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Zwielicht ist der Titel eines Gedichts von Joseph von Eichendorff Es gehort zu seinen verstorenden und dunklen Werken und findet sich im 17 Kapitel seines Romans Ahnung und Gegenwart der 1812 vollendet und 1815 veroffentlicht wurde Die Uberschrift Zwielicht fugte Eichendorff erst 1837 in seiner ersten Gedichtsammlung hinzu Joseph von EichendorffDas Gedicht verwendet die unheimliche Mehrdeutigkeit der Abenddammerung als Gleichnis fur die Gefahrdung der Liebe und die Unsicherheit einer Freundschaft 1 In der Stunde des Ubergangs vom Tag in die Nacht wachst die Angst vor einer nicht genau zu beschreibenden Bedrohung die sich in der Natur widerspiegelt zu Verlusten fuhren kann und Wachsamkeit verlangt 2 Inhaltsverzeichnis 1 Aufbau und Inhalt 2 Deutungen 2 1 Angste in der Dammerung 2 2 Religiose Gewissheit 3 Hintergrund 3 1 Erinnerung 3 2 Einsamkeit 4 Vertonung und Rezeption 4 1 Robert Schumann 4 2 Thomas Mann und Adorno 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseAufbau und Inhalt BearbeitenDas Gedicht umfasst vier Strophen mit je vier Versen bei denen es sich um vierhebige Trochaen handelt Es ist dreiteilig gebaut wobei die erste und vierte Strophe die beiden Mittelstrophen einrahmen 3 Titel und erste Strophe bilden Einleitung und Motto wahrend die Binnenstrophen Situationen Angste und Erfahrungen beschreiben Die letzte fast erbaulich wirkende Strophe prasentiert quasi epigrammatisch ein Fazit Das Gedicht lautet 4 Dammrung will die Flugel spreiten Schaurig ruhren sich die Baume Wolken zieh n wie schwere Traume Was will dieses Grau n bedeuten Hast ein Reh du lieb vor andern Lass es nicht alleine grasen Jager zieh n im Wald und blasen Stimmen hin und wider wandern Hast du einen Freund hienieden Trau ihm nicht zu dieser Stunde Freundlich wohl mit Aug und Munde Sinnt er Krieg im tuck schen Frieden Was heut mude gehet unter Hebt sich morgen neu geboren Manches bleibt in Nacht verloren Hute dich bleib wach und munter Deutungen BearbeitenAngste in der Dammerung Bearbeiten nbsp Wald wahrend der Dammerung Gemalde von Julius von KleverZunachst malt Eichendorff die Stunde des baldigen Sonnenuntergangs die ein Zwielicht erzeugt in dem die Welt unheimlich und bedrohlich wirkt Die Natur erscheint in dusteren Bildern die Baume ruhren sich schaurig der in ihren Zweigen spielende Wind erinnert an das Stohnen unerloster Geister und die Wolken die wie schwere Traume voruberziehen sind Abbilder nachtlicher Angste und Nachtalben 5 In den Binnenstrophen zeigen sich zwei exemplarische Bedrohungen Der geliebte Mensch hier durch das zarte Reh symbolisiert ist ausserst gefahrdet da Jager umherschleichen und Stimmen gespensterhaft hin und wider wandern So wankt die Welt aus ihren Fugen und im fahlen Licht des sich dem Ende neigenden Tages erscheint eine Freundschaft plotzlich nicht mehr verlasslich als hatte der Mensch den man lange zu kennen glaubt sich auf einmal verandert und konnte unter der Maske der Freundlichkeit zum Angriff ubergehen In der Nacht die der Dammerung folgt kann manches fur immer verloren gehen und sich auch am kommenden Tag nicht mehr lebendig zeigen Vor dem Hintergrund des starker versachlichten und nuchtern wirkenden Fazits der letzten Zeile wach und munter zu bleiben kann das Werk auch anders gedeutet werden indem die Bilder und Befurchtungen als Sinnestauschung oder sogar Wahn erscheinen und demnach von der Aussenwelt keine wirkliche Gefahr ausging Im Zwielicht glaubte der Mensch sich von feindlichen Machten umzingelt wahrend er einzig Opfer seiner eigenen Angst war Er selbst hat sich in dunkler Gedankenwelt verloren und gleichsam entstellt So lesen sich die Worte als Warnung oder Aufforderung sich nicht angstlichen Phantasien und dusteren Prophezeiungen hinzugeben und das Dunkle selbst in der Nacht zuruckzulassen 6 Religiose Gewissheit Bearbeiten nbsp Paul Gerhardt Ol auf Leinwand um 1700 Paul Gerhardt Kirche Lubben In der Tat orientiert sich die letzte Strophe am Sonnenlauf und formuliert eine religios begrundete Gewissheit die vor allem im geistlichen Lied gangiger Topos ist und vielfaltig besungen wird So findet sich im evangelischen Gesangbuch die Aussage dass die Gnade und grosse Treue Gottes jeden Morgen frisch und neu sei Dunkelheit und Gottesferne zeitlich begrenzt seien und dem Licht wichen Diese trostspendenden Worte finden sich in vielen geistlichen Liedern In der ersten Strophe eines von Johann Georg Ebeling vertonten Kirchenliedes Paul Gerhardts heisst es Mein Haupt und Glieder die lagen darnieder Aber nun steh ich bin munter und frohlich Schaue den Himmel mit meinem Gesicht 7 In der letzten Strophe lauten die Verse Kreuz und Elende das nimmt ein Ende Nach Meeresbrausen und Windessausen Leuchtet der Sonne erwunschtes Gesicht So wird deutlich dass der letzte Vers einen religiosen Hintergrund hat 8 Fur das geistliche Lied ist die Sphare der Nacht in der sich unreine Geister tummeln vom Bosen erfullt eine trube Sphare gegen die der Dichter Johann Rist die Worte setzte Werde munter mein Gemute die an Eichendorffs Zeilen in einem anderen Gedicht erinnern das sich ebenfalls in dem Roman Ahnung und Gegenwart findet 9 Hinaus o Mensch weit in die Welt Bangt dir das Herz in krankem Mut Nichts ist so trub in Nacht gestellt Der Morgen leicht macht s wieder gut Hintergrund BearbeitenEichendorffs Lyrik verfugt uber einen schmalen Vorrat an Motiven und zeichnet sich mit ihrer Mischung aus wiederkehrenden lyrischen Formeln und symbolischen Elementen von magischer Kraft durch einen schwer zu fassenden und doch spezifischen Ton aus Inhaltlich eignet ihr ein konservatives Element der melancholische Wunsch zu bewahren aus der Erinnerung zu rufen was in ferner Kindheit und verlorener Heimat liegt Die ewig besungenen rauschenden Walder die schonen Baume die sich auf Traume reimen die Berge und Taler Felder und Wiesen Flusse und Bache die malerischen Landschaften uber denen sich der Sternenhimmel wolbt diese Welt zeigt sich in einem uberschaubaren Schatz an Bildern der durch originelle metaphorische Wendungen und Chiffren erganzt wird 10 Erinnerung Bearbeiten Ein Grossteil seiner Lyrik deren Bilder nach revolutionaren Umwalzungen geschichtlich bereits gefahrdet und fragwurdig sind ist wesentlich Erinnerungsdichtung Heimweh und Erinnerung sind die gleichsam musikalischen Elemente seiner Formelsprache welche die Motive schmerzhafter Trennung und glucklichen Wiederfindens begleiten Haufig erklingt das Zauberlied von der alten schonen Zeit die im Gedicht beschworen wird um sich im wohligen Gefuhl der Geborgenheit an die Liebe und die vertraute Umgebung zu erinnern 11 Der Versuch asthetisch wiederzugewinnen was in der Realitat verloren ging ist ebenso augenfallig wie die stets gefuhlte Trennungserfahrung des Menschen von der Natur Die in der Wirklichkeit verlorenen Guter der Familie sind ein Teil des biographischen Hintergrundes aus dem diese Sprache kommt Der Blick geht zuruck in die Kindheit die verlorene Heimat und Landschaft die fruhere in der Zeit versunkene Geselligkeit Indem er nicht blind fur die Gegenwart macht sondern das Bewusstsein fur das Vergangene scharft kann er sich gewisser Wertungen nicht entschlagen Es gilt nicht das Fruhere zu uberwinden sondern es zu besingen Es ist meist das Bessere das schon gelebte Leben ist intensiver als das jetzige Dasein 12 So halten die Gedichte den Abglanz des fur immer Verlorenen fest das umso machtiger wird je tiefer es im Meer der Zeit versunken ist Einsamkeit Bearbeiten Der standige Ruckblick scharft den Geist nicht nur fur das vor langer Zeit Verlassene sondern macht seine Verse zur Einsamkeitslyrik Es sind nicht mehrere Menschen die sich erinnern sondern ein einsames Ich das aus einer schoneren Zeit herausgefallen ist wie ein junger Vogel aus dem Nest So kommen die Erinnerungen nicht am Tage sondern nachts Die Nacht ist fur ihn nicht mehr wie noch bei dem Fruhromantiker Novalis den er schatzte das Traumreich das fur das eigentliche Leben und ein besonderes vertieftes Dasein steht Hymnen an die Nacht sondern die Zeit melancholischer Erkenntnis uber den Verlust der einsam macht 13 Vertonung und Rezeption BearbeitenRobert Schumann Bearbeiten nbsp Harmonische Mehrdeutigkeit im ZwielichtDie Vertonung durch Robert Schumann als zehntes Stuck e Moll seines Liederkreises von 1840 unterstreicht den dusteren Charakter der Verse und gilt als ein bedeutendes romantisches Lied 14 Schumann stellte die Ambivalenz der Dammerung die mit der Gefahrdung der Liebe und dem trugerischen Schein einer Freundschaft einhergeht bereits im ersten Takt als harmonische Mehrdeutigkeit dar indem die Tonachse G in beiden Richtungen bis zum Cis im Oktavenabstand umkreist wird Die zu Beginn jeder Strophe in der Gesangsstimme wiederkehrenden Tritoni geben dem Stuck seinen charakteristischen bedrohlichen Klang Die beiden auch bei Eichendorff herausstechenden Verse Was will dieses Grau n bedeuten und Hute dich sei wach und munter hebt Schumann rezitativisch hervor Zudem wird durch die Bitonalitat in Gesangsstimme E Dur und Klavierbegleitung cis Moll am Ende der dritten Strophe der angesprochene tuck sche Frieden vertont Somit wird das Motiv des Zwielichtigen in allen Strophen auf verschiedenste Weise hervorgehoben Ein weiteres Novum der dusteren Komposition ist das dichte polyphone Geflecht des Satzes das sich erst in der vierten Strophe durch die Vertikalisierung der Stimmen auflost Fur viele Interpreten sind die Verse nicht mehr von der Vertonung durch Robert Schumann zu trennen So gesteht auch Eckart Klessmann es sei ihm unmoglich die Verse zu lesen ohne die polyphone an Johann Sebastian Bach erinnernde Musik Schumanns im Ohr zu haben 15 Thomas Mann und Adorno Bearbeiten nbsp Theodor W Adorno 1964 Auch Thomas Mann stellte die Verbindung her Auf eine Rundfrage nach dem Lieblingsgedicht erklarte er zunachst es sei unmoglich aus der weiten und uberreichen Welt deutscher Lyrik ein einziges Gedicht anzugeben da zu viel von den jeweiligen Lebensumstanden und der Stimmung abhange Nach einigen Worten uber das schone Lied Mondnacht erwahnte er das Zwielicht Er wurde es vielleicht nicht so lieben wenn Schumann es nicht so unglaublich genial vertont hatte 16 Fur Theodor W Adorno ist Zwielicht eines der grossten Gedichte Eichendorffs der fur ihn kein Dichter der Heimat sondern des Heimwehs ist In seinem Essay Zum Gedachtnis Eichendorffs weist er auf den affirmativen Tonfall hin der dem Dunklen entrungen sei und spricht von einem Entschluss zur Munterkeit der sich mit seltsam paradoxer Gewalt am Ende des Werkes bekunde 17 In seiner Lekture gegen den Strich untersucht er die Elemente bei Eichendorff die den gangigen Vorstellungen subjektivistischer Romantik zuwiderlaufen Er spricht von der Suspension des Ichs das bekannte Schema von Erlebnis und Dichtung wurde auf die Werke Eichendorffs eigentlich nicht passen Seine Selbstentausserung trenne ihn von Dichtern der gegenstandlichen Anschauung und sinnlichdichten Erfahrung wie etwa Johann Wolfgang von Goethe und Eduard Morike Die Hingabe und romantische Todessehnsucht die in Eichendorffs Lyrik zu erkennen sind deuten fur Adorno auf die Gabe loslassen zu konnen und wenden sich gegen die Herrschaft des Ichs uber die Seele 18 So gelangen die Verse uber das Zwielicht fur Adorno an eine ausserste Grenze In dem Roman Ahnung und Gegenwart wo sie in einem Moment der Eifersucht in dem Friedrich seine Braut Rosa an den Prinzen verlieren wird mit der Handlung verflochten sind wahren sie eine gewisse Oberflachen Verstandlichkeit Das Gedicht isoliert betrachtet zeige indes die bis zum Wahnsinn gehende Selbstentfremdung des Ichs Diese Tendenz zeigt sich fur Adorno in der schizoiden Mahnung das liebe Reh nicht allein grasen zu lassen und in der Verfolgungsphantasie des Abgeschiedenen die ihm den Freund in den Feind verhext 19 Literatur BearbeitenAlexander von Bormann Mondnacht Zwielicht S 25 31 in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg Gert Sautermeister Reclam UB 17528 Stuttgart 2005 ISBN 978 3 15 017528 6Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Zwielicht Quellen und VolltexteEinzelnachweise Bearbeiten So Christiane Tewinkel in Der Liederkreis op 39 nach Eichendorff Lieder in Schumann Handbuch Metzler Stuttgart Weimar 2006 S 428 So Eckart Klessmann Stunde der Anfechtung in 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen Hrsg Marcel Reich Ranicki Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1995 S 318 Die Darstellung orientiert sich an Alexander von Bormann Mondnacht Zwielicht in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg von Gert Sautermeister Reclam Stuttgart 2005 S 25 31 Joseph von Eichendorff Gedichte 1811 1815 Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig S 146 So Eckart Klessmann Stunde der Anfechtung in 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen Hrsg Marcel Reich Ranicki Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1995 S 318 Eckart Klessmann Stunde der Anfechtung in 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen Hrsg Marcel Reich Ranicki Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1995 S 318 Zit nach Alexander von Bormann Mondnacht Zwielicht in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg Gert Sautermeister Reclam Stuttgart 2005 S 29 Alexander von Bormann Mondnacht Zwielicht in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg Gert Sautermeister Reclam Stuttgart 2005 S 29 Joseph von Eichendorff Gedichte 1811 1815 Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig S 157 Wolfgang Fruhwald Das lyrische Werk von Joseph Freiherrn von Eichendorff In Kindlers Neues Literatur Lexikon Band 5 Kindler Verlag Munchen 1989 S 68 Wolfgang Fruhwald Das lyrische Werk von Joseph Freiherrn von Eichendorff In Kindlers Neues Literatur Lexikon Band 5 Kindler Verlag Munchen 1989 S 68 Helmut Koopmann Ewige Fremde ewige Ruckkehr in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg Gert Sautermeister Reclam Stuttgart 2005 S 48 Helmut Koopmann Ewige Fremde ewige Ruckkehr in Interpretationen Gedichte von Joseph von Eichendorff Hrsg Gert Sautermeister Reclam Stuttgart 2005 S 49 Christiane Tewinkel Der Liederkreis op 39 nach Eichendorff Lieder in Schumann Handbuch Metzler Stuttgart Weimar 2006 S 428 Eckart Klessmann Stunde der Anfechtung in 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen Hrsg Marcel Reich Ranicki Von Friedrich von Schiller bis Joseph von Eichendorff Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1995 S 318 Thomas Mann Das Lieblingsgedicht in Reden und Aufsatze II Gesammelte Werke in dreizehn Banden Band 10 Fischer Verlag Frankfurt 1974 S 922 Theodor W Adorno Zum Gedachtnis Eichendorffs in Gesammelte Schriften Band 11 S 72 Sven Kramer in Eichendorff Lyrik und Gesellschaft Adorno Handbuch Leben Werk Wirkung Metzler Stuttgart 2011 S 203 Theodor W Adorno Zum Gedachtnis Eichendorffs in Gesammelte Schriften Band 11 S 72Normdaten Werk GND 4471149 9 lobid OGND AKS Abgerufen von 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