werden zur Gehirnschicht der Netzhaut zusammengefasst 6 Das im Vergleich zum Grubenauge der Wirbellosen inverse Auge der Vertebraten bietet Vorteile bei der Gefassversorgung Die Retina ist bei den Vertebraten zwar nicht dem Licht zugewandt dafur hat die pars optica retinae jedoch Beruhrung mit der Gefassschicht der Chorioidea was insgesamt zu einer Steigerung der Sehleistung fuhrt 6 Cephalopoden Bearbeiten Bei den Cephalopoden erreicht der Stamm der Mollusca seine hochste Organisationsstufe Dies zeigt sich in der reichen Entfaltung der Sinnesorgane Sie geht einher mit einer Leistungssteigerung und einer Zentralisierung des Nervensystems Die Augen der Cephalopoden gleichen in Bau und Leistung dem Wirbeltierauge Die Entwicklung hat bei Cephalopoden jedoch einen anderen Verlauf genommen Es handelt sich hierbei um ein klassisches Beispiel von Konvergenz Die evolutionaren Unterschiede im Vergleich zum Wirbeltierauge liegen in verschiedenen Gewebsarten von denen die Entwicklung der Netzhaut ihren Ausgang nimmt Wahrend die Netzhaut des Wirbeltierauges neurektodermaler Herkunft ist s o bildet sich die Netzhaut der Cephalopoden aus rein ektodermalem Gewebe Die Folge davon ist dass sich die Zentralisierung und Kortikalisierung bei den Cephalopoden vom Inneren der Augenblase nach aussen hin vollzieht wahrend die Zentralisierung bei Wirbeltieren zunachst von aussen nach innen in der Augenblase verlauft Daher mussen die zentripetalen Nervenfasern bei Wirbeltieren aus dem Augeninnern wieder durch die Sehnervenpapille herausgefuhrt werden Dies ist bei den Cephalopoden nicht erforderlich Zwar vereinen sich die dem Auge von aussen aufliegenden Nervenfasern auch bei den Cephalopoden zu einem Sehnerv es gibt hier jedoch im Augeninnern keine Sehnervenpapille und daher auch keinen blinden Fleck 3 Literatur BearbeitenHeinz Werner Einfuhrung in die Entwicklungspsychologie 1926Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Peter R Hofstatter Hrsg Psychologie Das Fischer Lexikon Fischer Taschenbuch Frankfurt a M 1972 ISBN 3 436 01159 2 a b zu Stw Zentralisation Differenzierung Entwicklung S 102 164 f c zu Stw Gestaltpsychologie Grundannahmen S 164 f d zu Stw Zentralisation S 102 f a b Markus Antonius Wirtz Hg Dorsch Lexikon der Psychologie Verlag Hans Huber Bern 162013 ISBN 978 3 456 85234 8 Lexikon Lemma Entwicklung online a b c Alfred Kuhn Grundriss der allgemeinen Zoologie Georg Thieme Stuttgart 151964 zu Stw Zentralisierung S 7 55 f 151 ff Kant Immanuel Critik der reinen Vernunft Riga 1781 KrV A 527 B 555 Helmut Ferner Entwicklungsgeschichte des Menschen Reinhardt Munchen 71965 zu Stw Retina Netzhautblatt des Augenbechers Neuroblasten S 137 a b c Alfred Benninghoff und Kurt Goerttler Lehrbuch der Anatomie des Menschen Dargestellt unter Bevorzugung funktioneller Zusammenhange 3 Bd Nervensystem Haut und Sinnesorgane Urban amp Schwarzenberg Munchen 71964 a zu Stw Aufbau funktioneller Strukturen S 106 f b zu Stw Retina S 428 c zu Stw Chorioidea Inversion der Netzhaut S 438 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Zentralisierung Biologie amp oldid 211900843