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Dekoharenz ist ein Phanomen der Quantenphysik das zur unvollstandigen oder vollstandigen Unterdruckung der Koharenzeigenschaften quantenmechanischer Zustande fuhrt Dekoharenzeffekte ergeben sich wenn ein bislang abgeschlossenes System mit seiner Umgebung in Wechselwirkung tritt Dadurch werden sowohl der Zustand der Umgebung als auch der Zustand des Systems irreversibel verandert Das Dekoharenzkonzept wurde ca 1970 vom deutschen Physiker Dieter Zeh eingefuhrt Die Konzepte der Dekoharenz sind heute bei vielen gangigen Interpretationen der Quantenmechanik ein wichtiges Hilfsmittel zur Klarung der Frage wie die klassischen Phanomene makroskopischer Quantensysteme gedeutet werden konnen 1 Sie sind jedoch unvereinbar mit der Kopenhagener Interpretation welche Messgerate als klassische nicht quantenmechanisch beschreibbare Systeme definiert 1 Weiterhin ist die Dekoharenz ein Hauptproblem bei der Konstruktion von Quantencomputern bei denen eine quantenmechanische Uberlagerung moglichst vieler Zustande uber einen hinreichend langen Zeitraum ungestort aufrechterhalten werden soll Inhaltsverzeichnis 1 Grundlegende Konzepte 1 1 Problemstellung 1 2 Einfluss der Umgebung 1 3 Typische Dekoharenzzeiten 1 4 Superselektion bei Messungen 2 Dekoharenz und Messproblem 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGrundlegende Konzepte BearbeitenProblemstellung Bearbeiten Falls die Quantenmechanik eine fundamentale Theorie darstellt muss da die Gesetze der Quantenmechanik grundsatzlich unabhangig von der Grosse des betrachteten Systems formuliert sind der Ubergang der physikalischen Eigenschaften mikroskopischer Systeme zu den Eigenschaften makroskopischer Systeme quantenmechanisch beschreibbar sein Quantenphanomene wie das Doppelspaltexperiment werfen jedoch die Frage auf wie das klassische Verhalten makroskopischer Systeme im Rahmen der Quantenmechanik erklart werden kann Insbesondere ist es keineswegs unmittelbar ersichtlich welche physikalische Bedeutung einem quantenmechanischen Superpositionszustand bei Anwendung auf ein makroskopisches System zukommen soll So stellte Albert Einstein 1954 in seiner Korrespondenz mit Max Born die Frage wie sich im Rahmen der Quantenmechanik die Lokalisierung makroskopischer Gegenstande erklaren lasst Dabei wies er darauf hin dass die Kleinheit quantenmechanischer Effekte bei makroskopischen Massen zur Erklarung der Lokalisierung nicht ausreicht ps 1 displaystyle psi 1 nbsp und ps 2 displaystyle psi 2 nbsp seien zwei Losungen derselben Schrodingergleichung Dann ist ps ps 1 ps 2 displaystyle psi psi 1 psi 2 nbsp ebenfalls eine Losung der Schrodingergleichung mit gleichem Anspruch darauf einen moglichen Realzustand zu beschreiben Wenn das System ein Makro System ist und wenn ps 1 displaystyle psi 1 nbsp und ps 2 displaystyle psi 2 nbsp eng sind in Bezug auf die Makro Koordinaten so ist dies in der weitaus uberwiegenden Zahl der moglichen Falle fur ps displaystyle psi nbsp nicht mehr der Fall Enge bezuglich der Makro Koordinaten ist eine Forderung die nicht nur unabhangig ist von den Prinzipien der Quantenmechanik sondern auch unvereinbar mit diesen Prinzipien 2 Ein anderes Beispiel fur die scheinbaren Paradoxien bei der Anwendung quantenmechanischer Konzepte auf makroskopische Systeme ist das von Erwin Schrodinger erdachte heute als Schrodingers Katze bekannte Gedankenexperiment Einfluss der Umgebung Bearbeiten Erst ab ca 1970 Arbeiten von Dieter Zeh setzte sich ausgehend von theoretischen und experimentellen Untersuchungen des Messprozesses allmahlich die Erkenntnis durch dass die o g Uberlegungen und Gedankenexperimente zu makroskopischen Zustanden insofern unrealistisch sind als sie deren unvermeidliche Wechselwirkungen mit der Umgebung ignorieren So stellte sich heraus dass Superpositionseffekte wie die oben erlauterte Interferenz am Doppelspalt ausserst empfindlich auf jeglichen Einfluss aus der Umgebung reagieren Stosse mit Gasmolekulen oder Photonen aber auch die Aussendung oder Absorption von Strahlung beeintrachtigen oder zerstoren die feste Phasenbeziehung zwischen den beteiligten Einzelzustanden ϕ n System displaystyle phi n text System rangle nbsp des betrachteten Systems die fur das Auftreten von Interferenzeffekten entscheidend ist In der Terminologie der Quantenmechanik lasst sich dieses als Dekoharenz bezeichnete Phanomen auf die Wechselwirkung zwischen den Systemzustanden und den Streuteilchen zuruckfuhren Diese kann durch eine Verschrankung der Einzelzustande ϕ n System displaystyle phi n text System rangle nbsp mit den Zustanden ϕ m Streuteilchen displaystyle phi m text Streuteilchen rangle nbsp der Umgebung beschrieben werden Als Folge dieser Wechselwirkung bleiben die Phasenbeziehungen zwischen den beteiligten Zustanden nur bei Betrachtung des Gesamtsystems System Umgebung wohldefiniert Bei isolierter Betrachtung der Systemzustande ϕ n System displaystyle phi n text System rangle nbsp ergeben sich dagegen rein statistische d h klassische Verteilungen dieser Zustande 3 Typische Dekoharenzzeiten Bearbeiten Dekoharenzzeiten in Sekunden 3 Umgebungseinfluss Freies Elektron Staubteilchen 10 µm Bowlingkugel300 K Normaldruck 10 12 10 18 10 26300 K Ultrahochvakuum Labor 10 10 4 10 12 mit Sonnenlicht auf der Erde 10 9 10 10 10 18 mit Warmestrahlung 300 K 10 7 10 12 10 20 mit Kosmischer Hintergrundstrahlung 2 73 K 10 9 4 10 7 10 18Eine Vorstellung von der Effizienz dieses Phanomens gibt Tabelle 1 in der typische Grossenordnungen der Dekoharenzzeiten d h der Zeitspannen innerhalb derer die Koharenz verloren geht fur verschiedene Objekte und Umgebungseinflusse aufgefuhrt sind Offensichtlich zerfallen die Uberlagerungszustande makroskopischer Objekte durch den praktisch nicht vermeidbaren Einfluss der Umgebung innerhalb kurzester Zeit in ein klassisches Ensemble unkorrelierter Einzelzustande bereits das 10 µm Staubteilchen muss in diesem Sinne als makroskopisch bezeichnet werden Superselektion bei Messungen Bearbeiten Bei den obigen Ausfuhrungen wurde implizit angenommen dass makroskopische Systeme spatestens nach Ablauf der Dekoharenzprozesse Zustande einnehmen welche die vertrauten klassischen Eigenschaften aufweisen Jedoch ist nicht unmittelbar klar welche der vielen denkbaren Basissysteme die bevorzugte Basis makroskopischer Systeme darstellen Warum scheinen z B bei makroskopischen Systemen in der Regel lokalisierte Ortszustande eine bevorzugte Rolle zu spielen wahrend mikroskopische Systeme haufig in delokalisierten Zustanden z B Energie Eigenzustanden vorgefunden werden Auch diese Fragestellung kann auf den Einfluss der Umgebung auf das betrachtete System zuruckgefuhrt werden Demnach definiert nur eine robuste Basis die nicht unmittelbar durch Dekoharenz Mechanismen zerstort wird die tatsachlich realisierbaren Observablen verschiedene konkrete Beispiele inkl einer Begrundung des bevorzugten Auftretens raumlich lokalisierter Zustande finden sich z B bei Erich Joos 3 und Maximilian Schlosshauer 1 Diese Bevorzugung bestimmter makroskopischer Zustande wird als Superselektion oder einselection fur environmentally induced superselection bezeichnet Dekoharenz und Messproblem BearbeitenIn der Literatur findet sich haufig die Aussage Dekoharenz und Superselektion stellten eine Losung fur das Messproblem dar eine der grundlegenden ungeklarten Fragen der Quantenmechanik Diese Aussage ist jedoch sehr umstritten 1 Wenn davon die Rede ist dass die Dekoharenz klassische Eigenschaften hervorruft dann bedeutet dies dass das Quantensystem annahernd for all practical purposes 5 keine Interferenz und keine Uberlagerungszustande mehr zeigt Messungen an dekoharenten Systemen zeigen eine klassische statistische Verteilung der Messwerte Die Dekoharenztheorie kann jedoch keine einzelnen Messungen erklaren sondern macht nur statistische Aussagen uber Ensembles aus mehreren Messvorgangen Um zu erklaren warum bei einer Einzelmessung nur ein einzelnes bestimmtes Ergebnis wahrgenommen wird ist nach wie vor eine weitergehende Interpretation notig wie sie zum Beispiel beim Kollaps der Wellenfunktion der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie oder im Rahmen der Viele Welten Interpretation versucht wird Auch die Dynamischer Kollaps Theorien sind gut mit der Dekoharenztheorie vereinbar 1 Literatur BearbeitenMario Castagnino Sebastian Fortin Roberto Laura and Olimpia Lombardi A general theoretical framework for decoherence in open and closed systems Classical and Quantum Gravity 25 pp 154002 154013 2008 Bertrand Duplantier Quantum decoherence Birkhauser Basel 2007 ISBN 3 7643 7807 7 Vladimir M Akulin Decoherence entanglement and information protection in complex quantum systems Springer Dordrecht 2005 ISBN 1 4020 3282 X Maximilian A Schlosshauer Decoherence and the quantum to classical transition Springer Berlin 2008 ISBN 3 540 35773 4 Erich Joos Elements of Environmental Decoherence in D Giulini u a Hrsg Decoherence and the Appearance of a Classical World in Quantum Theory Springer 2003 arxiv quant ph 9908008 Dieter Zeh Decoherence Basic Concepts and Their Interpretation in P Blanchard D Giulini E Joos C Kiefer I O Stamatescu Hrsg Bielefeld conference on Decoherence Theoretical Experimental and Conceptual Problems Springer 1999 arxiv quant ph 9506020Weblinks BearbeitenDecoherence de Eintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und weder Parameter 2 noch Parameter 3 von Guido Bacciagaluppi 2012 Zeh Dekoharenz und andere Quantenmissverstandnisse Didaktik Workshop Universitat Karlsruhe 2009 PDF 180 kB Franz Embacher Grundidee der Dekoharenz Universitat WienEinzelnachweise Bearbeiten a b c d e Schlosshauer Maximilian Decoherence the Measurement Problem and Interpretations of Quantum Mechanics Reviews of Modern Physics 76 2004 1267 1305 arxiv quant ph 0312059v4 A Einstein M Born Briefwechsel 1916 1955 Langen Muller 2005 ISBN 3 7844 2997 1 a b c E Joos et al Decoherence and the Appearance of a Classical World in Quantum Theory Springer 2003 ISBN 3 540 00390 8 Horst Volz Grundlagen und Inhalte der vier Varianten von Information Wie die Information entstand und welche Arten es gibt Hrsg Springer Verlag Springer Verlag Berlin ISBN 978 3 658 06406 8 S 143 Siehe z B Wider die Messung In J S Bell Quantenmechanik Sechs mogliche Welten und weitere Artikel de Gruyter Berlin 2015 ISBN 978 3 11 044790 3 S 241 259 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Dekoharenz amp oldid 231078574